Michel Kooistra wurde 1974 in den Niederlanden geboren. Ausgerechnet. Die Jahreszahl verbinden viele seiner Landsleute bis heute mit dem verlorenen Münchner WM-Finale gegen Deutschland. Ein Fußballkrieg war geboren. Er sollte geradezu absurde Dimensionen annehmen.
1988, im Halbfinale der Europameisterschaft, wieder in Deutschland, löste Marco van Bastens 2:1-Siegestreffer kurz vor Schluss in Holland die größte öffentliche Massenkundgebung seit der Befreiung von der NS-Besatzung aus. Nach dem Spiel wischte sich Ronald Koeman demonstrativ mit dem Trikot von Olaf Thon den Hintern ab. 1990 spuckte Frank Rijkaard im WM-Achtelfinale Rudi Völler gleich dreimal ins krause Haar. Deutschland gegen Holland, das sind einfach keine normalen Fußballspiele.
Und nun kommt Michel Kooistra daher, ein Holländer, aufgewachsen in einem kleinen Provinzdorf namens Slootdorp, und will in Berlin deutschen Kindern das Kicken lehren. Da treffen zwei Fußballphilosophien aufeinander. „Die Niederländer sind meist stilvolle Individualisten“, sagt Kooistra, „die Deutschen dagegen fast anonyme Mitläufer, die man nur anhand ihrer Rückennummern auseinanderhalten kann. Als Team sind sie jedoch kaum zu schlagen.“
Dabei ist Kooistra selbst die alte Rivalität völlig fremd. Dafür ist er vielleicht auch einfach schon zu lange in Deutschland – seit acht Jahren. Sein Niederländisch ist voller deutscher Einsprengsel, zumeist Fußballjargon. Der Begriff „Schwalbe“ zum Beispiel wurde unübersetzt übernommen – als ob sie eine deutsche Erfindung wäre. Kooistra spielt lieber selbst, als Fußball im Fernsehen zu schauen. Konsequent trägt er Trainingsanzug und Turnschuhe. Man könnte sagen: Kooistra atmet Fußball.
Die Dietrich-Bonhoeffer-Grundschule in Neu-Westend ist eine der 20 Schulen, wo er seine Trainingsstunden veranstaltet. Als er auf dem Schulhof fährt, schallt es ihm von allen Seiten entgegen: „Michel, Michel!“ Viele der Schulen hatten bereits eine Fußball-AG. Die meisten Kinder trainieren mittlerweile jedoch bei Kooistra und seinem Trainerteam.
In seiner Jugend galt Kooistra selbst als hoffnungsvoller Fußballer, durchlief eine der vielleicht besten Talentschmieden der Welt, die legendäre Schule von Ajax Amsterdam. Seine Mitspieler Ronald und Frank de Boer, Edgar Davids und Patrick Kluivert gewannen später die Champions League. Kooistras Karriere dagegen beendete mit 18 Jahren eine Verletzung.Seitdem ist die Nachwuchsarbeit Kooistras Leidenschaft. Er machte den Trainerschein und studierte nebenbei BWL. Anfang 2000 führte ihn die Liebe nach Deutschland. Zuerst nach Bayern. 2003 bot ihm Hertha BSC an, die Jugendmannschaft U16 zu trainieren, unter anderem mit den heutigen Profis Patrick Ebert und Jйrфme Boateng.
Seine eigene Fußballschule war eher aus der Not geboren. Vielleicht auch ein bisschen aus Frust. „Bei Hertha geht es nur ums Gewinnen und zu wenig um den Fußball“, erinnert er sich. „Man setzt konsequent auf körperlich robuste und schnelle Spieler, anstatt spielerische Fähigkeiten zu fördern.“ 2005 hörte er bei Hertha auf.In seiner Fußballschule steht der Spaß am Spiel im Vordergrund. Kooistra hat hinter seinem Fahrrad einen Anhänger mit 20 Bällen, damit alle Kinder individuell mit dem Leder trainieren können. Er fördert vor allem das direkte Eins-gegen-eins-Spiel. „Später kann man einem Spieler immer noch beibringen, wann er einen Ball abgeben muss“, sagt Kooistra, „jedoch nicht mehr, wie er einen Mann ausspielt.“ Seine Trainer und er haben den größten Spaß, wenn die Kinder ihre Gegenspieler mit einem Trick narren, den sie vorher im Training geübt haben. So kommt Freude auf.
Kooistra hat noch viele Pläne. Gern wurde er mal in Afrika eine Fußballschule starten. Zunächst aber tritt er ab nächsten September mit seinen besten Spielern in den Wettkampfbetrieb ein. Ende Januar hat er dafür den Verein Oranje Berlin gegründet. Innerhalb von fünf Jahren will er in die höchste Berliner Spielklasse aufsteigen. Ursprünglich wollte Kooistra den Verein „Holländischer Fußballverein Berlin“ nennen. Das ließ er aber bleiben, nachdem der Trainer einer gegnerischen Jugendmannschaft zu ihm sagte: „Wir haben die Holländer schon mal besiegt, das machen wir diesmal wieder.“ Auf solche Pöbeleien kann Kooistra gut verzichten. Sein Team gewann übrigens das Spiel.
Text: Niels Keijzer
Fotos: Jens Berger/tip
www.hollaendische-fussballschule.de
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