Berlin verstehen

Saufen in Berlin: Eine beschwipste Zeitreise in Bildern

Alkohol ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt der Geschichte von Berlin, ach was, der Menschheit. „Säufste, stirbste, säufste nicht, stirbste ooch“, so lautet eine der großen Weisheiten dieser Stadt. Wir folgen diesem Credo und gehen auf eine beschwipste Reise von der Kaiserzeit bis zum Mauerfall. Denn egal was sonst so los war, getrunken wurde immer. Beim Saufen ist der Berliner demokratisch. Ob Schnaps, Wein oder Bier, ob in der Bierhalle oder im Gartenlokal, in der Eckkneipe oder im teueren Restaurant, in der Eckkneipe, im Club oder vorm Späti – Alkohol fließt immer. Wir blicken nicht ganz nüchtern darauf zurück und zeigen euch historische Bilder.


Bierhallen im 19. Jahrhundert

Bierhalle in Berlin, Illustration aus dem 19. Jahrhundert. Foto: Imago/World History Archive/UIG
Bierhalle in Berlin, Illustration aus dem 19. Jahrhundert. Foto: Imago/World History Archive/UIG

Bis ins 19. Jahrhundert wurde Bier eher von den niederen Ständen in Schenken und Kneipen getrunken. Doch dann errichteten Brauereien in Großstädten wie München oder Berlin richtiggehende Bierpaläste. Prunkvolle Etablissements, die Hunderten Gästen Platz boten und dem Biergenuss eine neue Anmutung gaben.

In Berlin existierten bis ins frühe 20. Jahrhunderte mehrere solcher Einrichtungen: etwa Woschnik’s Bierhallen in Charlottenburg oder die Einsiedler Bierhallen am Hackeschen Markt.

Mit oder ohne Bierpaläste, Berlin war und ist bis heute eine Bierstadt. Davon zeugen die vielen Berliner Brauereigebäude, die zwar heute meist nicht mehr in Betrieb sind, jedoch an die Bedeutung der Braukunst für die Stadt erinnern. Und spannende, aber vergessene Kapitel der Stadtgeschichte – wie der Bierboykott von 1894, an den wir hier erinnern.


Zille sein Milljöh

Berlin und der Alkohol: "In der Destille", Zeichnung von Heinrich Zille, Anfang des 20. Jahrhunderts. Foto: Archiv/Gemeinfrei
„In der Destille“, Zeichnung von Heinrich Zille, Anfang des 20. Jahrhunderts. Foto: Archiv/Gemeinfrei

Das Milljöh waren die Spelunken, Hinterhöfe und Läden, in denen sich der gemeine Berliner rumtrieb. Heinrich Zille, der Maler, Karikaturist, Fotograf und einer der berühmtesten Künstler, den Berlin jemals hervorgebracht hat, setzte mit seinen Zeichnungen dem Milljöh ein Denkmal. Er zeigte die Stadt wie sie war, die Armut, die Säufer und leichten Mädchen, die Gauner und die frechen Steppkes. Ein ebenso liebevolles wie realistisches Abbild Berlins.

Wer wissen will, wie das alkoholisierte Berliner Kneipenleben an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ausgesehen hat, sollte sich Zilles Bilder ansehen. Wie etwa das obige Motiv „In der Destille“. Der Spruch an der Wand „Glücklich ist, wer verfrisst, was nicht zu versaufen ist“, spiegelt die pragmatische Philosophie des Milljöhs. Und vielleicht findet man etwas von Zilles Geist noch in diesen Berliner Kneipen, die schon seit 100 und mehr Jahren ausschenken. Oder ihr begebt euch einfach auf die Spuren des „Pinselheinrichs“: Zille läuft man in Berlin öfter über den Weg.


Très chic im Kempinski

Postkarte aus dem Kempinski, Berlin. Um 1905. Foto: Imago/KHARBINE-TAPABOR
Postkarte aus dem Kempinski, Berlin. Um 1905. Foto: Imago/KHARBINE-TAPABOR

Gesoffen haben alle. Arm und reich. Die Bürger in den Bierhallen, das Milljöh in den Eckkneipen und Hinterhof-Schenken und die Oberen Zehntausend in den vornehmen Bars und Hotels. Dort flossen zwischen mondänem Schick à la Paris und Wien und einer gewissen preußischen Strenge, Champagner, alter Whiskey, Cognac und teurer Wein.

Diese Postkarte aus dem Jahr 1905 zeigt Bacchus, den römischen Gott des Weines und zwei trinkfeste Bürger der ewigen Stadt. Wer Geld hat, der säuft bei Kempinski, dessen Restaurants und Weingeschäfte schon vor 100 Jahren zu den schicksten Adressen der Stadt gehörten. Wer sich im 21. Jahrhundert besonders vornehm einen hinter die Binde kippen will, kann ja mal in diesen Berliner Luxushotels vorbeischauen.


„O’zapft is!“ an der Spree und der Tanz auf dem Vulkan

Elite-Garde von Plempersdorf mit Bierfass, 1925. Foto: Imago/Arkivi
Elite-Garde von Plempersdorf mit Bierfass, 1925. Foto: Imago/Arkivi

Das gesellschaftliche Leben funktioniert auch heute noch oft nur mit Alkohol. Geschäftsessen, formale Dinners, Staatsbankette und offizielle Feste. Bei jeder Gelegenheit wird auch eingeschenkt. Auch dieser Männerbund erfreute sich am kühlen Gerstensaft. Hier zapfen die Elite-Gardisten von Plempersdorf 1925 ein Fässchen Bier an und posieren für den Fotografen. Burschenschaften, Vereine und Herrenclubs hatten stets eine Vorliebe für Alkohol.

In Berlin der 1920er-Jahre brodelte das Nachtleben. Man tanzte von Alkohol und anderen Substanzen berauscht auf dem Vulkan. Von einem furchtbaren Krieg weg und auf eine neue Katastrophe zu. Diese Zeit zwischen Armut und Glanz, Fortschritt und Konservatismus, linker und rechter Ideologie, zeigt die TV-Serie „Babylon Berlin“ in all ihrer Vielfältigkeit. Auch den damaligen Alkoholkonsum.


Bierkutscher, Brauer, Wirte und mehr

Bierkutsche der Schultheiss Brauerei, 1936. Foto: Imago/Arkivi
Bierkutsche der Schultheiss Brauerei, 1936. Foto: Imago/Arkivi

Gründe, sich zu betrinken, gibt es viele. Einige wollen einfach nur feiern, andere vergessen und noch andere entspannen, manchmal werden die Gläser aus sozialen Anlässen geöffnet, bei einem Vertragsabschluss oder Tante Gerdas 60. Geburtstag. Und manchmal trinkt man einfach nur so, weil man kann und es nichts anderes zu tun gibt.

Man darf aber nicht vergessen, dass hinter all den Schnäpsen, Bieren, Cocktails und Weinen eine riesige Industrie steht. Auch in den 1930er-Jahren lebten unzählige Berliner und Berlinerinnen direkt oder indirekt vom Alkohol. Wirte, Kellner, Bierkutscher, Brauer und viele andere mehr.

Der Berliner Bierkutscher war eine Marke für sich. Bis zum Zweiten Weltkrieg lieferten sich die derben Gesellen Reit- und Fahrturniere, wovon dieses Foto aus dem Jahr 1936 zeugt. Wer mehr über die Geschichte der Rennen in Berlin erfahren will, findet hier ein Kapitel der etwas rasanteren Stadtgeschichte.


Die Berliner Eckkneipe

Kneipe am Wasserturm in DDR, Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Christian Thiel
Kneipe am Wasserturm in DDR, Berlin, Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Christian Thiel

Nach dem Zweiten Weltkrieg lag die Stadt in Trümmern, doch schon bald eröffneten erste Lokale, in denen wieder getrunken wurde. Die Eckkneipe war seit den 1950er-Jahren wieder auf dem Siegeszug. In einigen Bezirken West-Berlins gab es an jeder Kreuzung gleich vier davon.

Tresen, Zapfhahn, Stammtisch, Rauchschwaden. Man kannte sich, quatschte, prügelte sich und erholte sich vom Stress des Alltags, Stress mit dem Ehepartner, dem Chef oder schlechten Nachrichten. Im Westen wie im Osten. Auch in Prenzlauer Berg kehrte nach der Arbeit so mancher Familienvater erst einmal auf ein kühles Blondes ein.

Heute verschwinden diese Lokale aus dem Stadtbild. Die Gentrifizierung und der Wandel der Stadt machen ihnen zu schaffen. Sie sind Ikonen mit Schaumkronen: Die klassische Eckkneipe würdigen wir hier.


Am Tresen mit der West-Berliner Boheme

Künstlerkneipe Leierkasten in Kreuzberg, 1960er-Jahre. Foto: Mellebga/Wikimedia Commons/CC BY 4.0
Künstlerkneipe Leierkasten in Kreuzberg, 1960er-Jahre. Foto: Mellebga/Wikimedia Commons/CC BY 4.0

Die 1960er-Jahre waren in Kreuzberg so etwas wie die Geburtsstunde der Kiezboheme. Künstler zogen in den heruntergekommenen Arbeiterbezirk, malten, schrieben Gedichte und machten Theater und weil die Künstler auch irgendwo saufen mussten, fanden sie ihnen wohl gesonnene Kneipen, die man fortan als „Künstlerkneipe“ bezeichnete.

Der Mythos Kreuzberg entstand, legendär wurde der Leierkasten, die wohl berühmteste, von 1960 bis 1977 in Kreuzberg existierende, Künstlerkneipe. Insterburg und Co., Günter Grass und viele andere Berühmtheiten gehörten zu den Gästen. Der Lyriker Gerhard Kerfin schrieb 1965 das Gedicht „Nächte im Leierkasten“, darin findet sich die Strophe: „von der musik-box / interpretiert / bekommt die / hinterhof-melancholie / manchmal klare / spendiert“. Prost!


Saufen im real existierenden Sozialismus

Mitglieder der Brigade des 7. Parteitags – VEB Plastikwerk Berlin – während der Betriebsfeier im Bowling Zentrum VE Gaststätten- und Hotelorganisation Berolina (HO) am Berliner Alexanderplatz. Foto: Imago/Werner Schulze

Weniger ausschweifend und künstlerisch befreit ging es im real existierenden Sozialismus zu. Man soff bei zu hellem Licht und an hässlichen Resopaltischen, aber Bier ist Bier und nach dem Vierten vergisst man dann auch das Regime. Die Aufnahme entstand 1975 und im Prinzip sagt die Bildunterschrift alles über die offizielle Trinkkultur in der DDR. Fast.


Alkoholisierte Protestkultur in der DDR

Haus der Jungen Talente in Ost-Berlin, 1982. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo12
Haus der Jungen Talente in Ost-Berlin, 1982. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo12

Die biederen SED-Bonzen haben nämlich die Rechnung ohne die Freaks, subversiven Künstler und Rockfans gemacht. Die hatten meist keinen Bock auf Saufen bei schlechtem Licht und an hässlichen Resopaltischen. Die Jugend in der DDR begehrte auf, man hörte westliche Popmusik, Punk oder Jazz, man ließ die Bärte und Haare wachsen und diskutierte jenseits der staatlichen Ordnung über den Klassenfeind, einen Sozialismus mit anderem Antlitz, oder man betrank sich einfach so und knutschte.

In Ost-Berlin gab es neben Bier und ungarischem Wein auch einige kuriose Getränke, die sich Klosterbruder, Blauer Würger, Klarer Juwel oder Lunikoff nannten. Das Foto zeigt einige Vertreter der jungen Generation im Jahre 1982 bei einem Konzert im Haus der Jungen Talente.


Subversiv abstürzen

Geniale Dilletanten, 1983. Wolfgang Müller und andere bei einer Party. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo12
Geniale Dilletanten in West-Berlin, 1983. Wolfgang Müller und andere bei einer Party. Foto: Imago/Ilse Ruppert/Photo12

West-Berlin in den 1980er-Jahren brachte eine ganz eigene Subkultur hervor. Die Genialen Dilletanten verstörten mit subversiven Strategien das Publikum und prägen die Stadt bis heute. Gruppen wie Die Tödliche Doris, Einstürzende Neubauten oder der Komponist Frieder Butzmann gingen neue klangliche Wege.

Auch damals wurde gesoffen, wenn auch andere Drogen in jener Zeit eine Rolle spielten. Man saß in Schöneberger und Kreuzberger Kneipen wie dem Risiko, Ex’n’Pop oder der Blechbar, das „soziale Wunder“ Maria Zastrow legte schräge Musik von Kassette auf und man soff. Im Risiko kam der mit Pflaumensaft versetzte Wodka in großen Wassergläsern und in der Blechbar gab es Tequilla-Trinkwettbewerbe.

Das Foto aus dem Jahr 1983 zeigt die Geburtstagsfeier des Journalisten Jörg Hoppe, am Tisch sitzt unter anderem Wolfgang Müller, der Mitbegründer von Die Tödliche Doris. Wie es in den 1980er-Jahren im Kreise der Genialen Dilletanten zuging, zeigt auch das „Trinklied“ der Einstürzenden Neubauten.


Dosenbier im Schatten der Mauer

Berlin und der Alkohol: Vatertag an der Mauer in Kreuzberg, Mitte der 1980er-Jahre. Foto: Imago/Sven Simon
Vatertag an der Mauer in Kreuzberg, Mitte der 1980er-Jahre. Foto: Imago/Sven Simon

Der Vatertag war schon immer ein guter Anlass, die Flaschen zu entkorken. Oder, wie es in Berlin der 1980er-Jahre noch üblich war, die Bierdose zischen zu lassen. Heute ist das Aluminium verpönt und das vielleicht nicht zu Unrecht. Pfandflasche ist schon nachhaltiger.

Aber Bierdosen gehörten noch bis in die 1990er-Jahre zum Sauferlebnis im Freien dazu. Im Park, auf der Bank oder in der U-Bahn trank man Schultheiss aus der Dose, wer sparen musste, stieg auf Hansa-Pils um. Eine Dose dieses Gesöffs gab es einst für 39 Pfennige.

Die Aufnahme zeigt ein verlorenen gegangenes Stück West-Berliner Trinkkultur. Tisch und Stühle an der Mauer aufgestellt und die Dosen aus der Alditüte geholt, das Glück war perfekt. Doch dann fiel die Mauer.


Wiedervereinigtes Besäufnis

Berlin und der Alkohol: Berlin feiert die Maueröffnung im November 1989. Ost und West vereinigt sich vor Bolle. Foto: Imago/Brigani Art
Berlin feiert die Maueröffnung im November 1989. Ost und West vereinigt sich vor Bolle. Foto: Imago/Brigani Art

Am 9. November 1989 hat sich alles verändert. Die DDR war am Ende, die Mauer war offen, Ost und West lagen sich in den Armen und schon bald sollte es keinen kalten Krieg und ein wiedervereinigtes Deutschland geben. Alles anders? Fast. Gesoffen wurde natürlich weiterhin und die freudigen Ereignisse der Wendezeit boten genügend Anlässe, für ein feuchtfröhliches Prösterchen. Auf diesem Foto vom 12. November 1989 sieht man einige glückliche Menschen in Mauerfall-Sektlaune vor Bolle stehen. Wiedervereinigt saufen, was gibt es Schöneres?


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