Am Freitag gibt es wieder einen BVG-Streik. 24 Stunden lang legt das BVG-Personal die Arbeit nieder, die Gewerkschaft Verdi hat dazu aufgerufen. Die Mitarbeiter*innen fordern Arbeitsbedingungen, die eigentlich selbstverständlich sein sollten. Doch manchen Berliner*innen fällt nichts anderes ein, als auf ihnen herumzuhacken — missgünstiger geht es kaum.
Die Gewerkschaft Verdi hat zu einem 24-Stunden-Warnstreik am Freitag aufgerufen. Von Betriebsbeginn um 3 Uhr am Freitag bis um 3 Uhr in der Nacht zu Samstag fährt keine U-Bahn, keine Tram und fast kein Bus. Verdi, das Personal der BVG und das der anderen Betriebe für öffentliche Verkehrsmittel kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen. Sie wollen ihre Überstunden ausgleichen können und Zulagen für Schichtdienste nach einer bundesweit einheitlichen Regelung.
Das sind verständliche Forderungen. Kaum jemand hat Lust, die Wochenenden mit dem zu verbringen, was schon unter der Woche die Tage auffrisst wie die Raupe Nimmersatt, nämlich Arbeit. Oder sogar dann zu arbeiten, wenn die Freund*innen abends auf den Feierabend anstoßen, zumindest zur neuen Corona-Sperrstunde.
Freitagabends muss das besonders fies sein. Statt „Hoch die Hände, Wochenende“ heißt es dann „Besoffene durch die Gegend kutschieren“. Und zwar, bis Kaffee, Mate oder Energy Drinks ständige Begleiter in der Fahrerkabine werden. Dafür haben die Menschen, die das auf sich nehmen, mehr Kohle für ebenjene verlorenen Freitage, Samstage und Sonntag verdient. Und dass Arbeitnehmer*innen ihre Überstunden ausgleichen dürfen, sollte eigentlich selbstverständlich sein.
Einen Tag lang sind die Umstände ertragbar
Klar, der Streik mag gerade zu Corona-Zeiten für alle, die nicht im Home-Office bleiben, viel Stress bedeuten, lange Radfahrten oder im schlimmsten Fall, dass sie einem Taxifahrer ein paar kleine Scheine hinblättern müssen. Aber es ist nur ein Tag. Und Schuld an der verfahrenen Situation ist auch die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA), die nicht zu Verhandlungen über einen bundesweiten Tarifvertrag bereit ist.
Trotzdem haben viele Berliner*innen nichts besseres zu tun, als prompt loszuzetern, und zwar gegen BVG-Mitarbeiter*innen. „Keiner hat euch gezwungen, diesen Beruf zu wählen und in euren Augen wenig zu verdienen. Hättet ja Anwalte werden können“, „Euren Job würden andere auch machen. Ich arbeite für Mindestlohn und heule nicht rum“ oder „Frechheit. Wie soll man jetzt zur Arbeit kommen?“, kommentieren sie unter den Artikeln bei Facebook und Instagram.
Missgünstiger geht es kaum. Wenn man irgendwelchen Hedgefond-Banker*innen oder Immobilienerben mit durchschnittlich zwei Wochenstunden Arbeit ihren Verdienst nicht gönnt, ist das verständlich. Aber doch nicht BVG-Mitarbeiter*innen, die einen Ausgleich dafür haben wollen, wenn sie länger als geplant ihre Zeit unter der Erde oder im Stau verbringen müssen! Wo bleibt da die Solidarität unter den Arbeiter*innen? Es wäre doch viel besser, sich gegenseitig seine Streiks zu gönnen, sich zu bestärken im Kampf um Gerechtigkeit, als denen, die im gleichen Boot sitzen, das bisschen mehr Freizeit, das bisschen mehr Geld nicht zu gönnen.
Auch die Fahrgäste leiden unter den schlechten Arbeitsbedingungen
Abgesehen davon kommt es langfristig sogar den Fahrgästen zugute, wenn die Mitarbeiter*innen der BVG und der anderen Betriebe für öffentliche Verkehrsmittel ihre Forderungen durchsetzen. „Derzeit führen die schlechten Arbeitsbedingungen regelmäßig zu hohen Krankenständen. Diese haben auch Auswirkungen auf die Linienleistung und führen zu Fahrausfällen.“ Laut Verdi ist die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Nahverkehr in Berlin und Brandenburg um 18 Prozent geschrumpft, die der Fahrgäste um ein Viertel zugenommen hat.
Wenn sich das ändern soll, wenn die Busse und Bahnen wieder pünktlicher werden sollen, müssen die Berufe der Busfahrerin, des U-Bahnfahrers und der Tramfahrerin attraktiver werden. Von der Verkehrswende, die eigentlich ein fast exponentielles Wachstum bei Fahrer*innen, Zügen und Bussen verlangt, braucht man bei dem derzeitigen Personalstand eigentlich gar nicht erst anfangen — obwohl die Zeit drängt und das eigentlich dringend geboten wäre.
Deswegen sollten die Berliner*innen dem Personal der BVG ihren Arbeitskampf gönnen. Wenn nicht aus Solidarität, dann, um sich nicht ins eigene Fleisch zu schneiden. Und falls ihnen dabei klar wird, dass sie womöglich selbst unterbezahlt sind und zu schlechten Bedingungen arbeiten, könnten sie ja selbst in eine Gewerkschaft eintreten und streiken. Die Gewerkschaften verlieren nämlich seit Jahren Mitglieder. Immer weniger Menschen gehen dagegen auf die Straße, dass sie für wenig Geld schuften, während sich die die oberen zehn Prozent ein schönes Leben machen. Und das ist der eigentliche Skandal.
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