Architektur

Kant-Garagen in Charlottenburg: Der Parkhauspalast ist zurück

Die Kant-Garagen in Charlottenburg waren viele Jahre ein Wahrzeichen für vergangenen Luxus. Der ikonische Parkhauspalast aus den 30er-Jahren lässt die Herzen von allen Lost-Places-Fans höher schlagen. Er hat eine Vorhausfassade aus Glas original aus der Weimarer Zeit. Hier waren die kühnen Architekten am Werk, hier standen die teuren Limousinen. tip-Chefredakteurin Stefanie Dörre begibt sich auf Zeitreise und berichtet über die ikonischen Kant-Garagen.

Die Kant-Garagen könnten der Spielort für einen mysteriösen Stummfilm sein Foto: Imago/Schöning

Die Kant-Garagen und das Bauhaus Dessau

Die Geschichte beginnt im Jahr 1930. Dem Jahr, in dem der Kant-Garagen-Palast eröffnet wurde. Ein Parkhauspalast in der Kantstraße 126/127, ein kühner modernistischer Bau im Stil der Neuen Sachlichkeit. Kein anderes Parkhaus der Welt hat eine Vorhangfassade – die hat es sonst zum Beispiel am legendären Bauhaus in Dessau.

Die Kant-Garagen sind ein Denkmal der Mobilität, oder besser gesagt, des immobilen Gegenstücks zur Mobilität – des Parkens. Sie stammen aus einer Zeit, in der der Besitz eines Autos eine extrem moderne und teure Angelegenheit war, und Charlottenburg einer der reichsten Stadtteile Berlins. Luxus pur.

Der erste Besitzer Louis Serlin des Kant-Garagen-Palastes, musste 1941 aus Deutschland fliehen und zog in die USA, nachdem ihm sein Eigentum gestohlen worden war („arisiert“ in der perversen Terminologie der Zeit). Und einer der Kant-Garagen-Erbauer, Richard Paulick, wurde zu einem der wichtigsten DDR-Architekten. In Berlin steckt in jedem Backstein Geschichte, und oft ist diese sehr beklemmend.

Bier an der Tanke

Als ich das erste Mal auf die Kant-Garagen stieß, war das in den späten 80er-Jahren. Ich war 18 Jahre alt und war direkt ins Haus neben der Garage in der Kantstraße 125 eingezogen. Eine Wohngemeinschaft. Ich war Studentin mit knappem Budget. Und der Mietmarkt war die Hölle, genau wie heute. Die Kant-Garagen hatten ihre besten Jahre damals eindeutig hinter sich. Das Wort „Palast“ war aus dem Namen gestrichen. Es gab eine Sprint-Tankstelle, irgendwo im Inneren eine Autowerkstatt und in den oberen Etagen jede Menge Parkplätze. Ein Auto besaß ich nicht. Aber ich mochte den Geruch von Benzin.

Das runtergerockte Gebäude war immer noch imposant und hatte eine große, aber undefinierbare Anziehungskraft. Wie ein Stummfilmstar stand es da. In dem Tankstellenshop arbeitete ein großer grummeliger Typ mit einem geflochtenen Kinnbart, der eine ärmellose Jeansjacke über einem ärmellosen T-Shirt trug, so dass man seine enormen Muskeln besser sehen konnte. Er verkaufte nicht nur Benzin, sondern auch Zigaretten und Bier. Damals war der Späti noch nicht erfunden, aber die Sprint-Tanke mutierte zum Späti für mich und meine WG.

Lars Eidinger und The Duc Ngo

Ich zog von Charlottenburg nach London und zurück nach Berlin, und wurde dann Redakteurin beim tipBerlin. Zu diesem Zeitpunkt war Charlottenburg schon völlig aus meinem Blickfeld verschwunden. Nach dem Mauerfall hatte sich alles und jeder auf und in Ost-Berlin konzentriert.

Die nächste erinnerungswürdige Begegnung mit der Kantstraße war ein Interview mit dem Schauspieler Lars Eidinger. Berlins cooler Superstar. Wir trafen uns im Long Men Noodle House und Lars überraschte mich damit, dass er ein großer Fan von Charlottenburg war. „Die Kantstraße ist die neue Torstraße“, sagte er. Ein Satz, der mir bis heute im Gedächtnis geblieben ist.

Und es gibt noch einen weiteren coolen Typen, der dazu beigetragen hat, dass Lars‘ Vorahnung Wirklichkeit wurde. Die Rede ist natürlich von The Duc Ngo, dem kulinarischen König der Kantstraße. Angefangen hat er dort mit seinem japanischen Restaurant Kuchi, seitdem hat er mehrere Restaurants in Charlottenburgs Hauptstraße eröffnet (Kant- nicht Ku’damm, Lars hatte verdammt nochmal recht). The Duc Ngo hat die Welt bereist und das Essen der Welt in die Kantstraße gebracht.

Manche reden von Gentrifizierung. Aber die Gegend hat sehr gewonnen, wenn man Geschmack und Gesundheit als Maßstab setzt. Gegenüber den Kant-Garagen gab es früher das Maximilian, eine Berliner Imbiss-Kette, die Currywurst und Pommes aus einem Loch in der Wand verkaufte. Jetzt gibt es dort das sehr empfehlenswerte Son Kitchen. Son heißt auf Koreanisch „Hand“. Also handgemachte Gerichte mit viel Gemüse.

Lebensmittel sind wahrscheinlich der einzige Wirtschaftszweig, in dem das Handwerk heute viel mehr geschätzt wird als noch vor zwanzig Jahren. Jeder schneidet und schält und schmort. Aber für die Tankstellen und Autowerkstätten im inneren S-Bahnring sind die Zeiten vorbei. Eine Möhre raspeln? Ja, genau hier auf der Kantstraße. Ein altes Auto ausbessern? Geh nach Hellersdorf. Die neue Wirtschaft ist schlank und sauber. Und man starrt den ganzen Tag in einen Computer. Digitale Startups sind in die Räume eingezogen, in denen das Handwerk aufgegeben wurde.

Stilwerk in den Kantgaragen Foto: Imago/Schöning

Stilwerk in den Kant-Garagen

Also wurden auch die Autos aus den Kant-Garagen entfernt. Das Gebäude hatte ein kurzes Comeback als Kunstort. Die Berliner lieben es, einen letzten Blick in ein Haus zu werfen, das sie jahrelang völlig ignoriert haben, um so zu tun, als wollten sie Installationen und Fotografie sehen. Ein letzter tiefer Seufzer, ein nostalgischer Abschied. Eine Kunstausstellung ist immer ein sicheres Zeichen dafür, dass die Gentrifizierung an der Ecke wartet.

Glücklicherweise war der Denkmalschutz im Fall der Sanierung der Kant-Garagen involviert. Der neue Eigentümer Stilwerk hat gezielt ein Gebäude mit einer stilvollen Vergangenheit gesucht. Es wird nicht mehr lange dauern bis der Hamburger Shop-in-Shop-Store Stilwerk für Designliebhaber öffnet. Genau dort, wird die Rotunde der Doppelhelix-Wendelrampe stehen. Genau dort, wo früher die edlen Bentleys, Horche und Mercedes Benz‘ in den fünften Stock hinauffuhren.

Gleich daneben befindet sich ein neues Stilwerkboutique-Hotel. Die Zeit der runtergerockten Industriekultur ist in den Kant-Garagen definitiv vorbei. Aber man muss zugeben, dass sie ohne den Wunsch nach Luxus und Design nicht erbaut worden wären.

  • Kant-Garagen Kantstraße 126/127, S-Bahnhof Savigny Platz, Charlottenburg

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