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LSD, Ketamin, Heroin legal: So viel Rausch darf sein

Alle reden über die Legalisierung von Cannabis, in Berlin wird derzeit auf Partys legales LSD verteilt. Ärzte verabreichen Ketamin und Psilocybin bei Depressionen, Abhängige bekommen ihr Heroin von der Krankenkasse bezahlt. Eine Expedition in die Drogenkultur der Zukunft.

Legale Drogen in Berlin: Unsere Social-Media-Redakteurin Lisa Levkic hat für uns Microdosing mit 1-V-LSD ausprobiert. Foto: privat

Legales LSD für mehr Achtsamkeit im Miteinander

Die Blumenkinder sind zurück. Sie verteilen legales LSD. In einer Frühlingsfreitagnacht in einem Club in Kreuzberg. Rund 500 Berliner:innen, internationale Gäste und einige Hippies mit lustigen Hüten oder Lichterkette im Haar drängen sich zwischen Jugendstiltapeten und auf zig verschiedenen Teppichen auf zwei Tanzflächen – eine ist eher ruhig, eine pumpt ordentlich. „Ein Organismus, in dem Magie passiert“, nennt sie Organisator Josef Krug. Ansonsten fragt er viel, da hinter seinem Stand im Eck des kleineren Dancefloors. Nirgendwo sonst in Berlin muss man für so wenig Drogen so viele Fragen beantworten. „Fühlst du dich bei psychischer Gesundheit? Gibt es in deiner Familie Betroffene von Depressionen oder Psychosen? Bist du auf Medikamenten? Möchtest du das überhaupt nehmen? Was ist dein Interesse dabei? Hast du je andere Halluzinogene genommen? Was hast du für Erfahrungen damit gemacht? Was hast du heute schon genommen?“

Wer alle Ausschlusskriterien umschifft, bekommt zunächst zehn Mikrogramm 1-V-LSD. Ein hunderttausendstel Gramm. Microdosing nennt sich das. Die Wirkung ist eher subtil, aber belebend, entaktogen, stimmungsaufhellend, kreativitätsfördernd, so Krug.

Party mit 1-V-LSD. Foto: Morph Kollektiv

Krug ist Teil einer neuen psychedelischen Bewegung, seine LSD-Party Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Wandels im Umgang mit Drogen – hin zu mehr Reflektion, zu einer differenzierten Sicht. Es scheint, als seien wir Zeitzeugen einer neuen psychedelischen Bewegung. Einer Zeitenwende in der Drogenpolitik. Einem neuen Austarieren zwischen Konsum und (Selbst-)Kontrolle.

Josef Krug, 27, ist Musiker, Veranstalter und 1-V-LSD-Händler. 1-V-LSD ist eine derzeit noch legale Molekülvariante von LSD. Die Wirkung tritt später ein, ist sonst aber beinah identisch. Josef Krug vertreibt den Stoff mit einem Freund im Onlineshop fairlsd.com, in Berlin veranstalten sie mit dem 25-köpfigen Morph-Kollektiv Partys, Zeremonien und Workshops, auf denen die Substanz gratis oder im Eintrittspreis inkludiert ist, diesen Sommer soll noch ein Festival dazukommen.

Laut Krug gehen 50 Prozent der Gewinne aus dem Internet-Drogenhandel in die „Psychedelic Society“, eine – laut Website – Non-Profit-Organisation für spirituelle Entwicklung, die unter anderem Info- und Kinoabende zu psychedelischen Drogen veranstaltet. Krug sagt: „Wir haben herausgefunden, dass Menschen, die Psychedelika konsumieren, in eine tiefere Verbindung zueinander treten, und die Aufmerksamkeit füreinander ansteigt. Man passt besser aufeinander auf, man nimmt mehr wahr voneinander. Man hilft sich, bessere Menschen zu werden.“

Josef Krug und Timon Lorke verkaufen das 1-V-LSD auch, per Onlineshop. Foto: Morph Kollektiv

Krug und das Morph-Kollektiv vergeben das 1-V-LSD nur an über 21-Jährige, registrieren, wer wann wieviel nimmt, schließen Gefahrenquellen, wie bestimmte psychische Krankheiten in der Familie oder kontraindizierten Vorabkonsum im Gespräch aus. Für Krisenfälle stehen Psychologen bereit. Sie machen das einigermaßen vorbildlich.

Freier Zugang zu harten Drogen

Für gewöhnlich sieht die Drogenversorgung in Berlin eher so aus: Kurze Telegram-Umkreissuche, Droge der Wahl bestellen, zum Beispiel Kokain, MDMA, Tilidin, Benzodiazepine. Eine Stunde später von einem anonymen Kleinwagenfahrer eine Substanz fragwürdiger Zusammensetzung erhalten. Nachtfahrt mit ausgeschalteten Scheinwerfern, was Konzentration und Beimischungen angeht. Ohne Altersprüfung, Beratungsgespräch, Informationen zu Risiken, Nebenwirkungen und Kontraindikationen.

Ein Beratungs- und Betreuungsangebot bekommt man auch am Supermarkt-Schnapsregal nicht. Aber es gibt noch mehr Projekte, in denen Drogen mit Warnhinweisen und Pflichtberatung, sozusagen verantwortlich, verteilt werden. 240 Menschen bekommen in Berlin Heroin als Kassenleistung. Rund 75 Menschen werden an der Charité in einem Experiment mit Psilocybin behandelt, dem Zauberpilzwirkstoff. Mehr als 200 Menschen haben in mindestens drei Berliner Praxen ärztlich betreute Ketamintrips gemacht. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach von der SPD will noch dieses Jahr einen Gesetzentwurf zur Cannabislegalisierung vorlegen, während die Legalisierung der harten Drogen in Berlin längst passiert.

Heroin auf Kosten der Krankenkasse

Praxiskombinat Neubau, Lichtenberg: Das Diamorphin, das David will und braucht, befindet sich in einer Flasche auf der anderen Seite einer Durchreiche. Diamorphin ist der Wirkstoff der als Heroin bekannten Straßendroge. In dem Gefäß ist genug davon, um sehr lange high zu sein. Zwischen David und der Flasche stehen eine Glasscheibe und eine Krankenschwester.

„Wie viel darf es denn sein?“, fragt sie David. Er antwortet: „150 Milligramm bitte.“ Sie zieht eine Spritze auf und reicht sie ihm auf einer Nierenschale mit Tupfer, Pflaster, Wattepad. David bedankt sich und geht zu einem von sechs Einzeltischen, die mit den dazugehörigen Stühlen wie aus einem Klassenzimmer entlehnt aussehen. David setzt sich, sticht die Nadel von unten in eine Vene im aufgestellten Unterarm, saugt Blut an, drückt ab.

David spritzt sich Diamorphin, den Heroin-Wirkstoff. Wer sich von diesem Bild getriggert fühlt, aber nichts konsumieren möchte, sollte vielleicht zum nächsten Meeting der anonymen Drogenabhängigen gehen. Alle Meetings stehen auf na-berlin.de. Foto: Luka Godec

Dann lässt er los. Die Spritze baumelt am Arm. David zieht sie aus seinem Körper, entsorgt sie im bereitgestellten Container und tupft die Einstichstelle ab. Seine Augen fallen zu, sein Kopf neigt sich etwas nach vorn.

Till Kinkel sitzt daneben und schaut, dass es David gut geht. Er sagt: „Wenn jemand dabei ist, der im Zweifelsfall Sauerstoff und im Notfall Naloxon geben kann, und die Substanz rein ist, dann ist Heroin keine tödliche Droge mehr“. Kinkel hat das „Praxiskombinat Neubau“ in Lichtenberg im April 2020 mit einer Kollegin gegründet. Er sagt: „Manche Gäste legen hier dreimal täglich die Stirn auf dem Tisch, sie wollen das und sie brauchen das auch. Und es gibt andere, die spritzen Diamorphin und gehen dann arbeiten.“

Till Kinkel hat das Praxiskollektiv Neubau mitgegründet. Foto: Luka Godec

David könnte täglich ein Gramm Diamorphin bekommen. „Aber ein Gramm wäre viel zu viel für mich, das brauche ich einfach nicht, warum soll ich mehr nehmen, als ich brauche?“

Um die Nacht ohne Entzug zu überstehen, schluckt David abends Substitutionsmedikamente. Der 33-Jährige ist seit 16 Jahren heroinabhängig. Seit sieben Jahren bekommt er Diamorphin von seiner Krankenkasse bezahlt. 9,50 Euro pro Dosis kostet die Kasse das Medikament. In das Programm kommen nur Patient:innen über 23, die injizierend opiatabhängig sind, bereits schwerwiegende körperliche und seelische Schäden durch die Abhängigkeitserkrankung erlitten haben, außerdem mindestens sechs Monate Substitution und mindestens eine weitere Therapie erfolglos absolviert haben. Die Diamorphintherapie steht den Klient:innen 365 Tage im Jahr 12 Stunden am Tag offen.

David sagt: „Es geht bei mir langsam aber stetig bergauf. Ich habe eine Wohnung und seit zwei Jahren eine Freundin, die mit Drogen noch nie was zu tun gehabt hat. Ich fahre sehr viel Fahrrad, mache Yoga. Es ist ein Leben, das ich mir nicht hätte vorstellen können, als ich noch auf illegalem Heroin war. Da war keine Zeit für sowas. Früh aufstehen, Geld machen für den ersten Schuss, gesundmachen, Geld machen, gesundmachen, schlafen gehen und von vorn. Das ist ein superstressiges Leben. 80 Euro am Tag für Koks und Heroin. Normalerweise habe ich gebrauchte Fahrkarten am Bahnsteig eingesammelt und weiterverkauft. Aber wenn das nicht ging, oder mich die Bundespolizei fickt, mir Tickets und Geld abnimmt und es dringend wird, dann habe ich auch Sachen geklaut und Leute überfallen. Ich hatte auch ständig Gesundheitsprobleme, dreimal Hepatitis C vom Spritzenteilen.“ Die Diamorphinbehandlung habe ihm erstmals erlaubt, zur Ruhe zu kommen, vom Koks sei er weg.

Diamorphin und Konsumzubehör. Foto: Luka Godec

David ist wie viele der Klient:innen hier schwer traumatisiert. „Meine Mutter ist gestorben als ich elf war, mein Vater war ein Zuhälter. Es war Neugier, dass ich angefangen habe, und ich bin dabei geblieben, weil es mir etwas gab, was mir fehlte: Geborgenheit“, sagt David. Till Kinkel sagt: „Für uns sind Menschen, die mit einer Abhängigkeitserkrankung leben, die interessantesten und schönsten Menschen, die man behandeln kann. Von Suchterkrankungen sind oft sehr sensible und verletzliche Menschen betroffen. Die gleichzeitig aber stark genug sind, 40 Jahre zu überleben, was wir keine zwei Wochen aushalten würden.“

Eine Weile lang sitzt David sitzt noch zusammengesackt da, dann wird er langsam wieder munter. Er steht auf, reißt ein Papiertuch vom Spender, besprüht den Tisch mit Desinfektionsmittel, wischt ihn ab, wirft das Tuch in die Müllbox und geht. Er muss heute noch Ämtergänge erledigen.

Wie wir als Gesellschaft mit Drogen umgehen sollten

„Wenn Abhängige kontrolliert diesen Stoff bekommen, können sie wieder in ein normales Leben finden“, sagt Daniel Kretzschmar, Sprecher des Bundes deutscher Kriminalbeamter, selbst in einem Rauschgiftkommissariat tätig. „Ich glaube, es ist an der Zeit, dass wir uns neu darüber Gedanken machen, ob die Kriminalisierung von Konsument:innen und gerade Suchtkranken wirksam ist, Drogenmissbrauch zu verhindern, den Schwarzmarkt auszutrocknen und Begleitkriminalität zu reduzieren.“

Martina, 57, Pflegerin, hat mit 16 mit Heroin angefangen. Sie sagt: „In den Jahren war ich öfter wegen offenem Haftbefehl flüchtig, obdachlos, kriminell und manchmal auch im Knast. Ohne Strafverfolgung wäre ich nie so weit unten gelandet.“

Das Heroin-verwandte Opium nutzt der Mensch seit tausenden von Jahren, ebenso Alkohol, Cannabis, Pilze, Ayahuasca. Prohibitionsversuche gibt es so ungefähr 100 Jahre. Bisher scheinen sie nicht zu greifen. Noch nie waren so viele verschiedene Drogen so leicht verfügbar wie jetzt.

Drogenfachgeschäft und Drogenführerschein

Was wir brauchen, ist keine Freigabe, sondern mehr Kontrolle. Das Berliner Drugchecking-Projekt, das demnächst Proben entgegennehmen soll, kann ein erster Schritt sein zu mehr Konsumentensicherheit. Und dann? Georg Wurth, Geschäftsführer des Deutschen Hanfverbands, sagt: „Privat befürworte ich Fachgeschäfte für alle gängigen Drogen. Für Erwachsene, mit geprüfter Qualität, genauer Inhaltsangabe, guter Beratung und Hilfsangeboten. Bei manchen Substanzen könnte man über einen Drogenführerschein als Voraussetzung diskutieren, eine Art verpflichtenden Anfängerkurs. Jede Art der Regulierung mit sicheren Produkten und ohne Kriminalisierung und Stigmatisierung der Konsumenten ist besser als die aktuelle Situation mit dem Dreck vom Schwarzmarkt.“

Wer Drogen nimmt, sollte wissen, was er tut. Hans Cousto ist der vielleicht erfahrenste Drogenkonsument Berlins. Die Liste der Drogen, die der 74-jährige Autor und Psychonaut schon genommen hat, umfasst ein dichtbeschriebenes DIN-A4-Blatt. Cousto ist auch auf der 1-V-LSD-Party von Josef Krug und dem Morph-Kollektiv. Er sagt: „Zum Drogen nehmen, braucht es eine Drogenkultur. Zum Opiumrauchen hört man Musik und trinkt Tee. Sich auf der Straße einen Schuss setzen, das ist keine Kultur. Das ist wie mit dem Biertrinken: Heute macht man das auf der Straße im Gehen, vor 100 Jahren gab es in Prenzlauer Berg große Brauereien und schöne Biergärten. Die Leute haben sich schön angezogen, sie hatten eine spezielle Musik dafür, und die haben getanzt und gefeiert. Das war eine Bierkultur. Und genauso gibt es eine Technotanzkultur und zu der gehören wieder andere Drogen. In so einer Drogenkultur kann man lernen, autonom, verantwortungsbewusst und mündig mit Drogen umzugehen.“

Es geht in der aktuellen Berliner Graswurzellegalisierung der harten Drogen in Praxen und auf Dancefloors immer darum, den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu stellen. Es geht um einen neuen, vorurteilsfreien und differenzierten Umgang mit dem Thema Rausch.

Ketamintherapie: Nicht nur rosa Einhörner

Eine Reise ins Selbst kann beispielsweise festbetonierte Muster aufbrechen. In Berlin ist substanzunterstützte Psychotherapie legal aktuell mit Ketamin möglich. Mindestens drei Praxen bieten sie an. Die Ovid Praxis ist eine davon.

Hier können sich Privatpatient:innen, die an behandlungsresistenten Depressionen, generalisierten Angststörungen, komplexen Traumata, Zwangsgedanken oder Lebenskrisen, zum Beispiel angesichts einer tödlichen Erkrankung, leiden, mit ketamingestützter Psychotherapie behandeln lassen. Bald gibt es in der Klinik auch ketaminbasierte Behandlungskonzepte für Suchtpatient:innen.

Die Ketaminerfahrung ist dabei ein etwa einstündiger Rausch, der auch beängstigend sein kann. „Psychedelische Therapien sind nicht nur rosa Einhörner auf Regenbogen. Da geht es darum, an tiefen, inneren Prozessen zu arbeiten. Und die können auch mal unangenehm sein. Aber genau so etwas kann zu Breakthrough-Momenten in der begleitenden Psychotherapie führen“, sagt Andrea Jungaberle. Die Anästhesistin und Notfallmedizinerin ist die medizinische Leiterin der Ovid Praxis.

Andrea Jungaberle zieht eine Dosis Ketamin auf. Foto: Tatjana Dachsel / OVID Praxis

Das Ketamin wird in der 12-wöchigen Therapie an fünf bis sechs Terminen mit einer Spritzenpumpe eine Stunde lang nach und nach in den Körper gegeben, um den Rausch auf einem Plateau zu halten. Stoppt Jungaberle die Zufuhr, sind die Klient:innen nach 15 Minuten wieder so da, dass sie Kopfhörer und Schlafmaske abstreifen, sich aufsetzen, Tee trinken und ihre Erlebnisse schildern können.

Während der Erfahrung gibt es ausgewählte Musik, grob innerhalb der persönlichen Hörgewohnheiten. Ambient oder Klassik zum Beispiel. „Musik ist elementar. Die Erfahrung hängt sehr stark davon ab“, sagt Andrea Jungaberle.

Die Dosis ist nicht so hoch, dass die Klient:innen nicht mehr ansprechbar wären. „Das K-Hole ist ein ungastlicher Ort, in dem man nicht arbeiten kann. Wenn das Bewusstsein ein Heliumballon ist, lässt Ketamin mehr Leine zwischen dem Bewusstsein und dem Körper. Wir versuchen, den Ballon nicht wegfliegen zu lassen, aber schon so viel Leine zu geben, dass etwas passieren kann.“

Patientin bei der Ketamintherapie. Foto: Tatjana Dachsel / OVID Praxis

Klientin I., Mitte 30, sagt: „Alleine wäre es mir sicher schwerer gefallen, mit den intensiven Gefühlen und Bildern der Ketaminreise gut umzugehen. die Gespräche mit meiner Therapeutin haben mir da wirklich geholfen.“

Andrea Jungaberle sagt: „Substanzen funktionieren gut, wenn es darum geht, eingefahrene Muster aufzubrechen. Wenn es um existenzielle Fragen geht, wie: Ist das Leben lebenswert? Aber man muss das, was in die Luft geworden wird, auch wieder landen.“

Die 4.500-5.500 Euro teure Behandlung ist sehr gefragt. Klient:innen reisen selbst aus den Vereinigten Arabischen Emiraten dafür an. Dabei ist Ketamin lange nicht das effektivste Mittel, um auf psychedelische Innenschau zu gehen. Derzeit läuft an der Charité eine Versuchsreihe, bei der schwer depressive Proband:innen den Zauberpilzwirkstoff Psilocybin verabreicht bekommen. Auch mit Musik und Augenbinde, ganz ähnlich wie in der ketaminunterstützten Therapie. Sechs Stunden dauert ein Psilocybin-Tauchgang. Andrea Jungaberle von der Ovid Praxis hat die Psilocybin-Studie mit entwickelt und arbeitet dort als Therapeutin. „Ketamin ist der Regionalexpress und Psilocybin der ICE“, sagt sie. Die Erlebnisse seien auf Psilocybin oft besser erinnerlich. Jungaberle geht davon aus, dass Medikamente wie Psilocybin, MDMA, LSD, DMT in nicht allzu ferner Zukunft per Arzneimittelzulassung legal zur Behandlung verschiedenster psychischer Herausforderungen eingesetzt werden können.

Drogenkonsum in der Partyszene

Felix Betzler arbeitet mit Andrea Jungaberle an der Psilocybinstudie. Er ist auch der Mann, zu dem man geht, wenn man beim privaten Experimentieren mit als Partydrogen bekannten Substanzen ins Klo gegriffen hat. Betzler bietet eine Spezialsprechstunde für partydrogenassoziierte Erkrankungen in der psychiatrischen Ambulanz der Charité an. „Hierher kommen Betroffene, die Substanzen konsumiert und jetzt eine psychische Erkrankung entwickelt haben. Es kann sein, dass aufgrund der Einnahme einer Substanz Panikattacken aufgetreten sind. Oder es kann sein, dass nach Einnahme von Halluzinogenen die Symptome nicht mehr weggehen.“

Betzler befragt diesen Sommer Berlins Partygänger nach ihren Konsummustern und Motivationen. Die letzte Ausgabe der Studie ist von 2019, vor Corona. Da hatten in den letzten 30 Tagen konsumiert: Alkohol rund 90 Prozent, Cannabis 60 Prozent, MDMA und Amphetamin 50 Prozent, Ketamin und Kokain 35 Prozent, LSD 12 Prozent, GHB/GBL 10 Prozent.

Keine Toleranz für GBL?

„Man könnte jetzt sagen, GHB/GBL oder ich nenn es der Einfachheit halber mal G (sprich: Dschi), verschwindet hinter all den anderen Substanzen. Aber in den Jahren 2015-19 hat sich die Prävalenz vervier- bis verfünffacht. Der G-Konsum in der Partyszene ist ein sehr großes Problem. Das sehen wir immer häufiger in der Sprechstunde und auf Station, das sehen wir in den Nachtdiensten in der Rettungsstelle. Ein Tropfen entscheidet darüber, ob man Spaß hat auf der Tanzfläche oder in der Ecke oder der Notaufnahme landet.“

Die Substanz mache neben der psychischen Abhängigkeit körperlich äußerst süchtig, der kalte Entzug könne unbetreut tödlich enden. „Und dann gibt es auch noch dieses Drink-spiking mit G. Menschen tauchen bei uns in der Rettungsstelle auf und sagen: Ich hab einen Drink gehabt, kann mich an nichts mehr erinnern und bin ohne Hose irgendwo aufgewacht. Dann ist meistens das G schon wieder raus aus dem Körper. Kann man in der Rettungsstelle nicht nachweisen. Keine Chance – wenn, dann ist das allenfalls über Haarproben möglich und auch hier nicht immer.“

Felix Betzler forscht an der Charité zum medizinischen Einsatz von Psilocybin, außerdem befragt er Partygänger zu ihren Konsummustern und berät bei partydrogenassoziierten Erkrankungen. Foto: Luka Godec

Jens Schwan vom Zug der Liebe hat kürzlich eine No-GHB-Kampagne lanciert, deren Motive verschiedene Clubs plakatieren ließen. Schwan sagt: „Es ist unglaublich unfair gegenüber den Clubmitarbeiter:innen, die für eine reibungslose Nacht sorgen, sich denen bewusstlos vor die Füße zu drapieren. Hausverbote bei GHB-Konsum sind letztlich Selbstschutz.“

Ist diese Substanz also die Grenze, an der die Akzeptanz enden muss? Rüdiger Schmolke von der Berliner Drogeninfo-Initiative Sonar, die eng mit zahlreichen Clubs zusammenarbeitet, sieht die Anti-GHB-Kampagne kritisch: „Der Konsum wird wieder mehr tabuisiert, was die Aneignung von Safer-use-Strategien erschwert. Im Fall von Überdosierungen wird der G-Konsum verschwiegen, weil es peinlich ist und man Konsequenzen wie Hausverbot fürchtet. Deshalb setzen wir auf Risikokommunikation und Wissensvermittlung.“

Keine Substanz ist ungefährlich

Der Psilocybinforscher und Partydrogenfolgeschäden-Experte Betzler sagt: „Man darf nicht vergessen, dass man es mit Substanzen zu tun hat, die lebensbedrohlich sein können. Alle davon, auch Psilocybin: bei Menschen mit Prädisposition kann es Psychosen auslösen und damit zu lebensgefährlichen Fehlhandlungen führen. Keine Substanz ist ungefährlich, aber viele haben ein therapeutisches Potenzial.“

2016 hat eine Gruppe von Ärzten, Psychotherapeuten und Wissenschaftlern um Henrik und Andrea Jungaberle die Initiative Mind gegründet, die Psychologen und Mediziner in der medizinischen Nutzung von Psychedelika schult und auch kollegiale Ketamin-Selbsterfahrung anbietet. Drogen sind mächtige, gefährliche Werkzeuge. Endlich behandelt sie mal jemand mit dem gebührenden Respekt.


Ist die Welt bereit für eine neue Drogenpolitik?

Ein Rundruf bei Berlins drogenpolitischen Sprechern, ein Querschnitt durch das politische Berlin

Bettina König, SPD: „Wir befürworten die Entstigmatisierung von Konsumentinnen und Konsumenten auch harter Drogen, damit die Barrieren zur Annahme therapeutischer Angebote sinken.“

Catherina Pieroth, Grüne: „Theoretisch sehe ich kontrollierte Abgabe harter Drogen auch irgendwann in staatlicher Hand, weil das die einzige Möglichkeit ist, Drogenkartelle einzuschränken.“

Christian Zander, CDU: „Die CDU lehnt eine Legalisierung von Drogen ab, weil die gesundheitlichen Folgen für den Einzelnen und die Auswirkungen auf Familie, Umfeld und Gesellschaft negativ sind.“

Niklas Schrader, Linke: „Wenn man eine Drogenpolitik will, die auf Gesundheitsschutz, auf aufgeklärten Konsum und Harm Reduction setzt, statt auf Repression, müsste man konsequenterweise auch die Abgabe weiterer Substanzen neben Cannabis regeln.“

Frank-Christian Hansel, AfD: „Die Kriminalisierung suchtkranker Menschen ist weder zielführend noch hilfreich.“

Florian Kluckert, FDP: „Jugend- und Konsumentenschutz kann nur gelingen, wenn die Drogenabgabe über staatlich kontrollierte Präventionseinrichtungen erfolgt.“


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