Debatte

Antisemitismus: Studie zeigt problematische Straßennamen

Benannt nach historischer Prominenz wirken viele Straßen und Plätze Berlins zunächst unverfänglich. Antisemitismus würden Geschichtslaien bei Namen wie Clausewitzstraße, Kronprinzendamm oder Kiplingweg nicht vermuten. Selbst die Kantstraße wirkt trügerisch unbelastet. Immanuel Kant war doch Aufklärer, kein Antisemit! In seiner Religionsphilosophie bediente er sich aber antijüdischer Stereotype, bezeichnete Personen jüdischen Glaubens gar als „Vampyre der Gesellschaft“ wünschte ihnen Euthanasie, also einen Gnadentod. Wie viele Straßen und Plätze in Berlin Namen mit antisemitischem Bezug haben, zeigt nun eine Studie, die im Auftrag des Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn entstand.

Ja, auch die Kantstraße hat einen antisemitischen Bezug. Foto: Fridolin freudenfett/CC BY-SA 4.0

Antisemitismus und Straßennamen: Ein ganzer Haufen

290 Straßen und Plätze tragen laut der Studie Namen mit antisemitischen Bezug. Selbst der Autor der Studie, der Leipziger Politikwissenschaftler Felix Sassmannshausen, war über diese „Fülle“ erstaunt, sagte er kürzlich bei einer Veranstaltung der Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung. Für sein Gutachten hat er zwischen Mai und Oktober alle Berliner Straßennamen geprüft. Ein langwieriger, mitunter wohl anstrengender Prozess, dessen Ergebnis allerdings ein wichtiges historisches Lehrstück mit sich brachte.

Ihm nach sind Straßennamen nicht nur eine hohe Form der Ehrung, sondern auch Abbild der politischen Kultur zum Zeitpunkt der Namensgebung. „Wer hat aus Sicht derer, die die Straßen und Plätze benannt haben, Geschichte gemacht und an wen will man anknüpfen?“, fragt Sassmannshausen. Entsprechend empfiehlt er eine gesellschaftliche Debatte und in einer Vielzahl der Fälle eine Umbenennung.

Mit Blick auf den Widerstand, den solche Vorhaben regelmäßig mit sich bringen, keine leichte Angelegenheit. An dieser Stelle sei etwa die „Mohrenstraße“ erwähnt (die Straße beinhaltet die rassistische Bezeichnung Mohr, Begriffserläuterung hier). Aktivist:innen forderten die Umbenennung, das Bezirksamt stimmte zu, doch mehr als 1000 Widersprüche gegen das Vorhaben behindern die Namensänderung bis heute.

Straßen: Namenswechsel als Lernprozess

Wichtig ist, dass es zu vielen Persönlichkeiten weitere Forschung braucht, sagt Sassmannshausen. Bei einigen Personen variiere der Wissensstand stark, das gilt etwa für den Adenauerplatz. Bei letzterem gibt es Hinweise, dass er sich in seiner Regierung mit vielen NS-Funktionären umgeben habe. Bei der Thomas-Mann-Straße ist er hingegen der Meinung, dass der Kontext wichtig ist. Zur Erklärung: Mann reproduzierte antisemitische Klischees in seinen frühen Werken, wurde aber zur NS-Zeit Gegner des Antisemitismus.

Da die Fälle unterschiedlich ausfallen können, gibt Sassmannshausen Empfehlungen. Bei der niedrigsten Stufe empfiehlt er weitere Forschung und Recherche. Ist es bei einer Person klarer, ist er für freizugängliche Infos, etwa auf Online-Straßenplattformen wie Kaupertz und Tafeln vor Ort. Auf der höchsten Stufe sollte es eine Namensänderung geben, etwa bei der Cicerostraße oder dem Kaiserdamm.

Zu den Bewohner:innen sagt der Antisemitismusbeauftragte, dass sie die Umbenennung nicht als als Last, sondern als Prozess politischer Bildung sehen sollten. Studie und Empfehlungen würden die Grundlage für eine „konstruktive, sicher sehr kontroverse Diskussion“ schaffen.


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