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Ranfahren, mitfeiern?

Drive-in-Kultur: Warum Berlin weder Auto-Raves noch Auto-Konzerte braucht

Wo sind wir eigentlich? Berlin, das ist doch die Hauptstadt des Feierns, des Exzesses, der Nacht. Unsere Clubs sind weltberühmt, die größten Musiker*innen kommen genauso bei uns rum wie die neusten Indie-Hypes. Wer hier nicht tanzt, springt, mitsingt, ist klinisch schon lange tot. Nur jetzt blamieren wir uns richtig. Denn während andere Städte die Drive-in-Kultur zelebrieren, bleibt bei uns der Motor aus. Auto-Rave? Pkw-Disco? Kombi-Konzert? Wir verpassen gerade einiges, oder?

Parkendes Publikum beim Alligatoah-Konzert in Hannover. Ist Drive-in-Kultur das neue Leben? Foto: Imago/Future

Hauptstädter*innen sind ja nun mal von Natur aus etwas überheblich, wenn es um alles außerhalb der Stadtgrenzen geht (ob zugezogen oder im natürlichen Habitat unterwegs, spielt da kaum eine Rolle). Nun müssen wir aber doch etwas irritiert in die Nachbarschaft schauen. Denn während hier gerade erst die ersten Autokinos hochgezogen werden, knallt es sonstwo in der Republik schon gehörig.

Drive-in-Kultur: Der Autorave mit Boris Brejcha findet in Dresden statt

In Dresden zum Beispiel hat ein findiger Veranstalter ein Areal zur großen Auto-Disko gemacht. Auf der Bühne der DJ, demnächst zum Beispiel der durchaus bekannte Boris Brejcha, davor dann die Twingos, Fiats und tiefergelegten Golfs des partyhungrigen Spaßvolks. In Schüttorf wurde das schon geübt, beim elitären Raver Berlins erzeugen Videoaufnahmen wohl eher Schüttelfrost.

Muss man schon mögen: Hup hup für den DJ.

Die Expo- und Messestadt Hannover ist sogar noch weiter, gleich eine ganze Reihe Bands, Musiker*innen und sogar noch Humor-Hyäne Oliver Pocher konnten für Auto-Konzerte und -shows gewonnen werden. Auf dem Schützenplatz, wo sonst auch Hannovers Frühlingsfest, Oktoberfest und Tannenbaumverkauf stattfinden (und bei Fußballspielen geparkt wird), wurde flott eine Bühne hochgezogen. Da dürfen dann Fury in the Slaughterhouse und Neu-Verschwörungstheoretiker Sido aufspielen.

Die Zuschauer sitzen dann in ihren Kombis und Kleinwagen und was sonst noch und sehen durch die Autoscheibe zu, was da vorne geschieht. Viele, davon zeugen diverse Videos, machen sogar die Warnblinker ab. Und hupen Beifall. Prima! Applaus! HUP HUP.

Sven Marquardt weist uns bald auf den Großmarkt-Parkplatz ein?

Und Berlin? Anstehen vorm Supermarkt sind wir jetzt gewohnt. Wo ist die Warteschlange 2.0, der Stau vorm Berghain, in der Hoffnung, dass Türsteher Sven Marquardt, der gerade ein tolles Video über Isolation gemacht hat, uns auf den benachbarten Großmarkt-Parkplatz einweist, damit wir von dort Marcel Dettmann lauschen können? Wann wird die Straße des 17. Juni endlich für einen Autokorso vorbei am Sarah-Connor-Konzert vorm Brandenburger Tor gesperrt? Hoffentlich gar nicht.

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Morgen früh um 10 Uhr startet der Vorverkauf bei @eventimgermany !!!

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Sido aus Berlin tritt gleich auf mehreren Freiflächen vor Autos auf. Geldverdienen kann er offenbar genauso gut wie Verschwörungstheorien.

Funf gute Gründe, warum wir keine Drive-in-Kultur brauchen

Für unsere Ablehnung gibt es gute Gründe:

  • Erstens sind wir hier so eventverwöhnt, dass wir wohl auch noch ein paar Wochen ohne Live-Bespielung aushalten.
  • Zweitens ist die Frage, ob das allen Fahrer*innen denn nun unbedingt Spaß macht, kompletto nüchtern und ohne Koks-Berge dem ganzen Vergnügen beizuwohnen, durchaus berechtigt.
  • Drittens ist ein Konzert durch die Scheibe vom Autositz irgendwie auch nicht näher dran und aufregender, als eine DVD auf dem Sofa.
  • Viertens haben in einer Stadt wie Berlin ja wohl hoffentlich sowieso nur noch Leute Autos, die die wirklich dringend brauchen. Alles andere ergibt, selbst mit Maskenpflicht in der BVG, nicht viel Sinn.
  • Und fünftens sind unsere Raves dann doch einfach zu gut, als dass wir sie zu zweit im Auto simulieren könnten.

Nun gut, natürlich soll jeder wie er kann. Und einen gewissen Event-Charakter – „damals, 2020, als ich meinen Lieblings-DJ angehupt habe!“ – kann man der Veranstaltung ja nun auch nicht absprechen. Trotzdem: Wer im Auto raven will, geht auch zum Lachen in den Keller.

Mit den geplanten Autokinos in Berlin dagegen, da könnt ihr euch gern ein bisschen beeilen. Das ist dann doch irgendwie romantisch.

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