Dass Berlin so ist, wie es ist, verdankt die Stadt im Prinzip einem Mann: James Hobrecht. Denn es ist auffällig, dass es kein wirkliches Zentrum gibt – im Unterschied zu vielen anderen Städten in Deutschland. Ja, es gibt zentrale Bereiche, Unter den Linden und den Alexanderplatz etwa, aber für die Tourist:innen sind diese Orte viel relevanter als für den Berliner Alltag. Für die Einkäufe und Besorgungen, die man tagtäglich erledigen muss, braucht man sich meistens nicht einmal aus dem eigenen Kiez zu bewegen. Denn jeder Bezirk hat jeweils sein ganz eigenes Zentrum. James Hobrecht war der Begründer dieses dezentralen Berlins. Seinen Hobrecht-Plan von 1862 stellen wir hier vor.
James Hobrecht wandte sich gegen das Elend der Industrialisierung
Berlin stank, Krankheiten grassierten und es gab nicht genügend Wohnraum. Die Situation zur Zeit der Industrialisierung war elendig. Durch die stark ansteigende Zahl an Manufakturen und Werkstätten, wurden immer mehr Menschen vom Land in die Stadt gezogen, um hier Arbeit zu finden. Berlins Einwohner:innenzahl explodierte infolgedessen. Dadurch verschlechterten sich wiederum die Lebensumstände immer weiter. Es brauchte einen Plan, um die Situation zu verbessern.
Den konnte zum Glück der Stadt, James Hobrecht (1825–1902) liefern. Nach dem Bauingeneurstudium erlangte er zudem den Titel „Baumeister für den Wasser-, Wege- und Eisenbahnbau“. Anschließend wurde er als Baumeister beim Königlichen Polizeipräsidium in Berlin angestellt. Im Rahmen dessen entstand auch der Hobrecht-Plan, da zu der Zeit die Polizei für Baufragen verantwortlich war.
In dem Plan, der sich offiziell „Bebauungsplan der Umgebungen Berlins“ nennt, wurden bestehende Chausseen festgehalten und zwischen ihnen ein rechtwinkliges Geflecht von Erschließungsstraßen entworfen. So wurden Wohnblöcke geplant, wie es sie auch heute noch gibt. Damit wurde der Grundstein für die typische Berliner Blockbebauung gelegt. Die Chausseen, die sternförmig zum Stadtzentrum führten, sollten durch Ringstraßen verbunden werden. Dazu wurden Stadtplätze konzipiert, die von einer Bebauung freigehalten werden sollten.
Berlins Mietkasernen
Das Erbe des Plans kann man heute exemplarisch an der Prenzlauer Allee betrachten. Die Hauptverkehrsstraße war eine der Ausfallstraßen, die schon im Hobrecht-Plan festgehalten wurden. Daran angrenzend existiert auch heute noch einer der größten Häuserblocks Berlins im Ortsteil Prenzlauer Berg. Er liegt mit mehr als 30 Hinterhöfen zwischen der Prenzlauer Allee, Marienburger Straße, Winsstraße und Immanuelkirchstraße.
Diese dichte Bebauung mit unzähligen Hinterhöfen, die auch als Mietskasernen bezeichnet werden, war gerade in der Zeit der Industrialisierung für Berlin typisch. Heute sehen die Hinterhöfe in Mitte ziemlich schön aus, im 19. Jahrhundert waren sie Sinnbild für großstädtische Enge.
Paradox ist es schon, dass James Hobrecht, der angetreten war, um die Situation zu verbessern, vorgeworfen wurde, die Zustände noch zu verschlimmern. Denn eigentlich hatte er die Absicht die sozialen Verhältnisse mit seinem Plan zu stabilisieren.
„Er ist für den Plan viel gescholten worden, weil man gesagt hat: Na ja, dadurch sind die ganzen Mietskasernen entstanden. Inzwischen sind die Leute froh, wenn sie in so einer ehemaligen Mietskaserne eine Wohnung haben. Da ist auch sehr viel propagandistischer Unfug getrieben worden, in der Kritik an der Mietskaserne“ erklärt der Berlin-Biograph Jens Bisky gegenüber Deutschlandfunk Kultur. Streng genommen resultierten die Mietskasernen aus dem Hobrecht-Plan, von seinem Verfasser waren sie jedoch nicht geplant.
James Hobrechts Vision: Gärten statt düsterer Mietskasernen
Im Gegenteil: Hobrecht stellte sich Gärten und Spielplätze zwischen den Vorder- und Hinterhäusern vor. Neben einer Mischung aus Arbeit und Wohnen in den Häusern, strebte er eine soziale Durchmischung der Klassen an, indem im Vorderhaus Unternehmende und Angestellte wohnen sollten und in den Seitenflügeln und Hinterhöfen die Arbeiter:innen. Die Wohnungen sollten sich je nach Lage in der Größe und Qualität unterscheiden, damit sich so die unterschiedlichen Mieten ergeben würden. Auf diese Weise sollte vermieden werden, dass sich harte politische Fronten bilden, wenn sich Menschen unterschiedlicher Klassen tagtäglich über den Weg laufen.
In dem liberal gehaltenen Plan waren diese Visionen allerdings nicht festgehalten. Die Dichte der Bebauung und Nutzung der Wohnblöcke blieben privaten Unternehmen überlassen. Gerade im Gründerzeit-Boom wurde diese Freiheit durch die Bauherren ausgenutzt und es entstand rund um Berlin ein Gürtel aus Mietskasernen.
Die dortigen Wohnverhältnisse waren miserabel, die Bewohner:innen hausten in überbelegten, feuchten und dunklen Häusern.
Diese Szenerien wurden in diversen Bildern Heinrich Zilles dokumentiert. Er war es auch, der den dazu passenden Satz prägte: „Man kann auch einen Menschen mit einer Wohnung erschlagen wie mit einer Axt.“
So konnte nicht vermieden werden, dass sich Arbeiter:innenviertel bildeten, womit Hobrechts Ziel der sozialen Durchmischung verfehlt wurde. Der große Wohnblock an der Prenzlauer Allee stellte genau solch eine Mietskaserne dar. Davon gab es zur Gründerzeit noch viele andere vor allem in den neu entstandenen Gebieten in Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg und Prenzlauer Berg. Die meisten davon wurden aber mittlerweile wieder abgerissen.
Was den Hobrecht-Plan trotzdem so erfolgreich machte, war seine Flexibilität gegenüber neu aufkommenden Bedürfnissen. Er ermöglichte Wachstum und Bewegung. Neben der städtebaulichen Entwicklung war Hobrecht auch für den Aufbau der Kanalisation in Berlin ab 1873 verantwortlich, die zu seiner Zeit international eine Vorreiterrolle einnahm.
Hobrechts Kanalisation
Diese Entwicklung war dringend notwendig angesichts des hygienischen Ausnahmezustands, der in Berlin Mitte des 19. Jahrhunderts herrschte. Grund dafür waren die katastrophalen sanitären Verhältnisse. Zu der Zeit floss das häusliche und gewerbliche Abwasser noch durch Rinnsteine zwischen den Straßenrändern und Bürgersteigen. Daher entworf Hobrecht ein Radialsystem von Kanälen, indem er das Stadtgebiet in 12 Segmente mit jeweils einem Pumpwerk unterteilte. Durch ein Gefälle floss das Abwasser zu den jeweiligen Stationen, von dort wurde es bis vor die Stadt abgepumpt und auf die dortigen Riesel-Felder verteilt, wo es im Boden versickerte.
Die Kanalisation stellte eine der modernsten Entwässerungsanlagen seinerzeit dar. Damit galt Berlin, was man heute kaum glauben mag, einst als sauberste Stadt der Welt. Ein Teil von Hobrechts Erbe, den die Stadt nicht so gut bewahren kann.
Es gibt noch weitere Stadtplaner:innen, wie Lenné und Hobrecht, die Berlin nachhaltig prägten. In der Architektur tat sich zum Ende des 19. Jahrhunderts auch einiges. Dazu gibt es hier 12 wichtige Architekten, die in Berlin wirkten. Heinrich Zille hat nicht nur gemalt, sondern auch in Berlin fotografiert: Die Aufnahmen Zilles bieten spannende Einblicke in das Berlin um 1900. Mehr zur Geschichte Berlins lest ihr in dieser Rubrik.