Von der Marienhöhe in Tempelhof wurde einst ganz Berlin vermessen. Heute ist der trigonometrische Punkt erster Ordnung eine unzugängliche Baustelle, seit Jahren passiert dort nichts. Ein Ortsbesuch.
Die Marienhöhe ist unscheinbar, aber bedeutsam
Hufeisenförmig schlängelt sich der Marienhöher Weg um den kleinen Park an der Grenze zwischen Tempelhof und Steglitz. Der 73 Meter hohe Trümmerberg Marienhöhe, den man vor dem Krieg auch Rauenberg nannte, dominiert das Gelände aus Buschwerk, Trampelpfaden, Spielplatz und einer Liegewiese. Ein unscheinbarer Ort, dabei liegt hier der Mittelpunkt der Stadt, des ganzen Landes sogar, wenn man es historisch sehr genau nimmt.
Im 19. Jahrhundert bestimmten preußische Beamte die Anhöhe Rauenberg bei Berlin als Ausgangspunkt für die Berechnung geographischer Koordinaten im ganzen Reich. Noch heute richtet sich das deutsche Hauptstadtnetz danach. Zwar sind die trigonometrischen Vermessungen im Zeitalter von Satelliten und Google Maps etwas aus dem Fokus geraten, doch ohne das Dreiecknetz wären wir bis heute recht orientierungslos unterwegs.
Im September 2017 spülten Regenfälle einen Teil der Marienhöhe weg
Sehen darf man diesen wichtigen Punkt heute nicht, der Weg ist versperrt. Eisenzäune stehen an allen Zugängen zum Gipfel, auf die Verbotsschilder notierte jemand mit schwarzem Filzstift: „Scheiß Politiker, vier Jahre nichts getan hier!“ Im September 2017 spülten Regenfälle einen Teil der Marienhöhe weg, die Kriegstrümmer kamen zum Vorschein, es herrschte Einsturzgefahr. Absperren und nichts tun, das scheint seitdem die Strategie des Bezirks zu sein. Auf mehrere Nachfragen zum Stand der Dinge beim Grünflächenamt Tempelhof-Schöneberg gab es bislang keine Antwort.
Wer will, kommt aber trotz Verbots hinauf. Oben steht ein Gedenkstein und erinnert an die kartografischen Anfänge im Kaiserreich. Denkwürdig sieht das zugemüllte Plateau nicht aus. Pizzakartons, Bierflaschen, Lagerfeuerstellen, die Überreste einer Geburtstagsparty. Ein perfekter Ort für Teenager, die hier kiffen, saufen und knutschen wollen.
Der Ausblick ist durch wuchernde Sträucher und Bäume verstellt, nur hier und da eröffnet sich zwischen dem Gestrüpp ein fast ländliches Panorama aus Einfamilienhäusern, Kleingärten und dem Ullsteinhaus als einzig erkennbare Marke der Großstadt, die hier gefühlt sehr weit weg ist. Die Marienhöhe ist ein Mikrokosmos mit eigenen Problemen.
Konflikte auf der Marienhöhe: Kleingärten oder Schule?
Im idyllischen Kiez am Fuße des Berges protestiert eine Anwohnerinitiative „gegen den unsinnigen Abriss der Kleingartenanlage“ und prangt die „Missachtung jeglicher Erkenntnisse zum Klimaschutz“ an. Anstelle der Kleingärten soll auf dem Grundstück eine Schule gebaut werden. Protest gegen einen Schulneubau ist ungewöhnlich, aber wie in jedem Mikrokosmos, ist die Sache verworren. Der Bezirk plant einen „temporären Schulersatzstandort“, dafür sollen die Grünflächen verschwinden, samt Naturlehrpfad und ökologischen Nischen für die hiesige Flora und Fauna. Schwierige Situation.
Ein Stück weiter, am Marienhöher Weg Hausnummer 30, ist die Welt noch in Ordnung. Dort stößt man auf ein von einem charmant verlotterten Garten umgebenes altes Haus mit Spitzdach, es ist die Bergterrasse. Christiane Hilbert bewirtet dieses heimelige Ausflugslokal – eigentlich. Im Winter 2021/2022 ist mal wieder dicht – Corona macht das Geschäft wenig lohnend. Leider.
Verwitterte Schilder werben für „Fassbrause vom Fass“ und „selbstgebackenen Kuchen“, zwei Spiegeleier mit Bratkartoffeln kosten, wenn offen ist, sechs Euro, Strammen Max gibt es für sechs Euro fünfzig und der absolute Hit: „Originaldose Ölsardinen“ für drei Euro, Brot gibt inkuldiert. Ebenso unübertrefflich ist noch der Hinweis auf die Öffnungszeiten – „Freitag Ruhetag“. So viel Lässigkeit würde man mal den Kreuzberger oder Friedrichshainer Gastronomen wünschen, Freitag einfach mal zumachen. Ist zu hoffen, dass eben die restlichen Öffnungszeiten bald wieder gelten.
Generell gilt: Hier ticken die Uhren eben etwas langsamer, auch was die Sanierung des Rauenbergs angeht, man nimmt sich die Zeit. Nicht in jedem Fall ist das gut.
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