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Happy Birthday!

Bob Dylan und Berlin: Zum 80. Geburtstag des Song and Dance Man

Natürlich hat Bob Dylan mit Berlin sehr wenig bis nichts am Cowboyhut. Er spielte hin und wieder hier, das schon, aber er spielte schließlich überall. Trotz seines diffusen Verhältnisses zu Deutschland in jungen Jahren kommt Dylan seit den 1970er-Jahren regelmäßig in die Stadt. In die Deutschlandhalle, Waldbühne, Zitadelle Spandau, Max-Schmeling-Halle, Arena, ins Tempodrom. In der DDR sozialisierte Fans erinnern sich mit Grausen an ein misslungenes Großkonzert im Treptower Park im September 1987. Aber sonst, was gibt es über den einflussreichsten Songwriter aller Zeiten und die große Stadt Berlin zu sagen? Zum 80. Geburtstags des nuschelnden Literatur-Nobelpreisträgers, der sich selbst gern als Song and Dance Man bezeichnet, einige berlinbezogene Überlegungen.

Bob Dylan bei einer Pressekonferenz im Juli 1987, wenige Wochen später spielte er in Berlin vor gut 100.000 Zuschauern live im Treptower Park. Foto: Imago/Brigani-Art
Bob Dylan bei einer Pressekonferenz im Juli 1987, wenige Wochen später spielte der Songwriter in Berlin vor gut 100.000 Zuschauern live im Treptower Park. Foto: Imago/Brigani-Art

Bob Dylan: Der Shakespeare unserer Tage

„Is It Rolling Bob?“ heißt eine Platte, auf der jamaikanische Musiker Dylans Klassiker wie „The Times They Are A-Changin'“ und „Mr. Tambourine Man“ im Reggae-Rhythmus nachspielen. Es gibt Platten osteuropäischer Barden, die Dylan nacheifern und eine flotte Compilation namens „Dylanmania“ mit Hits des Jungen aus Duluth, Minnesota auf Französisch. Nach 40 Alben, Hunderten von Songs, ungezählten Büchern, Artikeln, Filmen und einem Reigen höchster Auszeichnungen, vom Oscar und Grammys bis zur Medal of Freedom und dem Nobelpreis für Literatur, gehört der Shakespeare unserer Tage zum Weltkulturerbe.

Am 24. Mai wird Bob Dylan 80 Jahre alt. Im Juni 2020 erschien sein mehr als gelungenes Album „Rough and Rowdy Ways“, kürzlich hat er seinen gesamten Liederbestand für unglaubliche 300 Millionen Dollar an Universal Music verkauft. In Tulsa, Oklahoma eröffnet das Bob Dylan Center demnächst den Zugang zum Archiv des legendären Songwriters, der mal Judas und mal die Stimme seiner Generation war, sich am Oeuvre von Frank Sinatra abgearbeitet hat und den Beatles das Kiffen beibrachte.

Viel wird dieser Tage über ihn geschrieben. Kein Magazin und keine Zeitung dürfte das runde Jubiläum verpassen. Dylanologen weltweit debattieren, verhandeln und analysieren die hohe Kunst seiner Poetik. Die zwischen Blues, Folk und dem American Songbook verankerten musikalischen Referenzen und die diversen Inkarnationen seiner mehr als sechs Jahrzehnte andauernden Karriere. Vom Folkie und Protestsänger zum elektrifizierten Genius, vom Countryman zum wiedergeborenen Christen und desolatem Rockstar. Und dann kommt ja noch das grandiose Spätwerk und die seit den späten 1990er-Jahren währende „Never Ending Tour“, die erst von der Pandemie gestoppt wurde.

Bob Dylan: Die Beziehung zu Deutschland fand nur einmal den Weg in einen Song

Was kann der tip als Berliner Stadtmagazin in den Wust an Dylan-Veröffentlichungen noch hineintragen? Die Bedeutung und der Einfluss seines Werks sind unumstritten. Selbst Leute, die ihn nicht mögen, mögen im Zweifel Künstler, die ihrerseits Dylan verehren, die von ihm inspiriert sind und seine Songs gecovert haben. Niemand kommt an Dylan vorbei. Deshalb schauen wir uns die bislang wenig erforschte Beziehung von Bob Dylan zu Berlin an. Aber gibt es überhaupt eine?

Nehmen wir uns erst die Liedtexte vor. Bei der Suche in der Song-Datenbank erscheinen zum Schlagwort „Berlin“ exakt Null Treffer. Fehlanzeige also. Über Berlin hat er nie gesungen. Zum Schlagwort „German“ kommt ein Treffer. In „With God On Our Side“ singt der junge Dylan 1963: „We forgave the Germans, And we were friends, Though they murdered six million, In the ovens they fried, The Germans now too, Have God on their side.“ Der Holocaust fand Eingang in sein Werk, es bleibt der einzige direkte Bezug. In den ersten Jahren seiner Karriere hatte Dylan ein, gelinde ausgedrückt, gespaltenes Verhältnis zum Land der Nazitäter. Er selbst stammt aus einer jüdischen Familie, deren Wurzeln nach Osteuropa führen, bis in die 1970er-Jahre trat Robert Allen Zimmerman, wie Bob Dylan bei Geburt einst hieß, nicht in Deutschland auf.

Aufnahme des ersten Konzerts von Bob Dylan in Berlin am 29. Juni 1978 in der Deutschlandhalle.

Ein muffiger Bob Dylan enttäuschte die Ost-Berliner mit einem Standardprogramm

Sein Verhältnis zu Deutschland veränderte sich in den späten 1970er-Jahren. Da Dylan-Fans über sämtliche Aspekte ihres Helden eine Statistik führen, wissen wir heute, dass Dylan in seinem Leben insgesamt 173-mal in Deutschland aufgetreten ist. Nach den USA, Großbritannien und Kanada steht Deutschland damit auf Platz vier in der Rangliste. 19-mal davon spielte er in Berlin. Erstmals am 29. Juni 1978 in der nicht mehr existierenden Deutschlandhalle, wo er mächtig ausgebuht wurde, Dylan schockierte sein Publikum mit alten Hits im Bigband-Gewand und mit Gospel-Chören. In die Waldbühne kam er 1984, seiner künstlerisch wohl schwächsten Schaffensphase, und am 17. September 1987 gastierte er gemeinsam mit seinem alten Kumpel Tom Petty in Ost-Berlin. Ein legendäres Desaster.

Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) lud Dylan anlässlich der 750-Jahr-Feier von Berlin zu einem Open-Air-Spektakel in den Treptower Park ein. 100.000 Rockfans kamen. „Es ist davon auszugehen, dass Bob Dylan bei seinem Auftreten sich gegenüber dem Publikum und dem Veranstalter diszipliniert verhalten wird und bei seinem Auftritt keine negativen Emotionen zu erwarten sind“, vermerkte die Stasi in ihren Akten. Das Ministerium des Inneren stellte im Anschluss keine „provokatorisch-demonstrativen Handlungen“ fest. Doch genau das haben sich die Konzertbesucher in der finalen Phase der DDR gewünscht: eine Geste seitens der Protest-Ikone. Doch die blieb aus, stattdessen lieferte ein schlecht gelaunt wirkender Dylan ein Standardprogramm ab und machte sich grußlos vom Acker. Wohl deshalb liebte man im Osten den Charmebolzen Bruce Springsteen mehr als den spröden Dylan.

Es gibt nicht einmal einen richtigen „Berliner Dylan“

Seit den 1990er-Jahren war Dylan mit seiner Band immer öfter auf Berliner Bühnen zu sehen, er erhöhte seine Konzert-Frequenz und die Fans blieben ihm treu. Immer wieder gastierte er in der Arena, einige hundert Meter vom Treptower Park entfernt, aber auch im alten und neuen Tempodrom. Das vorerst letzte Mal spielte er am 4. April 2019 in der Mercedes-Benz-Arena. Doch Berlin als Stadt zeigte keine Wirkung auf Dylan. Im Gegensatz zu David Bowie oder Nick Cave, die hier eine Weile mal lebten. Anders als im Fall Lou Reed, der immerhin mal ein Album „Berlin“ genannt hat, oder dem Pink-Floyd-Gründer Roger Waters, der nach dem Mauerfall ein größenwahnsinniges Konzert auf dem Potsdamer Platz gab, blieb Dylan Berlin gegenüber neutral.

Es gibt nicht einmal einen richtigen „Berliner Dylan“, Köln hat immerhin Wolfgang Niedecken, doch die Berliner Songwriter blieben wiederum Dylan gegenüber ähnlich distanziert wie er gegenüber der deutschen Hauptstadt. Rio Reiser ist Rio Reiser, Harald Juhnke ist der in Spreewasser getaufte Sinatra, höchstens wäre da noch Manfred Maurenbrecher, der mit „Hochwasser“ auch mal einen späteren Dylan-Titel schön eingedeutscht hat, doch der ist – wenn überhaupt – dann „unser“ Leonard Cohen. Vielleicht lässt sich der 1989 in Berlin geborene Singer-Songwriter Max Prosa als eine Art hiesiger Dylan bezeichnen, ein talentierter Epigone ist er mit Sicherheit.

Bob Dylans „High Water“ in der eingedeutschten Version von Manfred Maurenbrecher: „Hochwasser“

So bleiben noch die großen Dylan-Auskenner, Pop-Theoretiker und Intellektuellen, die problemlos zum Dylan’schen Werk 50.000 Zeichen aus dem Ärmel schütteln können und sich mit Themen wie der biblischen Metaphorik in Dylans mittlerer Schaffensphase bestens auskennen. Doch der Universalgelehrte Philologe Heinrich Detering, dessen fantastische Abhandlung „Die Stimmen der Unterwelt“ Dylans späte Mysterienspiele dechiffriert, lebt in Göttingen. Der Sozialwissenschaftler Günter Amendt, der Dylan auf dessen 1978er-Europatournee begleitete und die ersten klugen Dylan-Essays im deutschsprachigen Raum publizierte, war Hamburger. Und der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit, Herausgeber des Bob-Dylan-Lesebuchs „How does it feel“, ist Freiburger.

Eine Bob-Dylan-Straße wird es in Berlin niemals geben

Aber es gibt sie doch, die Berliner Dylanologen. Etwa der in Berlin lebende Autor und Redakteur der deutschen Ausgabe des „Rolling Stone“ Maik Brüggemeyer, der 2015 mit „Catfish“ einen Dylan-Roman veröffentlichte und im März 2021 mit „Look out kid: Bob Dylans Lieder, unsere Geschichten“ einen Band mit dylanbezogenen Texten von Autoren und Autorinnen wie Benedict Wells, Judith Holofernes, Jan Brandt und Marion Brasch herausgab. Oder der Berliner Journalist Max Dax, einst Chef der „Spex“. Auch er ist bekennender Dylan-Fan und stellte 2008 mit „Songs From The Invisible Republic“ eine Compilation-CD mit für Dylan einflussreichen Songs zusammen. 2009 konzipierte er mit „Das System Bob Dylan“ eine scharfsinnige Titelgeschichte der 2018 eingestellten Popkulturzeitschrift.

Aber einen Bob-Dylan-Platz oder eine Bob-Dylan-Straße wird es in Berlin, anders als die Straße für Frank Zappa – und bald vermutlich auch für David Bowie –, wohl nie geben. Auch kein Museum und keine Bar, die ihm gewidmet sind. Schlimm ist das nicht. Ruhm, Geld und Würdigung hat der Mann, der in seiner Freizeit gerne im Boxring steht, Gartentore schweißt und Stadtansichten malt (die mittlerweile weltweit ausgestellt werden), genug. Aber da im Kontext zu Dylan schon über nahezu alles und jedes Überlegungen angestellt wurden, warum nicht zu seiner Beziehung zu Berlin? Auch wenn keine existiert. Doch hieß Todd Haynes‘ berühmter Dylan-Film nicht „I’m Not There“?

Happy Birthday, Bob!


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