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Studentenleben im Jahr 2021: So geht es raus aus der Isolation

Wie hat man trotz der derzeitigen Situation ein Sozialleben? Unser Autor, Student an der Universität der Künste, erzählt von heimlichen Partys, virtuellen Beziehungen, Brett­spielen – und der Sehnsucht nach Entgrenzung

Geselligkeit im Lockdown: digitale Sauf-Konferenzen über alle Grenzen hinweg. Foto: Imago Images/Hans Lucas
Geselligkeit im Lockdown: digitale Sauf-Konferenzen über alle Grenzen hinweg. Foto: Imago Images/Hans Lucas

Die Bettdecke ist wie ein wärmender Kokon, zum Glück. Das gibt das Gefühl von Sicherheit. Die Zehen fühlen eisige Temperaturen außerhalb des Bettes und ziehen sich zurück in den Schneckenbau. Der Wecker hämmert, verstummt mit dem vierten Snoozebefehl, in wenigen Minuten ist Vorlesung. Die Abwechslung des ersten Corona-Semesters ist mittlerweile dahin, der Blick ins Ensemble der verschlafenen Kommiliton*innen zeigt den Wandel im digitalen Hörsaal: Einige sitzen erkennbar im Bett, eine bereitet sich gerade ihr Frühstück zu, eine andere schaltet sich aus dem Zug zu. Fehlt noch, dass im Hintergrund jemand nackt durchs Bild läuft.

Geselligkeit stellt das Seminar zu Digitalisierung im Journalismus, das ich gerade an der Universität der Künste belege, kaum her. Auch wenn Kontakt mit derart vielen Bildschirmkacheln respektive der Menschen dahinter selten geworden ist. Insgesamt ist es still geworden. Der Mitbewohner und Freund, der im letzten Jahr noch regelmäßig „Was kochst’n heute?“ fragte – er wohnt mittlerweile woanders, alleine. Und der jetzige Mitbewohner verbringt den kompletten Tag im Büro. Geselligkeit, Sozialleben? Was ist das überhaupt?

In meinem Freundeskreis gab es Zoom-Besäufnisse, es wurde kurz die App Houseparty ausprobiert und, natürlich, Spaziergänge gibt es immer noch zuhauf. Mittlerweile, wenn der Landwehrkanal oder das Tem-pelhofer Feld allzu übervölkert sind, mit Maske. Die geschlechtsübergreifenden Mädelsabende, bei denen wir uns teils zu zwanzigst mit Bellini und Popcorn zum wöchentlichen Sendetermin von „Germany’s Next Topmodel“ verabredeten, sind erst mal passé. Der Volkssport des Flanierens ist dagegen immer noch möglich, und wir nutzen ihn.

Konsolen und Brettspiele überall

Einer dieser Spaziergänger ist Dennis, den ich im erweiterten Freundeskreis kennen und bei gemeinsamen Nebenjobs schätzen lernte. Seine Vierer-WG garantiert ihm etwas Sozialleben. Aber abseits davon? Essen, kochen, backen, damit verbringt er seine Zeit. Sonst natürlich die Uni. Dennis flüchtet sich aber auch in Spiele, online wie analog. Fast alle Freunde haben eine Konsole, treffen sich abends zum gemeinsamen Erkunden der Onlinewelten, besiedeln einsame Inseln, versuchen, digitale Burgen einzunehmen oder schießen sich gegenseitig nieder. Kommuniziert wird via Headset, über systemeigene Chatrooms oder Discord-Server. Das ist ein bisschen wie Konferenzschaltung, nur dass auf dem Bildschirm nicht das Konterfei des Gegenübers aufleuchtet, sondern die Spielwelt, die man gemeinsam erkundet. Die traditionell jugendlichste aller Berieselungsformen ist fernab von Gaming-Stühlen und Energydrinks zur etablierten Beschäftigung geworden.

Aber auch Brettspiele sind wieder äußerst beliebt, in Berlin gibt es einige Brettspiel-Fachgeschäfte. Etwa alle zwei Wochen trifft sich Dennis zu dritt, zu viert, je nach Infektionsgeschehen. Die Begeisterung entfachte sich schon zu Teenager-Zeiten in seinem saarländischen Kinderzimmer, die meisten potenziellen Spielpartner wohnen immer noch da. Mit denen hat Dennis sich zu Anfang der Pandemie noch digital vernetzt, über Tabletop-Simulatoren Brettspiele online gespielt. Ein wirklicher Ersatz ist das aber nicht.

Einstieg waren bei ihm allerdings nicht übliche Klassiker wie „Siedler von Catan“ oder „Monopoly“, sondern das etwas ironischere Brettspiel „Munchkin Quest“ – dabei schlüpft man in die Rolle von Comic-Figuren, die Abenteuer erleben. Heute spielt die kleine, eingeschworene Runde hauptsächlich Strategiespiele wie „Through the Ages“ oder „Scythe“, aber auch gerne Kartenspiele mit komplexerem und ernstem Setting – „Aeons End“ lässt Fantasiewesen gegeneinander antreten, „La Cosa Nostra“ begibt sich in die Tiefen der organisierten Kriminalität. Letzteres wurde übrigens per Crowdfunding von einem Berliner Grafikdesigner entwickelt.

Das Studentenleben während Corona findet unter anderem am Landwehrkanal statt. Foto: Imago Images/Jürgen Held
Das Studentenleben während Corona findet unter anderem am Landwehrkanal statt. Foto: Imago Images/Jürgen Held

Draußen entfaltet sich entlang des Landwehrkanals bei gutem Wetter Volksfest-Atmosphäre. Dort, wo Sonne ist, bilden sich Trauben, immerhin ist sie kostenlos. Flaschen kreisen, es wird rumgekumpelt. Definitiv auch eine Form von Geselligkeit. Dazwischen laufen wir mit unseren Masken herum und fühlen uns etwas fremd. Anna ist nicht im Pulk, sie hat sich zuhause verbarrikadiert. Klar trifft sie Menschen, vornehmlich draußen. Und ein paar wenige im Innern, manchmal, zum Coworking, mittlerweile nur noch einzeln. Ansonsten hängt sie tatsächlich noch Videocalls dran, notgedrungen. Mit Freund:innen auf anderen Kontinenten.

Überhaupt hängen wir alle viel mehr auf Social Media ab. Wahrscheinlich zu viel, in ungesundem Ausmaß. Dann wiederum sind soziale Medien im Moment das einzige Portal zum (zügellosen) sozialen Austausch. Wenn ich an meinen teils manischen Medienkonsum denke, muss ich dem beipflichten. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass solche Gespräche nun ausgerechnet via Instagram stattfinden.

Anna spricht wahrscheinlich vielen aus der Seele, wenn sie einerseits ihre steigende Abhängigkeit bemerkt, aber auch, dass das Digitale derzeit die einzige Möglichkeit ist, nicht den Kontakt zur Außenwelt zu verlieren. Werden wir zu Inseln? Jedenfalls merke ich auch, wie schwerfällig alles zusehends wird und denke mit Sentimentalität an das letzte Frühjahr, als alles etwas temporärer und machbarer erschien. Vor allem aber, als die Isolation mehr beflügelnd als lähmend war. Wir sitzen am Schreibtisch, wir liegen auf dem Bett, wir tippen auf Bildschirmen und Tastaturen herum. Beinahe erfahren wir das Gefühl von innerer Wärme, wenn Apps vermelden, dass die Person am anderen Ende im Begriff ist zu antworten.

Gemeinsam Schweigen tut auch gut

Anna zum Beispiel ist normalerweise ein „Go-Getter“. Sie ist strukturiert, motiviert und aktiv – zumindest eigentlich. Mittlerweile jedoch hat sie schon morgens keine Lust mehr auf den Tag und schlurft nur durch ihr Zimmer, an besseren Tagen zum Coffee-shop um die Ecke. Unter ihren Freund:innen wird eine etwas schräge Selfcare-Praxis gepflegt: Sich Festivaltickets für den Sommer kaufen. Wohlwissend, dass sie nicht stattfinden werden, einfach, um wieder etwas wie Vorfreude zu empfinden. Vielleicht aus Angst davor, die „goldene“ Jugend zu vergeuden? Sich digital gegenseitig sein, ihr Leid klagen, das mag helfen, aber wirklich gesellig ist es auch nicht.

Mit Johannes habe ich einen „Supper Club“ gegründet und bereits den ein oder anderen Schlemmerabend mit ihm verbracht. Knödel und Cocktails gegen die Einsamkeit. Mit ihm, diesem treuen Freund aus dem Bachelorstudium, ergab sich also ein kulinarischer Pakt – gemeinsam den Magen schließen, ob nun aufwändig selbst gezaubert, Verlegenheitspasta oder Bestellorgie. Das Essen mag vielleicht der übergeordnete Anlass sein, eigentlich ist es Vehikel für Zeit zusammen. Die mitunter auch mal recht wortkarg ausfällt – beide auf dem Sofa, in ihre Endgeräte vertieft. Deppert grinsend halten wir uns hin und wieder den Bildschirm hin und kichern über den Netzfund des anderen. Selbst die passive Geselligkeit hat einen balsamierenden Effekt auf uns. Manchmal tut es einfach gut, jemanden neben sich zu wissen.

Nähe dank Technik

In einem unserer endlosen Gespräche sinnieren wir über Liebe in diesen Zeiten. Johannes sieht seine Freundin meist nur an den Wochenenden, sie wohnt nach wie vor in Nordrhein-Westfalen. Wie es Fernbeziehungen über Ländergrenzen hinweg wohl gerade geht? Johannes hat einen Freund, dessen Partnerin im Ausland lebt. Schon vor der Pandemie war diese Beziehung schwierig zu händeln, jetzt, mit Quarantäne-Bestimmungen und Reisebeschränkungen, ist sie emotional fordernd.

Liebe in Zeiten der Pandemie läuft sehr oft über dem Bildschirm. Foto: Imago Images/Panthermedia
Liebe in Zeiten der Pandemie läuft sehr oft über dem Bildschirm. Foto: Imago Images/Panthermedia

Die beiden haben sich einen digitalen Alltag gebaut. Facetime läuft mehrere Stunden täglich, allerdings im Hintergrund. Beide arbeiten,kochen, lesen vor sich hin, schauen hin und wieder in die Kamera, teilen Einfälle, versinken wieder ins eigene Leben. Mal geht eine Person aus dem Raum, kommt irgendwann polternd wieder. Trotz aller Widrigkeiten: Die digitale Fernbeziehung funktioniert erstaunlich gut. Und es klingt in unserer neuen, distanzierten Lebensform tatsächlich etwas romantisch – ist es doch im Grunde die digitale Version des Miteinanders, das Johannes und ich regelmäßig pflegen.

Selbst gemeinsam Filme schauen oder Musik hören ist inzwischen auf Distanz möglich: Apps synchronisieren Spotify-Accounts. Ganz schön kompliziert, das alles. Auch ein Kater ist dieser Tage übrigens doppelt schwer, wenn das Ritual von fettigem Essen und kollektiven Seufzern entfällt. Beim Durchschauen von Instagram-Storys – mal wieder Social Media – fällt mir Linda auf. Normalerweise sehe ich Linda als Kachel mit wechselnden Tapeten im Seminar. Und in der „Freizeit“ sehe ich sie und ihre Mitbewohnerinnen dann die Choreografie zum „Ketchup Song“ nachtanzen. Diesmal allerdings als vertikale Kachel – anderes Endgerät, anderes Format.

Ich sehe Alma, den niedlichen Hund der WG, ich sehe ein stilvoll eingerichtetes Wohnzimmer mit alten Möbeln. Und sonst nicht viel. Weil es tatsächlich auch nicht viel mehr gibt. Spazieren gehen, durchaus auch mit Glühwein und vielen Pulloverschichten (was sind eigentlich Winter-jacken?). Kochen, arbeiten, die Wohnung zum Projekt machen. Drinnen trifft die Wohngemeinschaft niemand, bis auf die Ausnahme eines PCR-getesteten Langzeitbesuchs aus dem Freundeskreis. Um der irgendwie doch etwas belebteren Isolation zu dritt zu entfliehen, wollten sie sich nun Schnelltests anschaffen: Mehr Leben, mehr Menschen, bei relativer Sicherheit.

Die einen halten sich peinlich genau an die Regeln, andere pfeifen drauf

Es ist paradox. Wir wägen Treffen mit Freund*innen genau ab, wir zählen Tage, horchen in unseren Körper, überprüfen Kontaktcluster. Während ein Teil von uns eine regelrechte Sozialphobie entwickelt und Menschenmassen plötzlich verdächtig erscheinen, gibt es andere Leute, die täglich ins Büro fahren, obwohl sie nicht müssten, und danach zu Freund*innen, tags darauf zur nächsten Verabredung. Die auf private Weinpartys gehen, von dort Fremde mit in die eigene Wohnung nehmen, die Nacht durchfeiern. Und das – da wäre es wieder – auf Social-Media-Kanälen posten, ganz so wie früher, wie immer. Das mag frustrieren, gar Wut schüren, wo sich ohnehin Frustration anstaut. Darüber, dass der Alltag schwindet.

Die Utopie, die Idee einer besseren Gesellschaft trotz Corona, ist womöglich flöten gegangen. Zu unersättlich ist die Sehnsucht nach Berührungen, nach Ausgelassenheit, nach Entgrenzung. Etwas aber bleibt: Viele achten mehr auf ihr Gegenüber. Wir hören einander aufmerksamer zu. Es ist normaler geworden, Leuten, die Forderungen stellen, auch einmal einen ehrlichen Satz wie „das kann ich gerade nicht“ zu entgegnen. Und, aber da wären wir wieder bei der Utopie: Wollen wir wirklich alles wieder so wie „früher“? Vielleicht lernen wir gerade, uns von Maßlosigkeit zu verabschieden. Im Kleinen zumindest.

Der Text stammt aus unserem aktuellen Campus Magazin. Dieses könnt ihr euch kostenlos als E-Paper hier downloaden.

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