Am 1. Oktober 1920 entstand Groß-Berlin, mit der Eingemeindung der umliegenden Ortschaften entstand so quasi über Nacht die drittgrößte Metropole der Welt. Berlin stieg zu einer modernen Stadt auf und wurde zum Inbegriff des pulsierenden Lebens in den Goldenen Zwanzigern.
Das Stadtmuseum Berlin widmet sich mit der Ausstellung „Chaos & Aufbruch“ den Umwälzungen von vor 100 Jahren. Schon damals beherrschten Themen wie Bildung, Gesundheit, Wohnen und Erholung die Politik und die Bewohner. Die Diskussionen sind geblieben, doch die Lebenswirklichkeit hat sich radikal verändert. Hier sind 12 Bilder aus der Ausstellung, die zu den Anfängen von Groß-Berlin führen.
Das Leben der Oberschicht
Man hatte noch Bedienstete und keine Putzhilfen und diese trugen auch artig ihre Uniform beim Staubfeudeln. Die Dame des Hauses stand herum und gab Anweisungen während der Herr Gemahl sich seinen Schnurrbart wichste und in der Fabrik Anweisungen gab. So sah das Leben der Berliner Oberschicht vor dem Ersten Weltkrieg aus, und so in etwa gab es das noch zu den Zeiten der Eingemeindung und des Anfangs von Groß-Berlin. Nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings war das bourgeoise Leben erstmal vorbei oder hat sich ziemlich verändert.
Sozialer Wohnungsbau: Hufeisen-Siedlung
Die untere Mittelschicht lebte nicht in Prunk und Luxus, man hatte kein Personal, aber in den modernen Großsiedlungen, die in den 1920er-Jahren in Berlin entstanden sind, konnte man zumindest dem Elend der Berliner Hinterhöfe entfliehen. Die Hufeisen-Siedlung in Britz gilt als Paradebeispiel des sozialen Wohnungsbaus und bis heute als bahnbrechende architektonische Leistung. Mehr Meisterwerke des Neuen Bauens sowie visionäre Bauhaus-Gebäude in Berlin findet ihr hier.
Gute Stube in Alt-Berlin
Wer im Altbau blieb, musste sich irgendwie einrichten. Kinderreiche Familien bewohnten oft kleine Wohnungen und es war nicht selten, dass jeder Raum von drei oder vier Personen bewohnt wurde. Die Toilette war auf halber Treppe, gewaschen hat man sich in der Schüssel, das Wasser musste auf der Kochplatte warm gemacht werden. Badetag war einmal die Woche, dafür ging man in die öffentliche Badeanstalt.
Potsdamer Platz mit Verkehrsturm
Ab 1920 wurde in Groß-Berlin alles schneller, enger, moderner und elektrischer. Das Nachtleben gilt heute als legendär, man spricht oft vom Tanz auf dem Vulkan. Auch der Verkehr nahm immer mehr zu. Mit der Industrialisierung kamen massenweise Zugezogene in die Stadt, um Arbeit in den großen Betrieben zu finden, und die mussten durch die Stadt transportiert werden. Am Potsdamer Platz, damals dem verkehrsreichsten Platz in Europa, liefen alle Wege zusammen.
Potsdamer- und Bellevuestraße von oben
Schaut man sich heute den Potsdamer Platz um 1920 an, mag man gar nicht glauben, wie anders es dort vor dem Zweiten Weltkrieg ausgesehen hat. Das Luftbild zeigt einen sternförmigen, dicht befahrenen Verkehrsknotenpunkt, der von mächtigen Gebäuden umfangt wird.
Heute ist davon kaum noch was zu erahnen, der Potsdamer Platz ist ein steriler Ort geworden, der vor allem von Touristen frequentiert wird und wo man als Berliner eigentlich nichts verloren hat. Außer in den zehn Tagen der Berlinale vielleicht.
Zwei Frauen mit reisigbeladenem Handkarren
Dieses Foto wurde von dem berühmten Berliner Maler, Zeichner und Fotografen Heinrich Zille im Jahre 1898 aufgenommen. Lange vor der Entstehung Groß-Berlins, aber dennoch ein eindrucksvolles Zeitdokument, das zeigt, wie archaisch das Leben in Berlin noch sein konnte. Diese zwei Frauen mit dem reisigbeladenen Handkarren hätten so wohl auch in noch früherer Zeit durch die Gegend ziehen können.
Innenhof in Mitte
Die Hinterhöfe in Berlin sind ein Welt für sich. In der Zeit um 1920 waren sie Orte, an denen sich das Leben abspielte, hier wurde gewaschen, gespielt und gearbeitet. Später gerieten sie in Vergessenheit und wandelten sich zu tristen Flächen, auf denen die Mülltonnen standen. Erst die Hausbesetzer entdeckten den Hinterhof neu und heute sind viele Berliner Höfe begrünt und sind halbprivate Großstadtoasen, wo man mit den Nachbarn grillen kann und die Kinder herumtoben.
Strandbad Wannsee
Die Lust der Berliner auf eine Abkühlung im frischen Seewasser war vor 100 Jahren nicht kleiner als heute. Schon damals wurde auf politischer Ebene das Thema Naherholung diskutiert und man nahm einige Großprojekte in Angriff. Dazu zählte der Ausbau des Strandbads Wannsee. Eröffnet wurde das im Grunewald gelegene Bad bereits 1907, doch erst ab 1927 wurde es nach und nach zum „Weltstadtbad“ umgestaltet. Bis 1930 stiegen die jährlichen Besucherzahlen auf 1,3 Millionen.
Bahnhof Gleisdreieck
In seinem legendären Experimentalfilm „Berlin – Sinfonie einer Großstadt“ (1927) verewigte der Regisseur Walter Ruttmann das Tempo und den Rhythmus des modernen Großstadt Berlin. Der Verkehr spielte dabei eine wichtige Rolle. Auch der Grafiker, Zeichner und Karikaturist Fritz Koch-Gotha (1877-1956) stand unter dem Eindruck der wachsenden und immer voller werdender Metropole. 1930 malte er das Gedränge am Gleisdreieck.
Straßen der Arbeit
Der Maler Oskar Nerlinger gehörte in den 1920er-Jahren künstlerischen Avantgarde-Zirkeln an, als überzeugter Kommunist beschäftigte er sich in seinen Werken auch mit den Themen Arbeitswelt und Produktion. Auf dieser Zeichnung aus dem Jahr 1930 entwarf er eine utopische Vision von „Straßen der Arbeit“.
Die Wohnungsnot
Das Thema Wohnungsnot gehört zu Berlin dazu. Teure Mieten, Verdrängung, skrupellose Investoren und die verzweifelte Suche nach dem eigenen Heim beschäftigten die Menschen auch vor 100 Jahren. Der Berliner Komponist Rudolf Nelson inszenierte das Problem bereits 1919 in seinem Bühnenstück „Die Wohnungsnot“. 2019 folgte ihm die Berliner Musikerin Christiane Rösinger, die die Gentrifizierung als Musical präsentierte.
S-Bahnhof Gesundbrunnen
Es geht um „Chaos & Aufbruch“, wie der Titel der Ausstellung vorgibt. Die Stadt wuchs mit vier Millionen Bewohnern in unbekannte Dimensionen, alle Aspekte des Zusammenlebens mussten neu gedacht und konzipiert werden. Gleichzeitig erhitzte sich die politische Situation und der wirtschaftliche Druck war enorm. Dennoch wuchs und gedieh Berlin, wie man auf dem Bild von Willy Dzubas sehen kann, der die Bauarbeiten am Bahnhof Gesundbrunnen festhielt.
Chaos & Aufbruch im Stadtmuseum, Am Köllnischen Park 5, Mitte, Di-Fr 12-18 Uhr, Sa+So 10-18 Uhr, bis 30.5.2021
Mehr Berlin verstehen
Wir zeigen euch mehr Fotos, nämlich vom Kriegsende, und vergleichen Bilder von 1945 und 2020. Den Vorher-Nachher-Vergleich haben wir auch mit der Berliner Mauer gewagt.Außerdem haben wir uns mit Beton und Brutalismus beschäftigt, da darf die Berliner Mauer nicht fehlen. Nun ist sie weg – und bei uns erfahrt ihr mehr über andere Bauwerke, die ebenfalls aus dem Stadtbild verschwunden sind. Aber Kreuzberg ist lebendig wie eh und je – umstritten, begehrt und gefeiert.