Das Lenindenkmal stand gut 20 Jahre auf dem Leninplatz in Ost-Berlin, so lange prägte der russische Revolutionär an zentraler Stelle die Hauptstadt der DDR. Nach dem Mauerfall ging es dem berühmten Genossen an seinen Betonkragen. Die Friedrichshainer Bezirksverordnetenversammlung beschloss im Herbst 1991 den Abriss des Monuments, trotz heftiger Proteste begann am 8. November jenes Jahres der Rückbau. Zum 30. Jahrestag blicken wir auf die Ereignisse von damals zurück.
Lenindenkmal in Berlin: Geschichte wird von den Siegern geschrieben
Nikolai Tomski verstarb bereits 1984 in Moskau – glücklicherweise, muss man sagen, denn der linientreue kommunistische Bildhauer und Präsident der Akademie der Künste der Sowjetunion wäre sicherlich nicht erfreut über die Zustände, die sich ihm in der Zeit nach dem 9. November 1989 geboten hätten. Die Mauer fiel, Glasnost und Perestroika rüttelten am Status Quo, und spätestens 1991 befand sich auch sein eigenes Land in der Phase des Niedergangs. Die Sowjets haben den Kalten Krieg verloren und die Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben. Tomski hätte seinen Posten wohl verloren, doch er lag mit Verdienstorden behängt in seinem Grab.
Auch in Berlin wandelte sich die Wirklichkeit rasant. Nach der Implosion der wirtschaftlichen und politischen Systeme im Arbeiter- und Bauernstaat folgten mit Währungsunion und Wiedervereinigung zwei Beschleuniger der Transformation. Die DDR-Produkte verschwanden aus den Geschäften, die Trabis von der Straße, und in Friedrichshain sorgte ein berühmter rosa Riesenkopf für Zwist. Der Kopf gehörte Wladimir Iljitsch Lenin (1870-1924), dem Theoretiker, Revolutionär und Super-Bolschewisten, der den Weg für die Entstehung der KPdSU ebnete und als Gründer der Sowjetunion gilt.
Lenindenkmal: Zeichen zum 100. Geburtstag des Revolutionärs
Gestaltet hat den Riesenkopf Lenins und das ganze Denkmal auf dem ebenfalls nach Lenin benannten Platz in Friedrichshain kein anderer als der oben erwähnte Nikolai Tomski. Die DDR-Regierung erteilte den Auftrag, man wollte anlässlich von Lenins 100. Geburtstag ein Zeichen setzen, besser gesagt einen 19 Meter hohen und auf einem 26 Meter breitem Sockel stehenden Koloss aus rotem Kapustino-Granit, den man eigens für den Bau aus der Ukraine nach Ost-Berlin karrte. Drei Tage vor dem Lenin-Jubiläum wurde das Denkmal am 19. April 1970 eingeweiht. 200.000 feierfreudige Sozialisten und Sozialistinnen kamen und hörten Walter Ulbrichts feierliche Worte. Mehr kommunistischen Pomp kann man sich kaum ausmalen.
Der rosa Lenin passte sich gut ein. Die Ost-Berliner Stadtplaner und Architekten haben mit Prachtmeilen wie der Karl-Marx-Allee, Symbolbauten wie dem Fernsehturm und dem Palast der Republik, dem monumentalen Zuckerbäcker-Stil der Arbeiterpaläste und gewaltigen Plattenbau-Siedlungen dem real existierenden Sozialismus einen gebauten Ausdruck verliehen. Lenin wurde zu einem der Symbole der DDR.
Das fand auch die umtriebige Fotografin Ilse Ruppert, die eigentlich zwischen Hamburg, West-Berlin und New York jettete. Als sie 1982 mit Sondererlaubnis in Ost-Berlin unterwegs war, traf sie eine Gruppe junger Punks, die sie so fotografieren wollte, dass man wusste, die sind wirklich im Osten. „Da kam mir die Idee mit dem Lenindenkmal, das gab es nicht im Westen. Wir sind hin, ich tat so als wäre ich eine Touristin und die Punks machten ihre Posen, viel besser als die Punks in West-Berlin“, erinnert sich Ruppert. Die Bilder gingen um die (westliche) Welt, in der DDR war man hingegen erzürnt und die Fotografin bekam Arbeitsverbot.
So wie auf ihren Bildern wollte man das „bessere Deutschland“ nicht international dargestellt sehen. Lieber nutzten die SED-Bonzen das Denkmal als Kranzabwurfstelle für hohe kommunistische Feiertage. Mal kam Erich Honecker vorbei, mal Gorbatschow. Doch damit war es spätestens Ende 1989 vorbei. Die Mauer fiel und die Ikonen der proletarischen Weltrevolution gerieten in Ungnade. Marx ließ man gerade noch so gewähren, bei Engels wusste niemand so richtig Bescheid, Stalin wurde schon vorher, DDR-intern, weitgehend abgewickelt, aber Lenin blieb. Vorerst.
Die PDS und andere Befürworter des Erhalts wurden überstimmt
Und an Lenin schieden sich die Geister. Der Westen wollte mit ihm nichts zu tun haben, im Osten gingen die Meinungen auseinander, aber vielen ging es zu schnell. Der Tenor war, Lenin soll aus Berlin verschwinden. Nach ihm benannte Straßen und Plätze sollten umbenannt und das Denkmal abgerissen werden. Entschieden hat darüber 1991 die Friedrichshainer Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Nicht alle waren dafür. „Ich sitze seit Mai 1990 für die PDS/LINKE im kommunalen Parlament. Meine Fraktion hat damals gegen den Abriss des Denkmals gestimmt“, erinnert sich Regine Sommer-Wetter, heute stellvertretende BVV-Vorsitzende und stellvertretende Fraktionsvorsitzende.
Die Abstimmung, den Leninplatz in Platz der Vereinten Nationen umzubenennen und das Denkmal zu demontieren, erfolgte am 18. September 1991. Beantragt durch SPD und CDU. Für die Umbenennung des Leninplatzes stimmten 36 Bezirksverordnete, 28 waren dagegen. Andere Quellen sprechen von 40 gegen 33 Stimmen. Das Ergebnis war jedenfalls relativ knapp. „Es fanden im Vorfeld der Umbenennung Veranstaltungen mit im Umfeld wohnenden Bürgern und Bürgerinnen statt. In diesen gab es eine breite Mehrheit für die Beibehaltung des Namens und des Denkmals. Sowohl die Betroffenen als auch uns als Fraktion, mich eingeschlossen, störte der Umgang mit der Mehrheitsmeinung der Betroffenen – und dass es ausschließlich um Straßen und Plätze in den Ostberliner Bezirken ging“, sagt Sommer-Wetter.
„Bismarck statt Lenin“
Einige der Protestierenden forderten auf den Plakaten, die sie zu den Demonstrationen trugen, „Bismarck statt Lenin“. Es gab ein Unverständnis darüber, weshalb eine zumindest kontroverse Figur wie der erste Reichskanzler allerorts gewürdigt werden kann, Lenin aber nicht. Ein Ost-West-Disput.
Die PDS und andere Befürworter des Erhalts wurden überstimmt und der Abbau beschlossen. Trotz der Proteste. Die Leute wollten „ihren“ Lenin behalten, und das nicht aus einer Trotzreaktion heraus, es ging um mehr, es ging um gesellschaftliche Teilhabe. „In der stürmischen Nachwendezeit entlud sich der Wunsch der ehemaligen DDR-Bürger und Bürgerinnen nach Partizipation an der Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung“, heißt es in einem Dossier zur „Geschichte der Bürgerinitiative Lenin-Denkmal“, das die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammengestellt hat.
Die Pro-Denkmal-Aktivisten empfanden den Umgang mit dem Lenindenkmal als politisch motivierte Bilderstürmerei. Die Initiative gründete sich offiziell am 30. September 1991, kurz nach dem BVV-Beschluss. „In ihr schlossen sich alte und junge BerlinerInnen, PDS-Mitglieder, Abgeordnete, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen zusammen, um sich aktiv für den Erhalt des prominenten Denkmals zu engagieren. Als Spiritus Rector der Bürgerinitiative wirkte Edith Wäscher“, heißt es in dem Dossier weiter.
Vorher schon fanden die ersten Diskussionen statt, teilweise auch mit Beteiligung des damaligen Friedrichshainer Bürgermeisters Helios Mendiburu (SPD), in denen es um „einen möglichen Erhalt, Verfremdung oder Abriss des Lenindenkmals“ ging. Es gab Unterschriftenaktionen, Protestkundgebungen, ein Happening, bei dem ein Lenindenkmal auf einem LKW durch die Stadt gefahren wurde, selbst die Erben des Urhebers Nikolai Tomski schritten ein. Doch alles ohne Erfolg. Am 15. Oktober 1991 veranlasste der damalige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU), das Lenindenkmal von der Denkmalliste des Landes Berlin zu streichen. Damit stand einem Abriss nichts mehr im Wege.
Das Lenindenkmal landete auf dem „Friedhof der Geschichte“
Am 8. November wurde der Platz weiträumig umzäunt und das Denkmal selbst eingerüstet. Die Demontage dauerte mehrere Wochen. In dieser Zeit wurde der Granit-Lenin in 129 Einzelteile zerlegt und in der Seddiner Heide im Müggelheimer Forst in Köpenick eingelagert. Tomskis Lenindenkmal landete, im wahrsten Sinne des Wortes, auf dem „Friedhof der Geschichte“.
Das Denkmal verschwand noch 1991 von der Bildfläche, im Frühjahr 1992 folgte die Umbenennung des Leninplatzes in Platz der Vereinten Nationen, und 1994 wurde schließlich das Fundament beseitigt. Der Platz und die Stadt veränderten sich. Lenin kannte man höchstens noch aus der Erfolgskomödie „Good Bye, Lenin!“ (2003). Es wurde still um die kommunistische Ikone, die gut 20 Jahre im Köpenicker Wald lag. Hin und wieder tauchten Artikel in Zeitungen auf, die von dem überdimensionalen Granit-Kopf in der Pampa berichteten. Die Überreste von Lenin wurden zum lokalen Kuriosum. Einem vergessenen und verscharrten Relikt aus einer unliebsamen Vergangenheit. Doch schließlich fand das Denkmal 2016 doch noch einen Ort der Bestimmung. Der Leninkopf ist seit April 2016 als Teil der Ausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“ in der Zitadelle Spandau zu sehen.
Mehr DDR-Geschichte in Berlin
DDR-Architekten in Berlin : Aufbau Ost von Platte bis Zuckerbäckerstil. Lust auf noch mehr Platte? Plattenbau in Berlin: Wie die Beton-Architektur die Stadt prägt. Erinnert ihr euch auch noch? Das sind die 12 Dinge, die jeder kennt, der in Ost-Berlin der 1980er gelebt hat. Hier widmen wir uns der Spreepark-Geschichte Wie eine Fahrt auf der Achterbahn. Wir sprachen mit Zeitzeugen: 13. August 1961 – ans Jahr des Mauerbaus erinnern sich zwei DDR-Flüchtlinge. Trabi, Stasi und Soljanka: Hier zeigen wir, wo man die DDR in Berlin noch heute erleben kann. Noch mehr Texte zu Berlins Geschichte? Hier entlang.