Berlin verstehen

Berlin 1996: Was die Stadt bewegte, wie sie sich veränderte

Berlin 1996. Wir blicken 25 Jahre zurück, auf eine Stadt, die sich im Wandel befand. Am Potsdamer Platz wurde gebaut was das Zeug hält, in Prenzlauer Berg begann langsam die Gentrifizierung – aber bei der Walpurgisnacht brannten noch Autos auf dem Kollwitzplatz. Am Spreeufer schossen die Treptowers zum Himmel empor, hinter der East-Side-Gallery stand eine verwahrloste Wagenburg und auf der Straße des 17. Juni tanzten Hunderttausende auf der Love Parade.

Es gab kein Rauchverbot in Kneipen, keine Smartphones, noch kein EasyJet, kaum Parkzonen und die Mieten in der Stadt waren legendär erschwinglich. Dafür regierten noch CDU-Männer wie Helmut Kohl und Eberhard Diepgen. Berlin war 1996 eine andere Stadt in einer anderen Welt.


Januar: Die Beerdigung von Heiner Müller

Berlin 1996: Heiner Müller starb am 30. Dezember 1995, die Beerdigung fand am 16. Januar 1996 statt. Foto: Imago/Teutopress
Heiner Müller starb am 30. Dezember 1995, die Beerdigung fand am 16. Januar 1996 statt. Foto: Imago/Teutopress

Der Theatermacher Heiner Müller, der auch als Schriftsteller, Lyriker und Intendant wirkte, gehörte zu den bekanntesten Intellektuellen der DDR und setzte bis zu seinem Tod im Dezember 1995 auch im vereinigten Deutschland wichtige Impulse. Müller starb Ende Dezember, am 16. Januar wurde er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof, der zu den schönsten Friedhöfen in Berlin gehört, beerdigt. An der Zeremonie nahmen zahlreiche Persönlichkeiten aus dem Kulturleben teil, darunter die Schriftsteller Günter Grass und Stefan Heym.


Februar: Otto Sander bei der Berlinale

Berlin 1996: Berlinale im Februar 1996, Schnappschuss von Otto Sander auf einer der Partys. Foto: Imago/Heinrich/Brigani Art
Berlinale im Februar 1996, Schnappschuss von Otto Sander auf einer der Partys. Foto: Imago/Heinrich/Brigani Art

1996 fand die Berlinale noch rund um den Zoologischen Garten statt, die neuen Kinopaläste am Potsdamer Platz befanden sich noch im Aufbau. Hollywoodstars wie Bruce Willis und Julia Roberts kamen zu den Filmfestspielen, Terry Gilliams stellte seinen verstörenden Science-Fiction-Epos „Twelve Monkeys“ und Tim Robbins das Drama „Dead Man Walking“ vor, den Wettbewerb gewann damals Ang Lees Literaturadaption „Sinn und Sinnlichkeit“.

Auch der 2013 verstorbene Berliner Schauspieler Otto Sander gehörte vor 25 Jahren noch fest zum Inventar jeder Berlinale-Party. 1996 spielte Sander gleich in mehreren Filmen mit, etwa der Komödie „Kondom des Grauens“ sowie in Armin Mueller-Stahls Regiedebüt „Gespräch mit dem Biest“.


März: Party im WMF

Party im WMF Club, März 1996. Foto: Imago/Pop-Eye
Party im WMF Club, März 1996. Foto: Imago/Pop-Eye

„Das Tolle am WMF war, dass der Club immer wieder den Ort wechselte und sich neu erfand. Die erste Location, die ich kennenlernte, war der zweite WMF, der ab 1992 in einer ehemaligen unterirdischen Toilettenanlage am Mauerstreifen zwischen Leipziger Platz und Potsdamer Platz untergebracht war“, erinnerte sich einmal der Fotograf Michael Lange an die legendäre Location. 1996 residierte das WMF als House Club direkt am Hackeschen Markt, es gab unzählige surrende Monitore an der Decke, schon bald zog die Karawane weiter. Das Nachtleben in Berlin der 1990er-Jahre wurde aber zum Mythos.


April: Walpurgisnacht in Prenzlauer Berg

Walpurgisnacht am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, 30. April 1996. Foto: Imago/Rolf Zöllner
Walpurgisnacht am Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, 30. April 1996. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Die Geschichte der Walpurgisnacht in Berlin ist eine Geschichte des Exzesses. Die Nähe zum 1. Mai bestimmte stets die ausschweifenden Partys und Demos am 30. April. Der Tag der Arbeit gehört Kreuzberg. Seit den 1980er-Jahren liefern sich dort Linksradikale bei der „Revolutionären 1. Mai-Demo“ Straßenschlachten mit der Polizei. Nach der Wende gehörte aber die Walpurgisnacht den Ost-Berliner Bezirken. Anfangs Prenzlauer Berg und später Friedrichshain. Am Kollwitzplatz, im Mauerpark und am Boxhagener Platz wurde in den Mai getanzt, demonstriert und geprügelt. Erst in den letzten Jahren hat sich der Fokus auf Wedding verlagert.


Mai: Das Projekt Berlin-Brandenburg scheitert

Berlin 1996: Berliner Bär und Märkischer Adler fusionierten nicht. Foto: Imago/Imagebroker
Berliner Bär und Märkischer Adler fusionierten nicht. Foto: Imago/Imagebroker

Auch politisch passierte 1996 so einiges in Berlin, zu den wagemutigsten Vorhaben gehörte in jenem Jahr die Initiative der Länderfusion. Aus Berlin und Brandenburg sollte das neue Bundesland Berlin-Brandenburg entstehen. Die Politiker waren sich einig und unterschrieben bereits im April 1996 entsprechende Verträge, doch bei einem Volksentscheid sollten auch die Bürger und Bürgerinnen mitsprechen. Am 5. Mai des Jahres kam es zu der Abstimmung, die Leute hatten keine Lust auf das Projekt und die Idee landete im Mülleimer der Geschichte.


Juni: Die Schönhauser Allee Arcaden werden gebaut

Bauarbeiten für die Schönhauser Allee Arcaden in Prenzlauer Berg. Foto: Imago/Seeliger
Bauarbeiten für die Schönhauser Allee Arcaden in Prenzlauer Berg, Juni 1996. Foto: Imago/Seeliger

Der Aufschwung Ost begann in Prenzlauer Berg Ende der 1990er-Jahre. Großbaustellen, Kräne, Baugerüste und Schuttcontainer tauchten plötzlich an jeder Ecke im Bezirk auf. Projekte wie die Schönhauser Allee Arcaden wurden verwirklicht, hunderte Häuser saniert, alles neu und schön. Die Verbesserungen und Modernisierungen waren sicherlich notwendig, schließlich verfiel der Bezirk seit Mauerzeiten.

In vielen Fällen wurden die Veränderungen aber Investoren und finanzstarken Neuberlinern überlassen und die sozialen Aspekte zugunsten von Profit vernachlässigt. Viele Altmieter verloren ihre Wohnungen, wer sich die Miete nicht leisten konnte, musste weg. Die Gentrifizierung nahm ihren Lauf und Prenzlauer Berg wurde zum ihrem Symbol.


Juli: Loveparade 1996

Etwa 600.000 Menschen tanzen bei der Love Parade auf Straße des 17. Juni. Foto: Imago/Brigani-Art
Etwa 600.000 Menschen tanzen bei der Loveparade auf Straße des 17. Juni. Foto: Imago/Brigani-Art

Die Loveparade gehörte 1996 schon fest zum Berliner Sommer, längst wurde die riesige Open-Air-Party zu groß für den Ku’damm, die Anwohner beschwerten sich über Lärm, Müll und verstopfte Nebenstraßen. So fand der Umzug also am Brandenburger Tor statt – die legendären Loveparade-Bilder der vollen Straße des 17. Juni gingen um die Welt und manifestierten Berlin in der internationalen Wahrnehmung als Party-Hauptstadt. 1996 wurde die Million bei den Besucherzahlen noch nicht geknackt, damals tanzten „nur“ 600.000 zu den elektronischen Beats der Techno-DJs. 1997 sollte es dann soweit sein, eine Million Raver feierten in Berlin.


August: Wagenburg an der East-Side-Gallery

Wagenburg an der East-Side Gallery. Foto: Imago/Teutopress
Wagenburg an der East Side Gallery, August 1996. Foto: Imago/Teutopress

Die Mauer wurde nach der Wiedervereinigung weitestgehend abgerissen. Der 1,3 Kilometer lange Abschnitt zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke entlang der Spree ist das größte erhaltene Teilstück. Dieses bekam eine besondere Aufmerksamkeit, als nach der Wiedervereinigung eine Künstlerinitiative die Mauer in eine Open-Air-Galerie umfunktionierte. Die East Side Gallery wurde zur touristischen Sehenswürdigkeit.

Heute ist um die bemalten Mauersegmente ein monströses Stadtquartier entstanden, kalt, steril, modern, der Mercedes-Benz-Platz und die East Side Mail sind Symbole dessen geworden, zu dem sich Berlin verwandelt hat. 1996 wehte in Berlin noch ein anderer Wind, am Ufer in Friedrichshain hausten die Ärmsten der Armen in einer zugehalten Wagenburg. In 25 Jahren wandelte sich das Gebiet von ganz unten nach ganz oben. Für die Mitte blieb kein Platz.


September: Der Potsdamer Platz ist die größte Baustelle Europas

Baustelle am Potsdamer Platz, September 1996. Foto: Imago/Detlev Konnerth
Baustelle am Potsdamer Platz, September 1996. Foto: Imago/Detlev Konnerth

Der Potsdamer Platz hat eine lange Geschichte, doch nach der Wende war er leer. Sehr schnell wurde klar, dass die gewaltige Brache, damals gehörten Brachen noch zum Berliner Stadtbild, keine bleiben wird und es begann ein Run auf die innerstädtischen Grundstücke. Potente Unternehmen wie Sony, Daimler und die Deutsche Bahn planten hier ihre Standorte, ein Casino, Luxus-Hotels und Filmpaläste sollten entstehen, daneben ein großes Einkaufszentrum, ein Filmmuseum und Gastronomie. 1996 verwandelte sich der Platz bereits in die größte Baustelle Europas.

Die berühmtesten Architekten der Welt wurden beauftragt, den Potsdamer Platz „kritisch zu rekonstruieren“. Darunter Renzo Piano, Rem Koolhaas, Hans Kollhoff und Helmut Jahn. Das hat nur bedingt gut funktioniert, der Potsdamer Platz wurde nie zu dem lebendigen Ort, der er mal war. Die Architektur wirkte deplatziert, steril und zugleich kleinstädtisch und verängstigt, was zum Teil auch an den strikten Bauverordnungen des Berliner Senats lag.


Oktober: Der Allianz-Treptower wird gebaut

Rohbau des Allianz-Treptower im Abendlicht. Foto: Imago/Harald Almona
Rohbau des Allianz-Treptower im Abendlicht. Foto: Imago/Harald Almona

Das mit der Skyline ist in Berlin so eine Sache. Die berühmte Berliner Traufhöhe von 22 Metern verhindert immer wieder Bauvorhaben, die zu hoch hinaus wollen. Doch immer wieder werden in Berlin doch Hochhäuser errichtet. Am Dreiländereck zwischen Friedrichshain, Kreuzberg und Treptow stehen die 1993 vom Architekten Gerhard Spangenberg konzipiert und bis 1998 fertiggestellten Treptowers.

Der 125 Meter hohe Büroturm aus Glas und Stahl befand sich 1996 im Rohbau, seit mehr als 20 Jahren markiert er das Ende der dichten Innenstadtbebauung und überragt die ins Ensemble integrierten Fertigungshallen des ehemaligen VEB-Elektro-Apparate-Werke Berlin-Treptow „Friedrich Ebert“. Die Allianz-Versicherung, langjährige Eigentümerin und später Mieterin des Hochhauses, ist von Treptow nach Adlershof gezogen. In der Nähe: der Molecule Man, eine löchrige Skulptur in der Spree.


November: Eröffnung des Hamburger Bahnhofs

Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. Foto: Imago/Florian Monheim
Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart. Foto: Imago/Florian Monheim

Der 1846 eröffnete Hamburger Bahnhof, der Berlin mit der Hansestadt verband, hatte ein Problem: Er befand sich zu nah am Lehrter Bahnhof. Die Verkehrsplaner stellten bereits 1884 seine Überflüssigkeit fest und so wurde der imposante, im spätklassizistischen Stil errichtete Bau geschlossen. Das angrenzende Gelände nutzte die Bahn weiterhin für den Güterverkehr, das Gebäude diente ab 1906 als Verkehrs- und Baumuseum und ist damit ein Vorläufer des am Gleisdreieck beheimateten Deutschen Technikmuseums.

Nach Zerstörungen während des Zweiten Weltkriegs schloss man das Museum und in der DDR-Zeit war das Areal für die Öffentlichkeit gesperrt. Erst nach der Wiedervereinigung kehrte der Museumsbetrieb zurück. Unter dem Namen „Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart“, ist in dem einzigen bis heute erhaltenen Berliner Kopfbahnhof aus dem 19. Jahrhundert seit November 1996 zeitgenössische Kunst zu sehen.


Dezember: Eisiger Winter 1996/97

Enten und Schwäne in einem Wasserloch auf dem zugefrorenen Wannsee, 22. Dezember 1996. Foto: Imago/Dieter Matthes
Enten und Schwäne in einem Wasserloch auf dem zugefrorenen Wannsee, 22. Dezember 1996. Foto: Imago/Dieter Matthes

Der Winter in Berlin des Jahres 1996 war lang und kalt. Heute ist Schnee in Berlin selten geworden, die Winter sind milder, die Seen frieren nicht mehr so oft zu und die Schlitten bleiben immer wieder unbenutzt im Keller. Unangenehm und grau kann es zwischen November und Februar schon werden, doch das schneeweiße Idyll fehlt. Hier erzählen wir in 12 Fotos eine kurze Geschichte von Berlin im Schnee


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