Berlin verstehen

Berlin, 2011: Knut, Fukushima und der Abriss der Deutschlandhalle

Berlin im Jahr 2011, das scheint nicht lange her, und doch war die Stadt vor zehn Jahren eine andere. Klaus Wowereit gewann mal wieder die Berlin-Wahlen, die Mieten waren noch moderat, begannen aber zu steigen, Eisbär Knut starb im Zoo, auf dem leeren Schlossplatz buddelten Archäologen herum, Hans-Christian Ströbele fuhr mit seinem Rad von Demo zu Demo, die Deutschlandhalle fiel der Abrissbirne zum Opfer und die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima erschütterte auch die deutsche Hauptstadt. Diese 12 Fotos schicken Euch auf eine Zeitreise ins Berlin des Jahres 2011.


Januar: Räumung der Liebigstraße 14

Demonstration gegen die für den 2. Februar 2011 geplante Räumung der Liebigstraße 14 in Friedrichshain, Berlin 29. Januar 2011. Foto: Imago/Peter Homann
Demonstration gegen die für den 2. Februar 2011 geplante Räumung der Liebigstraße 14 in Friedrichshain, Berlin 29. Januar 2011. Foto: Imago/Peter Homann

Die Liebigstraße 14 wurde 1990 besetzt und gehörte lange zu den berühmtesten besetzten Häusern in Berlin. Zwar hatten sich Teile der Hausgemeinschaft anfangs mit der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain geeinigt und es wurden Mietverträge unterzeichnet, dennoch eskalierte nach dem Verkauf des Gebäudes an die Lila GbR im Jahr 1999 die Situation. Den Leuten wurde 2007 fristlos gekündigt, daraufhin folgten Demonstration, Gerichtsverfahren und im Februar 2011 schließlich die Räumung. Nachdem die Eigentümer das Haus sanierten und neu vermieteten, kam es zu zahlreichen Aktionen gegen die neuen Mieter, die wiederum vom „Terror aus der linksextremen Szene“ sprachen.


Februar: Berlinale-Sieger Asghar Farhadi

Der iranische Regisseur Asghar Farhadi gewinnt bei der Berlinale den Goldenen Bären für seinen Film "Nader und Simin". Foto: Imago/POP-EYE/Gabsch
Der iranische Regisseur Asghar Farhadi gewinnt bei der Berlinale den Goldenen Bären für seinen Film „Nader und Simin“. Foto: Imago/POP-EYE/Gabsch

Eine der Filme des Jahres, der bei der Berlinale mit dem Goldenen Bären gewürdigt wurde: Asghar Farhadis „Nader und Simin“. Der iranische Regisseur hat einen besonders scharfen Blick für die alltäglichen Paradoxien, die das Nebeneinander von Modernität und archaischem Gesetz in seiner Heimat provoziert. Bürgerliche und fundamentalistische Codes, Sharia-Gesetz, Familienloyalität, Ehrgefühl und eheliche Solidarität sind nur einige der Ebenen, die sich verschränken, während sich langsam der tatsächliche Ablauf des Geschehens aus den wechselnden Darstellungen herausschält. Es geht um die Herstellung von Gerechtigkeit, um Lügen, die einen vielleicht vor dem Buchstaben des Gesetzes bewahren und um das, was an Wahrheit dazwischenliegt. Farhadi verknüpft diese Fäden meisterlich zum Familien- und Sozialpanorama, das allen involvierten Parteien gerecht wird, ohne ihre Widersprüche zu versöhnen.


März: Hans-Christian Ströbele ist unterwegs

Ob Naziaufmärsche, Agrarpolitik oder Wohnungspolitik, Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen, taucht 2011 bei vielen Demos auf. Foto: Imago/POP-EYE/Kriemann
Ob Naziaufmärsche, Agrarpolitik oder Wohnungspolitik, Hans-Christian Ströbele, Bundestagsabgeordneter der Partei Bündnis 90/Die Grünen, taucht 2011 bei vielen Demos auf. Foto: Imago/POP-EYE/Kriemann

Heute sieht man ihn nicht mehr, den legendären Grünen, Friedrichshain-Kreuzbergs Direktkandidaten für den Bundestag, den 68er-Anwalt mit der grauen Mähne, der kompromisslos für die Sache stritt. Mit seinem Rad flitzte Hans-Christian Ströbele (Jahrgang 1939) von Demo zu Demo, zeigte Präsenz, solidarisierte sich, war volksnah. Ob Proteste gegen Naziaufmärsche, Miethaie oder gegen Räumungen von besetzten Häusern, Ströbele war da. 2011 gehörte er zu Berlin noch ganz selbstverständlich dazu, heute muss er aus gesundheitlichen Gründen seinen Aktivismus massiv einschränken.


April: Trauer um Eisbär Knut

Knut stirbt im März 2011, am 2. April versammeln sich viele Berliner vor dem Zoo und trauern um den beliebten Eisbären. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg
Knut stirbt im März 2011, am 2. April versammeln sich viele Berliner vor dem Zoo und trauern um den beliebten Eisbären. Foto: Imago/Müller-Stauffenberg

Die Geschichte von Knut, einer der berühmtesten Berliner Zoobewohner überhaupt, ist tragisch. Der kleine Eisbär wurde 2006 unter riesigem Medienrummel geboren, die Fotos und Videos aus seinem ersten Jahr gingen um die Welt, er war ein Superstar. Es gab Lieder, T-Shirts und Kuscheltiere, und der Aktienkurs des Zoos stieg zeitweilig in astronomische Höhen. Als Knut groß und weniger süß wurde, verlor sich bald das Interesse an ihm. Und mit nicht einmal fünf Jahren starb er plötzlich am 19. März 2011. Zwei Wochen später versammelten sich viele Berliner und Berlinerinnen vor dem Zoo und trauerten um den einst so beliebten Eisbären.


Mai: Zweirad-Center in der Rinderauktionshalle

Im Entwicklungsgebiet Viehhof in Friedrichshain eröffnet am 8. Mai 2011 Deutschlands größtes Zweirad-Center in der Historischen Rinderauktionshalle. Foto: Imago/PEMAX Berlin
Im Entwicklungsgebiet Viehhof in Friedrichshain eröffnet am 8. Mai 2011 Deutschlands größtes Zweirad-Center in der Historischen Rinderauktionshalle. Foto: Imago/PEMAX Berlin

Der Zentralvieh- und Schlachthof an der Grenze von Friedrichshain und Prenzlauer Berg galt als eine der größten und modernsten Anlagen seiner Art in Europa und versorgte über Jahrzehnte den Großraum Berlin mit Frischfleisch. Seit den frühen 2000er-Jahren entsteht auf dem nach der Wende verwahrlostem Areal ein riesiges Neubauquartier mit Wohnungen, Bürofläche und Gewerberäumen. Im Mai 2011 eröffnete in der ehemaligen Rinderauktionshalle Deutschlands größtes Zweirad-Center.


Juni: Atomausstieg nach Fukushima

Kundgebung für Atomausstieg und eine Energiewende nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Foto: Imago/epd
Kundgebung für Atomausstieg und eine Energiewende nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima. Foto: Imago/epd

Die Reaktorkatastrophe von Fukushima im März 2011 erschütterte die Welt. Die Unfallserie ereignete sich nach einem Erdbeben, in dessen Folge es zu mehreren Kernschmelzen und zu radioaktiven Emissionen kam. Das Unglück hatte auch direkten Einfluss auf die deutsche Atompolitik. Unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wurde schließlich der komplette Atomausstieg entschieden. Im Vorfeld dazu gab im Frühjahr und Sommer 2011 zahlreiche Demonstrationen in Berlin, bei denen die Abschaltung von Kernreaktoren und ein Ausstieg aus der Atomenergie gefordert wurde.


Juli: In Berlin brennen die Autos

 Feuerwehr bei Löscharbeiten nach einem vermutlichen Brandanschlag auf Autos in der Landsberger Allee. Foto: Imago/Russel Price
Feuerwehr bei Löscharbeiten nach einem vermutlichen Brandanschlag auf Autos in der Landsberger Allee. Foto: Imago/Russel Price

2011 brannten in Berlin immer wieder Autos. Die Brandanschläge wurden lange Zeit der linksextremen Szene zugeschrieben, was im Nachhinein wohl nicht immer stimmte. Die Serie begann bereits um 2007 und erreichte 2011 einen Höhepunkt, damals brannten mehr als 400 Autos, als politisch motiviert galten nach polizeilichen Ermittlungen aber nur knapp 100 Anschläge in jenem Jahr. Ab 2012 ging die Zahl der Anschläge insgesamt deutlich zurück.


August: Humboldt-Box am Schlossplatz

Humboldt-Box am Schlossplatz, im Vordergrund archäologische Ausgrabungsarbeiten. Foto: Imago/Raimund Müller
Humboldt-Box am Schlossplatz, im Vordergrund archäologische Ausgrabungsarbeiten. Foto: Imago/Raimund Müller

Mit dem Wiederaufbau des Berliner Schlosses hat Berlin ein neues, altes Wahrzeichen erhalten. In dem teils rekonstruierten, teils zeitgenössisch gestalteten Gebäude befindet sich das Humboldt Forum. Davor stand dort der Palast der Republik, ein DDR-Prunkbau, der weg musste. 2011 gruben Archäologen auf dem Gelände, und bis 2018 wurde in der temporär eingerichteten „Humboldt-Box“ am Rande der Baustelle thematische Ausstellungen zur Geschichte, Bau und Zukunft des Stadtschlosses gezeigt.


September: Künast verliert, Wowi gewinnt

Spitzenkandidatin Renate Künast bei der Abschlusskundgebung der Grünen zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhaus 2011. Foto: Imago/eventfotografen.de
Spitzenkandidatin Renate Künast bei der Abschlusskundgebung der Grünen zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhaus 2011. Foto: Imago/eventfotografen.de

Schon 2011 wollte eine Frau Regierende Bürgermeisterin von Berlin werden. Mit Renate Künast schickten die Grünen eine prominente Politikerin ins Rennen um den Chefsessel im Roten Rathaus. Zwar konnten die Grünen knapp fünf Prozent an Stimmen gewinnen, wurden aber nur drittstärkste Kraft nach SPD und CDU. Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) konnte die Koalition mit der Linken nicht fortführen, nach Sondierungsgesprächen mit Künasts Partei wurde eine große Koalition gebildet. Fun Fact: Die Piratenpartei Deutschland bekam bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von Berlin 2011 knapp neun Prozent der Stimmen und die AfD gab es damals noch gar nicht.


Oktober: Park am Gleisdreieck wird eröffnet

Einst Brache, ab Oktober 2011 der Park am Gleisdreieck. Foto: Imago/PEMAX
Einst Brache, ab Oktober 2011 der Park am Gleisdreieck. Foto: Imago/PEMAX

Die frühere Nutzung der Fläche – hier waren Güterbahnhöfe angesiedelt – lässt sich vielerorts noch an rostigen Gleisen, alten Schaltanlagen und Prellblöcken erkennen. Jahrzehntelang wurde das Gelände nicht benutzt. Jedoch gab es bereits in den 1970er-Jahren erste Ideen, die Fläche in eine Parkanlage umzuwandeln, 2011 wurde der erste Teil des Parks am Gleisdreieck eröffnet.


November: 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei

Die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates bei einer Lesung im November 2011. Foto: Imago/Gerhard Leber
Die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates bei einer Lesung im November 2011. Foto: Imago/Gerhard Leber

In ihrer Arbeit als Rechtsanwältin und Frauenrechtlerin hat Seyran Ateş zahlreiche Extreme erlebt: von Morddrohungen bis zu tatsächlichen Angriffen. Als Autorin setzt sich die Deutschtürkin mit dem Islam, multikulturellem Zusammenleben und ihrer eigenen Biografie auseinander. Große Aufmerksamkeit erhielt sie mit der Eröffnung der von ihr initiierten Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Moabit, in der Frauen und Männer zusammen beten. Hier liest Ates im November 2011 in einer Berliner Bibliothek. In jenem Monat jährte sich auch das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei zum 50. Mal. Das zweiseitige Dokument ermöglichte die Entsendung türkischer Arbeitskräfte nach Deutschland, sie wurden als „Gastarbeiter“ bezeichnet.


Dezember: Abriss der Deutschlandhalle

Die Deutschlandhalle kurz vor dem Abriss. Foto: Imago/Joachim Schulz
Die Deutschlandhalle kurz vor dem Abriss. Foto: Imago/Joachim Schulz

In den 1950er-Jahren wurde die neue Deutschlandhalle in Westend eröffnet. Seitdem war der funktionale Bau die erste Adresse für die aufkommende Rock- und Pop-Revolution. Hier spielten legendäre Musiker und Bands wie Jimi Hendrix, David Bowie, The Who, Pink Floyd und die Rolling Stones. Die Deutschlandhalle war auch zeitweilig Austragungsort des Berliner Sechstagerennens. Der Konzertbetrieb endete 1998, es folgte eine Nutzung als Eissporthalle. 2011 wurde die Deutschlandhalle schließlich abgerissen, auf dem Gelände entstand die moderne Messe- und Kongresshalle City Cube.


Mehr Berlin verstehen

Lust auf mehr Geschichte? Berlin, 2001: Loveparade, Pechstein, Pixelpark und der Terror in New York. Hier geht es auf eine Reise ins Berlin des Jahres 1971. Zehn Jahre später: So sah die geteilte Stadt 1981 aus. Und auch das Jahr 1991 haben wir uns genauer angeschaut. Immer neue spannende Geschichten aus der Geschichte Berlins findet ihr hier. So war das Leben in der Hauptstadt der DDR: 12 Dinge, die jeder kennt, der in Ost-Berlin der 1980er gelebt hat.

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