Berlin verstehen

Berlin, 1971: Plattenbauten, Giraffen und Jugendkultur im Partykeller

Berlin, 1971: Wütende Frauen protestieren auf den Straßen gegen den Abtreibungs-Paragraphen 218, in Ost-Berlin endet mit dem Amtsantritt Erich Honeckers die Ära Walter Ulbricht und erstmals besetzen linke Aktivisten ein Haus in Kreuzberg. Und auch sonst ist viel in dem Jahr passiert. Die West-Berliner U-Bahnhöfe wurden bunter, die Mode in Prenzlauer Berg schicker, und die Jugend feierte im Partykeller. Wir schauen uns die Zeit etwas genauer an. Diese 12 Fotos schicken Euch auf eine Reise ins Berlin des Jahres 1971.


Todesstreifen zwischen Mitte und Kreuzberg

Berlin 1971: Todesstreifen zwischen Mitte und Kreuzberg, im Hintergrund das Springer-Verlagshaus. Foto: Imago/Gerhard Leber
Todesstreifen zwischen Mitte und Kreuzberg, im Hintergrund das Springer-Verlagshaus. Foto: Imago/Gerhard Leber

Mit dem Mauerbau veränderte sich alles in Berlin. 1971 teilte die Mauer bereits zehn Jahre die Stadt, und so entwickelten sich beide Teile der Stadt auf unterschiedliche Weise. Sozialismus hüben, Kapitalismus drüben. In West-Berlin wurde der „Antifaschistische Schutzwall“ zu einer Sehenswürdigkeit, einem bunt bemalten Kuriosum, über das man von Aussichtsplattformen in den Osten schauen konnte. Man lernte, mit der Mauer zu leben, irgendwann gehörte sie einfach dazu. In der DDR war diese Grenze ein tödlicher Bau, an dem Dutzende Menschen beim Fluchtversuch ihr Leben ließen.


Eröffnung des U-Bahnhofs Fehrbelliner Platz

Eröffnung des U-Bahnhofs Fehrbelliner Platz mit der Lakefield Highschool Band aus Minnesota. Foto: Imago/Serienlicht
Eröffnung des U-Bahnhofs Fehrbelliner Platz mit der Lakefield Highschool Band aus Minnesota. Foto: Imago/Serienlicht

Im Sommer 1971 wurde der U-Bahnhof Fehrbelliner Platz feierlich eröffnet, auch die Lakefield Highschool Band aus Minnesota war dabei. Schließlich waren gaben damals noch die US-Alliierten den Ton in West-Berlin an. Feuerwehrrot steht das Eingangsgebäude der U-Bahnstation im Kontrast zu der sie umgebende NS-Architektur. Die runden Formen und schrillen Farben stehen für die Pop-Ära der 1970er-Jahre. Innerhalb des Gebäudes erleuchten Deckenlampen den Raum, orange und zylinderförmig – auch hier blieb der Architekt Rainer Rümmler bei den runden Formen.


Marheineke-Markthalle in Kreuzberg

Der Kreuzberger Bergmannstraßen-Kiez war 1971 ruhig und die Marheineke Markthalle noch kein Bio-Paradies. Foto: Imago/Serienlicht
Der Kreuzberger Bergmannstraßen-Kiez war 1971 ruhig und die Marheineke-Markthalle noch kein Bio-Paradies. Foto: Imago/Serienlicht

Ende des 19. Jahrhunderts existierten in Berlin 14 Markthallen, die der Ordnung halber durchnummeriert wurden. Am bekanntesten ist heute noch die Markhalle IX in Kreuzberg 36, die die Zahl im Namen beibehalten hat. Insgesamt sind aber nur noch wenige Markthallen erhalten geblieben. Die Markthalle am Marheinekeplatz, direkt an der Bergmannstraße auf Höhe der Zossener Straße gelegen, gehört dazu. Eröffnet wurde die flache Halle mit gut 3000 Quadratmetern Grundfläche im Jahr 1892. Im Krieg zerstört, wurde sie restauriert und wiedereröffnet. In West-Berliner Zeiten haben die Markhallen-Händler die Nachbarschaft mit Obst, Gemüse, Brot, Milch, Fleisch und anderen Produkten versorgt.


Verkehr auf der Frankfurter Allee

Berlin 1971: Dichter Verkehr auf der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Foto: Imago/Gerhard Leber
Dichter Verkehr auf der Frankfurter Allee in Friedrichshain. Foto: Imago/Gerhard Leber

Die heutige Karl-Marx-Allee reicht vom Alexander- über den Strausberger Platz bis zum Frankfurter Tor und heißt anschließend Frankfurter Allee. Der Prachtboulevard hat so viel gesehen wie kaum eine andere Straße in Berlin: Barrikadenkämpfe und die fast völlige Zerstörung im Zweiten Weltkrieg, Wiederaufbau als Magistrale und Prestigeobjekt der DDR, Volksaufstand und Militärparaden zu Ehren sowjetischer Führer. Hier haben wir die Geschichte der Karl-Marx-Allee zusammengefasst.


Großstadtflair am Ernst-Reuter-Platz

Der Ernst-Reuter-Platz um 1971. Foto: Imago/Serienlicht

Der Ernst-Reuter-Platz, im Juni 1953 benannt nach dem ersten Regierenden Bürgermeister in West-Berlin, ist ein Symbol für die Modernisierung der Mauerstadt. Weite Flächen, Springbrunnen, funktionale Bürohäuser, ein dem Autoverkehr überlassener Raum. Heute tummeln sich vor allem Studenten, die zu den vielen Gebäuden der Technischen Universität unterwegs sind. Die meisten Bauten am Ernst-Reuter-Platz entstanden in den 1970er-Jahren.


Damenmode – Made in DDR

Ein wenig Paris in Prenzlauer Berg, 1971. Foto: Imago/Frank Sorge
Ein wenig Paris in Prenzlauer Berg, 1971. Foto: Imago/Frank Sorge

DDR-Modefotografen begannen schon in den 1960er-Jahren, mit den Models auf die Straße zu gehen und neue Kollektionen im Stadtraum zu inszenieren. Die Modegestalter orientierten sich an Trends aus den Modezentren im Westen, etwa Paris und Mailand, suchten aber nach einer eigenen Ausdrucksweise. Oftmals nahm aber auch die sozialistische Ideologie ästhetischen Einfluss auf die Entwürfe, die den Bürger nicht zu individuell oder zu provokant kleiden sollten. Dieses Foto mit dem blonden Model entstand 1971 in Prenzlauer Berg.


Die Kongresshalle in West-Berlin

Kongresshalle entworfen von dem Architekt Hugh Stubbins, September 1971. Foto: Imago/Gerhard Leber
Kongresshalle entworfen von dem Architekt Hugh Stubbins, September 1971. Foto: Imago/Gerhard Leber

Die Kongresshalle ist ein Höhepunkt der West-Berliner Architektur. Gestaltet vom US-Architekten Hugh Stubbins, wurde das 1956/57 errichtete, elegant geschwungene Gebäude mit seinem frei hängenden Dach der Stadt Berlin übergeben. 1980 stürzte die Kongresshalle ein, was für einen stadtweiten Skandal sorgte. 1987 hat sich mit dem Wiederaufbau auch die Ausrichtung der Institution geändert. Nicht mehr deutsch-amerikanisches Kulturprogramm steht im Vordergrund, sondern internationale Kulturvermittlung. Der folgerichtige Name seither: Haus der Kulturen der Welt.


Ab in den Urlaub!

Eine Ost-Berliner Familie fährt mit dem Auto in den Urlaub und wird von Freunden verabschiedet, August 1971. Foto: Imago/Frank Sorge
Eine Ost-Berliner Familie fährt mit dem Auto in den Urlaub und wird von Freunden verabschiedet, August 1971. Foto: Imago/Frank Sorge

Das Traumziel für viele Ost-Berliner Familien war die Ostsee, viel mehr gab es im Arbeiter- und Bauernstaat nicht zu holen. Eine Reise nach Ungarn vielleicht, aber das war eher die Ausnahme. Hier geht es im August 1971 mit dem Wartburg in die Sonne. Die Koffer auf dem Dachgepäckträger fest verschnürt, noch einmal winken und nichts wie weg!


Zoobesucher im Tierpark Friedrichsfelde

Zoobesucher bei den Giraffen im Tierpark Friedrichsfelde. Foto: Imago/Gerhard Leber
Zoobesucher bei den Giraffen im Tierpark Berlin (Friedrichsfelde), Juni 1971. Foto: Imago/Gerhard Leber

Der Tierpark Berlin-Friedrichsfelde wurde 1955 eröffnet, er war eine Konsequenz der deutschen Teilung. Der Zoologische Garten Berlin befand sich im Britischen Sektor und damit in der westlichen Besatzungszone. In Ost-Berlin fehlte also eine tiergärtnerische Einrichtung. Kurzerhand beschloss man, einen neuen Ort zu errichten, wo die DDR-Hauptstädter exotische Tiere sehen konnten. Hier erfreuen sich die Leute im Juni 1971 an den Giraffen.


Jugendkultur in den frühen 1970er-Jahren

Jugendliche bei einem Fest in einem Partykeller, Oktober 1971. Foto: Imago/Gerhard Leber
Jugendliche bei einem Fest in einem Partykeller, Berlin im Oktober 1971. Foto: Imago/Gerhard Leber

Abhotten im Partykeller. Jeans, lange Haare und etwas zu große Brillen, so sah die Jugend in den frühen 1970er-Jahren aus. Disco war noch nicht erfunden, die Sixties aber vorbei, und bis zum Punk sollte es noch eine Weile dauern, also gingen die Kids zu Glamrock ab. Aus den billigen Boxen dröhnten Hits von Mungo Jerry, T-Rex und Middle of the Road oder von Electra und Thomas Natschinski, je nachdem, auf welcher Seite der Mauer man sich befand.


Plattenbauten in Ost-Berlin

Blütezeit der Plattenbauten. Foto: Imago/Gerhard Leber
Ost-Berlin zur Blütezeit der Plattenbauten. Foto: Imago/Gerhard Leber

Noch bevor die Plattenbausiedlungen in Marzahn und Hellersdorf entstanden, ließ die Ost-Berliner Verwaltung auch die Mitte mit den schnöden Hochhäusern bebauen, die die Wohnungsnot in der DDR lösen sollten. Die Verkehrsachsen wie Leipziger Straße und Otto-Braun-Straße, die Fischerinsel und der Alexanderplatz wurden entsprechend umgestaltet. Die Plattenbau-Architektur prägt bis heute die Innenstadt. 


Am Olympiastadion

Das Olympiastadion. Foto: Imago/Serienlicht
Das Olympiastadion in Berlin um 1971. Foto: Imago/Serienlicht

Im Zweiten Weltkrieg nutzten die Nazis Teile der Katakomben des Olympiastadions für den Luftschutz und den Betrieb einer Produktionsanlage für Zünder. Von der Zerstörung blieb das für die NS-Propaganda missbrauchte Bauwerk weitgehend verschont, obwohl das umliegende Gelände von Bombenkratern übersät war. 1947 wurde der durch massive Brandeinwirkung beschädigte Glockenturm vollständig gesprengt und 15 Jahre später neu aufgebaut. Eine Teilüberdachung erfolgte erst 1974.


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