Architektur

Berlins Großwohnsiedlungen: Von Gropiusstadt bis Marzahn

Viele von Berlins Großwohnsiedlungen sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt: weil sie in der Popkultur aufgegriffen wurden oder auch, weil von dort Nachrichten über besonders hohe Kinderarmut kommen oder über Arbeitslosigkeit. Andere Großwohnsiedlungen sind nicht mal in Berlin besonders bekannt. Wir stellen eine Reihe von ihnen vor, bekannte und unbekanntere, zentral gelegene und Trabantenstädte.

In Marzahn prallen architektonisch Welten aufeinander. Foto: Imago Images/Jürgen Ritter
Berlins Großwohnsiedlungen: In Marzahn prallen architektonisch Welten aufeinander. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Viel Kriminalität, noch mehr Armut und ein Mangel an kulturellen Angeboten prägen oft das Image dieser Areale – nicht immer zu Unrecht, aber eben doch nicht pauschal. Denn wer genau hinsieht, der mag auch die architektonische Schönheit, manchmal sogar Brillanz, dieser Siedlungen entdecken. Wer in einem Altbau mit Fenstern zum Hinterhof lebt, träumt vielleicht sogar vom Licht, das eine Wohnung in einer Großwohnsiedlung meistens durchflutet. Da ist zum Beispiel die Hufeisensiedlung, die innovativ und praktisch zugleich ist, oder die Weiße Siedlung, von deren Wohnungen in den oberen Geschossen aus man einen atemberaubenden Blick über die Stadt hat.

Siedlungen wie das Märkische Viertel zeigen: Trabantenstädte gab es keineswegs nur in der DDR. Wobei Marzahn und Hellersdorf natürlich Paradebeispiele dafür sind – und gleichzeitig einen wesentlichen Beitrag dazu leisteten, die Wohnungsnot in der DDR zu lindern. In der folgenden Liste haben wir Großwohnsiedlungen in Berlin zusammengestellt: Manche sind berühmt, manche berüchtigt und manche beides.


Gropiusstadt

Die bekannteste Großwohnsiedlung: Christiane F. machte die Gropiusstadt berühmt. Foto: Imago/Ditsch

Die berühmteste ehemalige Bewohnerin der Gropiusstadt ist wohl Christiane F. Im Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ beschreibt sie das Quartier so: „Gropiusstadt, das sind Hochhäuser für 45.000 Menschen, dazwischen Rasen und Einkaufszentren. Von weitem sah alles sehr gepflegt aus. Doch wenn man zwischen den Hochhäusern war, stank es überall nach Pisse und Kacke.“ F. sagte damals, das liege an den Kindern, die pinkeln müssten, es aber nicht mehr rechtzeitig nach oben in die Wohnungen schafften, weil die Fahrstühle meist kaputt seien. Architekt des Viertels ist – na klar – Walter Gropius, gebaut wurde 1962 bis 1975. Neunzig Prozent des Wohnraums waren schon damals Sozialwohnungen – und das Viertel, das wegen seiner hellen Wohnungen anfangs attraktiv wirkte, bekam bald den Ruf eines sozialen Brennpunkts. Mehr über den Mythos Christiane F. lest ihr hier.


Märkisches Viertel

Das Märkische Viertel wiederum machte Sido berühmt. Foto: Imago/Jürgen Ritter

„Meine Stadt, mein Viertel, meine Gegend, meine Straße, mein Zuhause, mein Block“: Wer kennt sie nicht, die Hook von Rapper Sidos erstem Hit, die gleichzeitig eine Hommage ans Märkische Viertel, Drogen und harte Jungs ist? Der Berliner Rapper Sido setzte mit dem Song vom Leben in Großwohnsiedlungen ein Denkmal. Mit den Jahren hat sich der Rapper verändert, er hat jetzt viel Geld und eines von den Einfamilienhäusern, die er früher so belächelt hat.

Während es mit Sido damit irgendwie auch ein bisschen bergab gegangen ist, befindet sich das Märkische Viertel zumindest teilweise im Aufwind: Stellenweise hat es einen neuen, satt orangen Anstrich bekommen und dazu noch eine bessere Anbindung an den Rest von Berlin.


High-Deck-Siedlung

Die High-Deck-Siedlung galt früher als Gipfel der Innovation. Foto: Imago/Sabine Gudath

Als die High-Deck-Siedlung während der 1970er und 1980er entstand, kam das Konzept ihrer beiden Architekten Rainer Oefelein und Bernhard Freund ziemlich innovativ daher. Die Architekten haben den Fußgängerverkehr und den Autoverkehr getrennt: Die hochgelagerten, begrünten Wege (High Decks) verbinden die Häuser miteinander und erlauben Fußgänger:innen, durch die Straße zu spazieren, ohne auf Autos achten zu müssen. Die PKW wiederum parken und fahren unterhalb der High Decks. Auf den Gedanken, den Autos wie heute grundsätzlich Platz zu nehmen, kam man damals aber noch nicht. Und die Siedlung, zu deren Vorteilen auch die ruhige Lage nahe dem Mauerstreifen bei Treptow gehörte, verlor mit der Wende einen Teil ihrer Attraktivität.


Hansaviertel

Das Hansaviertel wurde im Krieg fast komplett zerstört und danach wieder aufgebaut.
Das alte Hansaviertel wurde im Krieg fast komplett zerstört. Foto: Imago/Hoch Zwei Stock/Angerer

Das Hansaviertel in Mitte ist ein Phönix, der sich aus der Asche der Ruinen des Zweiten Weltkriegs gekämpft hat. Die Bomber der Alliierten zerstörten etwa 300 der 343 Gebäude in dem Viertel zwischen Tiergarten und Moabit, der Rest wurde schwer beschädigt. Nach dem Krieg sollte das Gebiet Symbol für den Erneuerungswillen der Stadt werden. Ein wesentliches Merkmal der Neugestaltung war, im Hansaviertel und in ganz Berlin, eine größere Anzahl an Grünflächen.

Der Tiergarten sollte sich sozusagen über seine Ränder hinaus in das Hansaviertel ergießen. Die Planer teilten Grundstücke neu auf und veränderten das Straßen- und Versorgungsnetz. An dem Wettbewerb zur Neubebauung des Areals nahmen 1952 53 Architekten aus 13 Ländern teil, die „Mustersiedlung südliches Hansaviertel“ war in der Formsprache durch und durch modern. Am Ende entstanden 35 neue Gebäude, manche flach, andere hoch. Mehr über das Hansaviertel: Berlins Leistungsschau der Nachkriegsmoderne.


Thermometersiedlung

„Licht, Luft, Sonne“, unter diesem Motto stand der Wohnungsbau in West-Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Foto: Imago/Sabine Gudath

Die Thermometersiedlung liegt im reichsten Berliner Verwaltungsbezirk: Steglitz-Zehlendorf. Und gehört zu den Siedlungen, die am meisten von Kinderarmut betroffen sind, 60 Prozent der hier lebenden Kinder gelten als arm. Entstanden ist die Siedlung Ende der 1960er- und Anfang der 1970er-Jahre. Sie gilt als typisches Beispiel für West-Berliner Stadtrandbebauung. Nach Ende des zweiten Weltkriegs stand der Wiederaufbau unter dem Motto „Licht, Luft und Sonne.“ Dafür ließen die Städteplaner:innen Hinterhäuser und Seitenflügel abreißen. Weil die Menschen ja aber irgendwo unterkommen mussten, schuf man neuen Wohnraum an den Stadträndern. Die Gropiusstadt, das Märkische Viertel und auch die Thermometersiedlung entspringen diesem Versuch, Kieze mit besseren Lebensbedingungen für die Bevölkerung bereitzustellen.


Splanemann-Siedlung

In der Splanemann-Siedlung sollte in der 20ern günstig Wohnraum geschaffen werden.
In der Splanemann-Siedlung sollte in der 1920er-Jahren günstig Wohnraum geschaffen werden. Wikimedia Commons/Michael G. Schroeder/CC BY-SA 3.0

Die Splanemann-Siedlung ist die Pionierin unter den Großwohnsiedlungen und die erste, bei der man versuchte, mit vorgefertigten Platten zu bauen. Nach dem Ersten Weltkrieg mussten aufgrund der Wohnungsnot schnell viele Wohnungen für wenig Geld her. Gleichzeitig waren immer mehr Stadtplaner davon überzeugt, dass auch die ärmere Bevölkerung trockene, helle Wohnungen verdient habe. Die Splanemann-Siedlung sollte genau das erfüllen: Dafür ließ man zwölf Arten von Platten gießen und es entstanden acht Gebäudezeilen mit 27 Häusern und 138 Wohnungen.

Alle Wohnungen hatten Bad, Toilette und sogar einen Balkon. Die Idee zur Siedlung hatte der Architekt und Stadtplaner Martin Wagner, ein Verfechter sozialer Ideen in der Stadtplanung. Das Ziel, die Baukosten von Wohnraum zu verringern, erreichte Wagner nicht. Obendrauf wurde eine komplette Gebäudezeile im Zweiten Weltkrieg zerstört. Namensgeber der Siedlung ist übrigens Herbert Splanemann, KPD-Mitglied und Widerstandskämpfer während der Nazizeit.


Plattenbauten an der Michelangelostraße

Großwohnsiedlungen in Berlin: WBS-70-Gebiet: Das Areal um die Michelangelostraße.
WBS-70-Gebiet: Das Areal um die Michelangelostraße. Foto: Wikimedia Commons/Boonekamp/CC BY-SA 4.0

Der Wohnkomplex Michelangelostraße ist WBS-70-Gebiet. WBS-70, das ist eine Plattenbauweise, nach deren Vorbild ab 1973 tausende Abbilder entstanden – insgesamt rund 42 Prozent aller in der DDR errichteten Plattenbauten entsprechen diesem Typ. Sie sollten dazu betragen, die Wohnungsnot in der DDR bis zum Jahr 1990 zu lösen. Weil man dafür zusammenhängende Flächen brauchte, kamen Baugebiete weiter im Inneren des Bezirks nicht in Frage. Die meisten WBS-70 Plattenbauten in diesem Areal haben elf Etagen und entstanden zwischen 1973 und 1983. An der Nordseite der Straße stehen fünfgeschossige Plattenbauten des Typs Q3A (siehe Bild), ein Modell aus den 1950er-Jahren. Schafft der Plattenbau in Berlin ein Comeback? Darüber schreiben wir hier.


Weiße Siedlung

In Neukölln gibt es einige Großwohnsiedlungen, die Hochhäuser der Weißen Siedlung gehören dazu. Foto: Imago/Dirk Sattler
In Neukölln gibt es einige Großwohnsiedlungen, die Hochhäuser der Weißen Siedlung gehören dazu. Foto: Imago/Dirk Sattler

Die Weiße Siedlung ist jung – aber nicht so, wie man vielleicht denken mag. Die Häuser selbst sind Produkt des sozialen Wohnungsbaus der 1970er-Jahre: Es mangelte an Wohnraum, also zog man außerhalb der Innenstadtlagen schnell Hochhäuser hoch. Das Ergebnis waren Siedlungen wie das Märkische Viertel, die Gropiusstadt oder eben die Weiße Siedlung im Norden Neuköllns zwischen den S-Bahnhöfen Sonnenallee und Plänterwald. Jung ist in der Weißen Siedlung vor allem die Bevölkerung: 28 Prozent der Bewohner:innen sind unter 18 Jahre alt, der Anteil der über 65-Jährigen dagegen liegt unter dem Neuköllner und Berliner Durchschnitt. Die Großwohnsiedlung ist weithin sichtbar, die Hochhäuser verfügen über bis zu 18 Etagen. Aber es geht noch viel mehr: Die höchsten Häuser in Berlin stellen wir euch hier vor.


Falkenhagener Feld

Großwohnsiedlungen in Berlin: Das Falkenhagener Feld befand sich von der 1960er Jahren bis in die 1990er Jahre im Bau.
Das Falkenhagener Feld befand sich von der 1960er-Jahren bis in die 1990er-Jahre im Bau. Foto: Imago/Manja Elsässer

Die Siedlung Falkenhagener Feld ist eine klassische Trabantenstadt, denn sie liegt am Rande des Bezirks Spandau. Im Westen der Siedlung, am Ende der Falkenseer Chaussee, stand früher die Mauer. Man sieht ihr an, dass während ihrer Bauzeit Jahre vergingen: Die Farbe blättert an manchen Gebäuden ab oder es bildet sich Moos an den Wänden; andere Häuser in der Siedlung wirken wesentlich neuer. Kein Wunder: Während manche Komplexe bereits in den 1960er Jahren gebaut wurden, wurden andere erst in den 1990er-Jahren fertig gestellt. Der Kiez gilt als Problemviertel. Mit der Schließung Tegels hat er aber zumindest eine Aufwertung erfahren: Flugzeuge, die tief und laut über die Häuser hinwegdonnern, sind nun Vergangenheit.

Nicht nur das Falkenhagener Feld, sondern eigentlich ganz Spandau ist jwd. Das heißt nicht, dass sich es sich nicht lohnt, dort öfter hinzufahren. Alle unsere Tipps und Texte für den Bezirk Spandau findet ihr hier.


Hufeisensiedlung

Die Hufeisensiedlung ist Weltkulturerbe. Foto: Imago/Sabine Gudath

Warum die Hufeisensiedlung heißt, wie sie heißt, bedarf keiner Erklärung. Wieso der Architekt Bruno Taut diese Form gewählt hat, vielleicht aber schon. Das Hufeisen sollte die Idee des Neuen Bauens versinnbildlichen, Rationalität und Funktionalität nicht kaschiert, sondern betont werden. Dazu sagte Bruno Taut 1929: „Das Einzelne wie das Ganze erhält seine Form aus dem Sinn, den es hat.“ Diese Maxime ist auch der Grund für die Form des Gebäudes. Denn die Bewohner:innen der Siedlung sollten von Grün umgeben sein. Also baute man in diesem Fall um das Grün mit seiner speziellen Geografie herum: In der Mitte des Hufeisen-Gebäudes liegt ein Pfuhl, eine Grundwassersenke, die aus der Eiszeit stammt.

Gleichzeitig folgt die Hufeisensiedlung als eine der ersten Großwohnsiedlungen und Beispiele für das „Neue Bauen“ einem weiteren Ideal. Sie will als Gegenentwurf zu den Mietskasernen und dunklen Hinterhäusern des frühen 20. Jahrhunderts mit ihren menschenunwürdigen Lebensbedingungen verstanden werden. Und die Gemeinschaft ihrer Bewohner:innen widerspiegeln. Seit 2008 ist die Hufeisensiedlung UNESCO-Weltkulturerbe in Berlin.

Diese Großwohnsiedlung ist natürlich nicht das einzige Beispiel, hier stellen wir noch mehr Gebäude im Stil des Bauhaus und des Neuen Bauens in Berlin vor.


Marzahn

Viele der Plattenbauten in Marzahn wurden in ungefähr 110 Tagen gebaut.
Viele der Plattenbauten in Marzahn wurden in ungefähr 110 Tagen gebaut. Foto: Imago/Schöning

Kaum zu glauben, aber Marzahn war mal ein Dorf – eins von vielen Dörfern, die zu der Metropole Berlin zusammen gewachsen sind. Eins, das seine Wurzeln im Mittelalter um 1230 hat. Seit 1920 aber, dem Jahr, in dem Groß-Berlin entstand, gehört es zur Hauptstadt. Und zu DDR-Zeiten entstand dann die Großwohnsiedlung, für die Marzahn heute bekannt ist. Diese entstand, nachdem die DDR-Führung beschlossen hatte, das Problem der Wohnungsnot bis 1990 zu lösen. Die Baumaßnahmen dauerten dann auch bis Ende der 1980er-Jahre. Und das, obwohl die elfgeschossigen Plattenbauten, die das Viertel dominieren, alle innerhalb von etwa 110 Tagen gebaut wurden.


Hellersdorf

In Hellersdorf finden sich ebenfalls WBS-70-Bauten. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Wo endet Marzahn und wo beginnt Hellersdorf? Beide Viertel sind von Plattenbauten geprägt, beide liegen am östlichen Rand Berlins. Wer nicht in diesem Teil Berlins aufgewachsen ist oder zumindest längere Zeit dort gelebt hat, dem fällt die Unterscheidung wahrscheinlich schwer. Wenn man es einmal weiß, ist es aber gar nicht so schwer, sich zu merken, wo die Stadtteilgrenze verläuft: nämlich ziemlich genau entlang der Wuhle, quer über die Eisenacher Straße. Genau wie in Marzahn linderten die Plattenbauten in Hellersdorf die Wohnungsnot in der DDR. Übrigens: Die Straßen und Plattenbauten rund um die U-Bahnstation Louis-Lewin-Straße gehören erst seit 1990 zu Berlin. Denn dieser Bereich war früher Teil der Gemeinde Hönow im Bezirk Frankfurt (Oder) – und aufgrund des Viermächteabkommens ließen sich die Stadtgrenzen nicht einfach so ausweiten.


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