Heinrich Zille und Berlin gehören einfach zusammen. Nur wenige Menschen haben die Stadt so geprägt wie der 1858 im sächsischen Radeburg geborene und 1929 in Berlin verstorbene Maler, Zeichner, Karikaturist und Fotograf. Lokalkolorit, Sozialkritik und Humor vermischen sich in seinen Bildern, er porträtierte das einfache Leben in den Hinterhöfen und Kaschemmen. Zilles Helden waren Säufer, Huren, Waschfrauen, Tagelöhner und immer wieder Kinder. Das Volk nannte ihn den „Pinselheinrich“ und schmückte die dunklen Wohnungen mit seinen Bildern, die in Zeitungen, Illustrierten und Büchern tausendfach reproduziert wurden.
Doch auch in etablierten Kreisen genoss Zille hohes Ansehen, wobei er, vor allem aufgrund seiner drastischen Darstellungen von Armut und Sexualität, umstritten war. Man berief ihn in die Berliner Seccesion und später in die preußische Akademie der Künste, er pflegte Freundschaften mit Käthe Kollwitz und Max Liebermann und wurde mit großen Ausstellungen gewürdigt. Zugleich feierten die Berliner bei den so genannten „Zillebällen“ sein Milljöh.
Heute gilt Heinrich Zille als Legende des Alt-Berlin, er ist ein Berliner Original, Synonym der Berliner Seele und Vater der Berlin-Zeichnung. Schulen und Kindergärten tragen seinen Namen, in Charlottenburg ist eine Straße nach ihm benannt, in Mitte erinnern Denkmäler an ihn, und in Stahnsdorf kann man sein Grab besuchen. Heinrich Zille hat sich tief in die DNA der Stadt eingeschrieben. Hier finden sich seine Spuren in Berlin.
Zilles Wohnungen in Berlin
Heinrich Zille war zehn Jahre alt, als seine Familie aus Sachsen in die Hauptstadt zog. Anfangs lebten sie in der Nähe des Schlesischen Bahnhofs, dem heutigen Ostbahnhof, im Souterrain in der Kleinen Andreasstraße 17 in Friedrichshain. Die ärmlichen Verhältnisse seiner Kindheit sind Zille stets in Erinnerung geblieben, auch später, als er 1888 eine geräumige, doch keineswegs luxuriöse Dreizimmerwohnung in der Sophie-Charlotten-Straße 88 in Charlottenburg bezog.
Zille-Denkmal im Nikolaiviertel
Zwischen Spreeufer, Mühlendamm und Spandauer Straße befindet sich das älteste Viertel Berlins: das malerische Nikolaiviertel. An keinem anderen Ort im Zentrum fühlt man sich wie in einer mittelalterlichen Kleinstadt. Auch wenn das Herzstück von Alt-Berlin im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört und in DDR-Zeiten, zuweilen recht kurios, wieder aufgebaut wurde, spürt man hier die knapp 800 Jahre Berliner Geschichte. Auch hier trieb sich einst der Pinselheinrich rum, und noch heute kann man ihm in der Poststraße in Form einer Figur begegnen. Entworfen hat das Denkmal der Bildhauer Thorsten Stegmann im Jahre 1969. Der sozialkritische Zille galt dem klassenbewussten SED-Regime durchaus als Vorbild.
- Zille-Denkmal Nikolaiviertel, Mitte
Unterwegs im Milljöh
„Zille sein Milljöh“ wurde zum Markenzeichen des Künstlers. Er zog durch die Kaschemmen, Hinterhöfe und Seitengassen, wo er mit schnellem Strich das Leben der Unterschicht dokumentierte. Die Szenen aus der proletarischen Realität weckten Unmut beim Künstlerestablishment. Zille aber blieb stur und prägte mit berlinerischen Sprüchen, Witzen und satirischen Zeichnungen eine Berlin-Folklore, die den störrischen Geist der mürrischen Hauptstädter genial festhielt. In Wedding erinnern Zille-Motive an der berühmten Kneipe Zum Magendoktor an sein Wirken. Hier konnte man früher rund um die Uhr, heutzutage immer noch bis spät nachts ein kühles Blondes auf das Wohl des Pinselheinrichs zischen.
- Zum Magendoktor Reinickendorfer Straße 111, Wedding
Der rebellische Geist
„Man kann mit einer Wohnung einen Menschen genau so töten wie mit einer Axt“ – Da Zille selbst aus armen Verhältnissen stammt, war ihm die Situation der Unterschicht stets bewusst. Besonders die Wohnverhältnisse in der Stadt beschäftigten ihn. Manche Probleme ändern sich nicht und sind auch 100 Jahre später aktuell. Denn bis heute stimmt sein markanter Spruch und findet sich auch auf Transparenten bei Demonstrationen im 21. Jahrhundert. So wie hier, bei einem Protest verschiedener Berliner Initiativen gegen Mieterhöhungen, wo Zille als eine Art Pate der Gentrifizierungsgegner zitiert wird.
Denkmal im Köllnischen Park
Unweit des Märkischen Museums findet sich der im 18. Jahrhundert angelegte Köllnische Park, der zu den ältesten Grünanlagen der Stadt gehört. Etwa einen Hektar groß ist das Areal, das vor allem für den Bärenzwinger berühmt war, in dem bis 2015 die Berliner Stadtbären lebten. Doch auch die Skulpturen und Denkmäler sind sehenswert. Neben dem Nemeischen Löwen von Gottfried Schadow und Friedrich Christian Blumes Schmuckvase aus Sandstein, gehört seit 1965 auch Heinrich Drakes Zille-Denkmal zum Skulpturenschatz des Parks.
- Köllnischer Park Wallstraße 51, Mitte
Heinrich-Zille-Straße
Mehr als 40 Jahre lang, bis zu seinem Tod, lebte Heinrich Zille mit seiner Familie in der Sophie-Charlotten-Straße in Charlottenburg. Nun konnte man der preußischen Monarchin die Straßenpatenschaft nicht nehmen, so taufte man die 1720 angelegte Wallstraße kurz nach dem Zweit Weltkrieg in Zillestraße um. Interessanterweise gab es genau in dieser Straße Anfang der 1930er-Jahre heftige Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten, bei denen der SA-Führer Hans Maikowski unter ungeklärten Umständen erschossen wurde. 1933 würdigten die Nazis ihren Märtyrer und so hieß die heutige Zillestraße zwischen 1933 und 1945 Maikowskistraße.
- Zillestraße Charlottenburg
Heinrich-Zille-Museum
Das Heinrich-Zille-Museum hat es nicht leicht. Im Herzen der Stadt, dort wo sich die Touristen auf die Suche nach den historischen Wurzeln Berlins machen, im Nikolaiviertel also, befindet sich das kleine aber feine Museum. Etwa 150 Exponate vermitteln einen guten Eindruck vom Leben und künstlerische Schaffen Heinrich Zilles.
- Heinrich-Zille-Museum Propststraße 11, Mitte, Di–So 11–18 Uhr, online
Zillemarkt: Caféhaus und Restaurant
Viele Jahre war das Alt-Berliner Restaurant an der Bleibtreustraße 48a eine Institution. 2020 musste es schließen, weil ein Investor dort neue Bürobauten plant. Somit ist Schluss mit „Futtern wie bei Muttern“ und frischem Bier aus dem Fass. Die Gentrifizierung machte auch vor dem ehrwürdigen Zillemarkt nicht halt. Eine gewisse Ironie liegt in der Geschichte, die auch dem leidenschaftlichen Kneipengänger und sozialkritischem Geist Heinrich Zille nicht entgangen wäre. Als Entschädigung können wir aber eines dieser Berliner Traditionsrestaurants empfehlen.
Fahrgastschiff „Heinrich Zille“
Der Historische Hafen Berlin befindet sich an der Fischerinsel. Bereits im Mittelalter fuhren mit Waren beladene Schiffe über Köpenick und Fürstenwalde zum Mühlendamm. Heute spielen andere Berliner Häfen eine wichtigere Rolle, doch der Charme des alten Hafens ist noch spürbar. An der Anlegestelle ankern noch echte Sammlerstücke, zum Beispiel die Schleppdampfer „Volldampf“ und „Andreas“. Seit 1993 ist hier auch der Heimathafen der „Heinrich Zille“, die seit 1993 auf den Berliner Wasserwegen unterwegs ist. Sie ist heute eines der ältesten noch existierenden Berliner Fahrgastschiffe überhaupt. Eine Weile bot der Betreiber an Bord ein Zille-Programm an.
Berliner Original und die Zille-Destille
Die Berliner Originale sind Legenden, auch wenn viele längst aus dem Alltag verschwunden sind. Mit ihrer Einzigartigkeit prägten solche urbanen Exzentriker Jahre oder Jahrzehnte die Stadt. Einst der Hauptmann von Köpenick, Eckensteher Nante und der Eiserne Gustav, später schräge Typen wie Straps-Harry, Bruno S. und der Grimassenschneider vom Europa Center. Auch Heinrich Zille war ein Original, nicht nur deshalb würdigte ihn die Berliner Brennerei Schilkin mit einem hochprozentigen Likör, Geschmacksrichtung Pfefferminz. Wer sich für Alkohol (auch die Erzeugnisse aus dem Hause Schilkin) und den ollen Meister Zille interessiert, kommt übrigens in der Zille-Destille voll auf seine Kosten. Darauf ein Likörchen!
- Zille-Destille Propststraße 10, Mitte
Zille und die Kinder
Zu Zilles Lieblingsmotiven gehörten ganz eindeutig Kinder. Ob sie spielten, weinten, balgten oder tobten, den kleinen Berlinern und Berlinerinnen widmete sich der berühmte Künstler mit großer Vorliebe. Heute erinnern eine Kita in Charlottenburg, Grundschulen in Friedrichshain und Kreuzberg und ein Kinderfreizeithaus in Moabit an Heinrich Zille.
Grab des Karikaturisten Heinrich Zille
Seine letzte Ruhestätte fand Heinrich Zille im Südwesten der Stadt, auf dem Friedhof in Stahnsdorf. 1928 feierte noch ganz Berlin Zilles 70. Geburtstag mit einer großen Ausstellung. Da litt er schon lange unter Gicht und Diabetes, im Februar 1929 verschlechterte sich sein Zustand, er erlitt einen Schlaganfall und verstarb am 9. August 1929 im Alter von 71 Jahren. Tausende Trauergäste waren bei seiner Beerdigung anwesend. Zille erhielt ein Ehrengrab der Stadt Berlin und bis heute erinnert dort ein großer Gedenkstein an den beliebten, engagierten, exzentrischen und unbequemen Künstler. An ein echtes Berliner Original!
Wir würdigen den Künstler mit einer Siebdruck-Edition: Die Infos zur Zille-Mappe. Die Hauptstadt hat viel erlebt. Mehr Geschichte und Geschichten von und über Berlin. Übrigens war Heinrich Zille auch einer der ersten Berlin-Fotografen: Aufnahmen aus der Zeit um 1900. Noch mehr Berlin um 1900 – 12 kuriose Bilder vom Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier begeben wir uns auf die Spuren der Stadtgeschichte: Unsere historischen Artikel über berühmte Straßen in Berlin findet ihr hier. Berühmt ist auch ein Ort im Zentrum: Wir unternehmen eine fotografische Zeitreise zum Alexanderplatz. Faszinierende Zeugnisse der Geschichte sind auch diese historischen Karten Berlins.