Verkehr

Bahnreisende in Berlin im Lauf der Zeit: Abschied, Verheißung, Vorfreude

„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – dem von Reisen ganz besonders. Meistens breitet sich spätestens am Bahnhof in Berlin mit einem Kribbeln eine freudige Erwartung aus, ähnlich dem Verliebtheitsgefühl. Das ist heute noch so, wenn sich die Aufregung des Reisens nicht schon ganz abgenutzt hat, und war früher so, als die Menschen es sich noch nicht leisten konnten, viel zu reisen, wahrscheinlich noch mehr der Fall.

Wie schön, wenn vor Abfahrt noch etwas Zeit bleibt, um sich eine Zeitung im Presseshop im Bahnhof zu kaufen, einen Kaffee vielleicht, zu sitzen und sich die anderen Reisenden anzugucken oder die mächtigen Bahnhofshallen. Haben Menschen am Bahnhof etwas Besonderes im Blick? Möglicherweise. Wahrscheinlich zu heutigen Zeiten nicht mehr unbedingt. Deswegen blicken wir mit historischen Bildern auf Reisende in und um Berliner Bahnhöfe.


Trubel am Bahnhof Friedrichstraße, ungefähr 1899

Der Bahnhof Friedrichstraße in Berlin, ca. 1899.
Der Bahnhof Friedrichstraße, ca. 1899. Foto: Imago/imagebroker

Der Bahnhof Friedrichstraße war schon immer ein wuseliger Ort. Das Bild entstand ungefähr 1899, etwa zehn Jahre nach der Fertigstellung des Bahnhofs und zu einer Zeit, als die ersten PKW über Berlins Straßen rollten. Den Zweiten Weltkrieg überstand der Bahnhof Friedrichstraße relativ unbeschadet – zumindest die oberen Gleise. In das Gleisbett des Nord-Süd-Tunnels der S-Bahn dagegen floss fünf Tage vor Kriegsende auch an der Friedrichstraße das Wasser des Landwehrkanals.

Zu Mauerzeiten war der Bahnhof eher Symbol der deutschen Teilung als von Fernweh und freudiger Erwartung vor einer Reise. Zwar war der Bahnhof Friedrichstraße eine der wichtigsten Grenzübergänge zwischen Ost- und Westberlin. Für die meisten Ost-Bürger:innen war hier jedoch Schluss. Konnten sie doch einmal weiterfahren, flossen meist viele Tränen. Aus diesem Grund trug die Abfertigungshalle des Bahnhofs den Namen „Tränenpalast“. Heute ist in der ehemaligen Abfertigungshalle eine Ausstellung zur deutschen Teilung untergebracht.


Am Ostbahnhof, 1950

Bahnhöfe in Berlin: Am Ostbahnhof mischten sich 1950 Friedensdemonstrant:innen mit Reisenden.
Am Ostbahnhof mischten sich 1950 Friedensdemonstrant:innen mit Reisenden. Foto: Imago/Cola Images

War der Ostbahnhof früher ein Tor nach Osten, nach Europa und in den Rest der Welt, ist er heute ein Bahnhof, an dem die Erinnerungen an betriebsame Zeiten zwar nachhallen, aber Reisende ein seltener Anblick sind. Leerstehende Geschäfte und gelangweilte Verkäufer:innen prägen das Bild. Dazwischen streben Menschen, die ihre Strafe wegen Schwarzfahrens abgelten müssen, zur S-Bahn-Zentrale.

Ganz anders im Sommer 1950. Gleichwohl die Mauer damals noch nicht stand, schwebte die Bedrohung des Kalten Kriegs über der Stadt. Aus diesem Grund demonstrierten in Ost-Berlin hauptsächlich junge Menschen für den Frieden. Am Ostbahnhof mischten sie sich mit denen, die sich gerade auf in den Urlaub machten.


S-Bahnhof Friedrichstraße, 1960

Bahnhöfe in Berlin: Von Nord nach Süd waren die Straßen an der Friedrichstraße immer offen.
Von Nord nach Süd waren die Straßen an der Friedrichstraße immer offen. Foto: Imago/frontalvision.com

Kurz vor Mauerbau: 1960 war es noch relativ einfach, den Grenzübergang Friedrichstraße in Ost-West-Richtung zu passieren, bevor er wenig später traurige Berühmtheit als Tränenpalast erreichte. Menschen überquerten die Grenze, weil sie in einem Teil Berlins wohnten und in dem anderen arbeiteten. In Nord-Süd-Richtung wie auf dem Bild dagegen war immer freie Fahrt für die Trabis des Ostens.


Der Taxistand am S-Bahnhof Friedrichstraße, 1960

Der Taxistand am Bahnhof Friedrichstraße. Foto: Imago/frontalvision.com

Das Taxigeschäft lief in Berlin, wie alles ab der Teilung, getrennt ab. Das schlug sich auch in der vorgeschriebenen Taxifarbe nieder: Anfangs waren alle Taxis in Deutschland schwarz. Dann wurden sie in der BRD elfenbeinfarben und in der DDR blau. Eines der häufigsten Taximodelle in der DDR war GAZ-24 Wolga. Auf dem Bild aber steigt ein Fahrgast vermutlich in einen GAZ M-21 Wolga.


Bahnhof Zoo, 1980

Bahnhöfe in Berlin: Französische Soldaten am Bahnhof Zoo, der britischen Besatzungszone.
Französische Soldaten am Bahnhof Zoo, der britischen Besatzungszone. Foto: Imago/Sven Simon

Zu Christiane F.s Zeiten, also in den 1970er Jahren und auch noch 1980, wie auf dem Bild, war der Bahnhof Zoo ziemlich schmuddelig. Die Heroin-Szene befand sich hier und renoviert war der Bahnhof auch noch nicht. Trotzdem bedeutete der Bahnhof für viele Verheißung, von Urlaub, von Ferne, von Abwechslung, denn zu BRD-Zeiten war der Bahnhof Zoo der wichtigste Fernbahnhof West-Berlins. Soldaten der Alliierten waren in Berlin 1980, wie auf dem Bild, ein gewohnter Anblick auf wenn sich die französischen Soldaten am Bahnhof Zoo nicht in ihrer eigenen Besatzungszone im Nordwesten befanden, sondern in der britischen.


Am Ostkreuz, 1980

Die Berliner Zeitung war die Tageszeitung für Ost-Berlin. Hier verkauft sie ein Mann am Ostkreuz. Foto: Imago/Christian Thiel

Keine Fernreisenden, sondern Pendler: das tägliche Geschehen am Ostkreuz im Jahr 1986, im Vordergrund steht ein Verkäufer der Berliner Zeitung. Das Ostkreuz war schon immer einer der wichtigsten Umsteigebahnhöfe Berlins, heute ist er sogar deutschlandweit einer der am meisten frequentierten Bahnhöfe. 2006 begann der Umbau des Ostkreuz, denn das bis dahin sehr enge Ostkreuz war dem Berufsverkehr nicht gewachsen.


Zug verlässt den Bahnhof Zoo, 1987

Als Reisen noch ein bisschen besonderer waren: Am Bahnhof Zoo 1987. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Es ist nur ein Gefühl, wahrscheinlich aber ein begründetes: Früher waren die Menschen emotionaler, haben den Zügen mit ihren Lieben darin hinterher geschaut, wenn sie die Stadt verließen. Und die in den Zügen winkten denen, die da blieben – aus geöffneten Fenstern, denn das ging früher: einfach das Fenster in einem Fernzug öffnen. Hier verlässt gerade ein Zug den Bahnhof Zoo.


Ostbahnhof im Jahr 2000

Der Ostbahnhof hat auch mal bessere Zeiten gesehen, zum Beispiel das Jahr 1990. Foto: Imago/Eventpress

Weiter oben haben wir von den goldenen Zeiten des Ostbahnhofs geschrieben, als der Bahnhof noch geschäftig war und täglich hunderte Züge auf dem Gleisen ein- und ausfuhren. Das Jahr 1990 fällt in diese Zeit. Der neue Hauptbahnhof wurde 2006 eröffnet und damit ordnete die Bahn auch den Berliner Schienenverkehr neu. Statt 236 halten seitdem nur noch 198 Regionalzüge im Ostbahnhof; die Zahl der Fernverkehrshalte sank von 146 auf 98.


Am Morgen nach der Loveparade 2000, Friedrichstraße

Loveparade 2000, der Morgen danach, Friedrichstraße. Foto: Imago/David Heerde

2000 sollen, je nachdem wen man fragt, Polizei oder Veranstalter, zwischen einer und 1,3 Millionen Besucher:innen auf der Love Parade gewesen sein. Viele wohnten in Berlin, doch ein überwiegender Teil reiste aus ganz Deutschland und auch dem Ausland an. Einige von ihnen sitzen hier am Bahnhof Friedrichstraße am Morgen danach und warten wahrscheinlich auf die richtige Bahn.


Mehr zum Thema

Der Ostbahnhof war mal ein bedeutender Bahnhof, jetzt liegt er meistens verwaist da. Unserer Autorin bricht das Schicksal des Ostbahnhofs das Herz. Dabei hat er eine bewegte Geschichte: Wir erzählen das Leben des Ostbahnhofs anhand von 12 Bildern. Ähnlich ereignisreich ist die Vergangenheit des Bahnhofs Friedrichstraße: Ein Überblick über die Geschichte des Bahnhofs Friedrichstraße, vom Centralbahnhof zum Grenzübergang. Lust bekommen, in Berlins Vergangenheit zu stöbern? Hier präsentieren wir immer wieder neue Texte und Bildergeschichten über Berlins ältere und jüngere Geschichte.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin