Für viele sind die unübersehbaren Gebäude von Hinrich Baller vor allem: schlecht. Der Gegenentwurf zu gelungener Architektur, die Blaupause hässlichen Bauens. Andere dagegen sehen in den gewundenen Strukturen, den Wellen und Rundungen einen eigenen Stil, den man nur bewundern kann. Nur kalt lässt der Architekt kaum jemanden. Hinrich Ballers Architektur, oft in Zusammenarbeit mit seiner ersten Frau Inken Baller, später mit seiner zweiten Ehefrau Doris Baller, polarisiert.
Der Architekt hat vor allem West-Berlin mitgestaltet, an vielen Orten lassen sich seine Werke bewundern. Es ist ja auch schwer, sie zu ignorieren. Denn sie sind das Gegenteil von dezent, zurückhaltend und funktional, sie schreien förmlich: „Beachte mich und sieh dir an, wie schön es sich in mir leben lässt!“ Überall schiefe Säulen, komisch geformte Balkone, riesige Fenster, Ornamente und Gedöns.
Hinrich Baller ist der Antichrist der Architektur und Messias des Architektur-Pöbels zugleich. Vielen Laien ist das egal, sie sehen lichtdurchflutete Zimmer und viel Grün. Baller spaltet. Und vielleicht ist allein das schon eine Errungenschaft. Wir zeigen euch bemerkenswerte Bauten von Hinrich Baller und seinem Team in Berlin.
Baller-Architektur an der Württembergischen Straße
Das Attribut „lichtdurchflutet“ benutzen Immobilienmakler:innen ja gerne, um Wohnungen anzupreisen – sogar dann, wenn nur wenig Licht durch kleine, geduckte Fenster dringt. Auf die Wohnungen von Inken, Doris und Hinrich Baller trifft die Beschreibung aber wahrhaftig zu – und auf das Wohnhaus in der Württemberger Straße wohl besonders. Dort besteht quasi die komplette vordere Fassade aus Fenstern. Doris und Hinrich Baller haben das Gebäude zwischen 1998 und 2000 im Auftrag des Bundes für Bundesbedienstete, die von Bonn nach Berlin zogen, bauen lassen. Damit gehört das Haus zur dritten Baller-Phase: Die zeichnet sich durch viele Ornamente und filigrane Verzierungen aus – wie zum Beispiel an den Balkonen des Hauses in der Württembergischen Straße am Preußenpark.
Fraenkelufer an der Admiralbrücke
Die Häuser am Fraenkelufer gehören zu den späteren Werken des Teams Hinrich und Inken Baller und entstanden im Rahmen der Internationalen Bauaustellung 1987. Baller-Kenner:innen ordnen sie der Dekade der „Tanzenden Häuser“ zu. Das liegt vor allem an den Säulen, die die Häuser unten tragen und den Eindruck entstehen lassen, als seien sie in diesem Bereich in Bewegung. In gewisser Weise erinnert die Architektur der Ballers in dieser Zeit an die verspielten Kirchen, Häuser und Gärten des spanischen Architekten Antoni Gaudí. Aber auch die ungewöhnlich geformten Balkone, die an fast allen Baller-Häusern kleben, finden sich an den Häusern am Fraenkelufer wieder.
Immerhin: Die Ecke um die Admiralbrücke, eine der schönsten Brücken Berlins, ist sonst so nett, dass sie sich von den Ballerbauten nicht ganz verunstalten lässt.
Baller-Wohnhaus am Winterfeldtplatz
Spitze Balkone, die in die Luft ragen wie die Haarbüschel von Katzen, wenn sie einen Buckel machen, und riesige Fensterfronten, Säulen und geschwungene Linien: Das Baller-Wohnhaus am Winterfeldtplatz fällt auf zwischen den ganzen Altbauten. Hinrich Baller hat es 1999 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Doris fertig gestellt. 2020 erlangte das Haus dank Netflix weltweite Berühmtheit: In der Serie „Unorthodox“ wohnt die Mutter von Hauptdarstellerin Esty im Baller-Wohnhaus am Winterfeldtplatz.
Baller-Stil an der Lietzenburger Straße
Das Baller-Haus in der Lietzenburger Straße sieht aus, als hätte ein Riese ganz viele UFOs (wer weiß, vielleicht sind ja mal welche in Charlottenburg gelandet) genommen, und aufeinander gestapelt. Runde Balkone schmiegen sich an runde Fensterfronten, unten tragen die typischen Säulen das Gebäude. Doch trotz seines extravaganten Erscheinungsbild passt sich das Baller-Haus gut in die Straße ein, auch wenn es den anderen Häusern der Straße ein wenig die Show stiehlt: Die angrenzenden Gebäude sind ebenfalls keine Altbauten, aber deutlich hässlicher. Das Haus gehört zum weniger bekannten Frühwerk von Hinrich Baller und dessen erster Frau Inken aus den 1970er-Jahren.
Einkaufszentrum Castello
Berlin verfügt über viele Einkaufszentren und Shopping Malls. Darüber, welchen Einfluss sie auf die Stadt haben und welchen Sinn, kann man streiten. Wenn man sich nicht schon längst einig ist, dass Shopping Malls auf der einen Seite den kleinen einzigartigen Geschäften in den Kiezen die Lebensgrundlage entziehen und auf der anderen Seite nur gesichtslosen Ketten wie H&M ein Dach über dem Kopf bieten. Berlin braucht wahrlich keine weiteren Shopping Malls und schon gar nicht so hässliche wie die East Side Mall oder das Alexa, eine unserer 12 ultimativen Bausünden in Berlin. Das Einkaufszentrum Castello in Lichtenberg dagegen ist zumindest eines, auch wenn es eine ungeliebte Shopping Mall ist: schön anzusehen. Auf diesem Bild besonders gut zu erkennen: die mintgrünen Stahlträger. Mintgrün gehört, wie einige andere Pastelltöne, zu den wesentlichen Merkmalen des Baller-Stils.
Umbau der Rosenhöfe in Mitte
Die Rosenhöfe an der Rosenthaler Straße wurden nicht komplett von Hinrich Baller gebaut, schließlich ist das Karree älter als er selbst. Der Architekt hat die Passage nur umgebaut. Trotzdem erkennt man genau, dass er und Doris Baller am Werk waren. Pastelltöne dominieren das Bild: rosa, mintgrün, türkisblau. Und auch die Geländer tragen unverkennbar die Baller-Handschrift mit den Kugeln und den geschwungenen und schiefen Metallstreben.
Kottbusser Damm 2/3
Das Gebäude am Kottbusser Damm mit den Nummern Zwei und Drei ist ein Hybrid: auf der einen Seite Bruno Taut, auf der anderen Inken und Hinrich Baller. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs zerstörten das Gebäude bis auf die Fassade, die wie der Rest des Gebäudes aus der Feder von Taut stammt. Inken und Hinrich Baller ließen die Fassade restaurieren und dahinter einen Neubau mit versetzten Geschosshöhen errichten. Vom Parkdecks des gegenüberliegenden Supermarkts kann man den Zusammenstoß der verschiedenen Stile und Architekt:innen betrachten.
Hortgebäude der Spreewaldgrundschule
Das Hortgebäude der Spreewaldgrundschule ist der wohl skandalumwittertste Bau des Architekten Hinrich Baller. Seit Jahren ist es gesperrt, weil ein zweiter Fluchtweg fehlt und die Holzkonstruktion unter den Fenstern marode ist. Baller unterstellte daraufhin, das Holz sei nicht richtig gepflegt worden, Bezirk und Architekt streiten nun vor Gericht. 2019 entbrannte dann noch ein Konflikt: Vandal:innen und Obdachlose verschafften sich regelmäßig Zugang zum leerstehenden Gebäude. Der zuständige Stadtrat sagte über Ballers Zaun zur Berliner Zeitung: „Das ist eine Art Räuberleiter, die dem Sicherheitsbedürfnis der Schule nicht entspricht.“ Und wollte einen Baumarktzaun hinter dem filigranen niedrigen Zaun des Architekten hochziehen. Baller war empört. Er will seinen Zaun jetzt lieber selbst verändern.
Sporthalle der Spreewaldgrundschule
Die Turnhalle der Spreewald-Grundschule in Schöneberg ist ähnlich skandalumwittert wie das angrenzende Hortgebäude. Erstens, weil sie am Ende bald doppelt so teuer war, wie angekündigt. Zweitens, weil an ihr eines der längsten Gerichtsverfahren in Berlin seit dem zweiten Weltkrieg hängt, das die Geschichte eines Kleinkrieges zwischen Baller und dem Bauamt Tempelhof-Schöneberg erzählt. Auslöser war das undichte Dach der Turnhalle. Dafür ist laut Baller das falsche Glas verwendet worden, die Bauleitung habe damals einen Fehler gemacht. Das Landgericht gab dem Architekten zuletzt Recht, doch die Posse ist noch nicht vorbei. Der Bezirk wollte diesen Ausgang nicht hinnehmen und zog vors Kammergericht.
Sporthalle für Oppenheim-Schule am Schloss Charlottenburg
Anders als mit der Sporthalle der Spreewald-Schule gab es mit der Doppelsporthalle der Oppenheim-Schule in Charlottenburg bis jetzt keine Probleme. Mit dem Bauamt vom Bezirk Charlottenburg-Schöneberg liegt Baller aber auch nicht im Clinch. „Da herrscht Ordnung“, sagte er dem Tagesspiegel 2019 in Bezug auf das Bauamt des Bezirks und verpasste dem Bauamt des Nachbarbezirks Tempelhof-Schöneberg nebenbei einen Seitenhieb. So oder so ist an beiden Turnhallen die Handschrift klar erkennbar: große Fenster, geschwungene Linien, verzierte Balkongeländer und Zäune.
Brücke auf dem Wassertorplatz
Inken und Hinrich Baller haben zusammen nicht nur Häuser konzipiert, sondern auch den Wassertorplatz verschönert. Wie das historische Wassertor, nach dem der Platz benannt ist, existiert auch die alte Brücke und der alte Wasserlauf nicht mehr. Zwischen 1981 und 1986 setzte das damalige Ehepaar Baller eine filigrane Gartenbrücke dorthin, wo die alte Brücke stand. Außerdem ließen sie einen Teich anlegen und platzierten Skulpturen in dem Bereich.
Rönnestraße
Dieses Wohnhaus in der Rönnestraße sieht aus wie ein Baller-Objekt, es ist aber keins: Der Architekt Johannes Friedrich Vorderwühlbecke hat es entworfen. Kaum ein Balkon gleicht dem nächsten, alle haben ungewöhnliche Formen mit lustigen Spitzen. Geschwungene Linien durchlaufen die großen Fenster und oben erinnern die Dächer an exotische Blüten oder Blätter. Vorderwühlbecke hat einige Häuser in Berlin entworfen, die denen von Baller sehr ähneln. Deswegen haben seine Häuser auch einen Platz in dieser Liste verdient.
Mehr Architektur in Berlin
Eine Ausstellung im DAZ würdigt 2022 endlich die Architektur von Inken und Hinrich Baller. Sie waren nicht die einzigen Exzentriker:innen: Wir zeigen euch die Architektur des Expressionismus in Berlin. So verschnörkelt und verspielt hat man auch im Jugendstil gebaut. 12 Berliner Beispiele dafür seht ihr hier. Heute ist der Ruf schlecht, aber einst versprachen sie günstigen Wohnraum für alle: 12 Großwohnsiedlungen in Berlin, von Gropiusstadt bis zum Märkischen Viertel. Nicht alles ist von Dauer: Diese 12 berühmten Gebäude in Berlin sind aus dem Stadtbild verschwunden. Immer neue Texte findet ihr in unserer Architektur-Rubrik.