Forschung

#IchbinHanna: Arbeitskampf der Wissenschaftler:innen

Unter #IchbinHanna kämpfen Wissenschaftler:innen für bessere Arbeitsbedingungen. Die sind auch nötig. Befristete Verträge, wenig Geld, viel Stress – die Job-Bedingungen in der Wissenschaft sind mies. Das bremst Innovationen aus, entstehen doch unter Druck nur selten gute Ideen. Stellt sich die Frage, wie erfolgreich die Bewegung #IchbinHana war. Was hat der Aufschrei gebracht?

Forschen kann schön sein. Noch schöner wäre es, wenn sich die meisten Wissenschaftler:innen nicht ständig um ihre berufliche Zukunft sorgen müssten. Die Initiative #IchbinHanna kämpft für bessere Arbeitsbedingungen. Foto: Imago/Westend61

Der Weg zu #IchbinHanna

Wenn man die Psychologin Nadine Meyer* fragt, wie viele Verträge sie im vergangenen Jahr hatte, kommt sie durcheinander. „Vielleicht waren es fünf, sicher bin ich nicht.“ Die 28-Jährige ist Doktorandin an der Humboldt Universität und vertritt dort derzeit eine Kollegin in Elternzeit. Davor hatte sie eine neunmonatige Stelle bei ihrer Doktormutter, ebenfalls an der HU, und davor war sie an einem außeruniversitären Berufskolleg. Aufzählungen, die als abendfüllendes Programm durchgehen und für die meisten jungen Wissenschaftler:innen in Deutschland zum beruflichen Alltag gehören.

Wie Nadine Meyer hetzen sie von Institut zu Institut, von Arbeitsvertrag zu Arbeitsvertrag. Manchmal können sie ein paar Jahre bleiben, manchmal nur wenige Monate. Innovationen lassen sich so nur schwer erarbeiten. Für Außenstehende ist ein derartiges Berufsleben kaum vorstellbar, gibt es doch genug Arbeitsgesetze, die berufliche Sicherheit versprechen. Gerade Studienanfänger:innen kann deshalb eine böse Überraschung erwarten, sollten sie sich für eine wissenschaftliche Laufbahn entscheiden.

Wissenschaftsbetriebe bieten selten unbefristete Stellen an, da dort gehofft wird, mittels vieler wechselnder Köpfe mehr geistige Frische zu erreichen – zu Ungunsten der Mitarbeitenden. „Die setzen auf die Hire-and-Fire-Methode. Kommen, abarbeiten, gehen“, sagt Meyer. Eine festgefahrene Personalpolitik ist dabei das eine Problem. Das andere ist die Gesetzeslage.

Denn Forschungseinrichtungen begründen die prekären Arbeitsbedingungen unter anderem mit dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG). Ein Wortungetüm, das große Karrierepläne kleinprügelt – und dem Nachwuchs zeigt, was eine Wissenschaftslaufbahn bedeuten kann.

Kleines Gesetz mit großen Lücken

Vereinfacht macht das Gesetz Kettenbefristungen möglich. Ohne Sachgrund können Promovierende dadurch bis zu sechs Jahre befristet beschäftigt werden – und nach Abschluss, in der Post-Doc-Phase, noch mal weitere sechs Jahre. Je nachdem, ob die Leute bleiben sollen. Studentische Hilfskräfte dürfen an Universitäten ebenfalls nur bis zu sechs Jahre beschäftigt werden. Wer in der Regelzeit bleibt, muss sich nicht sorgen. Immer fleißig lernen, und es passt schon. Irgendwie.

Bereits seit 2007 ist das WissZeitVG in Kraft. Eine Mindestlaufzeit für Arbeitsverträge ist darin nicht genau geregelt. Verträge von einem Jahr oder darunter sind entsprechend üblich, was Kettenbefristungen ermöglicht. „Ich habe für meine Promotion beim WBZ einen Zweijahresvertrag mit Chance auf Verlängerung bekommen – wie viele andere auch. Niemand der Doktorand:innen wurde jedoch in der Zeit fertig. Nach Ablauf standen wir also wieder mit leeren Händen da“, sagt Nadine Meyer.

Eigentlich sollte 2016 eine Reform genau diesen Umstand verhindern. In angenehmem Juristendeutsch müssen demnach Vertragsbefristungen dem jeweiligen Qualifikationsziel, etwa Promotion, angemessen sein. Leider klafft da ein Schlupfloch. Was „angemessen“ bedeutet, ist offen. Dank einer unkonkreten Formulierung sind Kurzzeitverträge weiterhin möglich, das Problem bleibt ungelöst. Gewerkschaften wie auch Parteien im linken Spektrum forderten eine weitere Überarbeitung. Getan hat sich lange nichts. Bis die Initiative „#IchBinHanna“ das Thema auf eine öffentliche Bühne zerrte.

Aufklärung oder Hohn?

Ein Video des Bundesministeriums für Bildung und Forschung führte zu einem Aufschrei oder moderner: einem Shitstorm. Mit verkrampfter Lockerheit und schrägem Comic-Look werden die Vorteile des WissZeitVG anhand einer Doktorandin erklärt, der Biologin Hanna. So sollen die Personaltableaus an den Unis dank der Regelung nicht verstopfen und nachrückende Generationen Chancen auf Stellen erhalten. Nun waren laut Tagesspiegel 2020 nur 19 Prozent aller Stellen an Universitäten unbefristet, der Rest musste gehen und sich neu umsehen. Viel Frust also für die Betroffenen. Immerhin hofft man nach Ausbildungsabschluss auch auf eine Übernahme – wie es in der freien Wirtschaft häufig der Fall ist.

Rotation an Forschungseinrichtungen soll eigentlich den Innovationmotor Deutschlands stärken – ähnlich wie ein Ölwechsel. Würden wir Universitäten als Unternehmen verstehen, wären diese kaum effizient. Fachkräfte bis zu zwölf Jahre finanziell zu fördern und auszubilden, um sie darauf entweder zum Vorgesetzten zu machen, etwa mittels Professorenstellen, oder gehen zu lassen, sorgt auf den ersten Blick vielleicht für frischen Wind, aber auch für verschenktes Potenzial. Viele landen auf dem freien Markt. Ausgebrannt.

In einem Unternehmen wäre es kaum vorstellbar, ausgebildete Fachkräfte zum Gehen zu zwingen, um kurz darauf wieder von vorn anzufangen. Dann heißt es nämlich: neue Projekte erdenken, Finanzierungsanträge stellen, Bewerbungen schreiben. In ihrer Laufbahn steht der wissenschaftliche Nachwuchs irgendwann knietief im Formularmorast.

Exklusiv für privilegierte Milieus

Ebenso problematisch daran ist, dass die dadurch resultierende gelegentliche Arbeitslosigkeit eine Wissenschaftslaufbahn zu einer Exklusiv-Angelegenheit für privilegierte Milieus macht. Wer es sich leisten kann, eventuell von der Familie finanziert wird, hat damit kein Problem. Fehlt jedoch das Geld, war’s das. Jobs für gehobene Gesellschaftsschichten.

Grenzten früher einmal Studiengebühren die Arbeiterkinder an Unis aus, sind es nun die Bedingungen im Wissenschaftsbetrieb. „Und wenn nur noch ein elitärer Haufen an Unis ist, der nichts für die Gesellschaft tut, bringt das auch keinen wirklichen Fortschritt“, sagt Nadine Meyer.

So lange das Thema auch bekannt ist – abseits der akademischen Bubble war das Problem kaum jemandem bewusst. Der „#IchBinHanna“-Clip drückte Betroffenen die heiße Nadel in die Hand, um die Blase platzen zu lassen. Plötzlich bekamen auch Außenstehende mit, wie es um die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft steht.

#IchbinHanna: Wissenschaftler:innen, vereinigt euch!

Drei Jahre nach Erscheinen des Clips, 2021, posteten Betroffene nun ihre Geschichten auf Twitter. Sie sprachen von Unsicherheiten, Ängsten, unzähligen Stunden, die sie für Anträge und Gutachten investieren müssen. Familienplanung? Kaum umsetzbar. Zeitweise Arbeitslosigkeit? Ganz normal. Überstunden? Alltag.

„In vielen der Geschichten habe ich mich wiedergefunden. Häufig lähmt mich der Druck, und es gibt Tage, an denen ich nicht wirklich arbeiten kann“, sagt Meyer. Solange keine unbefristete Stelle in Aussicht ist, nimmt der Druck nicht ab. Der 45-jährige Kulturwissenschaftler Mathias Berek hat seine Promotion etwa längst hinter sich, 2019 hat er sogar habilitiert. Trotzdem dominieren häufige Stellenwechsel seine Vita. Derzeit hat er eine auf vier Jahre befristete Stelle an der TU Berlin. „Das klingt für Leute in der Wirtschaft absurd, aber in unserem Bereich lecken sich die Leute ihre Finger danach“, sagt er. „Es treibt einen stets die Frage um, wo es als nächstes hingeht, ob es genug Optionen gibt und wenn ja, welche ich habe. Man gewöhnt sich so sehr daran, dass man über eine Stelle über vier Jahre glücklich ist.“

Seit 2005 arbeitet Mathias Berek in wissenschaftliche Einrichtungen. Heute ist er im Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin angestellt – befristet. Foto: Christoph Loeffler

Eigentlich gibt es genug Studien, die belegen, dass viel Druck nicht wirklich zu besseren Arbeitsergebnissen führt – das gilt auch für innovative Ideen. Stress lähmt Kreativität. Die aber können Wissenschaftler:innen gut gebrauchen. Viele wandern deshalb ins Ausland, weil sie etwa in den USA bessere Arbeitsbedingungen bekommen, sich entsprechend mehr aufs Forschen konzentrieren können. Warum der laute Aufschrei hierzulande so lange auf sich warten ließ, ist nicht nachvollziehbar – weder für Meyer noch für Berek. Beide hat die öffentliche Debatte überrascht, vor allem weil sie so spät kam. Umso mehr freuen sie sich, dass es allmählich öffentlichen Anstoß gibt.Immerhin sind es auch ihre Erfahrungen, die die Umstände für die Öffentlichkeit zugänglich machen, die Empathie erzeugen – auch in der Politik.

Bisschen Reform ist drin – vielleicht dank #IchbinHanna

Streiks, Arbeiteraufstände, Kämpfe für Gerechtigkeit, eigentlich das perfekte Thema für Sozialdemokraten und andere Linke, eben für eine rot-rot-grüne Regierung. In Berlin bildet R2G die Stadtregierung, und es gibt eine Reform des Hochschulgesetzes. Alle Probleme werden mit ihr jedoch nicht gelöst.

Fangen wir klein an. Das Berliner Hochschulgesetz hat einen neuen Namen: Gesetz zur Stärkung der Wissenschaft. Ein wenig Pathos schwingt da mit, aber das ist man von Reformen gewohnt. Interessanter ist ohnehin der Inhalt. Wissenschaftler:innen müssen seit der neuen Regelung künftig nach Abschluss ihrer Promotion unbefristet beschäftigt werden oder eine Perspektive auf Entfristung bekommen. Vorher stand ein Kann anstelle des Müssens. Nun hassen Arbeitgeber:innen Zwänge. Die Reform sehen sie entsprechend kritisch. In einem Änderungsantrag schreibt zum Beispiel die Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen, dass unbefristete Stellen ein begrenztes Gut seien. Ähnlich formuliert es der Präsident der Universität der Künste.

„Natürlich müssen wir davon ausgehen, dass wenn wir mehr unbefristete Stellen für Promovierte schaffen, diese auch sehr begehrt sind und nicht alle Wissenschaftler:innen eine Stelle erhalten können“, sagt Jule Specht. Die Psychologin und Professorin an der Humboldt Universität engagiert sich seit mehreren Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. „Künftig wird es mehr Wettbewerb um die Stellen direkt nach der Promotion geben, das hat vor allem Vorteile.“

Jule Specht engagiert sich seit Jahren für bessere Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft. Sie selbst ist an der Humboldt Universität angestellt. Foto: Jens Gyarmaty

Ein Vorteil dahingehend, dass sich leistungsstarke, besonders fleißige Menschen durchsetzen können. Vorher waren gute Leistungen kein goldenes Ticket für eine unbefristete Stelle. Mehr spielte enormes Glück (oder weniger esoterisch: das richtige Timing) eine Rolle. Es gibt also neue Regeln für den Stellenwettbewerb. Der Nachteil an ihnen: Menschen, die ebenso Potenzial haben, können sich eventuell nicht durchsetzen. Eine Wettbewerbsprämisse ist leider, dass es auch Verlierer:innen geben muss.

Ein Fortschritt ist es dennoch, wenn auch ein kleiner. Bisher ist die Reform nur in Berlin in Kraft. Specht kann sich jedoch vorstellen, dass andere Länder mitziehen. Allerdings kommt es da drauf an, wer in der Regierung sitzt. In Berlin waren CDU und FDP gegen eine Reform des Hochschulgesetzes. „Alternativen boten sie aber nicht“, sagt Specht. Schade eigentlich. Mathias Berek hätte diesbezüglich eine Idee: „Wir könnten etwa über Teilprofessuren nachdenken.“ Teilten Professor:innen ihre Stellen auf, gäbe es ein größeres Angebot. Das käme auch dem Nachwuchs zugute.

Mit Spaß an der Sache

Immerhin gibt es viele Gründe, in diese einzusteigen. Für Nadine Meyer ist es etwa die Freiheit, sich mit einem Thema zu beschäftigen, das ihr am Herzen liegt. So sieht es auch Mathias Berek: „Trotz aller Lücken und Durststrecken, die ich beruflich durchmachte, macht mir Forschen am meisten Spaß. Ich kann mich dem widmen, was mich begeistert.“ Er kann sich nicht mehr vorstellen, etwas anderes zu machen. Die Begeisterung förderte bei ihm ein Professor, der ihn als studentische Hilfskraft eingestellt hatte – wie übrigens auch bei Jule Specht. Die Magie der Mister-Miyagi-Momente. Sie sind nicht zwangsläufig nötig, können aber helfen, Leidenschaft anzuheizen.

Specht versucht deswegen, ihre studentischen Hilfskräfte ebenso zu fördern: „Bei mir können sie sich zudem eigenen kleinen Forschungsprojekten widmen, dadurch die Ups und Downs wissenschaftlicher Arbeit kennenlernen.“ Wichtig ist aber auch, sie über die schwierigen Rahmenbedingungen aufzuklären.

Gelegentliche Arbeitslosigkeit, die Selbstbehauptung in der Ellbogen-Gesellschaft des akademischen Betriebs, der Stress mit Formularen verlangen einiges ab. Fragwürdig, ob jemand freiwillig ein solches Arbeitsleben in Wirtschaftsunternehmen in Kauf nehmen würde. Es sind weitere Reformen nötig. Dann wandert der Nachwuchs auch nicht ab, und der Innovationsmotor an den Unis läuft fleißig weiter.

*Name durch die Redaktion geändert


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