30. Todestag

Marlene Dietrich: Hollywood-Star, Freigeist – und immer Berlinerin

Der Todestag von Marlene Dietrich jährt sich am 6. Mai 2022 zum 30. Mal. Was macht sie heute noch so interessant? Ende Februar sangen mehr als 3500 Menschen in Berlin „Sag mir, wo die Blumen sind“, um gegen den Krieg in der Ukraine zu demonstrieren. Marlene Dietrich machte das Antikriegslied aus den 1960er-Jahren damals populär – und bewegt damit noch heute die Gemüter.

Wir sprechen mit Menschen, die ihre Kunst und ihr fortschrittliches Denken weiter in die Welt tragen. Und erklären, warum die Dietrich bis ans Lebensende und trotz internationaler Karriere emotional auch immer eins war: Berlinerin.

Foto zum Marlenes ersten Hollywoodfilm „Marokko“, 1930. Foto: Imago/Everett Collection

Marlene Dietrich: Ihr Schaffen wirkt in Berlin und weltweit nach

Ute Lemper hat eine besondere Beziehung zu Marlene Dietrich. Mit dem Programm „Rendezvous mit Marlene“ tourt sie um die Welt – und hält so die Erinnerung lebendig.

Ute Lemper verbindet mit Marlene ein langes Telefongespräch, das beide 1987 führten. Das Gespräch beschäftigte Lemper noch viele Jahre später, so dass sie daraus das Programm „Rendezvous mit Marlene“ entwickelte, mit dem sie seit 2018 unterwegs ist. Sie erklärt das anhaltende Interesse an Marlene so: „Sie war eine außergewöhnliche Frau, die ihrer Zeit weit voraus war.“

Die Sängerin ist sichtbar fasziniert, wenn sie über die 1901 in Berlin geborene Schauspielerin spricht, die im Hollywood der 1930er-Jahre zum Star wurde. Ein Star, der dann im Zweiten Weltkrieg als amerikanischer Soldat an die Front ging und später weltweit vor großem Publikum sang.

Ein Foto von 1930, aus der Anfangszeit von Marlenes Karriere, zeigt sie als junge Frau im Frack mit Zylinder – selbstbewusst mit keckem Blick. Es entstand im Zusammenhang mit Marlenes erstem Hollywoodfilm „Marokko“. Sie spielt darin eine Nachtclubsängerin, die im Frack auftritt. Es war eine Sensation, denn der androgyne Look war auf der internationalen Leinwand neu. Zuvor waren Frauen im Frack nur auf Varietébühnen zu sehen – vornehmlich in Europa.

Mit Intelligenz, Lust und Laune ein freies Leben zurechtlegen

Marlene bereitet sich als Amy Jolly im Film „Marokko“ auf ihren Auftritt vor. Foto: Imago/Everett Collection

Ute Lemper: „Sie war schon Ende der 20er-Jahre, auf jeden Fall in den 30er-, 40er- und 50er-Jahren als gestandene Frau unglaublich emanzipiert und eine Freidenkerin. Jemand, der sich mit Intelligenz, Lust und Laune sozusagen ein freies Leben zurechtgelegt hat.“ Hinzu kommt: „Sie hatte wunderbares Timing in der Comedy vor der Kamera. Sie wusste genau, was sie tat.“

Im Film „Marokko“ singt Marlene nicht nur im Frack: Während ihres Auftritts nimmt sie sich einer Blume aus dem Haar einer jungen Frau im Publikum, bedankt sich bei ihr dafür mit einem Kuss auf den Mund und flaniert weiter. Ein paar Takte später wirft sie diese Blume einem Soldaten der Fremdenlegion zu. Die Verwirrung über ihre romantischen Neigungen ist perfekt. Marlene aber spaziert mit Händen in den Hosentaschen gelassen von der Bühne ab. All das eingebettet in das französische Chanson „Quand l’amour meurt“ – „Wenn die Liebe stirbt“. 

Für das prüde Amerika der Zeit war die Filmszene äußerst gewagt – für Marlene nicht: Auch im realen Leben liebte sie Männer wie Frauen. Bisexualität ist zwar kein Novum, doch der Umgang damit ist von gesellschaftlichen Konventionen geprägt. „Sie hat die Genderfrage schon so früh überwunden und ist sie so natürlich angegangen, dass sie einfach ihrer Zeit weit voraus war“, fasst Ute Lemper zusammen.

„Berlin in den Zwanziger Jahren war allem voraus…“

In Berlin besuchte Marlene auch das Vergnügungsetablissement „Eldorado“. Hier die Filliale an der Ecke Motz- und Kalckreuthstraße. Foto: Bundesarchiv/Wikimedia Commons/CC-BY-SA 3.0 (Aufn.: 1932) 12933-32

Wie kam es, dass Marlene ihrer Zeit voraus war? Die Antwort findet sich in ihrer Autobiografie. 1984 auf Französisch unter dem Titel „Marlène D. par Marlene Dietrich“ erschienen, wählte sie speziell für die deutsche Ausgabe 1987 den Titel „Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin“. Da besteht gleich die erste Seite aus einem Einschub mit der Überschrift „Berlin“. Sie schreibt: „Wenn man meine Platte, Titel ‚Berlin-Berlin’ anhört, weiß man, wo mein Herz liegt!“ Und ein paar Zeilen weiter: „Berlin in den Zwanziger Jahren war allem voraus, was sich jetzt in der Welt als „neu“ in unserer Branche behauptet. […] Es gab alles, was Menschen begehrten in der Kunst. Es gab die schönsten Lokale, auch schwule Lokale. Berlin war eine Großstadt – produktiv und reich an Ideen […] – reich an Ideale und zugleich praktisch, eine nie erreichte Kombination!“

Die Stadt und die Zeit haben sie sehr geprägt. Marlene wuchs in Schöneberg in einem gutbürgerlichen Haushalt auf, der preußische Tugenden vermittelte: Disziplin, Pflichtbewusstsein, Treue, Gründlichkeit. Man könnte sie fast als Soldatenkind bezeichnen. Zudem wurde sie in Klavier, Geige, Französisch und Englisch unterrichtet. Sie liebte Literatur und hatte eine romantische Seele.

Sie erlebte den Ersten Weltkrieg mit; Vater und Stiefvater starben früh. Bald übernahm sie die Rolle des Vaters, das heißt des Ernährers der Familie, die aus Mutter und Schwester bestand. Marlene gelang es, als Frau eine Anstellung als Geigerin in einem Filmorchester zu bekommen, das nur aus Männern bestand. Die Anstellung währte nur kurz, denn die Männer ließen sich von ihren Beinen ablenken. Sie wandte sich dann der Schauspielerei zu. Ihre Karriere verlief zwar schleppend, aber sie genoss das freizügige und vibrierende Leben in Berlins Künstlerkreisen sehr. Frauen in Hosenanzügen, die miteinander flirteten, gehörten dazu.

Als der österreichische Regisseur Josef von Sternberg sie 1929 nach ihrer ersten gemeinsamen Arbeit bei „Der Blaue Engel“ zu sich nach Hollywood holte, holte er mit ihr auch das Berlin der 20er-Jahre nach Amerika. Über ihre Figur in „Marokko“ machte er es schließlich über die Leinwand international sichtbar.

Marlene Dietrich: „Der Boss verpackt in eine Lady“

Marlene bei Aufnahmen in den 1940er-Jahren. Foto: Imago/Cinema Publishers Collection

Entsprechend ihrer Filmfigur hatte Marlene auch privat die Zügel in der Hand. Welche Frau hat zu der Zeit schon in ihrem Ehevertrag festlegen lassen, dass ihre Einkünfte ihr gehörten? Für die meisten Frauen bedeutete das „Ja-Wort“ damals das Ende der Karriere und des eigenen Einkommens. Marlene führte mit Rudolf Sieber eine offene Ehe und ihre Beziehung glich zunehmend der von Geschwistern.

Ute Lemper beschreibt Marlene so: „Sie war der Boss verpackt in eine Lady. Sie hat ihre eigene Vision gehabt von der Welt und aber auch von sich. Sie hat ihren eigenen Stil gewählt. Ihre Kostüme hat sie selbst in Kollaboration mit den Kostümdesignern kreiert.“ Später, vor allem bei ihrer Solokarriere als Chansonsängerin, war sie sogar ihre eigene Lichtdesignerin.

Ein Leuchtturm für die queere Szene

Marlene war anders als die anderen und das nehmen besonders diejenigen wahr, die selbst nicht in die vorherrschende Gesellschaft passen: In der queeren Kultur hat Marlene Dietrich einen festen Platz. „Für mich ist sie ein Leuchtturm“, sinniert der schlanke Mann, der einen Marlene-Frack zu Hause hat und im Café Kalwil in Schöneberg dem tipBerlin gern mehr über Marlene erzählt. Meist ist er als Gaby Tupper unterwegs und holt das Marlene-Kostüm hervor, wenn er Führungen zu Marlene gibt oder andere Veranstaltungen organisiert, die Marlene im öffentlichen Bewusstsein halten sollen.

Marlenes fünfter Todestag 1997 war für ihn ein Wendepunkt. „Zu der Zeit arbeitete ich mit einem Freund an der Bar im SchwuZ und gemeinsam organisierten wir für den Abend eine Marlene-Party.“ Das Besondere war: „Dass wir den ganzen Abend Marlene spielen konnten und kein Mensch hat sich beschwert… Doch da waren zwei, aber dann sagten andere: ‚Natürlich bleibt Marlene. Schließlich ist es ihr Todestag…’. Das war der Beginn meiner Leidenschaft für Marlene“.

Mit der Zeit erfuhr er, dass Marlene aufgrund ihres selbstbewussten Auftritts im Frack auch für Lesben ein Vorbild war. Erstaunlicher war für ihn die Erkenntnis, dass Marlene auch in der linken Szene eine große Rolle spielte, weil sie als Antifaschistin im Krieg gegen die Nazis kämpfte.

Im Krieg: „One of the Boys“

Marlene mit Soldaten an der Front während des Zweiten Weltkrieges. Foto: Imago/Everett Collection

„Sie war natürlich auch wahnsinnig couragiert“, hebt Ute Lemper hervor, „dadurch, dass sie als amerikanische Soldatin im Zweiten Weltkrieg an den Frontlinien aufgetreten ist.“ Marlene bot den GIs vor Ort moralische Unterstützung und erlebte die Schrecken des Krieges aus nächster Nähe. Für die Soldaten war sie dadurch „One of the Boys“ – eine große Anerkennung. Sie kämpfte darum, dass ihre Heimat von den Nazis befreit wurde.

Für sie war es auch mit einem großen Risiko verbunden, die Seite zu unterstützen, die Berlin bombardierte: Ihre Mutter lebte noch dort und sie liebte sie. Ihre Mutter überstand den Krieg, verstarb aber kurz danach. Sie wurde am Friedhof in der Stubenrauchstraße begraben. Um ihrer Mutter – und Berlin – nahe zu sein, wählte Marlene diesen Ort für ihre eigene Ruhestätte – heute eines der berühmten Gräber Berlins

„Sie gab Deutschland nicht auf“

Für Gaby Tupper zeigt sich in Marlenes Handeln während des Krieges „eine klare politische Haltung, eine Bodenhaftigkeit und dass sie sich selbst treu blieb. Sie gab Deutschland nicht auf.“

Marlene hat für ihre Leistung im Krieg überall auf der Welt Anerkennung erhalten. Nur in Deutschland, ausgerechnet dem Land, für dessen Wohlergehen sie ihr Leben riskierte, gab es Menschen, die sie in den 1960er-Jahren öffentlich dafür ächteten. Als „Vaterlandsverräterin“ wurde sie beschimpft. Warum eigentlich? Etliche andere setzten sich ebenso aus dem Exil für ihre Heimat ein. Diese Anfeindungen aus den eigenen Reihen haben sie schwer getroffen. Ihre letzten Jahre verbrachte sie daher in Paris, wo sie sich aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte.

1987, wenige Jahre vor ihrem Tod 1992, kam es zu dem besagten langen Telefongespräch zwischen ihr und Ute Lemper, wo das schwierige Verhältnis zu Deutschland ein großes Thema war: „Mit großer Melancholie und Traurigkeit hat sie davon geredet, dass sie ihre Heimat verloren hat. Sie hat immer nur gesagt: ‚Die wollen mich ja nicht zurück.’ Das hat sie mit solcher Traurigkeit und mit einer solchen Depression und Melancholie gesagt. Das war wirklich herzerweichend, das werde ich nicht vergessen.“ 

Ute Lemper, selbst eine Deutsche, für die Amerika zur zweiten Heimat geworden ist, hat die Erfahrung gemacht: „Da gibt es also einmal Deutschland, wo Marlene als Verräterin bezeichnet worden ist, und dann ist da der Rest der Welt. Die Amerikaner – die meisten wissen gar nicht, was da in Deutschland passiert ist mit ihr. Überall hat man sie in positiver, wunderbarer Erinnerung als Hollywood-Diva und Chansonsängerin. Nur in Deutschland ist es ein prekäres Thema.“

Marlene Dietrich: Die Botschafterin

Marlenes Konzert in Warschau, 1964. Foto: Imago/Eastnews

Diese Situation ist besonders tragisch, da Marlene ihre Herkunft nie verleugnet hat. „Die deutsche Kultur saß ihr ganzes Leben lang in ihr drin, auch im Ausland. Sie lag in ihrer Arbeitsweise und in ihrer Lebensweise. Sie war sozusagen ein Ambassador“, erklärt Ute Lemper. Diese Rolle der Botschafterin wurde gerade während des Kalten Krieges deutlich. Sie trat nicht nur in westlichen Ländern auf, sondern gab auch Konzerte hinter dem Eisernen Vorhang in Warschau und Moskau. Sie gastierte auch in Israel, wo Deutsch auf der Bühne verboten war. Sie ließ sich nicht beirren und sang neun Lieder in ihrer Heimatsprache. Das Publikum dankte es ihr.

Antikriegslieder waren immer fester Bestandteil ihres Programms. Sie war ein politischer Mensch und engagiert. In der Nachkriegszeit posierten viele Hollywoodstars mit CARE-Paketen, die Nahrungsmittel ins kriegszerstörte Europa lieferten, um die Bevölkerung vor dem Hungertod zu bewahren. Sicher schickte Marlene auch Pakete an ihre Familie nach Deutschland, aber werben tat sie für Pakete nach Israel, wo viele aus Europa Vertriebene sich eine neue Existenz aufbauten.  

Dieses humanistische Engagement zeigte sich schon vor dem Krieg. Lothar Schuermannn, Gründer und Vorsitzender des Marlene-Dietrich-Fanclubs „marlene4ever“ nennt ihre Hilfsbereitschaft als einen von vielen Gründen, warum Marlene heute noch interessant ist. „Als sie in Hollywood war, hat sie viele Emigranten unterstützt, die dorthin ins Exil gegangen waren“. Der Fanclub reflektiert übrigens, dass Marlene in der ganzen Welt Anhänger hat. Der Club ging 2005 online und Schuermann erinnert sich: „In der Zeit kamen viele internationale Anfragen, es gab nur wenige aus Deutschland. Inzwischen stammen die Mitglieder aus mehr als 130 Ländern, inklusive Japan und Burkina Faso. Heute sind die Top 3 vertretenden Länder Deutschland, USA und Großbritannien.“ In Großbritannien hat man ihren Einsatz im Krieg sehr geschätzt. Und heute? In Deutschland?

„Ihre politische Haltung interessiert auch die jüngere Generation“, hat Gaby Tupper festgestellt, zu dessen Führung „Ein Koffer – ein Leben – eine Diva“ allmählich jüngere Leute kommen. „Normalerweise liegt das Durchschnittsalter bei 40+.“

Was führt die Menschen zu seinen Stadtrundgängen über Marlene? „Ich denke, da ist ein Bedürfnis nach der Aufrichtigkeit, nach der Wahrhaftigkeit, dem Glamour, nach diesem Familiengefühl auch für Freunde da zu sein… nach all diesen unterschiedlichen Sachen, die Marlene repräsentiert… das Bedürfnis, Zugang dazu zu haben und sie ein Stück wahrnehmen zu können.“

Der Berliner Humor

Marlene Dietrich mit Orson Welles zu den Dreharbeiten von „A Touch of Evil“, 1958. Foto: Imago/Mary Evans AF Archive

Es gibt noch viele weitere spannende, überraschende Facetten zu Marlene, aber die kann jeder für sich selbst entdecken. Die letzten Worte gehören daher Marlene, zitiert aus ihrer Autobiografie: „Ich bin, Gott sei Dank, Berlinerin! Ich sage ‚Gott sei Dank’, weil mir der Berliner Humor mein ganzes Leben erleichtert und mir geholfen hat, nicht im Gram der Welt zu ertrinken.“ 

Orte in Berlin, wo man Marlene begegnen kann

  • Filmmuseum – Die Dauerausstellung zeigt einige ihrer Kleider. Potsdamer Str. 2, Tiergarten, mehr hier
  • Deutsche Kinemathek hat einen Teil ihrer Marlene Dietrich Collection Berlin (MDCB) auch online gestellt.
  • Friedhof Stubenrauchstraße Stubenrauchstraße 43–45, Friedenau

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