Letztes Jahr hatte unsere Autorin Marit Blossey keinen Bock auf die Fußball-EM: zu viel Nationalkitsch, zu viele besoffene Männer in Trikots. Doch diesen Sommer ist alles anders – denn jetzt spielen die Frauen. Warum Frauenfußball besser, queerer und einfach ehrlicher ist, erzählt sie hier.

Frauenfußball ist der bessere Fußball
Letztes Jahr im Juli war ich ziemlich genervt. Fußball-EM? Geht mir weg damit. Ich hatte keinen Bock auf Nationalismus-Kitsch, Fanmeile auf der Straße des 17. Juni, besoffene Männer in Trikots. Millionen für Kunstrasen, ätzende Auto-Fahnen in Schwarz-Rot-Gold – ich wollte von all dem nichts wissen, habe kein einziges Spiel gesehen und weiß nicht mal, wer am Ende eigentlich gewonnen hat.
Diesen Sommer? Wieder EM. Ich schaue zu. Und ich liebe es. Warum? Weil es Frauenfußball ist.
Queere Repräsentation statt Nationalkitsch
Frauenfußball ist der queerste Profisport, den ich kenne. Bei der EM 2025 in der Schweiz sind mindestens 78 öffentlich queere Spieler:innen dabei – Rekord. Das queerste Team, Wales, zählt neun offen queere Spielerinnen. Ein Highlight: Pernille Harder (Dänemark) und Magdalena Eriksson (Schweden), seit über elf Jahren ein Paar, standen sich im Turnier sogar als Gegenspielerinnen gegenüber. Und nicht zu vergessen: das deutsch-britische Power Couple Ann-Katrin Berger und Jess Carter, seit Mai 2024 verlobt. Auch sie könnten sich am Ende noch auf dem Rasen begegnen, sollte Deutschland es ins Finale schaffen.
Der Frauenfußball schafft damit etwas, das der Männerfußball bis heute verweigert. Männerfußball ist immer noch ein Ort, an dem sich kein schwuler Spieler sicher fühlen kann. In den Topligen Europas hat sich bis heute kein aktiver Fußballprofi geoutet.
Aus gutem Grund: Wer es wagt, wird mit homophoben Kommentaren, Fangesängen und Shitstorms überzogen. 2021 outete sich Josh Cavallo, damals Spieler bei Adelaide United – und berichtete kurz darauf von täglichen Hassnachrichten und homofeindlichen Sprechchören auf dem Platz. 2023 bekannte sich Jakub Jankto, tschechischer Nationalspieler, als schwul – und ist bis heute der einzige offen queere aktive Nationalspieler in Europa. Im deutschen Männerfußball ist das letzte Outing, von Thomas Hitzlsperger, mittlerweile elf Jahre her – und auch das kam erst, nachdem er seine Profikarriere beendet hatte.
Und sonst? Nichts. Null queere Sichtbarkeit in einem Milliardenbusiness. Stattdessen: Kabinenkultur, in der „schwul“ immer noch Beleidigung ist. Kurven, in denen homophobe Sprüche und Banner als „Fußballfolklore“ durchgehen. Und Funktionäre, die das alles lieber aussitzen, als ansprechen.

Echte Vorbilder
Frauenfußball hingegen bringt eine ganze Generation queerer Vorbilder hervor. Und klar, man kann kritisch fragen, ob das Liebesleben der Spielerinnen wirklich relevant sein sollte, aber ganz ehrlich: Wenn da Ex gegen Ex spielt – mit neuer Partnerin im gegnerischen Team – dann ist das nicht bloß Gossip, das ist peak queere Kultur, Fußball-Shakespeare, Identifikationsfläche für queere Zuschauerinnen inklusive.
Kann doch kein Zufall sein, dass der CSD und das Finale der Frauen-EM aufs gleiche Wochenende fallen – Happy Pride!
Hinzukommt, dass da keine 18-jährigen Millionäre mit Rolex-Sammlung und Sneaker-Deal auf dem Spielfeld stehen. Viele Spielerinnen jonglieren neben dem Profisport noch Uni-Seminare, Teilzeitjobs oder Care-Arbeit, viele engagieren sich in Initiativen gegen Rassismus, Sexismus oder für queere Sichtbarkeit im Sport. Sie kämpfen auf dem Platz um Punkte, daneben aber noch immer auch um faire Bezahlung und Gleichberechtigung.
Denn was den Frauenfußball für viele von uns auch so besonders macht, ist seine Geschichte – oder vielmehr: der lange Kampf darum, überhaupt Teil der Geschichte sein zu dürfen. Jahrzehntelang wurde Frauen der Zugang zum Profifußball aktiv verwehrt. In Deutschland war Frauenfußball von 1955 bis 1970 offiziell vom DFB verboten – er galt als „unweiblich“, „gesundheitsschädlich“, zu laut. Und selbst nach der Aufhebung brauchte es noch Jahrzehnte, bis er ernst genommen wurde. Die erste inoffizielle Europameisterschaft der Frauen 1984 wurde vom Verband nicht anerkannt – heute wissen viele nicht einmal, dass sie überhaupt stattgefunden hat.
Auch wenn die Anerkennung in den letzten Jahren immer weiter wächst, von den Millionentransfers und fetten Werbedeals der Männerfußballwelt ist Frauenfußball noch immer weit entfernt. Und genau deshalb wirkt er oft ehrlicher, nahbarer, echter.
Technik statt Testosteron
Es ist aber nicht nur das Politische – der Fußball selbst ist besser. Ja, wirklich.
Während ich beim Männerfußball oft schon nach dem ersten überflüssigen Rückpass geistig abschalte, wird im Frauenfußball weniger auf rohe Körperkraft gesetzt. Stattdessen sehen wir mehr Technik und Spielintelligenz. Weniger Rumgeheule und Theatralik übrigens auch.
Was ich ebenfalls liebe: der ganze aufgepumpte Fan-Zirkus fehlt. Keine Macho-Atmosphäre, keine singenden Deutschland-Blocks und „Wir sind ein Vaterland“-Gehampel, keine aggressiv betrunkenen Typen. Im Stadion fühlen sich Frauen und Queers sicherer. Statt staatlich finanzierter Fanmeile mit Millionen-Euro-Kunstrasen gibt es diesen Sommer nur Biergarten, Kneipe und echtes Community-Gefühl – jedes Public Viewing fühlt sich an wie ein queeres Event. Kann doch kein Zufall sein, dass der CSD und das Finale der Frauen-EM aufs gleiche Wochenende fallen – Happy Pride!
Mein Freund:innenkreis feuert übrigens längst nicht nur das deutsche Team an. Klar drücken wir den DFB-Frauen im Halbfinale die Daumen, aber ganz ehrlich: Egal, wer am Sonntag im Finale steht – wir treffen uns eh im Willy-Kressmann-Stadion, trinken Bier in der Sonne, schauen beim offenen Turnier FLINTA*s beim Kicken zu und fiebern dann gemeinsam mit. Denn irgendwie fühlt es sich sowieso so an, als würden all die queeren Spieler:innen, die wir feiern, in unserem Team spielen.
Lust auf Public Viewing? An diesen Orten könnt ihr die Spiele der Women’s EURO sehen. Was geht sonst dieses Wochenende? Diese Events erwarten euch rund um den CSD. Berlin ist eine Fußballstadt: Diese legendären Stadien erzählen Stadtgeschichte. Frauenfußball hat mehr Anerkennung verdient: Berliner Frauenteams von Türkiyemspor, Union und Viktoria erneuern den Fußball. Auch immer spannend: Die Beziehung zwischen Hertha und Union. Mit der „Alten Dame“ ist es nicht immer leicht: Wer Hertha liebt, muss leiden können. Ihr wollt euch lieber selber austoben? Wie wär’s mit Billard? Hier sind Kneipen für lange Abende mit Queue und Kugeln. Nicht kurbeln: Hier gehts rund am Tischkicker. Selber fit werden? Tipps findet ihr in unserer Sport-Rubrik. Was geht sonst? Das sind die Highlights im Juli in Berlin.

