Ob Kellnern oder an der Kinokasse sitzen: In Corona-Zeiten sind einst typische Studentenjobs rar geworden. Zugleich aber entstanden auch ganz neue Stellen. Eine Bestandsaufnahme.
„Und was genau machst du da?“ Eine Frage, die Lene* ständig hört, wenn sie von ihrem Studentenjob erzählt. Denn die Studentin hat eine Stelle, die es bis vor wenigen Monaten so eigentlich noch nicht gab: Hygienebeauftragte bei Dreharbeiten. Die 25-Jährige achtet darauf, dass der Dreh „corona-konform“ abläuft.
Dazu gehört unter anderem, dass sie alle notwendigen Oberflächen regelmäßig abwischt. Oder checkt, ob beim Catering die Lebensmittel einzeln verpackt sind. Außerdem hat sie ein Auge darauf, dass das Team mit Masken, Desinfektionsmittel und Handschuhen ausgestattet ist. „Es ist schon absurd, dass ich wegen Corona meinen Job verloren habe und jetzt quasi einen Corona- Job habe“, erzählt sie.
Jetzt kann sie darüber lachen. Im Frühjahr sah die Lage noch anders aus. Damals jobbte Lene neben ihrem Regiestudium an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in einer Neuköllner Boutique. Von einem Tag auf den anderen war damit Schluss. „Ich hatte nicht gleich Existenzängste, aber wenn ich mehr als wohnen und Nudeln mit Tomatensoße essen will, musste ich arbeiten“, sagt sie. Ihr Bafög-Satz deckt die Zimmermiete und Einkäufe ab. Alles, was darüber hinausgeht – wie Semesterbeiträge, Handyrechnung oder Freizeitaktivitäten – finanziert sie durch den Job. Ihre Eltern will sie nicht um Geld bitten.
Viele sind auf Studentenjobs angewiesen
So wie für Lene war es für 68 Prozent der 2,9 Millionen Studierenden in Deutschland selbstverständlich: neben der Uni zu arbeiten. Die Zahl stammt aus der jüngsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks (DSW) von 2016 und dürfte seitdem eher zu- als abgenommen haben. Von den 190.000 Berliner Studierenden gehen sogar rund drei Viertel einer Nebentätigkeit nach. Häufiger als in anderen Bundesländern sind hier viele darauf angewiesen, auf diese Weise mindestens einen Teil des Lebensunterhalts zu bestreiten.
Gerade in Branchen wie der Gastronomie und dem Tourismus und sowie im Veranstaltungssegment sind sehr viele Studierende beschäftigt. Genau in die-sen Gewerben wären von einem Tag auf den anderen die Jobs weggebrochen, berichtet Eckhard Köhn, Ge-schäftsführer von Studitemps, dem größten studen- tischen Personaldienstleister in Deutschland.
Nur wenige Branchen bieten krisensichere Studentenjobs
Nur in zwei Bereichen sei der Bedarf an studentischen Aushilfskräften geradezu explodiert: im Lebensmitteleinzelhandel und in der Logistik. Die dortigen Fachkräfte füllten leergehamsterte Regale auf, kassierten an Theken und halfen in Warenlagern aus.
„Durch die Krise lernten viele diese zwei enorm wichtige Branchen kennen, die sie zuvor nicht auf dem Schirm hatten“, sagt Köhn. Studentische Aushilfen gewinnen dabei Einblicke in Branchen jenseits der üblichen Favoriten, jenseits von Mercedes, Siemens oder KPMG. Und es sind Branchen, die sich zumindest in der Pandemie als krisensicher erwiesen haben.
Neue Studentenjobs in der Kreativbranche, die es zuvor nicht gab
Lene hatte zunächst nicht aktiv einen neuen Job gesucht, sondern auf ihren alten Arbeitsplatz in der Boutique spekuliert, sobald diese wieder öffnen durfte. Allerdings beschloss ihre Chefin aus wirtschaftlichen Gründen, selbst im Laden zu stehen.
Zu Lenes Glück, wie die Studentin sagt. Denn sonst hätte sie ihrem Kumpel wahrscheinlich nicht zugesagt, als dessen Produktionsfirma wieder Aufträge bekam und dringend eine Hygienebeauftrage brauchte. Dafür hat sie auf Kosten der Firma einen mehrstündigen Online-Kurs absolviert. Andere studieren teilweise einfach nur ein Regelwerk, das in einem pdf-Dokument gespeichert ist, wie sie von Kolleg*innen weiß. „Es ist ein entspannter und verdammt gut bezahlter Job“ schwärmt Lene. Für die Tagesgage von 250 Euro hätte sie vier Tage in der Boutique stehen müssen.
Bezahlung und Stresslevel hingen natürlich von der Größe und Art der Produktion ab. Seit Juni hatte sie sechs Drehtage bis Ende Oktober für Werbung oder Webformate, und es stehen wieder neue an.
18 Prozent der Studierenden haben ihre Jobs verloren
Dabei können nach wie vor längst nicht alle arbeitslos gewordenen Studierenden wieder einen Nebenverdienst finden. Der Boom in den wenigen Branchen fängt die Verluste nicht auf. Köhn rechnet mit insgesamt 17 Prozent weniger Jobs, solange Gastronomie und die Veranstaltungsbranche noch mit angezogener Handbremse wirtschaften und auch zahlreiche Unternehmen bei Neubesetzungen von Werkstudenten-Stellen noch zurückhaltend sind.
Wie viele Studierende unter Arbeitslosigkeit leiden, variiert in den bisherigen Umfragen. So haben laut einer Befragung des Jobportals Stellenwerk, das mit 17 Universitäten und dem Studierendenwerk Berlin kooperiert, rund 18 Prozent ihre Stelle verloren. Zu den Befragten gehören hier auch Absolventen. Eine ebenfalls repräsentative Umfrage des studentischen Personaldienstleisters Zenjob geht von 40 Prozent aus. Eine ähnliche Dimension, 35 Prozent, verzeichnet eine Studie der JuSo-Hochschulgruppen.
Finanzielle Unterstützung nicht für alle
Die Bundesregierung reagierte auf die finanzielle Not vieler Studierenden im Juni 2020 mit der Vergabe zinsfreier Kredite der KfW-Bank und der Einführung eines Überbrückungsgeldes von bis zu 500 Euro jeweils für Juni, Juli, August und September, das nicht zurückgezahlt werden muss. Wer jedoch nicht nachweisen konnte, dass er oder sie erst durch die Pandemie in finanzielle Probleme geraten ist, ging leer aus.
120.000 Studierende haben die Hilfe des Bundesbildungsministeriums in Anspruch genommen. Weitere staatliche Hilfen sind vorerst nicht in Sicht. Zugleich wurden nach Angaben der KfW-Bank zwischen Mai und September rund 30.800 Anträge auf einen KfW-Studienkredit gestellt. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum 2019 waren es 8.500.
Die E-Commerce-Branche boomt
Wer sich nicht verschulden will und zum Semesterstart in der Hauptstadt einen Job sucht, hat nach Zahlen von Studitemps trotz des abgeflauten Booms im Supermarkt, Lager oder bei Lieferdiensten noch gute Chancen.
Dies bestätigt Fritz Trott, Mitgründer der digitalen Leiharbeitsfirma Zenjob. Zudem laufe es für den E-Commerce-Bereich während der Krise sogar noch besser. Online-Versandhändler benötigten studentische Hilfskräfte nicht nur in den Lagern, so Trott. Sondern bieten Studentenjobs auch im Kundenservice, für administrative Tätigkeiten im Büro und für die Auslieferung.
Er zeigt sich trotz der unsicheren Lage dennoch optimistisch: „Service ist nach wie vor das große Thema. Es ist eben nicht mehr so sehr Service im Café, sondern Service heißt jetzt: Ich kann mir heute alles online bestellen und morgen ist es da. Das zu gewährleisten, erfordert unglaublich viel Personal und schafft auch eine Menge neuer Studentenjobs.“
Im Fall von Justus* wollen die Kund*innen ihre bestellte Ware besonders schnell erhalten. Der Biotechnologie-Student wird von seinen Eltern finanziell unterstützt, doch die Studiengebühren für ein geplantes Medizinstudium im Ausland soll er zum Teil selber finanzieren. Über Zenjob erhielt er Jobs als Fahrer bei einem Lieferdienst für Getränke. Mittlerweile wurde das Start-up Durstexpress von Dr. Oetker geschluckt, gute Verträge gekündigt.
Flexibilität steht bei Studentenjobs an oberster Stelle
Große Ansprüche hatte Justus bei der Suche nach einem Studentenjob nicht. „Ich habe in wenigen Bereichen Erfahrung und bin bereit, alles Mögliche zu machen. Am wichtigsten ist für mich gerade Flexibilität“ sagt der 21-Jährige. Flexibel, individuell und leicht verfügbar – diese magische Formel der Digitalisierung auf die Jobsuche zu übertragen, ist das Credo des Berliner Start-ups Zenjob. Seit 2015 vermittelt es studentische Aushilfskräfte für kurzfristige Beschäftigungen über eine App an Unternehmen.
Damit treffen sie die Bedürfnisse nach digitalen Angeboten sowie Ansprüche an Nutzeroberflächen von einer durch Netflix, Instagram und Co. geprägten Generation. Nach der Registrierung erhalten die Studierenden zu ihrem Profil passende Stellen angeboten, die sie bei Interesse annehmen und je nach Job schon am nächsten Tag beginnen können.
Am Steuer eines Transporters
Kurzfristige Einsätze, begrenzte Tätigkeit und schnell wechselnde Arbeitgeber gelten als Nachteile der Zeitarbeit, dem primären Beschäftigungsmodell von Zenjob oder auch Studitemps. Für Studierende ist dieses allerdings attraktiv, weil sie sich nicht mit Bewerbungen herumschlagen müssen. Und sie müssen sich nicht von verpflichtenden Schichtplänen einengen lassen. Die Pandemie habe Unternehmen in gewisser Weise beschleunigt und dazu gezwungen, sich auf solche digitalisierten Bewerbungsprozesse einzulassen, meint Trott.
Nach drei Tagen Einarbeitung saß Justus allein am Steuer eines Kleintransporters und fuhr Getränke durch die Stadt. Man müsse schon körperlich fit sein für das Beladen des Autos und die anschließende Schlepperei der Kisten. Nicht selten wohnten die Kund*innen in Berliner Altbauten ohne Fahrstühle, erzählt der Student.
Eine gewisse Stressresistenz brauche man für solche Studentenjobs auch. Denn die meiste Zeit verbringt Justus im trubeligen Berliner Verkehr. „Ich bin gerne auf der Straße unterwegs“, sagt er. Außerdem mag er den abwechslungsreichen Kontakt mit den Kund*innen – vom Rentner bis zur Bürogemeinschaft in einer Großkanzlei. Das Gehalt sei mit 13,50 Euro die Stunde auch recht gut. Seine Schichten plant er von Woche zu Woche, so wie es ihm eben passt.
Alternative Studentenjobs: Sich selbstständig machen
Später möchte er sich allerdings einen Job suchen, der näher an den Inhalten seines Studiums ist. Solche meist als Werkstudent angebotenen Stellen sind bei allen begehrt, die ihr Wissen in der Praxis anwenden, Berufserfahrung und Kontakte sammeln wollen.
Eine andere Möglichkeit ist die Selbständigkeit. Die hätten Studierende noch viel zu wenig auf dem Schirm, sagt Paul Weinreich. Er hat neben seinem Studium als Freiberufler gearbeitet, bevor er zusammen mit Freunden 2015 „Freelance Junior“ gründete, eine Plattform für studentische Selbstständige. Allerdings bewirke die Pandemie ein Umdenken, hat der Unternehmer beobachtet.
Viele Studierende mussten zwangsläufig nach Möglichkeiten des Geldverdienens abseits der typischen Pfade suchen. Viele Chefs hätten durch das Homeoffice-Modell gesehen, dass gute Zusammenarbeit auch ortsunabhängig funktionieren kann. Sie wären eher bereit, Aufträge an freie Mitarbeiter*innen herauszugeben, die nicht im Büro sein können. „Zu Beginn der Krise haben wir auf beiden Seiten doppelt bis dreifach so viele Anfragen erhalten“, sagt Weinreich.
Zwei Drittel der Nutzer*innen von Freelance Junior kommt aus den Bereichen IT und Design, die übrigen sind Fotograf*innen, Texter*innen oder Übersetzer*innen.
Selbstständigkeit als Experiment
Eine davon ist Lina. Sie studiert Marketing und Kommunikation. Da es sich um ein duales Studium handelt, verdient sie bereits Geld. Aber das Pendeln zwischen ihrer Uni in Ravensburg und ihrem Arbeitgeber in Berlin kostet. Manchmal muss sie sogar zwei WG-Zimmer gleichzeitig bezahlen.
Neben dem finanziellen Aspekt ist die 22-Jährige vor allem von dem Wunsch angetrieben, sich etwas Eigenes aufzubauen. Zusammen mit ihrem Freund Thomas, der als Programmierer neben der Uni jobbt, hat sie eine Service-Agentur für die Erstellung und Betreuung von Webseiten gegründet. „Wir wollen gucken, was wir hinbekommen und uns ausprobieren“, sagt Lina, die sich neben dem Studium das Know-how für die Gestaltung von Websites angeeignet hat.
Auf den üblichen Freelance-Plattformen hatte sie neben den Profis keine Chance. Über „Freelance Junior“ hat sie sich bisher auf ein großes Webdesign-Projekt beworben und gleich den Zuschlag bekommen. „Der Kunde kann nicht das Allerbeste erwarten. Aber er kann schon gute Arbeit erwarten. Das nimmt den Druck raus und verringert die Konkurrenz ”, sagt Lina.
Es muss nicht immer der Vollprofi für 100 Euro die Stunde sein, und auch noch unerfahrene Studierende können kleine Aufträge gut meistern, erklärt Weinreich die Grundidee hinter „Freelance Junior“. Die scheint bisher gut aufzugehen. Zu den Kunden gehören Privatleute ebenso wie Dax-Konzerne. Für ihre Leistung verlangen die Studierenden meist zwischen 20 und 60 Euro pro Stunde. Die Auftraggeber zahlen für die Vermittlung 20 Prozent Servicegebühr obendrauf.
Es braucht ein bisschen Mut
In ihrem Freundeskreis ist Lina bisher die einzige, die als Freiberuflerin zusätzlich Geld verdient. „Es braucht schon etwas Mut, eigenverantwortlich echte Kundenaufträge anzunehmen, die man potenziell auch richtig versemmeln könnte” sagt sie. Selbstständigkeit erfordert zudem eine Anmeldung beim Finanzamt; man muss eine Steuererklärung aufsetzen.
Für viele sei diese unternehmerische Bürokratie sicherlich eine zu große Hürde, sie bleiben lieber bei regulären Studentenjobs. Wem jedoch freie Zeiteinteilung und berufliche Weiterentwicklung wichtig sind, sollte sich davon nicht abschrecken lassen, empfiehlt sie. Zudem hilft „Freelance Junior“ bei Formalitäten.
Wie es auf dem studentischen Arbeitsmarkt weitergehen wird, hängt von der Entwicklung der Pandemie ab. Niemand vermag zu sagen, wann die Normalität wieder zurückkehrt. Oder welche Branchen nach einem Ende der Krise noch unter einer Katerstimmung leiden – und welche aufblühen.
* Name von der Redaktion geändert
In der Krise haben Studierende neue Hobbys für sich entdeckt. Tobias Sanberger stellt eigenen Gin in der WG her. Studentenzimmer werden in Berlin immer teurer. Gegen steigende Mieten fordert eine Initiative einen Volksentscheid zur Enteignung von Deutsche Wohnen. Kein gewöhnlicher Job, und auch den besten Ruf hat die Arbeit nicht. Warum wollen junge Menschen zur Polizei?