Schräg bis exzentrisch

Berliner Originale: Legenden, die die Stadt einst prägten

Diese Originale sieht man auf Berlins Straßen nicht mehr, aber sie sind unvergessen. Einzigartig, wie sie waren, prägten sie für Jahre oder Jahrzehnte die Stadt. Straps-Harry, Bruno S. oder der Grimassenschneider vom Europa Center: Hier erinnern wir uns an exzentrische Menschen, die man in Berlin sicher einmal gesehen hat – und sie doch kaum richtig kannte.


Bruno S.

Bruno Schleinstein alias Bruno S. (1932–2010), war Straßenmusiker, Schauspieler und Berliner Original. Foto: Imago/Matthias Reichelt

Seine Kindheit wurde ihm gestohlen, wie er das selbst mal ausdrückte: Bis 1956 lebte der 1932 geborene Bruno Schleinstein in Kinderheimen und der Psychiatrie. Weltberühmt wurde er für kurze Zeit durch die beiden Werner-Herzog-Filme „Jeder für sich und Gott gegen alle“ und „Stroszek“ Mitte der 70er-Jahre, wobei letzter national und international viel Anerkennung erhielt. Danach verschwand er dann aber wieder in der Versenkung. Jahre danach tauchte Bruno S. als Sänger seiner eigenen Lieder mit seinem Harmonium in Berliner Hinterhöfen auf, arbeitete als Gabelstaplerfahrer und malte.

2003 setzte ihm der Filmemacher Miron Zownir mit dem Porträt „Bruno S. – Die Fremde ist der Tod“ ein filmisches Denkmal, das auf der Berlinale zu sehen war. In dem Film beleuchtete der Filmemacher Brunos bewegte Vergangenheit und seinen gegenwärtigen Existenzkampf. Bruno S. starb 2010. Sein Grab befindet sich auf dem Alten St.-Matthäus-Kirchhof in Schöneberg. „Menschlichkeit ist eine Verkleidung der Reichen, damit sie in der Menschenmenge besser untertauchen können.“  MS


Charlotte von Mahlsdorf

Ein Berliner Original: Charlotte von Mahlsdorf vor ihrem Haus in Berlin-Mahlsdorf. Foto: Imago/Raimund Müller

Geboren 1928 in Berlin-Mahlsdorf packt Lothar Berfelde schon früh die Sammelleidenschaft, vor allem aus der Gründerzeit. Berfelde fühlt sich als Frau, übernimmt 1960 das ruinöse Gutshaus Mahlsdorf und baut es zum Gründerzeitmuseum aus. Die stets liebenswürdige Charlotte von Mahlsdorf sammelte fast zwei Dutzend komplette Zimmereinrichtungen, mit besonderem Schwerpunkt auf mechanischen Musikmaschinen – vieles davon ist heute noch im Gründerzeitmuseum zu sehen, welches seit 1972 unter Denkmalschutz steht. Sie rettete nebenbei auch noch die Mulackritze, die letzte vollständig erhaltene Berliner Kneipe des Scheunenviertels, vor dem Abriss und richtete im Untergeschoss des Gutshauses Mahlsdorf im Originalzustand ein.

Zugleich avanciert Charlotte zur Ikone der Genderbewegung, Rosa von Praunheim setzt ihr 1992 mit dem Porträt „Ich bin meine eigene Frau“ ein filmisches Denkmal. Auch wegen Angriffen von Neonazis auf das Museum wandert Charlotte Mitte der 1990er-Jahre nach Schweden aus. Bei einem Berlin-Besuch 2002 stirbt Charlotte von Mahlsdorf. „Ich werde mehr als nur einen Koffer in Berlin haben: bei meiner Schwester ein Bett – von 1890.“ (aus „Der Spiegel“). MS


Horst „Knautschke“ Ehbauer

Horst Ehbauer aus Berlin Kreuzberg war Weltmeister im Grimassenschneiden 1979 und 1990. Foto: Imago/Rolf Kremming

Weit über die Grenzen Berlins hinaus war der Mann bekannt, der seine Unterlippe über die eigene Nase stülpen konnte. Zwei Mal gewann Ehbauer die Weltmeisterschaft der Grimassenschneider, brachte es auf drei Einträge im Guiness-Buch, tauchte mehrmals bei Harald Schmidt auf und spielte in einem amerikanischen B-Picture einen Clown. Dabei war Ehbauers eigene Geschichte eher traurig: Seine Mutter war eines der Opfer des S-Bahn-Mörders Paul Ogorzow. Auch wenn Tourist:innen vor dem Zoo und auf dem Ku’damm über seine Gesichter lachten, Ehbauers Wutausbrüche waren legendär. Er starb 2006 mit 73 Jahren – beim Üben vor dem Spiegel.. LuG


Straps-Harry

Der Mann, den alle Straps-Harry nannten, war Unternehmer. Er betrieb Travestielokale und das Autodrom, ein Fahren-ohne-Führerschein-Parcours an der Kochstraße. Falls seine langen roten strapsbefestigten Wollstrümpfe ein Marketing-Gag waren, dann hat er funktioniert. Harry Toste war eine Ikone West-Berlins, angeblich ein Millionär, auf jeden Fall kein Kind von Traurigkeit. Der gelernte Koch und Kellner war Besitzer eines eigenen Theaters, die „Dream Boys Lachbühne“, und trat am liebsten als „Zarah Leander“ auf. Rosa von Praunheim porträtierte ihn im Dokumentarfilm „Stolz und schwul“ (1991). Noch mit 90 tanzte Straps-Harry auf der Love-Parade mit. 2004 ist er 97-jährig gestorben. -icke


Ditmar „Jacki“ Dunke

Berliner Original: Ditmar „Jacki“ Dunke, West-Berlin in den 1980er-Jahren.
Foto: Privat

Bei seinem Begräbnis Ende 2019 spielten alte Weggefährten „Für immer Punk“ von den Goldenen Zitronen. Und genau das war Ditmar Dunke, besser bekannt als „Jacki“. Für immer Punk. 1963 in Wilmersdorf geboren und bei den Großeltern aufgewachsen, büchste er mit 17 aus und tauchte in der Kreuzberger Hausbesetzer- und Punkszene ab. Nach der Wende schlief er in Hauseingängen und Nachtkneipen – lebt vor allem auf der Oranienstraße. Er verkörperte den desolaten, exzessiven und destruktiven Aspekt des Punk-Daseins. Jacki betrieb einen radikalen Raubbau am eigenen Körper, pflegte eine Antihaltung gegen alles was auch nur den Anschein von Establishment machte und die grundlegende „No future“-Attitüde. Viele aus der Szene hat er überlebt, auch wenn es ihm kaum jemand zugetraut hätte, so krank und fertig sah er aus. Seine Kutte, liebevoll mit Dutzenden von Kronkorken verziert, ist an das Kreuzberger Bezirksmuseum gegangen. Die Kaputtheit hat „Jacki“ mit ins Grab genommen. sla


Rolf Eden

Rolf Eden auf dem Flughafen in Berlin-Tempelhof. Foto: Imago/Sabeth Stickforth

Er galt als „Deutschlands letzter Playboy“ und verkörperte das hedonistische West-Berlin in der Nachkriegszeit. Mit 27 Jahren eröffnete er 1957 an der Nestorstraße, Ecke Ku’damm seinen ersten Club, den „Eden Saloon“: Der Kurfürstendamm war sein Revier. Im Laufe der Jahre sammelte er neben Diskotheken auch Frauen an seiner Seite. Seinen letzten Club, das „Big Eden“ verkaufte er 2002. Als ältester von zwei Söhnen wurde er 1930 in einer jüdischen Familie in Tempelhof geboren. Mit der Machtergreifung Hitlers wanderte die gesamte Familie 1933 aus, weshalb auch alle dem Holocaust entkamen.

Knapp zehn Jahre nach Ende des Krieges kam Eden wieder nach Berlin und stieg zum großen Nachtclub-Besitzer und Berliner Original auf. Seine Clubs wurden zu Tempeln der West-Berliner Wirtschaftswunderzeit und standen für Leichtigkeit und Vergnügen. Mit seinem weißen Jackett und seinen blonden Haaren wurde er stadtbekannt und von uns auch einmal zum peinlichsten Berliner (hier die Liste von 2022) gekürt. Für ihn war es eine Ehre. Eden starb 2022 im Alter von 92 Jahren.


„Schrippenmutti“ Inge Schulze

Schrippenmutti Inge Schulze war ein echtes Berliner Original – und tat für die Stadt viel Gutes. Foto: Imago/Thomas Lebie

Jahrzehnte lang war die „Schrippenmutti“ Inge Schulze im Berliner Nachtleben unterwegs und verkaufte in den Clubs und Kneipen der Stadt ihre belegten – und begehrten – Schrippen, Bouletten und Würstchen. Den Gewinn gab das Berliner Original an die Obdachlosenhilfe weiter. Früher noch mit Motorroller unterwegs, führ sie in den letzten Jahren mit einem motorisierten Dreirad von Club zu Club und Kneipe zu Kneipe. Dem „Deutschlandfunk“ erzählte sie einmal, dass all das 1990 losgegangen sei. Zu ihren besten Zeiten habe sie 120 Schrippen, 40 Stullen und 140 Buletten verkauft. Was sie in den Kneipen nicht loswurde, brachte Inge Schulze den Obdachlosen am Bahnhof Zoo. „Ick bin Kriegskind“, sagte sie. „Wegjeworfen wird nüscht.“ Ihre letzte Runde drehte sie mit 79 Jahren. Zwei Jahre darauf starb sie, im Jahr 2021.


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Diese Berliner Originale mischten West-Berlin in den 80er-Jahren auf. Und diese Berliner Originale sind euch heutzutage vielleicht begegnet. Schräge Künstlertypen, exzentrische Obdachlose, windige Geschäftsleute. Es gibt verschiedene Formen der Berliner Originale, doch sie alle gehören zur Stadt. Eine Liebeserklärung. Gedichte von der Seele: Timo Dege gehört zum Kreuzköllner Inventar. Was uns bewegt, lest ihr in der Rubrik zum Berliner Stadtleben.

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