Berlin verstehen

Frauen in Berlin der 1920er-Jahre: Mutig, modern und schick

Für Frauen veränderte sich die Situation im Berlin der 1920er-Jahre ganz grundlegend. Natürlich vollzog sich der Wandel in ganz Europa, vielleicht sogar weltweit, doch gerade in der deutschen Hauptstadt machte die Emanzipation einen gewaltigen Sprung nach vorn. Zwar gab es die ersten Frauenrechtlerinnen, die sogenannten Suffragetten, bereits zu Anfang des 20. Jahrhunderts, doch erst nach dem Ende des Ersten Weltkriegs brachen die neuen Zeiten wirklich an. Auf politischer Ebene erhielten Frauen das Wahlrecht, sie konnten an Universitäten studieren, die Mode erlaubte mehr Freiheiten.

Frauen flogen Flugzeuge, sorgten als Filmdiven für Furore, nahmen an Motorradrennen teil oder leiteten Chemieinstitute. Und sie amüsierten sich ganz selbstverständlich in der Stadt. Es herrschten neue Sitten, die von Männern dominierte Arbeitswelt öffnete sich langsam, aber schließlich doch, und Berlin entdeckte den Feminismus. Auch wenn 100 Jahre später die Gleichstellung noch nicht abgeschlossen ist, ist sie seitdem recht weit gekommen. Mit Sicherheit wären wir heute nicht da wo wir sind, ohne die mutigen, modernen und schicken Frauen aus Berlin der 1920er-Jahre.


Selbst ist die Frau

Handarbeit ist Frauensache, Aufnahme um 1923. Foto: Imago/Zuma/Keystone
Handarbeit ist Frauensache? Aufnahme um 1923. Foto: Imago/Zuma/Keystone

Die Verrichtung von Handarbeit gehörte seit jeher zum Alltag vieler Frauen, doch das Thema Handarbeit und Emanzipation wird bis in die Gegenwart kontrovers diskutiert. Häkeln, Stricken, Stopfen gilt nach einer Lesart des Kampfes um Gleichstellung als rückständig und Symbol männlicher Unterdrückung. Gleichzeitig kehren heute viele Frauen im Zuge der DIY-Bewegung zur Handarbeit zurück und deuten diese als Zeichen der Selbstbehauptung um. In den 1920er-Jahren wandelte sich bereits die Handarbeit, in Mädchen- und Handwerksschulen bis hin zum berühmten Bauhaus konnten Frauen unabhängig werden, Karrieren machen und unternehmerische Erfolge feiern.


Mit Pferd in Mitte

Berlin Frauen 1920er: Pferde auf einem Hof in der Ackerstrasse in Mitte, 1929. Foto: Imago/Snapshot-Photography/H.Seeliger
Pferde auf einem Hof in der Ackerstrasse in Mitte, 1929. Foto: Imago/Snapshot-Photography/H.Seeliger

Die Straßenbahn wurde auf Elektrizität umgestellt, aber Pferde gehörten in Berlin der 1920er-Jahre noch zum Alltag, und auch viele Frauen kümmerten sich damals um die urbanen Vierbeiner. Ob es damals schon den Begriff des „Pferdemädchens“ gab, ist ungewiss, Magazine wie „Wendy“ und „Conny“ kamen erst Generationen später auf den Markt, aber dieses Foto zeigt zwei Berlinerinnen, die auf einem Hof eines Pferdefuhrwerks in Mitte ganz zufrieden scheinen.


Frau Kernchen aus Berlin

Frau Kernchen aus Berlin fährt bei einem Motorradrennen in Belzig mit, 1922. Foto: Imago/United Archives International
Frau Kernchen aus Berlin fährt bei einem Motorradrennen in Belzig mit, 1922. Foto: Imago/Topfoto(United Archives International

Motorräder gelten bis heute als ein recht männliches Fortbewegungsmittel. Dafür sorgte die Cowboy-Macho-Haltung der Biker, die seit Jahrzehnten gepflegt wird. In dieser Welt sind Frauen oft nur die Beifahrerinnen, aber es gab schon im Berlin der 1920er-Jahren rumreiche Ausnahmen, als eine Frau namens Kernchen bei Rennen in Berlin und im Umland mitfuhr. Damals sicherlich eine Sensation und auch heute noch nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit.


Neue Modetrends

Frau spaziert auf einer Berliner Straße, 1920er Jahre. Foto: Imago/Imagebroker
Frau spaziert auf einer Berliner Straße, 1920er Jahre. Foto: Imago/Imagebroker

Über Mode und Emanzipation lassen sich ganze Buchreihen schreiben. Was ist das Wesen der Mode, welche gesellschaftliche Rolle spielt sie, ist sie hübsche Verpackung, oberflächlich und dem männlichen Blick unterworfen oder textiles Symbol von Selbstbestimmung und Ausdruck der eigenen Identität? Sicherlich lockerten sich die Sitten in Berlin der 1920er-Jahre und Frauen trugen gewagtere, knappere und ungewöhnlichere Kollektionen als in den Jahrzehnten zuvor. Im 18. und noch bis zum 19. Jahrhundert glichen viele Kleider erstickenden Käfigen. Plötzlich spazierten Frauen in Hosen und kurzen Röcken durch die Stadt. In den Tanzpalästen trugen sie glitzernde Kleidchen und kurze Haare, dazu wurde geraucht und Champagner getrunken.


Der Aufstieg der Diven

Marlene Dietrich in "Der blaue Engel" (1930). Foto: imago/United Archives
Marlene Dietrich in „Der blaue Engel“ (1930). Foto: imago/United Archives

Die Revolution in der Mode, die neuen Sitten und frisch erkämpfte Rechte sorgten auch für ein neues Frauenbild in den Medien und in der Kultur. In den Illustrierten, die im Berliner Zeitungsviertel gedruckt wurden, vor allem aber auf der Kinoleinwand. Der Film erlebte seinen Durchbruch in den 1920er-Jahren, Berlin war eine Filmstadt und Frauen spielten in dieser Welt eine wichtige Rolle. Wenn auch erst einmal vor und nicht hinter der Kamera. Die Ära der Diven begann und die größte von ihnen war die in Schöneberg geborene Marlene Dietrich. Ein Weltstar aus Berlin und eine der vielen Frauen, die die Stadt nachhaltig geprägt haben.


Im Gymnastiksaal

Berlin Frauen 1920er: Füsse waschen nach der Gymnastikstunde, 1929. Foto: Imago/Underwood Archives/UIG
Füße waschen nach der Gymnastikstunde, 1929. Foto: Imago/Underwood Archives/UIG

Seit Turnvater Jahns bahnbrechendem Einsatz für den Breitensport wusste man in Deutschland von den Vorzügen körperlicher Betätigung, die sich aber nicht nur auf die eigene Gesundheit auswirkten, sondern zugleich auch ein Ausdruck von Demokratie und einer modernen bürgerlichen Gesellschaft waren. Sport zu machen galt in der Weimarer Republik noch als modern. Es entstanden überall neue Wettkämpfe und Turniere, die Berichterstattung nahm zu, die Olympischen Spiele bewegten den Planeten. Auch Frauen waren Teil der sportlichen Revolution. Das Foto aus dem Jahr 1929 zeigt eine Gruppe junger Frauen, die sich nach einer Gymnastikstunde die Füße waschen.


Sonne tanken

Die neuste Bademode aus Berliner Warenhäusern wird am See präsentiert, 1920er-Jahre. Foto: Imago/United Archives International/Topfoto
Die neuste Bademode aus Berliner Warenhäusern wird am See präsentiert, 1920er-Jahre. Foto: Imago/United Archives International/Topfoto

Badeanzüge für Frauen sahen bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs wie Umstandskleider aus, erst in den 1920er-Jahren wandelte sich die Bademode und wurde praktischer. Diese beiden Models präsentieren die neue Kollektion an einem Berliner See, die Entwürfe entstanden im Auftrag großer Berliner Kaufhäuser wie Wertheim und Tietz. Oftmals gaben die mondänen Konsumtempel den Ton bei der Einführung neuer Trends an.


Hipster-Girls

Berlin Frauen 1920er: Loni und Gisa, Postkarte des Cafés Meran, 1920er-Jahre. Foto: Imago/Arkivi
Loni und Gisa, Postkarte des Cafés Meran, 1920er-Jahre. Foto: Imago/Arkivi

Nach dem Ersten Weltkrieg und der Spanischen Grippe erholte sich die Stadt langsam. Begeistert von Kinofilmen und Jazz trat eine junge, lebenshungrige Generation auf die Tanzflächen und in die Cafés der Stadt. Berlin entwickelte sich zur hedonistischen Hauptstadt der Welt. Man schnupfte Kokain, rauchte und tanzte auf dem Vulkan. Wer Loni und Gisa waren, konnte die Redaktion nicht ermitteln, aber so sahen die Berliner Hipster-Mädchen um 1920 aus. Heute würden sie wahrscheinlich in der Berghain-Schlange stehen.


Eroberung der Männerwelt

Lise Meitner am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, um 1928. Foto: Imago/Leemage
Lise Meitner am Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, um 1928. Foto: Imago/Leemage

Frauen konnten in Berlin der 1920er-Jahre Motorrad fahren, in kurzen Röcken tanzen gehen, Hosen tragen und Filmkarrieren machen, doch was die Österreicherin Lise Meitner vollbrachte, ging noch einen Schritt weiter. So wie Marie Curie revolutionäre auch die Physikerin die bis dato eigens den Männern vorbehaltene Welt der Wissenschaft. Bereits 1907 kam Meitner nach Berlin, sie besuchte Vorlesungen des berühmten Physikers Max Planck und lernte den jungen Chemiker Otto Hahn kennen. Sie forschte noch vor dem Ersten Weltkrieg mit Hahn zur Radioaktivität und wurde Plancks Assistentin. Bereits 1918 leitete sie die physikalisch-radioaktive Abteilung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Chemie, 1926 wurde Meitner außerordentliche Professorin für Kernphysik an der Berliner Universität. Auf wichtige Wissenschaftlerinnen aus Berlin blicken wir hier.


Marga von Etzdorff fliegt los

Berlin Frauen 1920er: Die Pilotin Marga von Etzdorff. Foto: Imago/United Archives International
Die Pilotin Marga von Etzdorf. Foto: Imago/United Archives International

Die legendäre Pilotin Marga von Etzdorf wurde 1907 in Spandau geboren, sie entstammte einer privilegierten Familie, die eng mit den preußischen Eliten verflochten war. Ihre Kindheit verbrachte sie nach dem frühen Unfalltod ihrer Eltern auf dem Landgut der Großeltern in der Niederlausitz, wo sie Fechten, Reiten und Hockey erlernte. Mit 19 Jahren entschied sie sich, Pilotin zu werden und legte 1927 als zweite Frau überhaupt ihre Prüfung an der Fliegerschule in Berlin-Staaken ab. Von Etzdorf machte nebenbei einen Kunstflugschein und bekam einen Job bei der Lufthansa, allerdings „nur“ als Copilotin.

1930 kaufte sie sich vom Geld der Großmutter ein Flugzeug und unternahm mehrere spektakuläre Langstreckenflüge. Anfangs auf die Kanarischen Inseln, doch nachdem sie 1931 als erste Frau den Alleinflug von Deutschland nach Japan absolvierte, ging sie in die Geschichte der Luftfahrt ein. Sie plante weitere Flüge, etwa nach Kapstadt und nach Australien, doch nach einer Serie von Schicksalsschlägen, einer Verwicklung in undurchsichtige Waffendeals und einer Havarie über Syrien beging sie am 28. Mai 1933 in Aleppo Suizid.


In den Goldenen Zwanzigern

Berlin Frauen 1920er: Der neue Look in den Goldenen Zwanzigern, um 1924. Foto: Imago/United Archives International
Der neue Look in den Goldenen Zwanzigern, um 1924. Foto: Imago/United Archives International

Berlin in den 1920er-Jahren war nicht nur für Frauen eine wegweisende Ära. Allerdings trug die Emanzipation wesentlich zum Glanz der Metropole bei. Doch in der ganzen Stadt brannte die Luft. Anita Berber tanzte laszive Tänze, am Ku’damm befand sich der längste Tresen der Stadt, an den Theatern brachten die Ensembles innovative Stücke auf die Bühnen und vor dem KaDeWe standen die Koksdealer. Noch heute übt die Dekade eine ungeahnte Faszination aus und viele Touristen kommen an die Spree, um dem Geist der glamourösen Vergangenheit nachzuspüren. Selbst David Bowie kam in den 1970er-Jahren nach West-Berlin, weil ihn das Erbe von Bertolt Brecht und dessen Zeitgenossen magisch anzog.


Tanz den Unterschied

Transvestiten tanzen im Eldorado in der Motzstraße, um 1926. Foto: Imago/Leemage
Transvestiten tanzen im Eldorado in der Motzstraße, um 1926. Foto: Imago/Leemage

Die 1920er-Jahre in Berlin warfen viele Moralvorstellungen durcheinander. Die preußische Strenge und die alten Sitten verloren an Bedeutung, Freizügigkeit und Hedonismus waren auf dem Vormarsch, zumindest bis 1933. Nicht nur die Frauen genossen mehr Freiheiten, auch Schwule und Lesben fanden in der deutschen Hauptstadt Nischen und Schutzräume, wo sie so sein konnten wie sie wollten. Wie das Foto aus dem Eldorado zeigt, war schon damals die Motzstraße in Schöneberg ein wichtiger Anlaufpunkt für die trans- und homosexuellen Nachtschwärmer. Den Regenbogenkiez betrachten wir im Artikel über das queere Schöneberg genauer.


Lust auf noch mehr Berlin?

Kennt ihr die hier? Berliner Sprüche, die immer gehen. Neu hier? An diese Dinge müssen sich Zugezogene in Berlin erstmal gewöhnen. Ihr lebt schon immer oder zumindest seit einer halben Ewigkeit hier? Diese Dinge kennt jeder, der im West-Berlin der 1980er gelebt hat. Nicht eure Zeit? Wenn ihr seit den 2000er-Jahren in Prenzlauer Berg aufgewachsen seid, kennt ihr diese Dinge. Besuche bei Berühmtheiten: Hier sind die Gräber von Größen wie Brecht, Juhnke und Knef. Wir blicken gern zurück – in unserer Rubrik zur Berliner Geschichte.

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