Berlin verstehen

Friedrichshain in den 1990er-Jahren: 12 Fotos von SEZ bis RAW

Die 1990er-Jahre waren in Friedrichshain eine Zeit kurz vor großen Umbrüchen. Denn zunächst waren Mitte und Prenzlauer Berg nach dem Mauerfall in den Fokus von Künstlern, Partymachern geraten. Friedrichshain hingegen behielt erst einmal seine Identität. Schon bald überzeugten aber die zentrale Lage und die vielen leerstehenden Wohnungen nachziehende Studenten. Die linke Szene fand hier eine Heimat, Häuser wurden besetzt und wieder geräumt, und es entstanden neue Bars, Clubs und Galerien. Die wirklich großen Veränderungen sollten aber erst in den 2000er-Jahren passieren. Hier zeigen wir 12 Fotos aus Friedrichshain in den 1990er-Jahren.


Leninplatz in Friedrichshain

Friedrichshain in den 1990er-Jahren: Lenindenkmal am Leninplatz in Friedrichshain, Winter 1990. Foto: Imago/Michael Hughes
Lenindenkmal am Leninplatz in Friedrichshain, Winter 1990. Foto: Imago/Michael Hughes

Das Lenindenkmal stand gut 20 Jahre auf dem Leninplatz in Friedrichshain, so lange prägte der russische Revolutionär an zentraler Stelle die Hauptstadt der DDR. Nach dem Mauerfall ging es dem berühmten Genossen an seinen Betonkragen. Die Friedrichshainer Bezirksverordnetenversammlung beschloss im Herbst 1991 den Abriss des Monuments, trotz heftiger Proteste begann am 8. November jenes Jahres der Rückbau. 


East Side Gallery

Friedrichshain in den 1990er-Jahren: Bauwagen an der East Side Gallery in Friedrichshain, Juni 1990. Foto: Imago/PEMAX
Bauwagen an der East Side Gallery in Friedrichshain, Juni 1990. Foto: Imago/PEMAX

Die East Side Gallery ist das längste erhaltene Stück Berliner Mauer – und nicht nur deswegen eine Attraktion: Als Open-Air-Galerie mit Graffiti ist aus dem Symbol der Teilung ein besonderes Monument geworden. Bevor sich Künstler auf den erhaltenen Segmenten der Mauer verewigt haben, war der Streifen entlang der Spree eine wilde Brache, auf der Aussteiger ihre Bauwagen geparkt haben.


Hausbesetzungen in der Mainzer Straße

Räumung der Mainzer Straße, 14. November 1990. Foto: Imago/Werner Schulze
Räumung der Mainzer Straße, 14. November 1990. Foto: Imago/Werner Schulze

Am 14. November 1990 brach in Friedrichshain die Hölle los. In der Mainzer Straße kam es zu heftigen Kämpfen zwischen Hausbesetzern und der Polizei. In den Wirren zwischen Mauerfall und Wiedervereinigung wurden dort im Frühling jenes Jahres mehr als ein Dutzend leerstehende Altbauten besetzt, im Herbst beschloss der Senat, der Sache ein Ende zu setzen.


Karl-Marx-Allee

Friedrichshain in den 1990er-Jahren: Türme am Frankfurter Tor mit Blick in Richtung Lichtenberg, August 1991. Foto: Imago/Detlev Konnerth
Türme am Frankfurter Tor mit Blick in Richtung Lichtenberg, August 1991. Foto: Imago/Detlev Konnerth

 Der Verfall der Prunkbauten an der Karl-Marx-Allee, die die Gloria der DDR spiegeln sollten, nahm erst mit der Wiedervereinigung ein Ende. Noch kurz vor der Wende marschierten NVA-Truppen hier auf, den Häusern sah man die Zeichen der Zeit da schon längst an. Verschiedene Investoren kauften in den 1990er-Jahren dann die inzwischen denkmalgeschützten Gebäude auf und sanierten sie aufwendig. Der Roman „Die Allee“ von Florentine Anders erzählt die Lebensgeschichte des Architekten Hermann Henselmann, der den Prachtboulevard mitgeplant hat.


Im SEZ wird noch gebadet

Das SEZ am Friedrichshain, Außenbecken an der Schwimmhalle, 1993. Foto: Imago/PEMAX
Das SEZ in Friedrichshain, Außenbecken an der Schwimmhalle, 1993. Foto: Imago/PEMAX

Das Sport- und Erholungszentrum (SEZ) an der Landsberger Allee war seit seiner Eröffnung im Jahr 1981 eines der berühmtesten Hallenbäder in Ost-Berlin und hatte für viele DDR-Bürger einen ähnlichen Stellenwert wie der Palast der Republik. Erich Honecker persönlich eröffnete es. Nach der Wende ging es noch einige Zeit weiter, doch Anfang der 2000er-Jahre war das Bad pleite und ein normaler Weiterbetrieb nicht mehr möglich. Anschließend gab es in dem Gebäudekomplex eine Bowlingbahn, Fitnessgeräte und Badmintonfelder. Gelegentlich fanden auch Partys und Kunstfestivals statt. Auf die Geschichte des (mittlerweile abrissbereiten) SEZ blicken wir hier zurück.


Boxhagener Platz

Besucher des Flohmarkts am Boxhagener Platz, 1990er-Jahre 05.08.1999  Copyright: Imago/Lem
Besucher des Flohmarkts am Boxhagener Platz, Friedrichshain in den 1990er-Jahren. Foto: Imago/Lem

Das Herz des Südkiezes, so nennt man die Gegend zwischen Warschauer Straße, dem RAW-Gelände und der Frankfurter Allee, ist der Boxhagener Platz mit seinem Wochenmarkt am Samstag und dem Flohmarkt am Sonntag, der mittlerweile zu den beliebtesten Trödelspots der Stadt gehört. In den 1990er-Jahren waren die Märkte noch nicht von Hipstern und Party-Touristen überfüllt, es ging eher gemächlich zu. Beliebt ist der Boxhagener Platz auch heute noch – die Wochen- und Flohmärkte in der Übersicht gibt’s hier.


Frankfurter Tor

Immer wieder umbenanntes Frankfurter Tor, hier der Stand im Jahr 1996. Foto: imago/Rüttimann
Immer wieder umbenanntes Frankfurter Tor, hier der Stand im Jahr 1996. Foto: imago/Rüttimann

Die bekanntesten Zwillingstürme Berlins stehen am Frankfurter Tor in Friedrichshain. Der U-Bahnhof der Linie U5 wurde immer wieder umbenannt, heißt heute aber wieder Frankfurter Tor. An der riesigen Kreuzung markieren sie die Blickachse zum Alexanderplatz und gehören zu dem architektonischen Ensemble der “Arbeiterpaläste”, die sich entlang der Frankfurter– und Karl-Marx-Allee entlangziehen. Gebaut wurden die beiden Turmhochhäuser mit Kuppeldächern um 1957 nach den Plänen des DDR-Architekten Hermann Henselmann


Osthafen

Osthafen in Friedrichshain, 1996. Foto: Imago/Herb Hardt
Osthafen in Friedrichshain, 1996. Foto: Imago/Herb Hardt

Der Osthafen war einmal ein Industriehafen. Eröffnet wurde er 1913 an der Stralauer Allee, um neben dem Berliner Urbanhafen als zusätzlicher städtischer Umschlagplatz zu dienen. Zwischen den Jahren 1969 und 1989 wurden hier jährlich 2,2 bis 2,8 Millionen Tonnen Güter bearbeitet. 2002 wurde der Begriff „Hafen“ aus dem offiziellen Flächennutzungsplan der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung formal entfernt.


Alt-Stralau

Ehemalige Glashütte in Alt Stralau, 1999. Foto: Imago/Enters
Ehemalige Glashütte in Alt-Stralau, 1999. Foto: Imago/Enters

Vermutlich haben auf der Halbinsel zwischen Spree und Rummelsburger Bucht schon in der Steinzeit Menschen gelebt. Ist ja auch schön dort. Heute beeindruckt der Ortsteil durch seine einmalige Ruhe. Und hier steht sie auch, die liebliche Dorfkirche Stralau mit ihrem berühmten, leicht schiefen Kirchturm. Das von Industrieruinen dominierte Areal drumherum ähnelte aber eher einer postapokalyptischen Landschaft, heute ist es eine schicke Wohngegend mit zahlreichen Neubauten.


Kino Kosmos

Kino Kosmos in Friedrichshain, 1990er-Jahre. Foto: Imago/Evntpress/Henry H. Herrmann
Kino Kosmos in Friedrichshain, 1990er-Jahre. Foto: Imago/Eventpress/Henry H. Herrmann

Das Kino an der Karl-Marx-Allee wurde 1962 eingeweiht und bildet mit dem Kino International eine Kino-Verbindung zwischen Mitte und Friedrichshain. Im Vergleich zum pompösen Zuckerbäckerstil der benachbarten Arbeiterpaläste war das Filmtheater Kosmos, wie es ursprünglich hieß, ein gutes Beispiel für eine Architektur der Nachkriegsmoderne, die in den 1960er-Jahren auch in West-Berlin Anklang fand. Bis 1989 war das Kosmos noch ein Premierenkino, in den 1990er-Jahren ging der Kinobetrieb weiter. 2005 lief aber zum letzten mal ein Film auf der großen Leinwand, der Konkurrenz zu den neuen Multiplexkinos konnte das Kosmos nicht standhalten. Seit 2006 wird das Haus als Veranstaltungszentrum genutzt.


Gleise und Bahnhöfe

Abstellgleise in Friedrichshain, 1990er-Jahre. Foto: Imago/Jürgen Hanel
Abstellgleise in Friedrichshain, 1990er-Jahre. Foto: Imago/Jürgen Hanel

Friedrichshain wird von Gleisen und Bahnhöfen geprägt. Vom Ostkreuz über den S- und U-Bahnhof Warschauer Straße bis zum Ostbahnhof bildet der Schienenverkehr eine mächtige Achse entlang der Bezirksgrenzen. In den 1990er-Jahren waren die Bahnhöfe marode, rund um die Gleisanlagen wucherte Gestrüpp, und die riesigen Brachen und Industrieareale glichen einer Mischung aus Einöde und Abenteuerspielplatz.


RAW-Gelände

Kulturelles Projekt  auf dem RAW-Gelände, 1999. Foto: Imago/Rolf Zöllner
Kulturelles Projekt auf dem RAW-Gelände, 1999. Foto: Imago/Rolf Zöllner

Friedrichshain lag in den 1990er-Jahren noch im Halbschlaf. Während in Mitte die Weichen für das Berliner Nachtleben neu gestellt wurden und die Technoszene in riesigen Industrieruinen feierte und in Prenzlauer Berg sich aus Ost und West eine Gesamt-Berliner Boheme neu organisierte, war die Gegend zwischen Boxhagener Platz, Volkspark und dem gewaltigen Areal des ehemaligen Zentralvieh- und Schlachthofs noch wenig gefragt. Auch auf dem RAW-Gelände entlang der Revaler Straße ging es noch kauzig zu, von den Party-Touristen war hier noch nichts zu sehen. In den 2000er-Jahren sollte sich für Friedrichshain alles ändern.


Mehr Berlin

Was tut die Subkultur gegen das Ende von Friedrichshain? Unsere große Gentrifizierungs-Reportage lest ihr hier. Nicht nur Friedrichshain hat sich enorm verändert. So sah Prenzlauer Berg noch in den 1990er-Jahren aus, bevor die Gentrifizierung den Stadtteil umkrempelte. Das sind die Stadtplaner:innen, wie Lenné und Hobrecht, die Berlin nachhaltig prägten. In der Architektur tat sich zum Ende des 19. Jahrhunderts einiges: Wir stellen moderne Architekten vor, die in Berlin wirkten. Heinrich Zille hat nicht nur gemalt, sondern auch in Berlin fotografiert: Die Aufnahmen Zilles bieten spannende Einblicke in das Berlin um 1900. Mehr zur allem was in Friedrichshain passiert, lest Ihr in unserer Friedrichshain-Rubrik. Mehr aus der Geschichte Berlins lest ihr hier.


Die 90er haben Berlin auf magische Art verändert. Und einer der Momente, der Berlin zur coolsten Stadt der Welt hat werden lassen, war Christos und Jeanne-Claudes „Verhüllter Reichstag“. Im Sommer 1995 hat das Künstlerpaar den Koloss und mit ihm die deutsche Geschichte drei Wochen lang durch einen glänzenden Zaubermantel transformiert. Berlins Woodstock, zum Sound von Techno haben wir schwerelos die Nächte durchgefeiert – wie auf unserem tip-Cover. Alles war machbar. Wir hatten den Kalten Krieg besiegt, wer sollte uns da noch aufhalten? Pure Euphorie, ein Gefühl, das damals wie heute junge Menschen nach Berlin zieht, und das die, die damals schon dabei waren, noch immer glauben lässt, das Gute werde sich durchsetzen. Es steckt noch viel 90er in Berlin, unsere Zauberkraft für die Gegenwart. Love!

Cover tipBerlin 3/25: Annette Hauschild/Ostkreuz + Christo and Jean-Claude Foundation /VG Bild-Kunst, Bonn; Cover Bühnenvorschau: aus der Produktion „Dog Without Feathers (Cão Sem Plumas)“ – Companhia de Dança Deborah Colker, Admiralspalast Berlin; Foto: Cafi

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