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Gayhane – ein opulenter Bildband feiert die queere Multikulti-Partyreihe

Ende der 1990er-Jahre fand im SO36, mitten in Kreuzberg, die erste Gayhane-Party statt. Queer und multikulturell, irgendwo zwischen ausgelassener Feierfreude, sozialem Engagement und Trash, tanzten seitdem Teile der Berliner LGBTI+-Community zu eklektischen Sounds aus türkischen, arabischen, hebräischen, griechischen und bulgarischen Sphären. Dazwischen gaben Künstler*innen Performances, mal hochpolitisch und engagiert, mal schräg und subversiv. Das gab es so noch nie!

Gut 20 Jahre später feiert der opulente Bildband „Kosmos Gayhane“ die queere Multikulti-Partyreihe. Fotos von Nicolaus Schmidt und Texte von Helen Adkins, İpek İpekçioğlu, Fatma Souad und Kira Kosnick erinnern an legendäre Abende, verhandeln Queerness und Migration und blicken auf politische und gesellschaftliche Zustände. Hier zeigen wir 12 Fotos aus dem aufwendig produzierten Jubiläumsband und erzählen entlang der Bilder die Geschichte der Gayhane-Party.


Am Anfang war der GON Club

Performance von Cihangir Gümüştürkmen
Performance von Cihangir Gümüştürkmen, Foto aus dem Band „Kosmos Gayhane“. Foto: Nicolaus Schmidt

Was tut man, wenn man schwul, lesbisch oder transgender ist und einen muslimisch geprägten Hintergrund hat? Bis weit in die 1990er-Jahre hinein blieb man unter sich, meist in privaten Wohnungen wurde getanzt, getafelt und gesungen. Bis der türkisch-deutsche Politiker (Die Linke) und Autor Hakan Taş 1996 den GON Club ins Leben rief, den Gay Oriental Night Club. Anfangs fanden die Partys in Tempelhof statt, später zog man nach Charlottenburg weiter, und 1997 holte Berlins berühmteste Dragqueen Gloria Viagra die Party ins SO36.


Neue Heimat im SO36

Performance von Cihangir Gümüştürkmen
Performance von Cihangir Gümüştürkmen, Foto aus dem Band „Kosmos Gayhane“. Foto: Nicolaus Schmidt

Der Name „Gayhane“ ist eine Kombination aus dem englischen Wort „Gay“, das bekanntlich für schwul steht, und dem türkischen Wort „Hane“, das Kneipe bedeutet. Gayhane ist damit einer Wortschöpfung und heißt in etwa „Schwulenkneipe“ oder „Schwulenhaus“. Ab 1997 bot der legendäre Kreuzberger Punkclub SO36 der Party eine Heimat. DJ Hakan legte orientalische Tanzsounds auf, und Gastkünstler*innen wie Chayenne Crack Crack, Cihangir Gümüştürkmen (Foto), Gerome Castell und viele mehr gaben Performances.


Von Beginn an dabei: Fatma Souad

Fatma Souad
Fatma Souad, Foto aus dem Band „Kosmos Gayhane“. Foto: Nicolaus Schmidt

Fatma Souad, bürgerlich Hakan Tandoğan, lebt seit 1980 in Berlin. Die Aktivistin mit kurdischen Wurzeln setzt sich seit Langem für die LGBTI+-Community ein und ist Organisatorin des transgenialen CSD. Die Veranstaltung kritisiert den regulären CSD als „zu kommerziell und zu unkritisch gegenüber Rassismus und Krieg.“ Auch bei Gayhane ist sie seit den ersten Tagen dabei.


Erinnerung an die ersten Partys

Fatma Souad
Fatma Souad. Foto: Nicolaus Schmidt

In ihrem Text zum Gayhane-Jubiläumsband schreibt Fatma Souad über die ersten Partys im SO36: „Zu dieser Zeit war der Andrang von Gästen noch nicht so groß und Gayhane war noch etwas Neues für uns alle. Eine ständig wechselnde Raumdekoration euphorisierte uns alle. Wir räkelten uns auf mit Kissen und Teppichen ausgelegten Podesten und genossen diesen Raum, unseren Raum.“


Not only a Show

Show, Foto aus dem Band "Kosmos Gayhane". Foto: Nicolaus Schmidt
Show, Foto aus dem Band „Kosmos Gayhane“. Foto: Nicolaus Schmidt

Die Mitternachtsshows reichten von orientalischen Tanzeinlagen bis zu singenden Transen und regulären Konzerten von Bands wie Princessin Hans & Entourage oder Nuré. Oft moderierte Gloria Viagra durch den Abend, DJ Ipek legte auf, ihr Dancefloor nannte sich HomoOriental, später kamen weitere Gast-DJs hinzu. Stets wurden aber auch wichtige politische und soziale Anliegen thematisiert, und ein Soli-Beitrag in Höhe von 50 Cent wurde für unterstützungswürde Projekte an der Abendkasse erhoben.


Probleme im Kiez

Performance von Cihangir Gümüştürkmen
Performance von Cihangir Gümüştürkmen, Foto aus dem Band „Kosmos Gayhane“. Foto: Nicolaus Schmidt

Früh kamen neben der LGBTI+-Community auch die ersten türkischen Mädchen und Frauen zu den Gayhane-Partys. Sie entdeckten den Freiraum auch für sich, jenseits der üblichen türkischen Diskotheken in Berlin, wo sie den stumpfen Anmachen von Heteromachos ausgesetzt waren, schreibt Souad. Es sollte nicht lange dauern, da kamen ebendiese jungen Männer in unser Haus. Es gab etliche Versuche von unseren nachbarschaftlichen Kiezmackern, den Raum zu vereinnahmen und dort ihre männlichkeitswahngeprägten Gesetze der Straße und Heime mit Fäusten geltend zu machen.“ Kreuzberg kann auch sehr intolerant sein, es kommt auf die Herkunft an, wie frei man sich in dem linksgrünen Bezirk bewegen kann.


„Ich bin eine Schwuchtel“

Performance von Gloria Viagra
Performance von Gloria Viagra. Foto: Nicolaus Schmidt

Um den Problemen mit den Kiezmackern spielerisch entgegenzuwirken, verteilten die Veranstalter*innen Buttons mit der Aufschrift „ben ibneyim“ („Ich bin eine Schwuchtel“) oder „ben lezoyum“ („Ich bin eine Lesbe“). Wer das nicht tat, musste am Tresen mehr für die Getränke bezahlen. Immer wieder mussten die Spielregeln gegenüber den Invasoren behauptet werden. Am Ende folgte aber eine harte Türpolitik, die viele Heteros ausgeschlossen hat. Es gab Erklärungen, eine zweite Oriental-Party und Türsteherinnen. Immer wieder kam es zu Angriffen auf das Sicherheitspersonal, es gab Schlägereien und die Angst, Gayhane aus Kreuzberg zu verlagern, wurde immer realer. Dazu kam es aber nicht. Das Motto „No respect no party“ setzte sich durch.


WeibsHerr*lein Ingoe Deltraut

Ingoe Deltraut und Fatma Souad
Ingoe Deltraut (links) und Fatma Souad. Foto: Nicolaus Schmidt

Ingoe Deltraut spielte schon am Gorki und singt bei den Gayhane-Partys Lieder. Auf der Webseite beschreibt sich das selbst ernannte Weibsherrlein als „ureigener, gefundener „künstlerischer“ Ausdruck für ein alltäglich durch-, er- und gelebtes MenschInnen-Dasein in der Grauzone der Geschlechtszugehörigkeit unserer heteronormierten Gesellschaft.“


Die Partyreihe zum Diskurs

Ingoe Deltraut, Foto aus dem Band "Kosmos Gayhane". Foto: Nicolaus Schmidt
Ingoe Deltraut. Foto: Nicolaus Schmidt

In gewisser Weise stellt Gayhane das nächtliche Partyäquivalent zu den theoretischen Diskursen, die in Redaktionen, in Verlagen und an den Universitäten stattfinden. Von neofeministischen Diskursen, die in der in Berlin produzierten Zeitschrift „Missy Magazin“ geführt werden, über die Bücher von Margarete Stokowski und Hengameh Yaghoobifarah, werden allerorts Geschlechterbilder, Macht und Gesellschaft, Diskriminierung, Rassismus und Sexismus verhandelt. Es geht um Akzeptanz, Schutz- und Freiräume und die Möglichkeit so zu leben, wie man will.


Sabuha Salaam vereint Party und Aktivismus

Sabuha Salaam, Foto aus dem Band "Kosmos Gayhane". Foto: Nicolaus Schmidt
Sabuha Salaam. Foto: Nicolaus Schmidt

Auch Sabuha Salaam gehört zum Gayhane-Team der ersten Stunde. Sie wurde in der Türkei geboren, kam mit sieben nach Deutschland, wuchs im Ruhrpott auf und lebt schon lange in Berlin. Eigentlich heißt sie Mesut Özdemir. Die Aktivistin hat zudem GLADT mitbegründet, eine Interessenvertretung für queere Einwander*innen.


Die Geschichte der Liebe

Covermotiv: Fatma Souad, Foto aus dem Band "Kosmos Gayhane". Foto: Nicolaus Schmidt
Fatma Souad. Foto: Nicolaus Schmidt

Dieses Foto von Fatma Souad ziert das Cover des Jubiläumsbands „Kosmos Gayhane“. In dem Begleittext schreibt die Berliner Kunsthistorikerin Helen Adkins: „Das Buch erzählt die Geschichte der Liebe. Auf der einen Seite mit großer Offenheit, anhand der Nahporträts vieler Akteure, und auf der anderen Seite verschlüsselt in einer Kunstschrift, die orientalisch Anmutet.“


Eine eigene Schrift

Kaligrafie "Ich träumte von Gayhane", Foto aus dem Band "Kosmos Gayhane". Foto: Nicolaus Schmidt
Kaligrafie „Ich träumte von Gayhane“, Foto aus dem Band „Kosmos Gayhane“. Foto: Nicolaus Schmidt

Nicolaus Schmidt, der hinter dem Vorhaben „Kosmos Gayhane“ steht und der die Fotos gemacht hat, stellte irgendwann fest, dass es für ihn Vorgänge im Club gab, die aufgrund verschiedener Kulturen oder Sprachen für ihn nicht verständlich waren. Es gab zwar eine gemeinsame musikalische Identität während der Nächte, jedoch keine gemeinschaftliche Sprache. Folglich entwickelte er eine eigene Schrift und stellte sie neben seine Fotografien. Diese fiktive Schrift könnte aus dem vorislamischen Schriftfund stammen.


Kosmos Gayhane von Nicolaus Schmidt, Mappe (29,5 x 24 cm) mit Multiple (Künstlerbuch, 96 Seiten, Farbe) sowie einem Magazin (72 Seiten, Schwarz-Weiß), Texte von Helen Adkins, İpek İpekçioğlu, Fatma Souad, Kira Kosnick und Nicolaus Schmidt. Preis: 66 €. Das Buch gibt es im Online-Shop der Kunststiftung K52.


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