Berlin verstehen

Berlin 1992: Stasi-Akten, Techno und der Tod von Willy und Marlene

Berlin 1992: Wir nehmen euch mit auf eine Zeitreise in die Stadt, die sich seit dem Mauerfall rasant verändert. Auf der Oberbaumbrücke fließt wieder Autoverkehr, am Ku’damm feiert man zu elektronischen Beats, und die sogenannte Gauck-Behörde ermöglicht Einsicht in die Stasi-Akten. Währenddessen herrscht kreative Anarchie auf der riesigen Freifläche hinter dem Kunsthaus Tacheles. Und die Stadt nimmt Abschied von Willy Brandt und Marlene Dietrich, die beide 1992 starben. Wir zeigen euch 12 Fotos aus Berlin im Jahr 1992, die die unterschiedlichsten Facetten abdecken. Viel Spaß!


Party bei der Loveparade am Ku’damm

Party auf dem Kurfürstendamm. Loveparade 1992. Foto: Imago/Günter Schneider
Loveparade in Berlin 1992: Party auf dem Kurfürstendamm.. Foto: Imago/Günter Schneider

Aus anfänglich 150 Teilnehmern, die 1989 unter dem Motto „Friede, Freude, Eierkuchen“ über den Ku’damm ravten, wurden mehr als 100.000. 1992 wandelte sich die Open-Air Techno-Party zur Massenveranstaltung. Wenige Jahre später, da schon im Tiergarten auf der Straße des 17. Juni, kamen mehr als eine Million feierlustige Raver. Hier geht es zur Foto-Zeitreise durch die legendären Berlin-Jahre der Loveparade.


Eröffnung der Stasi-Unterlagen-Behörde

Karteien des ehemaligen MfS, jetzt unter der Kontrolle der Gauck-Behörde, Januar 1992. Foto: Imago/Detlev Konnerth
Karteien des ehemaligen MfS, jetzt unter der Kontrolle der Gauck-Behörde, Januar 1992. Foto: Imago/Detlev Konnerth

Nach und nach wurde die Dimension des Überwachungsstaats DDR klar. Zwar versuchten in den turbulenten Tagen des Mauerfalls Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit, Akten zu vernichten, doch die Bürgerrechtler stürmten die Stasi-Zentrale und verhinderten Schlimmeres. Nach der Wiedervereinigung manifestierte sich der politische Wille, dass Privatpersonen, aber auch Medien und die Wissenschaft, Zugang zu dem Material erhalten müssen. Eine neue Behörde, benannt nach ihrem Leiter, dem späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck, wurde eigens für diesen Zweck gegründet und ermöglichte ab 1992 Einsicht in das brisante Material.


Eine Diva geht von uns: Marlene Dietrich (1901–1992)

Das Grab von Marlene Dietrich in Berlin. Foto: Imago/Teutopress
Das Grab von Marlene Dietrich in Berlin. Foto: Imago/Teutopress

Marlene Dietrich (1901–1992) wurde in Schöneberg geboren und feierte mit Filmen wie „Der blaue Engel“ große Erfolge in der Weimarer Republik. Wie Brecht ging auch die Dietrich ins Exil. Erst in die USA, wo sie in Hollywood den Durchbruch schaffte und zum Weltstar aufstieg, später lebte die Sängerin und Schauspielerin lange Jahre zurückgezogen in Paris. Nach Deutschland kehrte sie nie zurück, doch als sie am 6. Mai 1992 starb, war ihr letzter Wunsch, in ihrer Heimatstadt beerdigt zu werden. Ihr Grab befindet sich auf dem Friedhof Stubenrauchstraße.


Mauerreste am Checkpoint Charlie

Checkpoint Charlie mit Wachturm und Resten der Berliner Mauer. Foto: Imago/Henry H. Herrmann/Eventpress
Checkpoint Charlie mit Wachturm und Resten der Berliner Mauer. Foto: Imago/Henry H. Herrmann/Eventpress

Nachdem im August 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde, die die Stadt für 28 Jahre trennen sollte, errichteten amerikanische Soldaten mitten auf der Friedrichstraße den Checkpoint Charlie. Der Grenzposten verband im geteilten Berlin den sowjetischen mit dem US-amerikanischen Sektor. Nur hier konnten Militärangehörige, Diplomaten und sonstige Funktionäre der BRD die Grenze passieren, ohne einer Kontrolle durch DDR-Soldaten ausgesetzt zu sein. Nach dem Mauerfall verlor der Ort seine Funktion, ist bis heute jedoch eine beliebte Sehenswürdigkeit.


Anarchie im Hof hinter dem Kunsthaus Tacheles

Feuerschlucker auf dem Hof hinter dem Kunsthaus Tacheles, Mai 1992. Foto: Imago/Seeliger
Feuerschlucker auf dem Hof hinter dem Kunsthaus Tacheles, Mai 1992. Foto: Imago/Seeliger

Nach der Wende besetzte eine Künstlerinitiative die halb abgerissene Ruine eines ehemaligen Kaufhauses sowie das dazugehörige Areal in der Oranienburger Straße. Dort entstand das Künstlerhaus Tacheles mit Kino, Theater, Konzertsaal und Ateliers. Heute gehört der Ort zu den größten Bauprojekten der Stadt. Finanzkräftige Investoren errichten auf dem Gelände einen Stadtblock mit Büro- und Geschäftsräumen sowie zahlreichen Kulturinstitutionen.


Das Popjahr 1992: Prince, Roxette, Tom Petty und Johnny Cash

Prince live in der Waldbühne. Foto: Imago/Brigani Art
Prince 1992 live in der Waldbühne in Berlin. Foto: Imago/Brigani Art

Das Popjahr 1992 bot einige Höhepunkte. In der Waldbühne trat Prince auf, zuvor erschienen seine Alben „Diamonds and Pearls“ und „Love Symbol“, ein Jahr später sollte er für eine Zeit seinen Künstlernamen ablegen. Auch Johnny Cash, Tom Petty und Lou Reed kamen 1992 nach Berlin. Heute leben diese legendären Musiker alle nicht mehr. Doch auch jüngere Bands traten auf die Bühnen, so erschien 1992 etwa das Debüt der Berliner Indieband Bobo in White Wooden Houses. Das größte Rockspektakel des Jahres fand allerdings am 26. Mai 1992 im Olympiastadion statt, Guns N’Roses machten auf ihrer „Use Your Illusion World Tour“ in Berlin Station.


Abriss der fast fertiggestellten Friedrichstadtpassagen

Abriss der fast fertiggestellten Friedrichstadtpassagen an der Friedrichstraße. Foto: Imago/Detlev Konnerth
Abriss der fast fertiggestellten Friedrichstadtpassagen an der Friedrichstraße. Foto: Imago/Detlev Konnerth

Noch vor dem Mauerfall planten die zuständigen Ost-Berliner Behörden einen Ausbau der Friedrichstraße zwischen Checkpoint Charlie und Oranienburger Tor. Zentrales Projekt waren dabei die neuen Friedrichstadtpassagen, ein gewaltiger Komplex für Gewerbe und Dienstleistung. Zum Zeitpunkt des Mauerfalls befand sich das Projekt im Rohbau, etwa 60 bis 70 Prozent der Arbeiten waren abgeschlossen. Das war dem französisch-amerikanischen Konsortium, das die Immobilie für 85 Millionen D-Mark kaufte, ziemlich egal. Man ließ den DDR-Bau 1992 abreißen.  


Assel in der Oranienburger Straße

Die Assel in der Oranienburger Straße in Mitte. Foto: Imago/Seeliger
Die Assel in der Oranienburger Straße in Mitte. Foto: Imago/Seeliger

Die linksalternative Szene wuchs in den frühen 1990er-Jahren in Ost-Berlin. Zwar waren die besetzten Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain längst geräumt, doch noch existierten in der Oranienburger Straße linke Kneipen wie die Assel. Heute wäre ein solcher Ort an dieser Adresse angesichts der immer weiter steigenden Mieten unvorstellbar.


Berlin erweist Willy Brandt (1913-1992) die letzte Ehre

Eine Menschenmenge wartet vor dem Rathaus Schöneberg, um den Altbundeskanzler Willy Brandt (SPD) die letzte Ehre zu erweisen, 17. Oktober 1992. Foto: Imago/Sven Simon
Eine Menschenmenge wartet vor dem Rathaus Schöneberg, um den Altbundeskanzler Willy Brandt (SPD) die letzte Ehre zu erweisen, 17. Oktober 1992. Foto: Imago/Sven Simon

Geboren wurde Willy Brandt 1913 in Lübeck, er starb im rheinland-pfälzischem Unkel am 8. Oktober 1992. Beerdigt wurde er im wiedervereinigten Berlin, wo er im Westteil ab 1957 Regierender Bürgermeister war und unter anderem den US-Präsidenten John F. Kennedy empfing und an dessen Seite stand, als dieser seine berühmten Worte „Ich bin ein Berliner“ sprach. Als SPD-Bundeskanzler begeisterte Brandt von 1969 bis 1974 die Bundesrepublik. Sein Grab befindet sich auf dem Waldfriedhof Zehlendorf, wo auch andere legendäre Politiker wie Walter Scheel, Ernst Reuter und Otto Suhr ihre letzte Ruhe fanden.


Die Oberbaumbrücke wird für den Autoverkehr freigegeben

Demonstration anlässlich einer Protestaktion gegen die Freigabe der Oberbaumbrücke für den Autoverkehr, August 1992. Foto: Imago/Seeliger
Demonstration anlässlich einer Protestaktion gegen die Freigabe der Oberbaumbrücke für den Autoverkehr, August 1992. Foto: Imago/Seeliger

Nein, die Oberbaumbrücke ist keine gewöhnliche Brücke. Nach der Wende wurde sie zum Wahrzeichen des wiedervereinigten Berlins und ab 1992 wieder für den Autoverkehr geöffnet. Trotz massiver Proteste von Gruppen, die schon Anfang der 1990er-Jahre eine andere Verkehrspolitik forderten. Dennoch spiegelt der markante Bau über der Spree seitdem die Stadt in all ihren Facetten wider: Die Oberbaumbrücke ist Unterschlupf für obdachlose Menschen, hier taumeln am Wochenende die Feierwütigen zwischen den Kreuzberger Kneipen und den Friedrichshainer Clubs umher. Denn das ist die Brücke auch, eine Verbindung zwischen Ost und West und Symbol der ehemals geteilten Stadt, die wieder zusammengewachsen ist. 


Maroder Charme in Prenzlauer Berg

Schriftzug an einer maroden Wohnhausfassade in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/PEMAX
Schriftzug an einer maroden Wohnhausfassade in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/PEMAX

Nach dem Mauerfall und der Wiedervereinigung brach die DDR-Wirtschaft im rasanten Tempo in sich zusammen. Große Unternehmen wie etwa das in Prenzlauer Berg beheimatete VEB Fleischkombinat Berlin, der einstige Zentralvieh- und Schlachthof, wurden bereits 1991 abgewickelt. In dem bei Künstlern, Studenten und Bohemiens beliebten Stadtteil stand schon vor dem 9. November 1989 viel leer, doch nach der Wende beschleunigte sich die Entwicklung. Kleine Läden hielten der neuen Konkurrenz aus dem Westen nicht stand. Moderne Supermärkte und große Kaufhäuser machten sich breit. 1992 war Leerstand noch Alltag in Prenzlauer Berg.


Golfen auf dem Dach des Steglitzer Kreisels

Ein Freizeitgolfer trainiert auf der Dachetage eines Hochhauses am Steglitzer Kreisel seinen Abschlag. Foto: Imago/Günter Schneider
Ein Freizeitgolfer trainiert auf der Dachetage eines Hochhauses am Steglitzer Kreisel seinen Abschlag. Foto: Imago/Günter Schneider

Der Steglitzer Kreisel gehört zu den symbolträchtigen Gebäuden des alten West-Berlin. Mit 30 Stockwerken war er eines der höchsten Hochhäuser der Mauerstadt. Die Geschichte des Standorts ist von Anfang an turbulent. Da nach der Fertigstellung keine Mieter für das Bürohaus gefunden werden konnten, zog das Bezirksamt Steglitz in die Räume. In den 1990er-Jahren sorgte eine Asbestbelastung des Kreisels für Schlagzeilen. Ab 2007 stand das Gebäude leer und wird aktuell mit großem Aufwand saniert. 1992 konnte man auf dem Dach des Hochhauses noch seinen Golfabschlag üben.


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