Was macht Berlin eigentlich zum Sehnsuchtsort? Es muss das Bunte und Zwanglose sein, das die meisten Zugezogenen an unserer Stadt fasziniert – ganz nach dem Motto: Alles kann, nichts muss. An der Berliner Schnauze kann es jedenfalls nicht liegen, dass unsere Stadt wächst und wächst. Doch sind wir wirklich so schlimm, wie alle immer sagen? Ich glaube nicht. Wer bereit dazu ist, das Gute zu sehen, trifft an unvorhersehbaren Orten in der Stadt auf reizende Menschen. So ging es mir. Von Begegnungen, die mich ein bisschen mit meiner Heimatstadt versöhnt haben.
Lässt sich die Berliner Schnauze als Klischee entlarven?
Berliner:innen sind hart und unfreundlich – so das Klischee. Und leider lässt sich dieses Pauschalurteil schwer widerlegen, so sehr man es auch möchte. Ich wollte an dieser Stelle eine Sammlung aus Berliner Begegnungen veröffentlichen, die für mich die Rotzart meiner Mitmenschen infrage stellten. Voller Tatendrang tippte ich die ersten beiden Anekdoten ab und merkte, dass ich mit meinem Latein bereits am Ende war.
So wurde dies also ein Text, der das genervte Berlin nicht als falsches Klischee entlarvt, aber vielleicht einen Hoffnungsschimmer weckt. Begegnungen, die mich ein bisschen mit der Art meiner schlecht gelaunten Heimatstadt versöhnt haben, gab es tatsächlich. Und ich hatte sie teilweise an Orten, an denen ich es zuallerletzt damit rechnete.
Für die Berliner Finanzämter bin ich ein kleiner Fisch. Trotzdem hatte ich immer, ich will nicht sagen Angst, aber Respekt vor ihnen. Die Floskel „mit freundlichen Grüßen“ auf jedem meiner Finanzamtsbriefe erschien mir fast wie eine zynische Drohung. Ich hatte bisher noch nie einen Beamten des Finanzamts persönlich kennengelernt, doch ich kannte den Ruf der Berliner Behörden im Ganzen. Und wenn mich schon Mitarbeiter:innen des Bürgeramts wie Fußabtreter behandelten, obwohl ich nur gekommen war, um meinen Ausweis zu verlängern, würde es beim Finanzamt sicher nicht anders laufen, so meine Annahme. Denn bei Geld hört die „Freundschaft“ ja bekanntlich endgültig auf.
Nette Beamte in Berlin: Eine scheue Spezies
Ich durfte aber erfahren, dass sie im Falle des Finanzamts Neuköllns genau damit begann. Ich hatte mich kurzerhand dazu entschlossen, dem Finanzamt Neukölln einen persönlichen Besuch abzustatten. Es gab nur eine Banalität zu klären, doch Steuerdeutsch ist für mich derart schwer verständlich, dass ich die Anweisungen Angesicht zu Angesicht brauchte. Mit einem Dutzend dummer Fragen im Gepäck und einem mulmigen Gefühl im Magen stand ich also vor dem braun-beigen Steinbau, vor dessen Innenleben ich mich aufgrund meiner behördlichen Vortraumatisierung so fürchtete.
Drinnen herrschte Totentanz, was mich verunsicherte. Von dem Mann im gläsernen Empfangshäuschen konnte ich nur die Augen und den Schnurrbart erkennen. Auf meine Frage, wo ich hinmüsse, reagierte er dermaßen mürrisch und kurz angebunden, dass ich mich prompt ein bisschen wohler fühlte. Vertrautes ist ja immer irgendwie angenehm.
Meine schlimmen Vorahnungen waren aber umsonst. Die Dame hinter der Plexiglasscheibe an Platz sechs entpuppte sich als echte Sympathieträgerin, die mir mit viel Geduld und Aufmerksamkeit mögliche Gründe für Mahngebühren offenlegte. Am Ende durfte ich sogar ihren Kuli benutzen. Ein ausgefallenes Modell in pink, an dessen oberem Ende einen bunter Federbommel klebte. Ich war derart positiv erregt, dass die Finanzamt-Mitarbeiterin keine meiner Fragen mit einem verachtenden Blick abkanzelte, dass ich den tristen Bau an der Thiemannstraße beschwingt verließ. Es gibt sie also doch, die netten Menschen in den Berliner Ämtern, dachte ich mir. Man darf sie nur nicht suchen.
Viele Berliner Müllmänner sind „voll in Ordnung“
Die Begegnung beim Neuköllner Finanzamt ist jetzt allerdings schon ein paar Monate her. Seither habe ich mit der „netten Art“ der Berliner:innen leider keine direkten Erfahrungen mehr gemacht. Im Gegenteil: Die Bäckereifachverkäuferin letzten Montag packte mir ein verbranntes Croissant ein und schaute mich dermaßen feindselig an, als wollte sie mich für alle schlechten Entscheidungen ihres Lebens verantwortlich machen.
Und der Kassierer bei Rewe lehnte sich angewidert zurück, als ich ihm ein paar Münzen in die Handfläche fallen ließ. Coronabedingt, mag sein, aber wir sitzen doch alle im gleichen Boot. Und ich bezweifle, dass Kund:innen gerne wiederkommen, wenn man sich ihnen gegenüber angewidert gibt. Das ist den Berliner:innen aber egal.
So verblasste die Begegnung mit der Angestellten beim Finanzamt schnell in meiner Erinnerung. Bis ich vergangene Woche einen Haufen Sperrmüll von der Berliner BSR abholen ließ. Im Laufe einiger Monate hatten sich einige platzraubende Elemente in meiner Wohnung angesammelt. Bei der BSR kann man einen Termin zum Abholen von Sperrmüll vereinbaren. Dinge, die noch zu gut zum Wegschmeißen sind, werden im Recycling-Kaufhaus der BSR verkauft, das zu den besten Sozialkaufhäusern der Stadt gehört.
Es war 7.15 Uhr morgens, meine Laune hing noch am seidenen Faden, doch als es klingelte, wehte mit dem Team aus Müllmännern ein frischer Wind in meine Wohnung. Sichtlich gut gelaunt sichtete das Team den Berg aus Krempel und begann schnell mit dem Abtransport. Als in Berlin Geborene bin ich es gewohnt, dass in den meisten Fällen schon meine Existenz als Zumutung wahrgenommen wird. Dass sich die Müllmänner dieser schwerfälligen Aufgabe am frühen Morgen so gut gelaunt widmeten, versöhnte mich ein bisschen mit der Frust schürenden Art meiner Heimatstadt.
Zu niedrig bezahlt und trotzdem immer freundlich? Respekt
Es war nicht die erste nette Begegnung, die ich mit der BSR hatte. Rund 6.000 Menschen in Berlin arbeiten bei der Berliner Stadtreinigung, machen einen sinnstiftenden Job, der leider zu niedrig bezahlt wird, und haben dabei zumeist noch einen gut gelaunten Spruch auf den Lippen. Angesichts der Achtlosigkeit vieler Berliner Müll-Produzent:innen finde ich es umso beachtenswerter, dass sich auch viele Mülllader:innen für ein „Dankeschön“ und „Schönen Tag noch“ selten zu schade sind, während sie schwere, müffelnde Tonnen mit schlecht getrenntem Unrat aus den Berliner Hinterhöfen rollen, während wir angeekelt die Nasen rümpfen. Ausnahmen bestätigen immer die Regel. Unterm Strich muss ich aber sagen, dass die Berliner Stadtreinigung als Unternehmen voll in Ordnung ist.
Wie und wo trifft man sie also, die netten Berliner:innen? Das lässt sich leider pauschal nicht sagen, aber ich denke, man sollte sich nicht verdrießen lassen. Unverhofft kommt oft. Und wer mit Nettigkeit nicht rechnet, freut sich sogar ein bisschen mehr darüber. Mir hängt die Berliner Schnauze, die kollektive Neurose meiner Heimatstadt, nach gut dreißig Jahren zum Hals raus.
Aber es ist wie mit einem Menschen, den man mal geliebt hat. Zwischendurch sieht man unverhofft den Charme durchblitzen und erinnert sich, wieso man einmal verliebt war. Und wenn man anfängt, selber auch ein bisschen mitzuarbeiten, und sich nicht beleidigt zurückzieht, kriegt man es vielleicht wieder hin. Ich jedenfalls – habe neue Motivation gewonnen. Die Dame vom Finanzamt ist jetzt sogar meine persönliche Sachbearbeiterin.
Berlin ist eine tolle Stadt, aber es gibt einige wichtige Abers: 12 Dinge, die in Berlin fehlen – von Luxux-Manko bis ernstem Mangel. Aller Anfang ist schwer: Was Berliner:innen an Zugezogenen auf die Palme bringt. Berliner:innen lieben es einfach, sich aufzuregen. Wir stellen euch 12 typische Berliner Feindbilder vor: von Touris bis Hipstern… Hauptsache meckern. Was unsere schöne Stadt wirklich bewegt, lest ihr täglich in unserer Rubrik „Stadtleben“.