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Grüner wird’s nicht: Wie die Hochschule Eberswalde unsere Umwelt retten will

Sie pflanzen Wälder an, retten Bienen und wollen den Tourismus neu erfinden: An der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde arbeiten Profs und Studierende daran, die Welt umweltfreundlicher zu gestalten. Wie eine kleine Uni in Brandenburg große Politik macht

Der Fachbereich für Wald un Umwelt der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Foto: HNE Eberswalde
Der Fachbereich für Wald un Umwelt der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Foto: HNE Eberswalde

So vielversprechend sind die Triebe der grünsten Uni Deutschlands vielleicht nirgendwo sonst. Ein bisschen mehr als 50 Kilometer muss man sich von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde entfernen, um das Stück Land zu bestaunen. Buche und Linde wachsen dort, aber auch Kreuzdorn und Wilder Apfel. Ein Best-of der heimischen Flora in der Uckermark, noch zart, knapp über ein Meter hoch – auf einer Fläche von gerade einmal 800 Quadratmetern, etwas größer als ein Tennisplatz. Eine Idylle, die in die Zukunft weist: als eine Methode der Bodenkultivierung, die einmal die Städte retten soll. Vor Luftverschmutzung, Treibhausgasen und Beton-Monotonie.

„Tiny Forest“ nennt sich dieser bunte Miniwald im Sprech der Öko-Avantgarde, und er soll so ähnlich auch einmal in der Großstadt gedeihen, zwischen Mietblöcken und Straßenkreuzungen. Das Anbauimage002.pnggebiet in Brandenburgs Landschaft ist ein Modellprojekt für den städtischen Raum.

„Urbanisierte Diversitätshotspots“, so bezeichnet Lukas Steingässer, 29, Bachelor-Absolvent im Fach „Internationales Waldökosystemmanagement“, das Prinzip. Er hat das Biotop, das etwa 2.200 Pflanzen umfasst, mit einem Kommilitonen konzipiert. Der erste „Tiny Forest“ in Deutschland. „Wald der Vielfalt“, so nennt ihn Steingässer.

Tiny Forest: ein wachsendes Projekt von zwei Eberswalder Jung-Wissenschaftlern. Kleine Wälder dieser Art könnten in Großstädten für eine gesündere Umwelt sorgen. Foto: Lukas Steingässer
Tiny Forest: ein wachsendes Projekt von zwei Eberswalder Jung-Wissenschaftlern. Kleine Wälder dieser Art könnten in Großstädten für eine gesündere Umwelt sorgen. Foto: Lukas Steingässer

So ein „Tiny Forest“, ursprünglich eine Kultivierungsmethode aus Japan, kann vieles: Er lockt Tiere und sichert damit Artenvielfalt. Zudem spendet er Schatten. Und kühlt die Umgebung – eine Klimaanlage, die Ressourcen schont. Der Anblick des archetypischen Grüns beruhigt außerdem die Nerven gestresster Großstadtmenschen.

Lukas Steingässer fördert eine Idee, die zum Hit werden soll – und verkörpert damit den fortschrittlichen Geist der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde.

Ganz früher war diese Bildungsstätte noch eine Forstakademie. Dort wurden zum Beispiel im 19. Jahrhundert junge Männer für die Verwaltung des Waldlands im Königreich Preußen ausgebildet.

Heute, im Zeitalter des Klimawandels, schaffen Profs und Studierende in Eberswalde die Grundlagen für eine grüne Zukunft. Als ob Grünen-Politiker*innen, Fridays-for-Future-Aktivist*innen und Leute von Naturschutzverbänden ein akademisches Utopia kreiert hätten.

Eine grüne Denkfabrik: Die Hochschule in Eberswalde

Um Bio-Bauernhöfe rentabel zu machen, wird dort „Ökolandbau und Vermarktung“ gelehrt – oder der Master-Studiengang Öko-Agrarmanagement. Studienanfänger*innen können sich auch für „Landschaftsnutzung und Naturschutz“ einschreiben. Andere studieren Holztechnik. Gegenstand dieses Fachs: eine nachwachsende Ressource als Rohstoff für Baubranche und andere Gewerbe. Manchmal wird in den Dimensionen internationaler Umweltpolitik gedacht, etwa im „Global Change Management“, ebenso ein Master-Fach.

Seit 1992 gibt es diese Akademie, deren ökologisches Image auch ein Erbe der lokalen Geschichte ist, als in Eberswalde noch Förster alter Schule ausgebildet wurden. Rund 2.100 Jungakademiker*innen studieren heute dort, betreut von knapp 60 Professor*innen. Die Hochschule prägt den Charakter von Eberswalde, einer Kleinstadt mit etwa 40.000 Einwohnern. Die grüne Denkfabrik verteilt sich auf einen Stadtcampus, einen Waldcampus und einen Forstbotanischen Garten.

Inspiriert von einem TED-Talk

Lukas Steingässer, der Schöpfer des „Tiny Forests“, ist seit 2016 an dieser Hochschule im Umland Berlins eingeschrieben. „Etwas Praktisches“ habe er machen wollen, sagt er über sein Baumprojekt.

Inspiriert hat ihn der TED-Talk eines indischen Ingenieurs namens Shubendu Sharma, der von einer Renaturierungsmethode aus der japanischen Botanik schwärmte. Dort hat eine Biologie-Koryphäe, der mittlerweile 93-jährige Akira Miyawaki, einen Masterplan für kleine, artenreiche Mischwälder entwickelt – und unter seiner Ägide mehr als 1.000 solcher Habitate anpflanzen lassen, in seinem Heimatland, in Malaysia und anderswo. Als „Tiny Forests“ werden diese Wälder nun immer bekannter im Westen.

An einem Wochenende im März vergangenen Jahres haben Lukas Steingässer und sein Kommilitone den Wald mit 20 Freiwilligen gepflanzt – auf dem Areal eines heilpraktischen Zentrums, des so genannten Seminarhauses Uckermark, das eine Bekannte betreibt. Mittels Crowdfunding haben sie das Ganze finanziert. Sein Tiny-Forest-Projekt, zunächst als Forschungsarbeit angelegt, will er nun auch in eine unternehmerische Idee münden lassen. „Das erste urbane Waldplanungsbüro Deutschlands“, sagt er. Zurzeit bewirbt er sich mit seinem Kompagnon um ein Gründerstipendium.

Wo es brummt und summt

Doch an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung gibt es noch mehr Projekte, die der Natur helfen. Darunter die Rettung von Bienen, Käfern und anderen sechsbeinigen Spezies. Die Labore: Biosphärenreservate, darunter auch Schorfheide-Chorin, das Landschaftsgebiet nördlich von Eberswalde. Dort soll das Projekt „Brommi“ summen. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein Terminus technicus: „Biosphärenreservate als Modelllandschaften für den Insektenschutz“ – hauptverantwortlich ist der WWF. Unter anderem sollen Landwirt*innen dabei Korridore opfern, damit dort Habitate für Tierarten erblühen – genau genommen an den Rändern von Feldern. Sie sollen dafür einen finanziellen Ausgleich erhalten. Der Job der Studierenden, zum Beispiel: zu untersuchen, ob die Populationen wachsen.

Ein anderes Projekt führt von der Fauna zu Tummelplätzen der menschlichen Zivilisation. Juliane Zimmermann heißt die Forscherin an diesen Orten. Eine 27-Jährige, die Nachhaltiges Tourismusmanagement in Eberswalde studiert. Sie widmet ihre Masterarbeit nützlichen Praktiken gegen ungesunden Massentourismus, genannt „Overtourism“. Man denkt dabei an Palma de Mallorca oder Venedig – doch Hotspots in deutschen Urlaubsregionen haben in der Vergangenheit genauso Anstürme erlebt, auch im ersten Corona-Jahr 2020. Zimmermann untersucht deshalb die Lage an hiesigen Reise-Mekkas, ob in der Lübecker Bucht oder in Oberbayern.

Wie kann man einen verträglichen Massentourismus etablieren, etwa auch während der Pandemie? In Eberswalde wird dieses Thema erforscht. Foto: Imago/blickwinkel
Wie kann man einen verträglichen Massentourismus etablieren, etwa auch während der Pandemie? In Eberswalde wird dieses Thema erforscht. Foto: Imago/blickwinkel

Zuvor hat sie Ethnologie und Islamwissenschaft in Köln studiert. Fächer, die Fernweh ausdrücken. Sensibilisiert für Umweltfragen hat sie ein Trip in privatissimo: ein Island-Besuch. Dort wurde ihr erzählt von heißen Quellen, die gekippt waren und voller Bakterien. Ebenso frappierend an diesen Sehenswürdigkeiten: wilder Müll an Wegrändern – und Tourist*innen, die draußen ihre Notdurft verrichten. Jetzt will sie in ihrer Masterarbeit zeigen, wieʼs besser laufen könnte.

„Identifikation von Maßnahmen zur Vermeidung von Overtourism-Szenarien“, lautet ein Teil des Arbeitstitels, im präzisen Stil eines wissenschaftlichen Papiers. Juliane Zimmermann blickt dabei auf Trends im Zuge der Pandemie. Ein Accessoire, das schon im vergangenen Sommer angewendet worden ist: eine Strand-Ampel in Schleswig-Holstein, die online darüber informiert, wie belebt Badestellen sind.

„Immer noch eine Nische“, das sagt sie über ihr Metier, den nachhaltigen Tourismus. Ihr gehe es darum, Diskurse anzustoßen. Über eine Reisekultur, die Öko-Bilanzen, wirtschaftliche Interessen und Gesellschaftsfaktoren in Balance bringt. Andere Expert*innen am Zentrum für Nachhaltigen Tourismus (ZENAT), wo ihr Fach angesiedelt ist, verfolgen dasselbe Ziel. Dozent*innen würden dort Inputs für den Mainstream-Tourismus geben, erzählt sie. Zum Beispiel mithilfe von Engagements für Consulting-Firmen.

Online-Journal zur Corona-Krise als Materialsammlung

Ein Heureka-Moment, der ein weiteres Forschungsprojekt an der HNEE hervorgebracht hat, ereignete sich zu einem außergewöhnlichen Zeitpunkt: während einer Fahrt mit dem Regionalzug. Es war ein Freitag im März 2020. Die Corona-Pandemie war gerade nach Deutschland übergeschwappt.

Benjamin Nölting, Professor am Forschungszentrum „Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer“, war mit ein paar Master-Studierenden mit der Bahn unterwegs. Die Rückreise von Pendler*innen gen Berlin, dem Wohnort von nicht wenigen Hochschüler*innen und Lehrenden. Zuvor hatten sie noch eine gemeinsame Lehrveranstaltung abgehalten. Nun formte sich eine Frage: Wie könnte man dieses historische Ereignis zum Material machen?

In Rekordzeit entstand ein bürgerwissenschaftliches Projekt namens „Logbuch der Veränderungen“, unter Mitwirkung von weiteren Wissenschaftler*innen des Forschungszentrums. In diesem Online-Journal sollten Normalmenschen ihre Eindrücke von der Corona-Krise schildern. Bis heute haben Leute von nebenan über 1.000 Einträge notiert – eine Textsammlung, die eine Zäsur widerspiegelt.

Das Team will darin „interessante Phänomene“ entdecken, wie ein „Trüffelschwein“, sagt Nölting, 54. Das Bottom-up-Projekt soll dabei vor allem ein Rätsel lüften: Wie stellen sich Menschen auf große Umbrüche ein? Oder, im Jargon der Management-Psychologie, welche „Veränderungskompetenz“ entwickeln sie? Die Erkenntnisse könnten wertvoll sein für andere epochale Umwälzungen. Den Klimawandel zum Beispiel.

Benjamin Nölting, Professor am Forschungszentrum„Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer“. Foto: HNEE
Benjamin Nölting, Professor am Forschungszentrum„Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer“. Foto: HNEE

Zurzeit wird das Konvolut ausgewertet – unter anderem mittels Master-Arbeiten von Studierenden am Forschungszentrum „Nachhaltigkeit – Transformation – Transfer“. Wer Notizen aus der ersten Jahreshälfte 2020 überfliegt, erahnt Umrisse eines Bewusstseinswandels. Über das Verhältnis zum Auto heißt es: „Die gefahrenen Kilometer haben sich drastisch reduziert.“ Über Konsum: „Der Kauf modischer Kleidung ist unwichtiger geworden.“

Übrigens: Vielleicht ist das kleine, beschauliche Eberswalde genau der richtige Ort, um solche Themen zu erörtern. Das Tempo, das im hektischen Berlin den Takt angibt, ist in diesem Nest heruntergefahren. Hinter den letzten Häusern erstreckt sich eine Vegetation, die den biophilen Charakter der Hochschule symbolisiert.

Die Kulisse für dieses Lebensgefühl ist ein Stadtbild, das apart erscheint. Irgendwo zwischen brandenburgischer Provinz, Berlin-Kreuzberg und dem amerikanischen Portland – benetzt mit DDR-Patina. Viele Cafés und Bars in Eberswalde sind Horte eines alternativen Lebensstils, darunter ein Burger-Imbiss, der auch vegane Bratlinge anbietet, oder das Café Alte Post, wo Hafermilch-Kaffee serviert wird. Eine Boulderhalle gibtʼs auch.

Nicht alle Studis zieht es nach Berlin

Kein Wunder, dass viele Hochschüler*innen in Eberswalde wohnen – und nicht morgens und abends in die Regionalzüge steigen, um zwischen Peripherie und Berlin zu pendeln. Zumal man in Eberswalde auch keine Mondpreise für Mieten berappen muss. Anders als in den Boom-Bezirken der Hauptstadt.

Lukas Steingässer, der Waldfreund, wohnt in einem Zimmer in einer WG in einer alten Villa; Juliane Zimmermann, die potenzielle Erneuerin im Touristikgewerbe, in einem 11-Quadratmeter-Zimmer im Studentenwohnheim.

Steingässer mag das Landleben: „Die Nähe zu Berlin feiere ich, aber ich kann auch in unserem Garten ein Lagerfeuer machen.“ Und nebenan ruft der Wald.


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