• Stadtleben
  • Geschichte
  • Das Bethanien in Berlin: Die Geschichte der Kreuzberger Institution (1847 bis 1970)

Berlin verstehen

Das Bethanien in Berlin: Die Geschichte der Kreuzberger Institution (1847 bis 1970)

Das Bethanien in Berlin: Wie „eine stille Insel im Häusermeer“ steht das vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. in Auftrag gegebene Bethanien seit bald 200 Jahren in Kreuzberg, direkt am Mariannenplatz. Mitte des 19. Jahrhundert eröffnet, war es lange Zeit ein Krankenhaus. Erst in den 1960er-Jahren diente es aus und sollte verkauft werden. Dies verhinderten engagierte Bürger- und Besetzerinitiativen. Anschließend erfand sich der Ort als Kunst-, Bildungs- und Kulturzentrum neu. Heute gehört das Bethanien zu den wichtigsten soziokulturellen Institutionen in Berlin. Jetzt erzählt das Buch „Die Diakonissenanstalt Bethanien 1847-1970″ die Geschichte des Hauses. Wir zeigen euch 12 Bilder aus dem Band.


Das Bethanien

Vorderansicht Bethanien. Foto: Sammlung: Karl Wilhelm Ochs (Architekt), 1955-66. Architekturmuseum der TU Berlin F 4476
Vorderansicht Bethanien. Foto: Sammlung: Karl Wilhelm Ochs (Architekt), 1955-66. Architekturmuseum der TU Berlin F 4476

„Für den Mythos Kreuzberg beginnt die Geschichte des Bethaniens 1971. Die Band Ton Steine Scherben singen im „Rauch-Haus-Song“: „Das Bethanien wird besetzt“ und schaffen damit eindrücklich eine Hymne für die Ära der Hausbesetzungen und politischen Auseinandersetzungen in Kreuzberg“, schreibt Stéphane Bauer, Leiter des im Bethanien beheimateten Kunstraums Kreuzbergs im Vorwort zu dem von Dietlinde Peters und Michael Dewey verfassten Buch „Die Diakonissenanstalt Bethanien 1847-1970″.


Luisenstadt

Die Berliner Bürgerwehr kämpft am 16.Oktober 1848 in der Nähe des Krankenhauses Bethanien gegen aufbegehrende Arbeiter. Foto: Gemeinfrei: Illustrierte Zeitung, XI. Bd., Nr. 279, S. 289

Krankenhaus Bethanien, Illustration um 1848. Foto: Gemeinfrei: Illustrierte Zeitung, XI. Bd., Nr. 279, S. 289

Die Geschichte des Bethanien beginnt aber mehr als 100 Jahre vor den Hausbesetzungen. Sie führt nach Preußen ins 19. Jahrhundert, als sich Berlin aufmachte, eine Weltstadt zu werden. Die Bevölkerungszahl stieg damals rasant an und die Stadtväter machen sich Sorgen um die medizinische Versorgung der Bürger und Bürgerinnen. Denn die Charité in Mitte platzte aus allen Nähten und Berlin brauchte ein neues Krankenhaus. Es war der Regent höchstselbst, König Friedrich Wilhelm IV, der die Idee zur Errichtung der Diakonissenanstalt Bethanien in der Luisenstadt (wie damals jener Teil von Berlin hieß) hatte .


Märzrevolution

Das Bethanien, Rückansicht, im Vordergrund der Luisenstädtische Kanal, 1854. Foto: Gemeinfrei, Die Gartenlaube, 1854
Das Bethanien, Rückansicht, im Vordergrund der Luisenstädtische Kanal, 1854. Foto: Gemeinfrei, Die Gartenlaube, 1854

Das Bethanien war auch ein Politikum und sollte nach der Märzrevolution 1848 für soziale Harmonie sorgen. Der König war ein Reformer oder eher ein „Romantiker auf dem Thron“, wie er manchmal bezeichnet wurde. Er strebte Veränderungen an, wobei ihm weniger sozialistische Ideen als vielmehr eine „christliche Erweckung“ im Sinn stand. So ließ er, von religiös-politischen Motiven geleitet, die „Stiftung eines evangelischen Mutterhauses in Berlin für die Krankenpflege in großen Spitälern“ gründen. Es war ein Geschenk des Monarchen, eine „Diakonie von oben“.


Behandlungszimmer

Behandlungszimmer um 1920. Foto: Stiftung Diakonissenhaus Bethanien
Behandlungszimmer um 1920. Foto: Stiftung Diakonissenhaus Bethanien

Tatsächlich wählte der König den Namen „Bethanien“ erst einen Tag vor der Eröffnung. Dieser Name sollte an den Ort in der Nähe von Jerusalem erinnern, wo Jesus gemäß des Johannesevangeliums Lazarus von den Toten auferweckt hat. Im Bethanien arbeiteten die Diakonissen, evangelische Jungfrauen und Witwen im Alter zwischen 18 und 40 Jahren. Alle Bewerberinnen mussten einen Lebenslauf sowie ein von einem Pfarrer ausgestelltes „Sittenzeugnis“ mitbringen.


In der Apotheke

Diakonissen in der Apotheke. Stiftung Diakonissenhaus
Diakonissen in der Apotheke. Stiftung Diakonissenhaus Bethanien

Die Apotheke im Bethanien, mit den fest eingebauten Schränken und Vitrinen, ist bis heute erhalten und kann besichtigt werden. Von 1848 bis 1849 war dort ein Mann angestellt, der später die deutsche Literatur nachhaltig prägen und Berlin eine Identität geben sollte: Theodor Fontane (1819-1898). Der Apothekersohn verbrachte dort die Zeit der Märzrevolution, die Stelle besorgte ihm übrigens seine Mutter, die mit dem Pfarrer des Krankenhauses bekannt war.


Männerstation

Krankensaal, internististische Männerstation, um 1920. Foto: Stiftung Diakonissenhaus Bethanien
Krankensaal, internististische Männerstation, um 1920. Foto: Stiftung Diakonissenhaus Bethanien

Um 1869 kam es zu einer medizinischen Krise am Bethanien. Hunderte Patienten starben infolge von Wundinfektionen, die zu jener Zeit einfach nur „Brand“ genannt wurden. Man suchte die Ursachen in der Verwendung des schmutzigen Wassers aus dem benachbarten Luisenstädtischen Kanal. Später stellte sich heraus, dass es an der allgemein mangelhaften Hygiene im Haus lag. In den nachfolgenden Jahren verbesserte sich die Situation und die Bedeutung des Bethanien wuchs. In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg arbeiteten dort mehr als 400 Schwestern.


Zweiter Weltkrieg

Seminargebäude und Türme des Bethaniens, 2. Weltkrieg. Foto: Stiftung Diakonissenhaus
Seminargebäude und Türme des Bethaniens, 1945. Foto: Stiftung Diakonissenhaus Bethanien

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten änderte sich auch im Bethanien die Stimmung. Allerdings traten von den 400 Schwestern nur zwei der NSDAP bei, und den Nazis nahestehende Ärzte konnten vom Haus ferngehalten werden. Trotz einiger Zugeständnisse an die NS-Verwaltung wurden bis 1939 weiterhin jüdische Patient:innen aufgenommen.


Tuberkoloseheilstätte

Tuberkoloseheilstätte, 1947. Foto: Stiftung Diakonissenhaus
Tuberkoloseheilstätte, 1947. Foto: Stiftung Diakonissenhaus Bethanien

Während des Zweiten Weltkrieges richtete man im Bethanien ein Lazarett für Kriegsblinde ein, es gab dafür auch eine Kooperation mit der benachbarten Blindenanstalt in der Oranienstraße. 1940 besuchte Propagandaminister Joseph Goebbels das Haus, in dem es auch eine Luftschutz-Rettungsstelle gab. 1942 kam es zum Bruch mit dem NS-Staat. Die Gestapo beschlagnahmte das Haus, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) übernahm die Leitung und „verweltlichte“ die Institution.


Schwesternspeisesaal

Schwesternspeisesaal nach dem Umbau. Foto: Sammlung: Karl Wilhelm Ochs (Architekt), 1955-66. Architekturmuseum der TU F 4580
Schwesternspeisesaal nach dem Umbau. Foto: Sammlung: Karl Wilhelm Ochs (Architekt), 1955-66. Architekturmuseum der TU Berlin F 4580

Aus der Schlacht um Berlin ging das Bethanien mehr oder minder unbeschädigt hervor und am 26. April 1945 betraten Rotarmisten das Haus. In den Kellern lagen Verwundete und auf dem Gelände etwa 130 Leichen, die teilweise auf dem Mariannenplatz in Massengräbern beerdigt, später aber umgebettet wurden. Im Juli 1945 wurde im Seminarhaus die „Hilfsstelle für rassisch Verfolgte“ eingerichtet und die Diakonissen nahmen wieder die Arbeit auf. Ende 1945 hatte das Bethanien etwa 300 Patientenbetten.


Georg-von-Rauch-Haus

Bewohner*innen des Georg-von-Rauch-Haus. Foto: Jutta Matthess
Bewohner*innen des Georg-von-Rauch-Haus. Foto: Jutta Matthess

In den 1950er-Jahren ging den Diakonissen der Nachwuchs aus und das Bethanien wandelte sich langsam zu einem „normalen“ Krankenhaus. Nach der Teilung Berlins befand es sich in unmittelbarer Nähe zur Mauer und damit am West-Berliner Stadtrand. Der Standort war unattraktiv, das Haus entsprach nicht den Anforderungen moderner Krankenhäuser und 1966 trennte sich die Evangelische Kirche von der Einrichtung, die zum Ende des Jahres zahlungsunfähig wurde. Die endgültige Schließung erfolgte im Juni 1970. Das Gebäude wurde anfangs zum Verkauf angeboten, was innerhalb der linken Szene heftige Proteste auslöste. Auch das Martha-Maria-Haus stand leer und wurde Anfang der 1970er-Jahre besetzt und in Georg-von-Rauch-Haus umbenannt.


Kinder-Poliklinik

Plakat: "Kinder-Poliklinik ins Bethanien“. Foto: FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum
Aufruf des „Kampfkomitees Bethanien“ zur Großveranstaltung am 12.10.1973 und Demonstration am 13.10.1973. Das Komitee wandte sich gemeinsam mit Ärzten und Pflegekräften und Teilen der Bevölkerung Kreuzbergs gegen die Pläne des Senats, im ehemaligen Diakonissenkrankenhaus Bethanien ein Künstlerzentrum einzurichten. Das Komitee forderte statt dessen ein Kinder-Poliklinikum. Foto: FHXB Friedrichshain-Kreuzberg Museum

In den 1970er-Jahren gab es heftige Debatten um die Zukunft des Hauses. Während der West-Berliner Senat ein Autobahnkreuz in Kreuzberg vorgesehen hat und ungezählte Altbauten abgerissen werden sollten und auch das bethanien verspekuliert werden sollte, formierten sich gleichzeitig Initiativen, die sich diesen Entwicklungen in den Weg stellten. Inmitten dieser turbulenten Zeiten stand das Bethanien als Symbol für den linken Häuserkampf und wurde im Rauch-Haus-Song der Ton Steine Scherben verewigt.


Das Bethanien heute

Der Mariannenplatz mit dem Bethanien, 2022. Foto: Imago/Jürgen Ritter
Der Mariannenplatz mit dem Bethanien, 2022. Foto: Imago/Jürgen Ritter

Das Bethanien fiel nicht in die Hände von Investoren. In den frühen 1970er-Jahren wurden die Weichen für das Künstlerhaus Bethanien gestellt, ein Zentrum für Kultur und Soziales mit einem Atelier- und Ausstellungsprogramm. Heute befinden sich hier unter anderem die Druckwerkstatt des Berufsverbandes Bildender Künstler, die Ausstellungsräume des Kulturamtes Friedrichshain-Kreuzberg (Kunstraum Kreuzberg), die Musikschule Friedrichshain-Kreuzberg und das Restaurant 3 Schwestern. Mehr Kreuzberg geht nicht!


 Neue Publikation zur Geschichte des Bethanien: „Die Diakonissenanstalt Bethanien 1847-1970. Eine „stille Insel im Häusermeer“. Herausgegeben durch den KunstraumKreuzberg/Bethanien, Stéphane Bauer. Von Dietlinde Peters mit einem Beitrag von Michael Dewey. Schutzgebühr: 3 Euro, zu beziehen im  Kunstraum Kreuzberg/Bethanien, Mariannenplatz 2, Kreuzberg, zur Website


Mehr Berliner Geschichte(n)

Die Geschichte des Bethanien kennt ihr nun, über die Architektur weiterer Berliner Krankenhäuser haben wir hier geschrieben. Mit Bildern und historischen Fotos spüren wir Berliner Bühnen nach: Theater und Opernhäuser, die es nicht mehr gibt. Hier erzählen wir die Geschichte vom Berliner Schloss zum Humboldt Forum in Fotos. Die Fotogalerie mit Bildern vom Kriegsende zeigt 1945 und die Gegenwart – das zerstörte Berlin im Vergleich mit dem modernen Berlin. Ansichten aus der Zeit vor den Kriegszerstörungen zeigen wir hier: 12 Farbfotos aus Berlin in den 1940er-Jahren. Mehr zur Geschichte Berlins lest ihr in dieser Rubrik.

Tip Berlin - Support your local Stadtmagazin