Berlin verstehen

Plattenbau in Berlin: Wie die Beton-Architektur die Stadt prägt

Der Plattenbau war in Berlin Fluch und Segen zugleich. Die Geschichte ist simpel, nach dem Kriegsende fehlte es zunehmend an Wohnraum. Große Teile der Stadt waren zerstört und zu der miefigen Mietskasernen-Bebauung mit dunklen Hinterhöfen, Kohleöfen und Außentoiletten wollte man auch zurück. Da kamen die Einflüsse der modernen Architektur gerade recht, schon in den 1920er-Jahren hat man in Berlin mit Fertigteilen, Beton und neuen Bauverfahren experimentiert und hatte im Bereich des Siedlungsbaus die Nase vorn. Bauhaus und Neue Sachlichkeit wirkten sich auf die architektonische Revolution aus, die von den Nazis und dem Krieg aufgehalten wurde.

Doch schon nach 1945 musste man wieder bauen, bauen, bauen und das möglichst billig. Anfangs noch im Zuckerbäckerstil, den man von den Arbeiterpalästen in der Karl-Marx-Allee kennt, doch schon bald ging es mit dem Plattenbau in Berlin los! Bis heute prägen die funktionalen, gleichförmigen Hochhäuser die Stadt. Mehr als 100.000 Berliner und Berlinerinnen leben bis heute in Plattenbauten. Hier ist unsere Würdigung der Berliner Plattenbauten: 12 ungewöhnliche, spektakuläre und bemerkenswerte Fotos aus der Welt der Beton-Architektur.


Rathauspassagen am Fernsehturm

Plattenbau in Berlin: Fassade der Berliner Rathauspassagen am Fernsehturm, Mitte. Foto: Imago/Lem
Fassade der Berliner Rathauspassagen am Fernsehturm, Mitte. Foto: Imago/Lem

Plattenbau ist in Berlin kein Phänomen der Randbezirke. Vor allem in Mitte dominieren Plattenbauten das Stadtzentrum. Die Rathauspassagen am Alexanderplatz wurden 1967 errichtet und bildeten gemeinsam mit weiteren Gebäuden in der Umgebung und dem Fernsehturm das Prestigeprojekt des SED-Regimes, das die Hauptstadt der DDR als moderne Weltstadt inszenieren wollte.


Kunstinstallation in Hohenschönhausen

Kunstinstallation von Robert Rehfeldt in Hohenschönhausen, Aufnahme von 1989. Foto: Imago/Rolf Zöllner
Kunstinstallation von Robert Rehfeldt in Hohenschönhausen, Aufnahme von 1989. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Die Geschichte des Dorfs Hohenschönhausen geht aufs 13. Jahrhundert zurück, ab 1920 gehörte der Ortsteil von Weißensee und später Lichtenberg zu Groß-Berlin, dennoch hat sich die Gegend bis in die 1970er-Jahre ihren ländlichen Charakter mit klassischem Dorfkern bewahrt. Dann begann der Wandel, Plattenbauten wurden auf die Äcker gebaut, vor allem junge Familien zogen in den Nordosten, in Einwohnerzahl explodierte und Hohenschönhausen wurde zum Inbegriff der Plattenbau-Siedlung in Berlin.


Alte Hellersdorfer Straße

Plattenbauten in der Alten Hellersdorfer Straße, 1990. Foto: Imago/Harald Almonat
Plattenbauten in der Alten Hellersdorfer Straße, 1990. Foto: Imago/Harald Almonat

Wo endet Marzahn und wo beginnt Hellersdorf? Beide Viertel sind von Plattenbauten geprägt, beide liegen am östlichen Rand Berlins. Wer nicht in diesem Teil Berlins aufgewachsen ist oder zumindest längere Zeit dort gelebt hat, dem fällt die Unterscheidung wahrscheinlich schwer. Das Foto von 1990 zeigt, wie sich die Sonnenstrahlen an den grauen Betonfassaden brechen und die Platte in romantisches Licht tauchen. Ein ungewöhnlicher Anblick, aber ob Hellersdorf ein guter Ort zum Verlieben ist, muss man für sich selbst entscheiden.


Gewitterstimmung über der Platte

Plattenbau in Berlin: Wolkenstimmung über Plattenbauten in Berlin-Hellersdorf. Foto: Imago/Hohlfeld
Wolkenstimmung über Plattenbauten in Berlin-Hellersdorf. Foto: Imago/Hohlfeld

Die Wolken ziehen sich zu, der langgezogene Wohnriegel steht wie schutzlos unter dem gespenstischen Himmel. Architektur und Natur formen immer wieder spezielle Stimmungen in Plattenbaugebieten. Tatsächlich ist die viel verschmähte „Platte“ oft näher an der Natur als die Gründerzeit-Altbauten in der Innenstadt.


Quadratisch, praktisch, Plattenbau

Plattenbau am Alexanderplatz. Foto: Imago/Steinach
Plattenbau am Alexanderplatz. Foto: Imago/Steinach

Ein Grauen für Anthroposophen, statt runder und organischer Formen ist der Plattenbau nicht nur in Berlin von strenger Geometrie bestimmt. Der 90-Grad-Winkel ist hier Gesetz, die Gleichförmigkeit der verbauten Fassadenelemente erinnert an ein Legohaus. Alles gleich. Wohnmaschine wurden solche Gebäude genannt, deren theoretischer Ursprung auf den berühmten Architekten Le Corbusier zurückgeht, der mit seiner „Unité d’Habitation“ (Wohneinheit) der modernen Wohnungsbau nachhaltig veränderte. In Berlin, der Stadt in der sich moderne Architektur immer wieder entfalten konnte, wurde nach seinen Plänen das Corbusierhaus gebaut (und nach ihm benannt).


Transporthubschrauber mit Bauteil

Transporthubschrauber der Interflug fliegt mit Bauteil an einem Wohnhaus in der Karl-Marx-Allee vorbei, Aufnahme von 1988. Foto: Imago/Werner Schulze
Transporthubschrauber der Interflug fliegt mit Bauteil an einem Wohnhaus in der Karl-Marx-Allee vorbei, Aufnahme von 1988. Foto: Imago/Werner Schulze

Die Wohnhäuser in der Karl-Marx-Allee gehören zu der ersten Generation der Plattenbauten in Berlin, die Magistrale nach Moskauer Vorbild säumten bereits in den 1950er-Jahren gleichförmige Wohnblöcke. Auf diesem Foto befördert ein Transporthubschrauber der Interflug ein Bauteil.


Gefährlicher Job: Fassadenreiniger

Fassadenreiniger an einem Plattenbau. Foto: Imago/Harald Almonat
Fassadenreiniger an einem Plattenbau. Foto: Imago/Harald Almonat

Eigentlich hat Berlin eine Traufhöhe, im 19. Jahrhundert wurde die maximale Bauhöhe bestimmt, bei 22 Metern muss Schluss sein. Die Verordnung gilt weiterhin, allerdings nur in historisch bebauten Arealen. Die Plattenbausiedlungen entstanden hingegen auf vorher unbebauten Flächen, so konnten dort Hochhäuser mit zehn und mehr Stockwerken entstehen. 2020 sprach sich die IHK Berlin (Industrie- und Handelskammer zu Berlin) gegen das Dogma der Traufhöhe aus, dennoch sind bis heute immer noch weniger als ein Prozent aller Berliner Gebäude höher als 35 Meter hoch.


Plattenbauten in Mitte

Plattenbau in Berlin: Plattenbauten in Berlin-Mitte. Foto: Imago/Steinach
Plattenbauten in Berlin-Mitte. Foto: Imago/Steinach

Plattenbauten haben keinen guten Ruf. Viel Kriminalität, noch mehr Armut und ein Mangel an kulturellen Angeboten prägen oft das Image dieser Wohngegenden – nicht immer zu Unrecht, aber eben doch nicht pauschal. Denn wer genau hinsieht, der mag auch die architektonische Schönheit, manchmal sogar Brillanz, dieser Siedlungen entdecken.


Märkisches Viertel

Telefonzellen im Märkischen Viertel in Reinickendorf, 1985. Foto: Imago/Sven Simon
Telefonzellen im Märkischen Viertel in Reinickendorf, 1985. Foto: Imago/Sven Simon

Das Märkische Viertel im Norden West-Berlins, war ein Großprojekt der Wohnungspolitik in der Mauerstadt. Der Berliner Rapper Sido, der im „MV“ aufgewachsen ist, stilisierte die Siedlung zum hart-urbanen Ghetto, doch zumindest teilweise befindet sich die Gegend heute im Aufwind: Stellenweise hat sie einen neuen, satt orangefarbenen Anstrich bekommen und dazu noch eine bessere Verkehrsanbindung an den Rest der Stadt. Das Märkische Viertel bleibt cool, heißt es bei Sido.


Skulptur in der Gropiusstadt

Skulptur neben einem Hochhaus an der Fritz-Erler-Allee in der Gropiusstadt. Foto: Imago/Lem
Skulptur neben einem Hochhaus an der Fritz-Erler-Allee in der Gropiusstadt. Foto: Imago/Lem

Die Gropiusstadt ist eine verrufene Plattenbausiedlung am Rande Neuköllns, die als Heimat der jungen Christiane F. bereits in den 1970er-Jahren in Verruf geraten ist. Architekt des Viertels ist – na klar – Walter Gropius, gebaut wurde 1962 bis 1975. Neunzig Prozent des Wohnraums waren schon damals Sozialwohnungen – und das Viertel, das wegen seiner hellen Wohnungen anfangs attraktiv wirkte, bekam bald das Image eines sozialen Brennpunkts, das es bis heute nicht wirklich losgeworden ist.


Satellitenschüsseln am Sozialpalast

Satellitenschüsseln am Sozialpalast in der Pallasstraße in Schöneberg. Foto: Imago/Lem
Satellitenschüsseln am Sozialpalast in der Pallasstraße in Schöneberg. Foto: Imago/Lem

Der Wohnblock an der Pallasstaße ist eine der großen Berliner Bausünden. Einst stand auf dem Grundstück der berühmt-berüchtigte Berliner Sportpalast, jener Ort, an dem Goebbels den „totalen Krieg“ forderte. Wer an Karma glaubt, kann die spätere Entwicklung des „Pallasseums“, wie der Wohnblock an der Pallasstraße in Schöneberg offiziell heißt, vielleicht besser verstehen.


Gropiusstadt, Berlin: Alles so bunt hier?

Plattenbau in Berlin: Plattenbauten in der Berliner Gropiusstadt. Foto: Imago/Lem
Plattenbauten in der Berliner Gropiusstadt. Foto: Imago/Lem

Plattenbau in Berlin hatte seine große Zeit in den 1970er- und 1980er-Jahren. Nach der Wende stoppten die großen Siedlungsprojekte, die, möglichst billig, hoch und dicht bebaut, Wohnraum für zigtausende schaffen sollten. Heute werden eher hochpreisige Apartmenthäuser mit teuren Eigentumswohnungen errichtet. Doch Gentrifizierung und die Mietenexplosion haben die erst begehrten, dann ungeliebten und nicht selten in Verruf geratenen Wohnungen wieder attraktiver gemacht. Wer weiß, vielleicht werden die Plattenbauten noch mal einen richtigen Boom erleben, spätestens dann, wenn die Kreuzberger, Friedrichshainer und Neuköllner Hipster die funktionale Architektur für sich entdecken.


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