Da soll doch einer sagen, die Politik mache nichts, sie lasse uns im Stich. Man muss schon wirklich in diesen Tagen ein Höchstmaß an Politikverdrossenheit mitbringen, um überhaupt auf diese Idee zu kommen, Politikern eine Mitschuld für die Corona-Misere zu geben. Erst recht nicht in Berlin.
Das meine ich völlig frei von Ironie und Zynismus und denke da nicht mal nur an Berlin oder Deutschland. Ob chinesische Kommunisten, rechtskonservative Israelis, die populistischen Italiener oder Österreicher, der spanische Sozialist Pedro Sánchez und selbst der eigentlich unbelehrbare und politikverdrossene Donald Trump, sie alle reagieren in einer Heftigkeit und Schnelligkeit auf die Bedrohung durch das Corona-Virus, dass es einem den Atem verschlägt.
Sie tun es, ohne groß Rücksicht auf die Wirtschaft zu nehmen. Ja, es werden Hilfsprogramme angekurbelt und das ist richtig so, doch angesichts der Pandemie, steht eindeutig der Mensch im Mittelpunkt. Der Schutz vor Erkrankung und nicht ökonomische Interessen. Die Kurse fallen, die Krankenhäuser werden voller. Der Welthandel und die Produktion wurden in die Schranken gewiesen. Das ist im Zeitalter der Globalisierung und des allmächtigen Kapitalismus eine Überraschung.
Corona-Misere: Nicht komplett vorbereitet auf solch eine Pandemie
Natürlich kann man mit einer Portion Zynismus feststellen, dass solche Maßnahmen und politischen Anstrengungen erst dann zum Zuge kommen, wenn die Bedrohung uns Europäer betrifft. Wenn die „Erste Welt“ im Visier steht, dann geht es plötzlich. Von Kitas bis zu Landesgrenzen wird alles dicht gemacht, Menschen ins Home Office geschickt. Das öffentliche Leben steht still. Zumindest weitgehend, sieht man von den Prenzlauer Bergern ab, die am Wochenende noch dichtgedrängt vor einer Hipster-Eisdiele anstanden.
Es wird gehandelt und auf Experten gehört. Das ist kein ausdrückliches Lob an eine bestimmte Partei oder politische Strömung. Sicherlich werden auch stellenweise Fehler begangen oder dumme Dinge gesagt und ja, wir sind als Gesellschaft nicht zu hundert Prozent auf eine Krise dieser Größenordnung vorbereitet. Mein Eindruck ist dennoch, dass die Politik, damit ist auch ausdrücklich der Berliner Senat gemeint, trotz der immensen Herausforderung und der einhergehenden Überforderung, alles tut, was man tun kann. Und dass dies, zumindest in Berlin, besonnen und dennoch durchgreifend geschieht.
Corona-Misere: Der mündige Bürger muss Verantwortung übernehmen
Wir werden sehen, was die Zukunft noch bringt und es mögen Tragödien und Vernachlässigungen sein, es wird Verschwörungstheorien geben und auch Profiteure, aber im Moment fühle ich mich als Berliner gut aufgehoben in dieser Stadt und ein großer Teil der Dinge, die es zu tun gibt, liegt auch in unseren, hoffentlich stets ordentlich gewaschenen Händen. Wir sollten nun wirklich den Ruf hören und nicht unnötiger Weise rausgehen und tatsächlich soziale Kontakte meiden. Der mündige Bürger muss jetzt auch Verantwortung übernehmen, so die demokratische Losung, die ich gerne unterschreibe.
Ich bin Mitte 40, als Kind habe ich erst die Streiks der „Solidarnosc“ an der Danziger Werft gesehen und einige Jahre später, den Fall der Berliner Mauer. Zwei historische Ereignisse von globaler Bedeutung. Doch noch nie habe ich so etwas wie jetzt erlebt. Ein völlig aus der Bahn geworfener Alltag, ein alles beherrschendes Thema, eine diffuse Angst um sich, um seine Kinder, Freunde, Eltern. Noch nie hat unsere Generation so etwas erlebt. Es gab den 11. September und Tschernobyl, aber beides war weit weg und nicht derart konkret spürbar.
Die Corona-Pandemie ist kein Krieg, das wird jeder bestätigen, der einen Krieg erlebt hat. Die meisten von uns haben das aber nicht. Deshalb fühlt sich die Situation ein klein wenig wie Krieg an. Doch in diesem Krieg ist der Feind ein kleines Virus und kein anderer Mensch, das macht mir Hoffnung und ich traue der Politik gerade zu, dass sie diese Krise meistert. Ich tue es jedenfalls heute.
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