Berlin verstehen

Berlins jüdische Kunstszene bis 1940: Von Cassirer bis Liebermann

Berlin zu Beginn des 20. Jahrhunderts war ein Magnet für Künstler:innen aus ganz Europa, unter ihnen auch viele mit jüdischem Hintergrund, die sich hier einen Namen machten. Neben Paris galt Berlin als der vielleicht inspirierendste Ort der Welt. Hier waren Künstlerleben möglich, und von Galerien bis Akademien bot die Kunstszene viele Chancen.

Bis zum 1. Mai 2023 stellt das Jüdische Museum Berlin in der Ausstellung „Paris Magnétique. 1905–1940“ die wichtigsten jüdischen Künstler und Künstlerinnen vor, die in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg in Paris gewirkt haben. Wir präsentieren das Äquivalent für Berlin und würdigen jene Künstler:innen und Galeristen mit jüdischem Hintergrund, die bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Berlin gelebt und gearbeitet und nicht selten unser Verständnis von Kunst bis heute prägen.


Charlotte Salomon (1917-1943): Malen, um nicht verrückt zu werden

Charlotte Salomon – Selbstbildnis der Berliner Malerin um 1940. Foto: Wikimedia Commons/ gemeinfrei

Die Malerin Charlotte Salomon wuchs in Charlottenburg in einer bürgerlichen Familie auf und besuchte ab 1935 die Kunstakademie Berlin. 1937 gewann sie dort einen Kunstwettbewerb, der Preis wurde ihr allerdings aufgrund ihrer jüdischen Herkunft nicht zugestanden. Sie verließ daraufhin die Schule und wurde von ihren Eltern zum Schutz vor antisemitischen Anfeindungen zu den Großeltern nach Südfrankreich geschickt.

Im Sommer 1940 spitzten sich die Ereignisse für die Malerin zu: Gemeinsam mit ihrem Großvater wurde Charlotte für zwei Monate in einem Lager interniert. Der dortige Aufenthalt, kurz nach dem Suizid ihrer Großmutter, stürzte Charlotte in eine schwere Krise. Suizidgedanken und Depressionen sorgten dafür, dass sie auf Anraten eines Arztes wieder mit dem Malen anfing. Innerhalb der nächsten Jahre entstand der Großteil ihres Werkes, eine Sammlung von über tausend Zeichnungen, mit denen Salomon versuchte, ihr Leben autobiographisch aufzuarbeiten.

Charlotte Salomon wurde im September 1943 gemeinsam mit ihrem Ehemann Alexander Nagler, den sie erst wenige Monate zuvor kennengelernt hatte, über Paris nach Auschwitz gebracht und dort, im fünften Monat schwanger, kurz nach ihrer Ankunft ermordet. Ihr Nachlass befindet sich im Jüdischen Museum in Amsterdam.


Lesser Ury (1861–1931): Einer der großen Urbanen Expressionisten

Links sieht man ein Selbstporträt des jüdischen Künstlers, rechts eine seiner charakteristischen „Berliner Straßenszenen“. Foto: Wikimedia/gemeinfrei

Lesser Ury wurde unter dem Namen Leiser Leo Ury als Sohn eines jüdischen Bäckermeisters in Preußen geboren. Seine Ausbildung als Maler begann im Alter von 16 Jahren, von Düsseldorf zog er über Belgien, Paris und München nach Berlin, wo er 1887 an der Akademie der Künste angenommen wurde. Die deutsche Hauptstadt wurde schnell zu einer neuen Heimat und Inspiration. Bekannt wurde Ury vor allem durch seine Großstadtporträts, in denen er Straßenszenen und Kaffeehäuser abbildete. Das hektische, nächtliche Leben der modernen Metropole spiegelte er durch zahlreiche atmosphärische Bilder mit dunklen Farben und starken Lichteffekten wider.

Auch wenn Ury bald nach seiner Ankunft in der Hauptstadt in die Berliner Secession aufgenommen wurde, gestalteten sich seine Anfänge in der lokalen Kunstszene als schwierig. Max Liebermann, Vorstand der Akademie, versuchte die Karriere des einzelgängerischen Malers zu erschweren, dessen Talent und Bekanntheit ihn zu einem ernsthaften Konkurrenten machten. Nachdem Ury wiederholt die Teilnahme an Kunstausstellungen verweigert wurde, wurde er erst unter Liebermanns Nachfolger in den 1920er-Jahren Ehrenmitglied in der Berliner Secession. Er verstarb 1931.

Lange Zeit existierte das Gerücht, die Nationalsozialisten hätten den Großteil seines Werkes zerstört. Tatsächlich aber wurden 1932 in einer Auktion des Berliner Galeristen Paul Cassirer die meisten Werke von Ury versteigert und befinden sich seitdem größtenteils in Privatbesitz.


Käthe Loewenthal (1878–1942): Expressive Landschaftsbilder

Ein Landschaftsgemälde des Hiddensees von 1930, wo Löwenthal viele Sommer verbrachte.
Ein Landschaftsgemälde des Hiddensees um 1930, ein Ort, an dem Löwenthal viele Sommer verbrachte. Foto: Wikimedia/ gemeinfrei

Die gebürtige Berlinerin Käthe Loewenthal wuchs als älteste von fünf Schwestern in einer gut situierten Familie auf, die aufgrund der Professur ihres Vaters häufig umzog, bis Käthe schließlich mit 13 Jahren nach Bern kam. Nachdem Käthe 1895 ihren Höheren Schulabschluss bestanden hatte, folgten mehrere Jahre als Schülerin bei diversen Malern in Bern, Paris und Italien, aber auch Berlin, wo sie sich an einer privaten Malerschule mit Landschafts- und Aktbildern beschäftigte. 1909 zog sie nach Stuttgart, wo sie bis zuletzt wohnen sollte.

Die freiberuflich als Porträtmalerin tätige Loewenthal wurde 1934 dem Berufsverbot der Nationalsozialisten unterlegt und 1942 schließlich in ein Durchgangslager in Polen deportiert und ermordet. Viele ihrer expressiven Ölgemälde waren zuvor bei einem Stuttgarter Malermeister gelagert gewesen, dessen Atelier jedoch 1943 durch einen Bombenangriff zerstört wurde. Das einzig verbliebene Erbe der jüdischen Künstlerin ist eine Mappe mit rund 250 Zeichnungen, Pastellen und Aquarellen, die bei einer befreundeten Familie versteckt und ab 1969 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden war.


Henni Lehmann (1862–1937): Gründerin des Hiddenseer Künstlerinnenbundes

Die Blaue Scheune auf Hiddensee, in der sich regelmäßig der Künstlerinnenbund versammelte. Foto: Wikimedia/ gemeinfrei

Als Tochter eines preußischen Abgeordneten konnte Henriette „Henni“ Lehmann die Königliche Kunstschule besuchen, bis sie nach ihrer Hochzeit mit einem Berliner Juristen 1888 nach Rostock umzog. Dort wohnte das nachträglich protestantisch getaufte Ehepaar, bis Henni 1918 nach dem Tod ihres Mannes nach Weimar zog, wo sie sich gemeinsam mit den Sozialdemokraten gegen Antisemitismus einsetzte.

Bereits 1907 hatte sich Henni ein Ferienhaus auf der Insel Hiddensee bauen lassen, das im Stil der lokalen Fischerhütten gestaltet wurde. In der zugehörigen Blauen Scheune gründete Lehmann 1919 den Hiddensoer Künstlerinnenbund, eine Vereinigung von rund 16 kunstschaffenden Frauen aus ganz Deutschland, die dort ihre Werke ausstellten. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 wurde der Verein verboten und aufgelöst, viele Mitglieder verfolgt oder ins Exil vertrieben. Henni Lehmann nahm sich aufgrund der zunehmenden Entrechtung und Demütigung 1937 in Berlin das Leben.


Ernst Oppler (1867–1929): Der Tanzmaler

Eine der zahlreichen Ballettradierungen, die der jüdische Künstler Ernst Oppler im Laufe seines Lebens anfertigte. Foto: Imago/piemags

Ernst Oppler wuchs im großbürgerlichen Hannover auf. Die erste Hälfte seines Studiums verbrachte er in München, wo er nach 1888 an der Akademie der Bildenden Künste studierte. Zunächst beeinflusst von der Münchner Kunstszene, konzentrierte er sich nach seinem Umzug nach London 1894 auf die Radierkunst – die er bald so gut beherrschte, dass er von der Berliner Secession angeworben und auf mehreren Biennalen in Venedig ausgestellt wurde.

Später folgten Jahre in den Niederlanden, die von der Hinwendung zu Freiluftmalerei und farbintensiveren Tönen geprägt wurden. Zurück in Berlin 1904 änderte sich dieser Stil bald wieder, hin zu strengeren, impressionistischen Formen. Oppler war dort als angesehener Porträtist und im Vorstand der Berliner Secession tätig.

Seinen einzigartigen Ruf erhielt Oppler jedoch durch eine andere Beschäftigung: Er liebte die Tanzaufführung des russischen Balletts und hielt die Bühnenszenarien häufig schon während der Aufführung fest, mit einem eigens von ihm erfundenen beleuchteten Stift. „Tanzmaler“, so nannten ihn viele, er gilt als einer der wichtigsten Chronisten des künstlerischen Tanzens und des gesamten Ballettwerkes.

1914 wurde Oppler zum Kriegsdienst einberufen, wo er an der Front Kontakt mit dem traditionellen Judentum bekam, ein Einblick, den er nach seiner Rückkehr in diversen Zeichnungen verarbeitete. In Berlin blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1929.


Ludwig Meidner (1884–1966): Der Katastrophenmaler

Das Werk „Apokalyptische Landschaft“ von Ludwig Meidner ist eines der bekanntesten Werke des Malers. Foto: imago/brennweiteffm

Ludwig Meidner wurde in Schlesien geboren und verfolgte in jungen Jahren zunächst eine Maurerlehre, auf die jedoch schnell der Besuch an der Breslauer Kunstschule folgte. Ab 1905 bekam er in Berlin Radierunterricht und wurde nach einigen Aufenthalten in Paris Mitarbeiter bei diversen expressionistischen Zeitschriften.

Meidners Stil ist Anfangs noch stark impressionistisch geprägt. Ab 1912 malte er jedoch zunehmend expressionistisch, mit kubistischen und futuristischen Einflüssen, wie man sie auch im obigen Bild „Apokalyptische Landschaft“ erkennen kann. In den 1920er-Jahren wandte sich Meidner immer mehr jüdischer Mystik und religiösen Themen zu. Er begann gemäß den Regeln des frommen Judentums zu leben und malte, zunehmend naturalistisch, biblische Szenen und Propheten.

Als ihn 1933 das Ausstellungsverbot der Nationalsozialisten betraf, nahm er eine Stelle als Zeichenlehrer am jüdischen Realgymnasium Jawne in Köln an. Im Rahmen der Aktion „Entartete Kunst“ wurden viele seiner Werke in den folgenden Jahren gebrandmarkt und vernichtet. 1939 wanderte er nach London aus, musste dort zwei Jahre als „Feindlicher Ausländer“ in Internierungslagern verbringen und kam 1953 wieder nach Deutschland zurück.

Seine Ehefrau, die Malerin Else Meidner, war mit ihm nach England ausgewandert und beschloss dort zu bleiben. Sie war einst seine Schülerin gewesen, die jedoch ihre Eigenständigkeit bewahren wollte und deren expressionistische Porträts und Landschaftsbilder dennoch zu Lebzeiten weitestgehend unbeachtet blieben. Meidner selbst, der 1966 in Darmstadt verstarb, wurde ebenfalls erst in den 1980er-Jahren groß wiederentdeckt und als einer der größten urbanen Expressionisten bezeichnet.


Eugene Spiro (1874–1972): Gefragter Porträtist

Ein Beitrag Spiros von 1905 für das Münchner Jugendstil Magazin JUGEND. Abgebildet sind mutmaßlich seine Schwestern. Foto: imago/ kharbine-tapabor

Als eines von neun Kindern eines Kantors wuchs Eugene Spiro in Breslau auf und studierte später an der dortigen sowie der Münchner Kunstakademie. 1904 zog es ihn in die Hauptstadt, von der er sich unter anderem durch die Berliner Secession neue Inspiration für seine Kunst versprach. Schnell verliebte er sich nicht nur in Berlin, sondern auch in die Schauspielerin Tilla Durieux – die sich aber nach zwei Jahren Ehe scheiden ließ, um mit dem Berliner Galeristen Paul Cassirer zusammen zu sein.

Spiro siedelte kurz darauf nach Paris über, der Kriegsausbruch 1914 und der daraufhin zunehmende Hass auf Deutschland trieben ihn jedoch zurück nach Berlin. Dort genoss er als Vorstandsmitglied der Berliner Secession das goldene Leben der 1920er-Jahre und war mit seiner zweiten Ehefrau Elisabeth auf Reisen quer durch Europa unterwegs.

Diese Zeit endete mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten. Erst zog er nach Frankreich, flüchtete dann 1941 mit seiner Familie in die USA, unter anderem dank der Fürsprache von Gönnern wie Thomas Mann beim Präsidenten Franklin D. Roosevelt. In New York blieb Eugene Spiro bis an sein Lebensende und porträtierte dort vor allem prominente europäische Emigranten. Nach dem Krieg wurde der Maler in Deutschland wiederentdeckt und mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.


Julie Wolfthorn (1864–1944): Eine „Hosendame“

Julie Wolfthorn beim Malen fotografiert vom Münchner Fotografen Philipp Kester. Foto: Wikimedia/ CC BY-SA 4.0/ Münchner Stadtmuseum

Julie Wolff wuchs im bürgerlichen Westpreußen als Waise bei Verwandten auf. Ihr Malereistudium fing sie 1890 in Berlin an und führte es anschließend in Paris fort. Später lebte sie wieder lange in der Kurfürstenstraße am Tiergarten, wo sie an einer Zeichenschule für Damen lernte. Als 1898 die Berliner Secession gegründet wurde, war Wolfthorn eins von lediglich vier weiblichen Mitgliedern. Für den Verein stellte sie regelmäßig in Kunstausstellungen aus und war eine der wenigen weiblichen Illustratoren der Münchner Kunstzeitschrift „Jugend“.

Ihrem Erfolg in der männlich geprägten Kunstszene gemäß wurde sie einmal von der expressionistischen Malerin Paula Modersohn-Becker mit dem Titel „Hosendame“ kritisiert. Sie engagierte sich sehr für die Rechte von Künstlerinnen, 1906 gründete sie mit Käthe Kollwitz die „Verbindung Bildender Künstlerinnen“ und trat 1927 dem Hiddensoer Künstlerinnenbund ein. Sie porträtierte zahlreiche Köpfe der Berliner Elite, unter anderem Franz Oppenheimer und Marlene Dietrich, auf deren Leben wir hier zurückblicken.

1933 wurde Wolfthorn als Jüdin aus dem Vorstand der Secession ausgeschlossen, blieb trotz der zunehmenden Einschränkungen jedoch bis 1941 in Berlin. Kurz darauf wurde sie gemeinsam mit ihrer Schwester im Alter von 78 Jahren ins Ghetto Theresienstadt deportiert, wo sie kurz vor ihrem 81. Geburtstag verstarb. In den zwei Jahren, die sie dort überlebte, zeichnete sie weiterhin.


Max Liebermann (1847–1935): Der große Vorreiter

Eines der Biergarten-Gemälde, die Liebermanns späteren Malstil und seine Vorliebe für das bürgerliche Alltagsleben zeigen. Foto: Wikimedia/gemeinfrei

Der wohl bekannteste Maler dieser Liste jüdischer Künstler und Künstlerinnen ist der gebürtige Berliner Max Liebermann. Der Sohn eines wohlhabenden Industriellen studierte an der Kunstakademie in Weimar und später in Paris, wo er sich besonders für die Abbildungen des Lebens einfacher Leute auf dem Land interessierte.

Ab 1884 wohnte Liebermann wieder in Berlin und heiratete Martha Marckwald. Seine zunehmende Ablehnung dem Akademismus des Kaiserreichs gegenüber führte zur Gründung der Berliner Secession und der Vereinigung der XI, einer emanzipierten Künstlerbewegung innerhalb Deutschlands. Liebermanns Malstil wurde leichter, heller, er wandte sich vermehrt Strandszenen und dem eleganten Leben der gehobenen Schicht zu. Ab 1909 besaß Max Liebermann eine Villa am Wannsee, wohin er sich für viele Sommermonate zurückzog. Heute befindet sich darin das Museum der Liebermann Villa.

Ab 1920 hatte Liebermann das Amt des Präsidenten der Preußischen Akademie der Künste inne, innerhalb derer er die verschiedenen Strömungen, Expressionismus und Impressionismus, vereinigen wollte. Nachdem im Jahr 1922 der im nahestehende jüdische Reichsaußenminister Walther Rathenau ermordet wurde, verkroch Liebermann sich immer mehr vor der Gesellschaft in seinem Haus am Wannsee und fand im Alter verstärkt zu seinem jüdischen Glauben zurück.

Als er 1935 im Alter von 87 Jahren verstarb, fand sein Tod in der Öffentlichkeit unter der nationalsozialistischen Herrschaft kaum Erwähnung, auch die Trauerfeier war kaum besucht. Der Großteil seiner privaten Kunstsammlung wurde später von der Gestapo beschlagnahmt. An sein Leben und Werk erinnert heute die Max-Liebermann-Villa, Spuren des Künstlers findet man an vielen Berliner Orten.


Max Osborn (1870–1946): Bedeutender Kunstkritiker

Der erfolgreiche Kunstkritiker Max Osborn und seine Memoiren, erschienen 1945. Foto: Wikimedia/gemeinfrei

Max Osborn entstammt einer sephardischen Bankiersfamilie aus Köln und zog als Jugendlicher nach Berlin. Dort studierte er Germanistik und Kunstgeschichte, später auch in Heidelberg und München. Während des Ersten Weltkriegs war er für die liberale Berliner „Vossische Zeitung“ als Kriegsberichterstatter tätig. Später wurde Osborn zu einem der einflussreichsten Kunstkritiker der Weimarer Republik und arbeitete an diversen Buchtiteln über die Berliner Kunstgeschichte mit.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurden seine Werke jedoch als entartet gebrandmarkt und im Rahmen der Bücherverbrennungen vernichtet. Osborn engagierte sich als Mitgründer des jüdischen Kulturbundes, einer 1933 gegründeten Selbsthilfeorganisation für vom Berufsverbot betroffene jüdische Künstler:innen, und war zeitweise Präsident des Verbandes deutscher Kunstkritiker. 1938 musste er jedoch emigrieren und floh über Paris in die USA. 1945 erschienen seine Memoiren „Der bunte Spiegel“, in denen er an das Kunst- und Kulturleben im Berlin der Jahrhundertwende erinnert.


Paul Cassirer (1871–1926): Wichtigster Kunsthändler Europas

Der Galerist Paul Cassirer führte eine der erfolgreichsten Kunstverlage Europas. Foto: Wikimedia/gemeinfrei

Als Sohn eines deutschen Industriellen studierte Paul Cassirer Kunstgeschichte in München und nahm kurz danach seinen ersten Job als Mitarbeiter der Satirezeitschrift „Simpliccissimus“ an. Zusammen mit seinem Cousin Bruno Cassirer zog er bald nach Berlin und lernte dort den Künstler Max Liebermann kennen, der die beiden zu Sekretären des neu gegründeten Vereins Berliner Secession berief. In den folgenden Jahren förderten die Cassirers als Kunsthändler die aufsteigenden Maler des Impressionismus. Ihre Kunsthandlung in Tempelhof wurde schnell eine der führenden Galerien für den Impressionismus.

Zusätzlich zu der Kunstgalerie vertrieb Paul Cassirers Verlag auch die Pan-Presse, ein Projekt, das die wichtigsten Künstler der Zeit vereinen sollte und sowohl Buchdruck als auch Illustrationen umfasste. In den 19 Werken dieser Reihe konnte man auch Illustrationen von Marc Chagall finden.

Paul Cassirer selbst meldete sich im Ersten Weltkrieg freiwillig für den Kriegseinsatz, nach antisemitischen Anfeindungen an der Front floh er jedoch für einige Jahre mit seiner Frau Tilla Durieux (der ehemaligen Frau des Malers Eugene Spiro) nach Bern. Als Tilla im Jahr 1926 ein Scheidungsverfahren veranlasste, versuchte Cassirer sich mit einer Pistole das Leben zu nehmen und erlag nach einigen Tagen im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Nach seinem Tod wurden weniger Ausstellungen als vielmehr Auktionen in der Galerie abgehalten. Ein letztes wichtiges Ereignis fand schließlich im Jahr 1932 dort statt: Gemeinsam mit Cassirers ehemaligen Mitarbeitern veranstaltete der Galerist Alfred Flechtheim drei Ausstellungen unter dem Titel „Lebendige deutsche Kunst“, in der Werke des Expressionismus, der Neuen Sachlichkeit und des Bauhaus als Statement gegen den bevorstehenden Regierungswechsel gezeigt wurden. Als die Machtübernahme 1933 schließlich stattgefunden hatte, wurde die Aktiengesellschaft Paul Cassirer vorsorglich liquidiert, um einer „Arisierung“ zu entgehen.


Alfred Flechtheim (1878–1937): Galerist und Partygastgeber

Der jüdische Galerist Alfred Flechtheim veranstaltete Vernissagen und Bälle, die in ganz Berlin berüchtigt waren. Foto: Wikimedia/gemeinfrei

Alfred Flechtheims Karriere begann mit einer Kaufmannslehre in Paris als Vorbereitung für die spätere Teilhabe an dem Geschäft seines Vaters, einem Getreidegroßhändler in Düsseldorf. Als Kunstliebhaber trat Alfred ab der Jahrhundertwende öffentlich auf, erste Werke seiner Sammlung wurden 1906 in einer Düsseldorfer Ausstellungen gezeigt. Durch seine Aufenthalte in Paris kam er in Kontakt mit französischen Malern und Kunstexperten der französischen Avantgarde, lernte Mitglieder der Künstlergruppen der Brücke und des Blauen Reiters kennen. Seine erste Galerie eröffnete er 1913 in Düsseldorf. Zu dieser Zeit umfasste Flechtheims Sammlung bereits Werke von Vincent van Gogh, Paul Cézanne und Pablo Picasso.

1921 zog der Galerist schließlich nach Berlin um und gründete auch dort eine eigene Galerie. Die mehr als 150 Ausstellungen dort – und vor allem die Vernissagen – waren bedeutende Ereignisse in der Berliner Kunstszene.

Die wirtschaftliche Situation des Galeristen, den die Finanzkrise von 1929 bereits schwer getroffen hatte, verschlechterte sich in Folge der nationalsozialistischen Anfeindungen. Flechtheim floh 1933 über Paris nach London. Zwar liquidierte er seine Sammlung vor der Flucht, musste viele Werke jedoch weit unter Wert verkaufen und hatte im Ausland als Kunsthändler keinen Erfolg mehr. Er starb 1937 verarmt in London, noch nach seinem Tod diffamierten ihn die Nazis: Abbildungen des Galeristen wurden in der Ausstellung „Der ewige Jude“ präsentiert, Flechtheim und die von ihm vertretene Kunst unter dem Titel „Der Jude, der Großmanager dieser Kunst“ herabgewürdigt.


Neugierig geworden? Bis zum 1. Mai 2023 zeigt das Jüdische Museum Berlin in der Ausstellung „Paris Magnétique. 1905–1940“ Werke von jüdischen Künstler:innen in Frankreichs Hauptstadt.

Mehr zum Thema

Die Berliner Kunstwelt ist immer in Bewegung. Hier findet ihr die aktuellsten Empfehlungen unserer Kunst-Redakteurinnen. Alles Weitere zu Ausstellungen in Berlin lest ihr hier. Abseits vom Jüdischen Museum findet ihr noch weitere Museen in Kreuzberg – wir stellen sie vor. Paris war schon cool, aber vor einem Jahrhundert ging in Berlin die Post ab! Unsere Tipps für eine Zeitreise in die 1920er-Jahre.

Berlin am besten erleben
Dein wöchentlicher Newsletter für Kultur, Genuss und Stadtleben
Newsletter preview on iPad