Die Zeitungen, allen voran die großbuchstabigen, kriegen sich kaum ein. „Eisblaue Augen“, „Stöckelschuhe“, „dicke Zigarre“, „tiefes Dekolletй“, „ganz in Schwarz“, Spitzname darum auch „Black Mamba“, und: „Millionärin“ – wenn es Sandra Naujoks nicht gäbe, Ian Fleming hätte sie bestimmt erfunden.
Doch Naujoks, deren helle Augen tatsächlich um die Wette gegen den sanft toffeebonbonbraunen Teint anleuchten, strahlt vor allem eins aus: Gelassenheit. Und das kann nicht allein am Geldpolster liegen. Fast anderthalb Millionen Dollar an Preisgeldern hat die 27-jährige gebürtige Dessauerin und ehemalige Lehramtsstudentin in den letzten zwei Jahren beim Pokerspiel gewonnen, mehr als 900.000 Euro dabei im März bei der wichtigen European Poker Tour (EPT) in Dortmund – als zweite Frau, die jemals einen EPT-Titel mitnahm.
Vielleicht auch mithilfe ihrer „eisblauen Augen“, vor allem aber durch Taktik und Strategie. „Es gibt einen Glücksfaktor beim Pokern, der liegt ungefähr bei 25 Prozent“, sagt Naujoks, die mittags im Restaurant artig ihre amtliche Rumpsteak-Spargelplatte verputzt, „und 75 Prozent sind Können und Strategie.“ Dann redet sie geduldig von Mathematik und Wahrscheinlichkeitsberechnungen, aber auch von den Fakten, die das Livepokerspiel eklatant vom Onlinepoker unterscheiden und Filme wie „Cincinnati Kid“ zu Klassikern machten: das Lesen – oder „Spielen“ – des Gegners und das Bluffen. „Man braucht Menschenkenntnis beim Livepoker, man muss wissen, ob es dem Gegner gerade gut oder schlecht geht.“ Sie erklärt reverse tells, falsche Körpersignale: Die Chips unsicher in die Mitte schieben“, und ja, „ich glaube, Frauen fällt es leichter, Männer zu lesen als andersrum“. Ansonsten sei Poker aber kein Frauenspiel. Zu viel hartes Konkurrenzdenken.
Naujoks lesen zu wollen scheint dagegen – berufsbedingt – schwierig. Sie ist freundlich, gesammelt und konzentriert, dabei auf eine selbstsichere Art verschlossen – nicht ungewöhnlich für jemanden, den man gerade kennenlernt, doch „sich nicht in die Karten gucken lassen“ passt wie angegossen. Sie trägt die glänzenden Haare offen, High Heels und ein graues Kleid ohne Sponsorenlogo – der „PokerStars“-Aufnäher ziert sie sonst auf allen Bildern, das ist der Deal mit der größten Online-Glücksspielfirma, die ihren Mitgliedern die „Buy Ins“ – der Minimalbeitrag, um am Spiel teilnehmen zu können – zahlt. Im Gegensatz zu Nichtmitgliedern, die die in die Zehntausende gehenden Startsummen selbst blechen müssen, haben Spielerinnen wie Naujoks also einen immensen Vorteil: Sie verzocken nicht ihr eigenes Geld.
Aber bei Naujoks muss man sich ohnehin keine Sorgen um riskantes Spiel oder pathologische Leidenschaft machen. Wäre sie damals vor vier Jahren, als sie beim Surfen „einfach auf den Button gekommen ist“ und nach zwei Jahren Internettestspielen als Neuberlinerin Freunde am Pokertisch suchte, zufällig irgendwo anders gelandet, wo Ehrgeiz und Disziplin gefragt sind, sie wäre wahrscheinlich ebenfalls erfolgreich geworden.
Nach dem Gespräch – in dem es auch um die von ihr unterstützten humanitären Hilfsprojekte in Kambodscha geht, die sie schon vor den großen Preisregen bedachte – nach wenigen Privat- und vielen merkbar oft abgefragten Game-Informationen sieht man ihre Zigarren-Cowboyhut-Manier („das sind ja ohnehin Nichtraucher-Turniere, und ich trage eben gern Hüte“), das sorgfältige Black-Mamba-Styling und die Gerüchte über ihr Privatleben mitsamt Freund und echter Schlange („die habe ich von meinem Vormieter übernommen, ich würde mir jetzt keine zweite kaufen“) als das, was es ist: die schlaue und nicht mal gelogene Strategie einer talentierten Pokerspielerin, die aus der Not, dem alltäglichen Sexismus von Gegnern und Medien nämlich, eine Tugend macht. Die einen, die Mitzocker, verwirrt sie mit ihrer auf einen relativ großen Nenner zu bringenden Attraktivität. Das ist ihr Spiel. Bei den anderen, den Journalisten, macht sie deren Spiel mit.
Unterm Strich wird sie bald genug echte oder angedeutete Royal Flushs in der Hand gehabt haben, um sich da eine Villa zu kaufen, wo es ihr Spaß macht. „Wien ist ja das Mekka der Pokerspieler, Berlin ist eher eine Pokerwüste“, vielleicht auch in Las Vegas, ihrem nächsten Ziel, wo am 27. Mai die 40. World Series of Poker beginnt, das wichtigste Pokerturnier der Welt. Aber das steht auf einem anderen Blatt, sozusagen.
Text: Lilli Palme
Fotos: Harry Schnitger
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