Berlin verstehen

Kreuzberg in den 1970er-Jahren: 12 Fotos aus anderen Zeiten

Unsere Fotos zeigen Kreuzberg in den 1970er-Jahren: Es war eine Zeit großer Veränderungen für den Stadtteil. Der marode Arbeiterbezirk fand sich nach dem Mauerbau am Stadtrand wieder, die alten Mietskasernen verfielen, und zugleich strömten Studenten, Wehrdienstverweigerer, Künstler und Gastarbeiter-Familien in die Kieze rund um den Görlitzer Bahnhof und das Kottbusser Tor. Die Ton Steine Scherben politisierten die Szene, das Echo der 68er hörte man in den Straßen und Kneipen, und die Hausbesetzerbewegung nahm Anlauf, um 1980 richtig durchzustarten. Wir blicken ein halbes Jahrhundert zurück und zeigen Fotos von Kreuzberg in den 1970er-Jahren.


Bunte 1970er-Jahre am Kottbusser Tor

Kottbusser Tor, 1974. Foto: Imago/Serienlicht
Dieses Foto entstand 1974 am Kottbusser Tor. Foto: Imago/Serienlicht

Ein schrilles Lila, das in den Augen weh tut. Dazu der gelbe VW-Bus und Werbung für Afri-Cola und Bluna. Die Überbrückung über der Adalbertstraße ist hier in poppig bunte Farben getaucht. Mehr 1970er-Jahre in Berlin geht wohl kaum. Das Areal rund ums Kottbusser Tor wurde massiv umgestaltet. Die Verwaltung tüftelte an neuen Verkehrskonzepten herum, die den PKW-Verkehr in den Mittelpunkt stellten. Ein Autobahnzubringer sollte bis zum Oranienplatz führen. Das haben die Hausbesetzer und andere Kreuzberger Aktivisten verhindert.


Planufer in Kreuzberg

Kreuzberg in den 1970er-Jahren: Das Planufer in Kreuzberg, 1973. Foto: Imago/Gerhard Leber
Das Planufer in Kreuzberg, 1973. Foto: Imago/Gerhard Leber

Den Grundstein für das Urban-Krankenhaus legte 1966 kein anderer als Willy Brandt, damals Berlins Regierender Bürgermeister. 1970 wurde das Beton-Ungetüm am Ufer des Landwehrkanals eingeweiht. Bis heute prägt das imposante Gebäude den Graefekiez. Das Planufer mit seinen prächtigen Gründerzeit-Fassaden verbindet das Urban mit der heute von Hipstern und Straßenmusikern bevölkerten Admiralbrücke. Damals wie heute war es eine recht ruhige und angenehme Wohnadresse jenseits des Kreuzberger Trubels, außer der Melanchthonkirche ist hier nicht viel zu sehen.


Türkische Familie in der Arndtstraße

Türkische Familie in der Arndtstraße. Foto: Imago/Serienlicht
Türkische Familie in der Arndtstraße. Foto: Imago/Serienlicht

Die türkischstämmigen Menschen prägen Berlin und vor allem Kreuzberg. In ihrer Geschichte ist der 30. Oktober 1961 ein zentrales Datum: An diesem Tag wurde das Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei unterzeichnet. In den 1970er-Jahren war in Kreuzberg bereits Realität, was zu jener Zeit in vielen Teilen Deutschlands noch schwer vorstellbar war: Zwischen Kottbusser Tor und Görlitzer Bahnhof existierte damals schon ein multikulturelles Miteinander.


Picknick im Park

Erholung im Park in Kreuzberg, 1976. Foto: Imago/Serienlicht
Erholung im Park in Kreuzberg, 1976. Foto: Imago/Serienlicht

Kreuzberg ist nicht unbedingt für seine vielen Grünflächen bekannt, der Innenstadtbezirk ist extrem dicht besiedelt. Die großen Verkehrsadern, Bahngleise, Straßen und Häuser nehmen den meisten Raum ein. Doch jedes Stück Rasenfläche, die Wiesen, Plätze, Brachen und Parks wurden schon in den 1970er-Jahren zur Erholung genutzt. Zudem haben sich die politisch aktiven Kiezbewohner schon bald um die Begrünung von Hinterhöfen und Dächern gekümmert und Kinderbauernhöfe gegründet, etwa am Ende der Adalbertstraße und im Görlitzer Park. Die Parks in Kreuzberg zeigen wir euch hier.


Zum Abriss freigegeben

Abrisshäuser und Brache am Fraenkelufer im Juli 1979. Foto: Imago/Peter Homann
Abrisshäuser und Brache am Fraenkelufer im Juli 1979. Foto: Imago/Peter Homann

Große Teile von Kreuzberg sollten nach den Plänen des Senats abgerissen werden. Doch die Bewohner stellten sich dieser Politik entgegen. Besetzte Häuser gehören seit den 1970er-Jahren zum Berliner Stadtbild dazu und wurden in aufgeheizten Debatten rund um die Frage „Wem gehört die Stadt?“ verhandelt. In Kreuzberg, wo der Häuserkampf besonders rigide ablief, wurden viele zuvor leerstehende und verfallende Altbauten vor dem Abriss bewahrt. Es ging um die Sicherung von Wohnraum, aber auch um die Verhinderung von großen Verkehrsprojekten wie einen Autobahnzubringer, der am Oranienplatz münden sollte.


Markthalle am Marheinekeplatz

Kreuzberg in den 1970er-Jahren: Marheineke Markthalle, 1974. Foto: Imago/Serienlicht
Marheineke-Markthalle, 1974. Foto: Imago/Serienlicht

So wie die gesamte Bergmannstraße hat auch die Marheineke-Markthalle eine bewegte Geschichte. Im Ersten Weltkrieg diente sie als Suppenküche, im Zweiten Weltkrieg wurde sie so stark zerstört, dass von der historischen Markthalle XI kaum noch etwas übrig war. Doch schon kurz nach Kriegsende siedelten sich erste Händler:innen in den Ruinen an. In den 1950er-Jahren wurde der zerstörte Teil in modernen Formen aufgebaut und versorgte in den 1970er-Jahren halb Kreuzberg mit Obst, Gemüse, Brot und vielen anderen Lebensmitteln.


Tief drin in 36 – Manteuffelstraße

Manteuffelstraße, 1973. Foto: Imago/Gerhard Leber
Manteuffelstraße, 1973. Foto: Imago/Gerhard Leber

Heute gehört die Manteuffelstraße zu den anstrengendsten Straßen im Kiez. Autos parken in zweiter Spur, ständig wird gehupt, die Kneipen und Bars an der Ecke zur Skalitzer Straße sind voll, überall wuseln Leute herum. Hier im Jahr 1973 ist die Situation noch etwas entspannter.


Mieterproteste für bezahlbaren Wohnraum

Mieterproteste für bezahlbaren Wohnraum in Kreuzberg, um 1979. Foto:Imago/Peter Homann
Mieterproteste für bezahlbaren Wohnraum in Kreuzberg, um 1979. Foto:Imago/Peter Homann

Schon die Ton Steine Scherben, jene Band, die längst zur Kreuzberger Folklore dazugehört, besangen den Kampf um Häuser, die Knappheit von Wohnraum und die Konflikte zwischen Polizei und Besetzern. Die Transparente an einem Haus in der Adalbertstraße machen auf die Probleme aufmerksam.


Leben im Schatten der Mauer

Kreuzberg in den 1970er-Jahren: Berliner Mauer in Kreuzberg, 1978. Foto:Imago/Peter Homann
Berliner Mauer in Kreuzberg, 1978. Foto:Imago/Peter Homann

Kreuzberg war damals Randlage. Dorthin zog es Menschen, die wenig Geld zur Verfügung hatten, und jene, die möglichst unbehelligt von staatlichen Strukturen leben wollten. Die Mieten waren günstig, der Preis, den man zahlte, war ein anderer: Aussicht auf die Berliner Mauer. Heute versperrt sie nicht mehr den Blick, aber an manchen Orten (rund ums Engelbecken etwa) im Grenzbereich zwischen Mitte und Kreuzberg sieht man den Häusern ihre Ost- oder West-Herkunft sehr gut an. 


Blick nach Mitte

Blick über die Mauer von Kreuzberg nach Mitte. Foto: Imago/Serienlicht
Blick über die Mauer von Kreuzberg nach Mitte. Foto: Imago/Serienlicht

Die Berliner Mauer trennte Kreuzberg und Mitte voneinander. Auf Ost-Seite patrouillierten NVA-Soldaten und hatten Schussbefehl, auf West-Seite zog der Betonstreifen Künstler, Sprüher, Politaktivisten und Menschen mit gebrochenen Herzen an, die sich auf dem „antifaschistischen Schutzwall“ visuell verewigten.


Ein Bezirk im Wandel

Kreuzberg in den 1970er-Jahren: Besetztes Haus in Kreuzberg. Foto: Imago/Serienlicht
Besetztes Haus in Kreuzberg. Foto: Imago/Serienlicht

West-Berlin in den 1960er-Jahren hat sich radikal politisiert. Rudi Dutschke führte die Studentenproteste an, die RAF hat sich gegründet, und in Berlin war die Bewegung 2. Juni aktiv. Kreuzberg wandelte sich parallel dazu, der Mythos Kreuzberg entstand und ein Teil der linksradikalen Geschichte der Stadt ereignete sich in Kreuzberg in den 1970er-Jahren. 1975 entführten Mitglieder der Bewegung 2. Juni den Berliner CDU-Politiker Peter Lorenz (1922-1987). Die Begründung der Terroristen lautete: Lorenz sei ein „Vertreter der Reaktion und der Bonzen, verantwortlich für Akkordhetze und Bespitzelung am Arbeitsplatz“. Man forderte die Freilassung politischer Gefangener, es kam zum Austausch und der Befreiung der Geisel. Lorenz wurde in der Schenkendorfstraße, einer Nebenstraße der Bergmannstraße, festgehalten.


Mehringdamm, 1974

Mehringdamm, 1974. Foto: Imago/Gerhard Leber
Mehringdamm, 1974. Foto: Imago/Gerhard Leber

Der Stadtteil Kreuzberg steht auch für einen internen Streit im Bezirk: 61 vs. 36. Die beiden Teile, benannt nach den historischen Postleitzahlen, identifizieren sich bis heute als Kreuzberg 36 beziehungsweise Kreuzberg 61. Während 36 wild und chaotisch ist, galt 61 stets als eine eher bürgerliche Gegend. Rund um die Bergmannstraße und am Mehringdamm dominieren heute Marheineke-Markthalle, Imbisse, Bioläden und Boutiquen mit Schnickschnack und nachhaltiger Mode. Der Wasserturm an der Kopischstraße überragt das nahezu komplett erhaltene Altbau-Quartier am Chamissoplatz. Bis an die Dudenstraße auf der einen und zum Südstern und hinein in den Gräfekiez auf der anderen Seite, reicht Kreuzberg 61.


Mehr über die Geschichte Berlins

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