Interview

ChatGPT-Hype: Wann kriegt Berlin einen KI-Bürgermeister?

ChatGPT ist ein enormer Hype. Macht der überaus gesprächige Sprachbot uns schlauer oder dümmer? Und bastelt uns die Künstliche Intelligenz vielleicht endlich eine funktionierende Verwaltung? Der KI-Experte und Computerlinguist Aljoscha Burchardt spricht mit uns über die Sorgen der Kreativen, Umschulungen auf Gas, Wasser, Scheiße, Geniekult, Beuys-Bots und künftiges Wohngeld von der KI.

ChatGPT: Macht es uns dümmer? Foto: Imago/aal.photo/Piero Nigro

ChatGPT: Stochastischer Papagei

tipBerlin Aljoscha, wir haben uns geeinigt, uns im Gespräch zu duzen. Auf Twitter nennst du als deine Pronomen: „Du/ey/hömma“. Bist du nicht gebürtiger Berliner?

Aljoscha Burchardt Ja, aber ich bin in Westfalen, in Münster, aufgewachsen. Da kommt das „hömma“ her.

tipBerlin Macht ChatGPT uns schlauer oder dümmer?

Aljoscha Burchardt Das ist ein bisschen die Frage, wie wir damit umgehen. Vieles davon bestimmt gar nicht die Technik, das sollten wir bestimmen. Wenn wir sie nutzen, um unser Gehirn ein Stück weit zu entlasten, das kennen wir ja von anderen Dingen auch – Taschenrechnern, Excel-Sheets, Notizzetteln –, kann das manchmal ganz gut sein. Manchmal entlasten wir unser Gehirn aber auch zu sehr, verlassen uns zu sehr darauf. Und dann fehlt uns hinterher die Info im Kopf.

tipBerlin Ich habe ChatGPT aufgetragen, dieselbe Frage so zu beantworten, wie es der Computerlinguist Aljoscha Burchardt täte. Antwort: „Aljoscha Burchardt würde möglicherweise sagen, dass die Auswirkungen von ChatGPT darauf ankommen, wie es genutzt wird. Wenn es als Werkzeug zur Erweiterung des Wissens genutzt wird…“

Aljoscha Burchardt Nein! (staunend)

tipBerlin „…und die Nutzer kritisch mit den bereitgestellten Informationen umgehen, kann es dazu beitragen, uns schlauer zu machen. Wenn es jedoch zur Verbreitung von Fehlinformationen oder zur Manipulation von Meinungen verwendet wird, kann es dazu beitragen, uns dümmer zu machen.“

Aljoscha Burchardt Der erste Teil war doch genau, was ich gesagt habe! Der zweite nicht. Also: eins zu eins.

ChatGPT: „Die Demokratisierung von KI“

tipBerlin Wie muss man sich diesen Moment am 30. November 2022, als das US-Start-up OpenAI den Sprachbot präsentierte, hier am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz vorstellen?

Aljoscha Burchardt Der ist lustigerweise komplett an uns vorbeigezogen, weil GPT-2 und GPT-3 ja schon seit Jahren auf dem Markt sind. Bis das auf Social Media losging und unser Kommunikationschef mir schrieb: „Hast du das gesehen? Das geht hier gerade durch die Decke.“

tipBerlin GPT steht für „Generative Pretrained Transformer“, zu Deutsch: „vortrainierter, generativer Transformator“, und ist die Technologie, auf deren Basis der Gesprächsbot ChatGPT entwickelt wurde.

Aljoscha Burchardt Dieser Hype, die größeren Modelle, noch mehr Parameter, das ging ja schon eine ganze Zeit lang. Wir haben es beobachtet. Aber wir haben nicht damit gerechnet, dass ein kleiner Schritt für die Wissenschaft ein großer Schritt für die Menschheit sein würde.

tipBerlin ChatGPT macht es möglich, mit der KI, wie der Name ja sagt, richtig zu chatten.

Aljoscha Burchardt Manche nennen es einen „stochastischen Papagei“ – aber auf höchstem Niveau. Es bleibt eine statistische Wahrscheinlichkeit, die mit dir redet, und nicht etwas mit Empathie und einem moralischen Gewissen.

tipBerlin Wir reden gern von Gamechangern. Das Internet, das iPhone, Tinder. Ist ChatGPT ein solcher Gamechanger?

Aljoscha Burchardt ChatGPT ist eine Demokratisierung von KI. Es erlaubt vielen Leuten, damit zu spielen, Erfahrungen zu machen und auch zu sehen, wo die Grenzen sind. Diese Massenwirkung ist ein Gamechanger.

tipBerlin Sein Prinzip ist, im Satz stets das wahrscheinlichste nächste Wort auszugeben.

Aljoscha Burchardt Bei ChatGPT geht es um Plausibilität, nicht um Wahrheit. Dass ein Kochrezept, das es zusammenstellt, plausibel ist, heißt nicht unbedingt, dass man es nachbacken kann.

tipBerlin Oder dass es dann auch schmeckt.

Aljoscha Burchardt Genau. Es klingt auf jeden Fall, wie ein Kochrezept eben klingt. Das ist genau der Unterschied zwischen einem wahren Fakt zum Beispiel aus dem Lexikon, der nach wissenschaftlichen Standards geprüft wurde, und Dingen, die von dem System als plausibel generiert, halluziniert wurden. Dass dabei stets die Wahrheit rauskommt, ist eine naive Hoffnung, aber auch eine erklärliche.

KI-Experte Aljoscha Burchardt: „Viele Leute haben ChatGPT noch nicht als Gamechanger erkannt“

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tipBerlin Vielen macht dieser KI-Bot eher Angst.

Aljoscha Burchardt Es gibt in Deutschland zwei parallele Diskurse. Wir haben zwei Millionen unbesetzte Stellen. Zum Beispiel 150.000 IT-Fachkräfte und 200.000 Lehrer:innen, die uns fehlen. Auf der anderen Seite wird dieser Diskurs geführt: Macht uns KI jetzt arbeitslos, nimmt es uns die letzten Jobs weg? Ich bringe diese beiden Diskurse nicht zusammen.

tipBerlin Was wäre Ihr Diskurs-Vorschlag?

Aljoscha Burchardt ChatGPT ist unsere letzte Chance. Was da gerade kommt, könnte uns den Hintern retten, damit uns nicht die Verwaltung, die Ausbildung und was weiß ich noch alles wegbricht. Da haben viele Leute ChatGPT noch gar nicht in dem Maße als Gamechanger erkannt, wie ich es gerne wollte.

Dr. Aljoscha Burchardt, geboren in Berlin und aufgewachsen in Münster, ist Principal Researcher, Research Fellow und stellvertretender Standortsprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI GmbH) in Moabit. Foto: Helmut Pucher

tipBerlin Wie wird man eigentlich Computerlinguist?

Aljoscha Burchardt Kurze Version: Ich hatte Lust, irgendwas mit Sprache zu machen, aber ich wusste auch, dass man hinterher damit Taxi fährt. Dann habe ich gesehen, es gibt diese Kombination aus Sprache und Computer. Fand ich magic. Ich hatte in der Schule nie Grammatik kapiert und dachte: Cool, wenn man Grammatik einem Computer beibringen kann, kann ich die vielleicht auch verstehen.

tipBerlin Machst du abends nach der Arbeit dann zuallererst Smalltalk mit deiner Home-KI?

Aljoscha Burchardt Überhaupt nicht. Es ist das schöne alte Paradox: Meine Kinder sind auf der Waldorf-Schule und ich habe kein Smart Home, sondern eine Schallplattensammlung.

Burchardt: „Ein Postbote ist schwerer zu ersetzen als ein Investmentbanker“

tipBerlin Ist ChatGPT die erste Maschine, die nicht die Arbeiterklasse wegrationalisieren könnte, sondern auch die Kreativen?

Aljoscha Burchardt Meine Frau ist Grafikerin. Wenn sie zeigen will, wie ein Poster im City-Light aussieht, kann sie das schnell am Computer machen. Da hätte sie früher tagelang im Fotostudio herumschnippeln müssen, Schatten drauflegen, sowas. Aber mit der Sprache kommen jetzt gesamtgesellschaftlich wirkliche Neuentwicklungen auf uns zu. Es trifft nicht automatisch die Leute am Fließband oder den Paketboten. Ein Postbote oder eine Putzkraft ist schwerer maschinell zu ersetzen als ein Investmentbanker. Wenn die Digitalisierung jetzt die gut bezahlten Berufe herausfordert, ich will gar nicht sagen: abschafft, dann haben wir die Chance, dieses unschöne Gehaltsgefälle ein Stück weit aufzulösen.

tipBerlin Wie könnte das gehen?

Aljoscha Burchardt Mein Plädoyer wäre: Lass uns dieses Gestaltungsmoment annehmen und definieren, welche Arbeiten wir beim Menschen sehen wollen! Dann müssen wir anderswo unangenehmere Büro- oder Routinearbeiten durch KI ersetzen, damit ich die kreative Arbeit weiter zu einem guten Stundenlohn machen kann.

tipBerlin Satteln in der Kreativen-Hauptstadt Berlin Fachleute für Dialog, Dramaturgie, Kostüm besser rasch auf Gas, Wasser, Scheiße um?

Aljoscha Burchardt Würde ich nicht unbedingt sagen. Beispiel Übersetzungsbranche: Die 25. Bordbuch-Übersetzung für ein Auto kannst du automatisch übersetzen und nachkorrigieren. Einen Roman wirst du dagegen nicht einfach maschinell übersetzen.

Wer kann mehr, Beuys – oder der Beuys-Bot?

tipBerlin Was wird aus dem Genie-Kult, wenn die KI immer mehr von allein kann?

Aljoscha Burchardt Du bist der Regisseur, das Genie. Du hast die Empathie für die Kundinnen und Kunden, für den Markt. Die Systeme haben das ja nicht. Der Beuys wusste, was er tat, als er eine dreckige Badewanne ins Museum stellte. Die Frage ist: Wie bin ich stilbildend? Das kann nur der Mensch.

tipBerlin Ein Beuys-Bot kann niemals ein Beuys werden?

Aljoscha Burchardt Der, der die Idee hat, Farbbeutel auf die Leinwand zu werfen, ist nicht so sehr von den Farbbeutel-Werfern abhängig. Aber davon, dass er diese Idee dazu hat.

tipBerlin Stellt ChatGPT sozusagen Waffengleichheit zwischen sehr schlauen und nicht ganz so schlauen Menschen her?

Aljoscha Burchardt Das könnte so sein. Ich würde es „Demokratisierung“ nennen. Wir haben aber auch im Bildungssektor die Frage: Betrügen die Student:innen jetzt nur noch, etwa mit gefakten Hausarbeiten? Ich finde das ein problematisches Menschenbild. Wenn die KI-Systeme Multiple-Choice-Klausuren bestehen, dann sind diese Klausuren vielleicht auch einfach nicht gut gemacht.

tipBerlin Aber Lehrer möchte man gerade auch nicht sein. Ich höre von Gymnasiasten, die ChatGPT für alle Hausaufgaben nutzen.

Aljoscha Burchardt Da muss man in Dialog gehen mit den Schülern: Hier dürft ihr es benutzen und dokumentiert, wie ihr es benutzt habt, aber nicht unreflektiert. Und dann kann man überlegen, ob die Kinder dabei was gelernt haben.

tipBerlin Kommt zum Plagiatsjäger bei Doktorarbeiten jetzt der ChatGPT-Jäger hinzu, der Schummlerinnen, Schummler aufspürt?

Vermüllt ChatGPT das Internet?

Aljoscha Burchardt Funktioniert leider nicht. OpenAI selber hat es probiert und nur 26 Prozent Erfolgsquote, weil die Sachen so gebaut sind, dass sie sich menschlich lesen. Das System prüft sich sozusagen intern, bevor es die Sätze rausgibt: Klinge ich menschlich? Meine größere Sorge als Plagiate ist aber die Sorge der Vermüllung des Webs.

tipBerlin Die KI kübelt KI-Texte, -Bilder, -Daten ins Web und greift irgendwann selbst wieder darauf zurück, um neue KI-Texte, -Bilder, -Daten zu produzieren.

Aljoscha Burchardt You name it, genau! Und wir kommen in eine Abwärtsspirale der Webqualität. Bei der Übersetzung hat man schon gemerkt, dass die Systeme zum Teil auf maschinellen Übersetzungen lernen. Das werden wir nicht mehr aufhalten können.

tipBerlin Wann entwirft ChatGPT eine funktionierende Berliner Verwaltung?

Aljoscha Burchardt Bis 2040 gehen 50 Prozent der Leute in der öffentlichen Verwaltung in Rente. Wir haben eine Chance, nicht nur mit ChatGPT, sondern durch KI und die normale Digitalisierung, diese Prozesse zu beschleunigen, sie überhaupt bearbeitbar zu halten. Jetzt zu sagen: „Bis ich in Rente gehe, machen wir weiter mit Karteikarten und Umlaufmappe, und dann kann die junge Generation ja digitalisieren“, ist in vielerlei Hinsicht schräg. Das klappt ja nicht auf Anhieb. Eine Technologie, die gerade mal ein halbes Jahr alt ist, die erfordert jede Menge Tests, Requirements, Ausprobieren, Anpassen. Kann die Maschine Sachen selbst erledigen oder gehen wir nach dem Prinzip vor: Teile und herrsche?

tipBerlin Was heißt denn: Teile und herrsche?

Aljoscha Burchardt Nehmen wir Wohngeld-Anträge. Da sortiert KI dann vor: Diese 50 Prozent ähneln Fällen, die wir positiv beschieden haben. Diese 30 Prozent ähnelt welchen, die wir negativ beschieden haben. Diese Fälle erledigt dann das System idealerweise allein. Und dann, liebe Sachbearbeiterin, lieber Sachbearbeiter, bleiben 30 Prozent der Anträge, die musst du dir angucken.

tipBerlin Klingt irgendwie noch sehr utopisch.

Aljoscha Burchardt Das soziotechnische System, Mensch und Maschine zusammen, muss irgendwie effizient sein. Aber wenn für ein Windrad 15.000 Seiten Papier bedruckt und per Container ins Landratsamt gekarrt werden, und wir brauchen Tausende von Windrädern in diesem Land, dann merkst du einfach: Das kann nicht funktionieren.

tipBerlin Mitte März kam die nächste Version des Sprachbots raus. Was ist daran neu?

Aljoscha Burchardt GPT-4 kann jetzt auch Bilder einlesen und diese beschreiben und Fragen beantworten. Ansonsten ist das meiste eine graduelle Verbesserung und es bleibt erstaunlich, was diese Teile alles können.

ChatGPT-Hype: Die Empathie von Olaf Scholz?

tipBerlin Wäre Berlin nicht prädestiniert für den ersten deutschen KI-Bürgermeister?

Aljoscha Burchardt Na ja, wir haben ja schon Reden im EU-Parlament, im Bundestag oder auch im brandenburgischen Landtag gehört, die von ChatGPT geschrieben wurden, wo die Leute hinterher gestaunt haben: Jetzt kann die schon Politikerreden schreiben. Ich habe dann gesagt: Vielleicht sind manche Politikerreden auch einfach so vorhersehbar, so ausgewogen, so nichtssagend, dass die selbst eine Maschine schreiben kann.

tipBerlin Kann ja wohl nicht so schwer sein, für den aktuellen Bundeskanzler einen KI-Scholzomaten zu programmieren.

Aljoscha Burchardt Nein, dürfte es nicht. Aber die Empathie, die Diplomatie und das politische Geschick  von Olaf Scholz hat die KI natürlich nicht.

tipBerlin Mit Hollywood gefragt: Welche KI-Version kriegen wir eher – die laszive Variante aus „Her“ oder die übellaunige Killermaschine aus den „Terminator“-Filmen? 

Aljoscha Burchardt Als Wissenschaftler darf man natürlich niemals nie sagen, aber das ist alles hoch unwahrscheinlich. Die Menschheit hat genug andere Probleme: Wie kommen wir aus der fossilen Abhängigkeit heraus? Was passiert nach dem Wachstum? Was machen Filterblasen mit uns? Das sind Dinge, wo uns Technologie helfen könnte und sollte. Diese Science-Fiction-Sachen kann man irgendwann auch mal diskutieren. Nach dem vierten Glas Bier oder so. Aber die würde ich jetzt nicht in den Vordergrund stellen.


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