Aktionskünstler

Christo ist tot. Der Künstler der Reichstagsverhüllung wurde 84 Jahre alt

Der Künstler Christo ist tot, er starb in New York im Alter von 84 Jahren. Mitgeteilt wurde das über seinen offiziellen Twitter-Account. Christo war bis zuletzt ein Mann der modernsten Kommunikationsmittel.

Christo und Jeanne-Claude bei der Reichstagsverhüllung 1995, nun starb der Künstler im Alter von 84 Jahren. Foto: Christo / Wolfgang Volz

Geboren wurde er als Christo Vladimirov Jacacheff 1935 in Bulgarien. Mit seiner Frau Jeanne-Claude hat er eine lange Reihe legendärer Konzeptkunstwerke geschaffen. In Berlin war das 1995 der Verhüllte Reichstag, das Werk brachte eine unerhörte Leichtigkeit ins schwere Berlin. Eine Ausstellung im PalaisPopulaire zeichnet aktuell die wichtigste Stationen des Künstlerpaares nach.

Als Berlin schwebte – nun sind Christo und Jeanne-Claude tot

Mit Christo und Jeanne-Claudes Reichstags-Verhüllung am Rande des Großen Tiergartens sprang Berlin für viele quasi aus dem Nichts ganz nach vorne auf die internationale Kunstbühne – und sollte dort nicht nur lange bleiben, sondern auch die bisherigen deutschen Kunstmetropolen zur Seite schubsen.

Wer 1995 aus dem damals noch mit sich zufriedenen Rheinland zu Besuch kam und sich in der beseelten Menge vor dem flirrenden Werk unter diesem unverschämt blauen Berliner Himmel niederließ, wusste wahrscheinlich noch nichts von den vielen kommenden Galerie-Umzügen und Kreativ-Zuzügen. Aber dass hier etwas Außergewöhnliches stattfand, noch dazu in der späten, erstarrten Kohl-Regierungszeit, das war sicher. Die Reichstagsverhüllung war für Berlin eines der entscheidenden Ereignisse in den 90er Jahren. Vielen dämmerte jetzt, dass Berlin die deutsche Stadt mit dem nötigen Gewicht war, um durch ein solches Projekt dauerhaft ins Schweben zu kommen. Ohne als zu leicht befunden zu werden. Für Berliner*innen war das natürlich immer klar.

Kunst mit Festival-Atmosphäre

Jahre später spiegelt man sich jetzt in der aktuellen Ausstellung „Christo and Jeanne-Claude, Projects 1963-2020“ temporär verhüllt im Bild dieses Reichstages. Und der Gedanke an Festival-Atmosphäre (Corona) oder einen heißen Sommer (Klimakrise) und Berlin als Place to be (Overtourism) hat viel von seiner Leichtigkeit verloren. Was nach dem trotzdem tröstlichen Rundgang im Palais Populaire bleibt, ist eine Ahnung von der ephemeren Schönheit ihrer beider Kunst.

Christos „Wrapped Reichstag (Project for Berlin)“, 1987. Foto: Christo

Aber auch ihre nie bestrittene L’art pour l’art-Haltung wird deutlich: Kunst um ihrer selbst willen, nie länger als 16 Tage zu sehen, immer mit hohem Planungsaufwand und gegen Behördenhürden ausgeführt. Dazu Umweltschützer-Proteste wie bei dem Colorado-Fluss-Projekt, das nach 25 Jahren Planung aufgegeben wurde – anders als die Berliner-Reichstag-Vision, der ja nach 24 Jahren doch noch realisiert wurde.

Große Akrebie in der Vorbereitung

Gemeinsam ist den umgesetzten Projekten, dass es oft Ablehnung gab im Vorfeld – die dann bei Realisierung genauso oft in völlig enthemmte Begeisterung umschlug. Zuletzt gut zu sehen bei den doch etwas elegisch geratenen „Floating Piers“ (Italien, Iseosee, 2016). Bis es sich allerdings so instagram­able über oberitalienische Seen schweben ließ, bedurfte es wie bei allen Projekten von Seiten der Künstler großer Akribie in der Vorbereitung.

In der Ausstellung gut dokumentiert durch Zeichnungen, Skizzen, Collagen und Materialstudien. Auch der Übergang von Christos frühen zweidimensionalen Zeichnungen (1963/64) über skulpturale Arbeiten der „Storefront“-Serie (ab 1965) und erste, mit Polyethylen verpackte Kleinserien ab 1967 lässt sich in Ausstellung anhand der Leihgaben des Sammlerpaares Jochheim nachvollziehen.

Installationsansicht von „Christo and Jeanne-Claude Projects 1963 – 2020“ im Palais Populaire. Foto: Mathias Schormann / VG Bild-Kunst, Bonn 2020 / Deutsche Bank / Christo

Welcher Impuls genau die beiden aber dann in die offene Landschaft trieb, und in ein bisher nicht gekanntes „Think big“ in der Kunst, bleibt dagegen offen. Sicher ist nur, dass es ab dem „Wrapped Coast“-Projekt 1968/69 in Australien kein Zurück mehr gab zum normalen Kunstbetrieb, auch wenn die beiden ihre Groß-Projekte mit Zeichnungen und Studien weiterhin gegenfinanzierten. Nach dem Tod seiner kongenialen Partnerin Jeanne-Claude 2009 macht der gesundheitlich angeschlagene Christo allein weiter. Zuletzt plante er ein weiteres Großprojekt, die Verhüllung des Arc de Triomphe in Paris. Die wurde allerdings coronabedingt auf nächstes Jahr verschoben. Und erinnert daran, dass Berlin nicht die einzige Stadt ist, die gerade ihre Leichtigkeit verloren hat.


Palais Populaire Unter den Linden 5, Mi–Mo 10–18, Do bis 21 Uhr, bis 17.8., Eintritt frei, bitte unter www.ticketspopulaire.de Tickets buchen.
Zur Ausstellung ist der Katalog „Christo and Jeanne-Claude, Projects 1963-2020“ im Verlag Kerber Art erschienen, 165 Seiten, 29 €

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