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Porträt

Kunst im Wald: Der Baumkünstler vom Treptower Park

Olivier Jaffrot macht aus umgestürzten Bäumen im Treptower Park frappierende Kunst, die nur dem Wald und seinen Besuchern gehört. Dabei stellt der Baumkünstler große Fragen nach unserem Verhältnis zur Natur und den Wurzeln des Besitzdenkens.

Der Baumkünstler Olivier Jarrot im Treptower Park. Foto: Stephanie von Becker
Der Baumkünstler Olivier Jarrot im Treptower Park. Foto: Stephanie von Becker

Der Mann, der totes Holz wiederbelebt, ist scheu. Am Rand eines Pfads beugt er sich über sein Objekt der Reanimation, mit wulstigen Kopfhörern auf den Ohren. Er schabt und schnitzt; seine Bewegungen sind fein, geradezu von klinischer Präzision.

Die Hingabe gilt einem sehr deutschen Baum, vor drei Jahren haltlos gegenüber den Launen der Natur geworden, nachdem Schädlinge in Stamm und Geäst ihr Unwesen getrieben hatten. Im Angesicht eines Sturms war der Riese umgestürzt.

Diese Eiche, die einmal ein Bild der Agonie abgab, wird nun ein Naturdenkmal – und das sehr allmählich, denn die Reinkarnation kostet einige Monate Zeit. Was man jetzt schon sehen kann: wie die Bildhauerei helle, verspielte Strukturen hervorbringt, ein bisschen wie züngelnde Flammen.

Baumkünstler kreiert „Street Art in der Natur“

Auch an diesem Tag widmet sich Olivier Jaffrot, 45, dieser Neugeburt, ein Teilzeitaussteiger mit Zopf, Ohrring und knitterigem Rock’n’Roll-Gesicht. Sein Werkzeug ist der Beitel, ein schönes, etwas altmodisches Wort für jenes Utensil, das man sachte mit einem Klopfholz anstößt. Auch sonst in der Holzverarbeitung wird der Beitel verwendet, im Hobbykeller, in der Tischlerei, im Atelier.

Jaffrots Kunst erfordert Kraft und Geld beim Umgang mit dem Werkzeug. Foto: Stephanie von Becker
Jaffrots Kunst erfordert Kraft und Geld beim Umgang mit dem Werkzeug. Foto: Stephanie von Becker

Über sein Schöpfertum im Wald sagt er: „Es ergibt Sinn.“ Jaffrot ist in einem Dorf in den französischen Alpen aufgewachsen, gebettet in eine überwältigende Landschaft, hat später Psychologie in Chambéry studiert, einer Stadt in der Nähe der Abgeschiedenheit seiner Kindheit, „um zu verstehen, wie ich funktioniere“. 2008 ist er nach Berlin gezogen.

Er findet sich „nicht normal“, und es ist ja auch wirklich eine ungewöhnliche Symbiose von Leben und Arbeit, die der Exil-Franzose tagein, tagaus praktiziert: Jeden Morgen radelt Jaffrot in diesem Corona-Herbst von seiner Wohnung in Neukölln an diese Stelle im Wald, um aus einem Material, das sonst verfeuert oder wenigstens zu Mobiliar und Papier verhackstückt wird, „Street Art in der Natur“ zu bilden, wie er es nennt. Ohne die Absicht, das Ganze zu vermarkten und zu verkaufen.

Bäume haben einzigartigen Charakter für Oliver Jaffrot

Mit seinem Beitel ritzt er an einem Loch in der Zeit. Sein Handwerk untergräbt die Logik einer beschleunigten Leistungsgesellschaft. Sie ist eine Etüde der Langsamkeit, Millimeter um Millimeter, Maserung um Maserung. Hunderte von Arbeitsstunden erfordere das, sagt er. „Das steht im Gegensatz zu der Stadt und der Gesellschaft, um die herum mit voller Geschwindigkeit gescrollt wird.“

Während seiner Arbeit baut er eine Beziehung zu den Bäumen auf. „Holz ist Leben.“ So entstehen Charakterstudien: „Jeder Baum ist einzigartig und erzählt je nach Art, Wachstum, Situation, Krankheit eine andere Geschichte.“

Olivier Jaffrot hat andernorts im Wald auch schon eine Ulme, eine Linde und einen anderen Baum in Landschaftsinstallationen verwandelt. Sie waren zuvor ebenfalls eingekracht. Die Kunstwerke liegen, jeweils nur einen Stockwurf entfernt, auf Laub und Morast, in dieser Galerie für Landart. Man könnte in den Werken mythische Formen und Figuren sehen, Drachen, Schlangen, prometheische Feuersbrünste. Aber das alles sind nur Projektionen. Eigentlich verlieren die Bäume nach Jaffrots Behandlung nie ihr Wesen als knorrige Urtypen der Berliner Biosphäre.

Aus einem Baumstamm wird ein Wellenkamm. Foto: Stephanie von Becker.
Aus einem Baumstamm wird ein Wellenkamm. Foto: Stephanie von Becker.

Mit seinem Ansatz ist Jaffrot gleich doppelt ein Außenseiter: in der Kunst, weil er sich der Kommerzialisierung verweigert – ein Kreativgewerbe, das mehr denn je Big Business ist, mit Superstars wie Damien Hirst oder Gerhard Richter, die ihre Werke zu Preisen verkaufen, so hoch wie die Werte von Stadtvillen in New York. Aber auch in der restlichen Gesellschaft, deren High-Performer in Büros vor glühenden Rechnern sitzen.

Olivier Jaffrots Arbeitsplatz ist die Natur. „Ein schönes Studio, das nichts kostet“, sagt er. Seit zehn Jahren schon werkelt er im Treptower Park, immer wieder mit Unterbrechungen. Die übrige Zeit hat er an anderen Skulpturen gemeißelt, elektronische Musik konzipiert. Er hat außerdem einen Sohn, um den er sich kümmert, im Wechsel mit seiner Ex-Freundin.

Lange Zeit konnte der Minimalist sein Künstlerdasein mit dem Profit aus einem ersprießlichen Immobiliengeschäft teilfinanzieren. Vor mehr als einem Jahrzehnt hatte er mit seiner damaligen Lebensgefährtin für 30.000 Euro eine Wohnung in Neukölln gekauft – sieben Jahre später verkauften sie die Immobilie für mehr als das Dreifache weiter. Daraus erwuchs ein lukrativer Obolus.

Die Behörden lassen ihn gewähren

Jetzt ist sein Geld verbraucht, und er liebäugelt mit Corona-Hilfen, vom Senat vom Bund. Damit steht er vor einer bürokratischen Herausforderung. Wie soll er den Paragrafenmenschen eine Tätigkeit beschreiben, die sich in einer juristischen Grauzone bewegt, weil seine Kunst eine Verwandlung des öffentlichen Raums ist, die von keiner Stelle hochoffiziell abgesegnet worden ist? Wie eine künstlerische Arbeit erklären, die kein Geschäftsmodell ist, weil deren Güter niemandem gehören, außer den Mysterienspielen des Waldes? Olivier Jaffrot, der leise Rebell, entblößt auf diese Weise die Universalherrschaft kapitalistischer Gesetzmäßigkeiten, so ganz nebenbei.

Zumindest die Leute aus den Behörden des Bezirks Treptow-Köpenick scheinen sein Schaffen zu tolerieren. Das Rathaus Treptow, ein Verwaltungsgebäude im Stil der Neorenaissance, steht jenseits des Waldes, an der Neuen Krugallee, die den Treptower Park an diesem Areal säumt. Manchmal schlendern Beamte an seiner Werkstatt entlang. Die meisten würden ein Auge zudrücken. Nur die wenigsten meckern, sagt er.

Und was hört er nun während seiner Arbeit auf seinen dicken Kopfhörern? „Schwarze Musik“ sagt er. Damit meint er Industrial Metal und dunkle Spielarten von Techno. Damit fühle er sich besser. „Ich habe ein Problem damit, in dieser Welt zu leben“, sagt er.


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