Grenzgänge

Mauerweg-Tour von Sacrow bis Griebnitzsee: Musik auf den dritten Blick

Dieser Spaziergang auf dem Mauerweg führt am Wasser vorbei von Sacrow bis nach Griebnitzsee. Unsere Autorin kann sich kaum vorstellen, dass zur Zeit der Teilung Patrouillenboote hier ihre Runden drehten, denn sie findet „Preußens Arkadien“ akribisch restauriert vor – und entdeckt Musik, Sakralbauten und wunderschöne Gartenanlagen.

Wieder freie Sichtachsen nach Lenné: Hinter Schloss Babelsberg geht es auf unserer Mauerweg-Tour nach Griebnitzsee. Foto: F. Anthea Schaap
Wieder freie Sichtachsen nach Lenné: Hinter Schloss Babelsberg geht es auf unserer Mauerweg-Tour nach Griebnitzsee. Foto: F. Anthea Schaap

Bei Glienicke wird der Mauerweg Musik

Links und rechts der Havel kommen die ­Ohren zu ihrem Recht: Zwischen Potsdam-Sacrow und Babelsberg wird der Mauerweg Musik. Geigenbauermeister Tilman Muthesius veranstaltet hinter dem alten Konsum von Klein-Glienicke in einem Kammermusiksaal Konzerte auf Gamben. Im Jagdschloss Glienicke treten Musiker großer Orchester auf, ab und an gastiert dort auch der Pianist Alexander Malter, der einst Musik von Arvo Pärt so klug eingespielt hat. Im Schloss Babelsberg lässt man sommers Schubert singen.

Auch draußen klingt und tönt es gerade so, als ob die Sicht­achsen, die der Gartenkünstler Peter Joseph Lenné  zwischen Eichen und Platanen anlegen ließ, die Klänge leiten – Vogelrufe und das Tuckern der Kähne, Glockenschlagen und das Rascheln des Schilfs.  Kaum noch vorzustellen, dass zur Mauerzeit Patrouillenboote sowie das Bellen von Wach- und Zollhunden den Sound bestimmt haben sollen. „Preußens Arkadien“ ist so akribisch restauriert worden, dass die Spuren der deutschen Teilung kaum noch zu sehen sind.

UNESCO-Welterbe an der Glienicker Brücke

Die Parks rings um die für den ost-westlichen Agentenaustausch berüchtigte Glienicker Brücke sind heute UNESCO-Weltkulturerbe. Doch in der Pracht verstecken sich historische Brennpunkte wie die DDR-Exklave Klein-Glienicke, in die man nur mit Passagierschein kam. Und in einer Villa von Babelsberg stimmte US-Präsident Harry S. Truman 1945 dem Atombombenabwurf auf Hiroshima zu.

Die Glienicker Brücke zählt zum UNESCO-Welterbe. Foto: F. Anthea Schaap
Die Glienicker Brücke zählt zum UNESCO-Welterbe. Foto: F. Anthea Schaap

Die Fähre über Havel und Jungfernsee legt nur fünfmal am Tag an, aber bereits das ist Luxus im Vergleich zu früher. Die schwer bewachte Grenze zog sich durch das Wasser,  teils mit eisernen Nagelbrettern im Flussbett, auf denen sich barfüßig Flüchtende verletzen sollten. Als Mauer sperrte sie den Park Schloss Babelsberg vom Wasser ab und die Heilandskirche vom Ort Sacrow. Für den Todesstreifen fielen Bäume auf insgesamt 35 Hektar.

Lennés Sichtachsen aber schlossen sich. Das hier sei Niemandsland gewesen, hier wäre alles gewachsen und gewuchert, erinnern sich Anna Maria Reinhold und Regina Mollenhauer. Anna Maria Reinhold betreut Besucher:innen der Heilands­kirche, Regina Mollenhauer ist Küsterin. Beide wohnen in Sacrow, lebten dort schon als Kinder. Mollenhauer zog zwischenzeitlich fort wie viele andere junge Menschen auch. Sacrow war Enklave, ebenfalls nur mit Passagierschein zu erreichen. Besuch gab es nur im absoluten Ausnahmefall.

Die Kirche in Sacrow verfiel während der Teilung

Hinter der Mauer verfiel die Heilandskirche, nachdem sie Pfarrer Joachim Strauss am Heiligabend 1961 ein letztes Mal abgeschlossen hatte. Strauss warb später, als er Rentner war und ins „kapitalistische Ausland“ reisen durfte, in West-Berlin um Spenden für den Erhalt der Kirche, die Friedrich Ludwig Persius auf Pfählen und nach italienischem Vorbild gebaut hatte.  Heute engagiert sich der Verein Ars Sacrow dafür, Kirche, Park und das benachbarte Landschlösschen dem Publikum zu erschließen, Regina Mollenhauer gehört dem Vorstand an.

Ars Sacrow macht Kultur. Die Sommerausstellung im Schloss war 2019 dem Fontane-Jubiläum gewidmet, in der Kirche feierte die Gemeinde im Juli den 175. Jahrestag der Kirchweihe und das zehnjährige Jubiläum der neuen Orgel.

Bis in jede Kachel restauriert: Die Heilandskirche verfiel hinter der Mauer. Foto: F. Anthea Schaap

Eine neue Orgel hat die Kapelle drüben in Klein-Glienicke ebenso. Auch dieses Gotteshaus war verfallen, auch hier wuchsen Birken aus dem Dach. Und auch hier hat ein Verein nach 1989 in vielen Arbeitsstunden und mit Spenden die Kirche wieder aufgebaut. Heute finden in der Kapelle wieder Gottesdienste und geistliche Konzerte statt. Am ersten Aprilsonntag 2019 etwa spielten Valentin Dieterich und John Young im Duett auf Gitarre und Geige Stücke von der Renaissance bis ins 20. Jahrhundert. Dieterich kommt aus Zehlendorf, Young aus Kanada.

Wannsee, Babelsberg, Potsdamer Westen: Geteilte Gemeinden

Mauer, war da was? Oh, doch. Es zeigt sich auf den dritten Blick, zum Beispiel in der Geschichte der Kirchen. Kapelle wie Heilandskirche gehörten zusammen mit St. Peter und Paul in Berlin-Nikolskoe einmal zu einer Gemeinde, die die Mauer dann teilte. Heute zählt St. Peter und Paul zur Gemeinde Berlin-Wannsee, die Klein-Glienicker Kapelle zu Potsdam-Babelsberg und die Heilandskirche zur Pfingstgemeinde im Potsdamer Westen.

Wieder frisch: die Heilandskirche in Sacrow. Foto: F. Anthea Schaap

Und am Griebnitzsee herrscht Klassenkampf. 2019 sperren noch immer anrainende Villenneubesitzer Teile des Uferwegs ab, um das gemeine Volk vom ehemals volkseigenen Kolonnenweg der DDR-Grenzer, dann rückübertragenen Uferweg fernzuhalten. Doch die Stadt Potsdam müht sich, hier Boden zu machen. Zumindest ein 600 Meter langes Stück des rund drei Kilometer langen Uferwegs soll wieder öffentlich begehbar sein – wie zur Zeit nach dem Mauerfall.

Dieser Text stammt aus unserem 2019 erschienenen Buch „Grenzgänge – 25 Wanderungen auf dem Berliner Mauerweg“, das ihr im Shop von tipBerlin kaufen könnt.


Sacrow bis Griebnitzsee: Empfehlungen an der Tour

Heilandskirche Sacrow In den Führungen erfahren Besucher:innen viel über die Geschichte des Gotteshauses in italienischem Stil, die Zeit, als Grenzbefestigungsanlagen durchs Gelände verliefen und die Ernennung zum UNESCO-Weltkulturerbe.


Schloss Glienicke Das Schloss Glienicke zählt zu den populären preußischen Schlössern, es ist vor allem für seine Konzerte bekannt. Im Gelände befindet sich das Restaurant Lutter & Wegner mit  großzügigem Biergarten, der Park strotzt vor Baumarten. Mehr zum Schlosspark Glienicke lest ihr hier.


Große Neugierde Auf der Ostseite der Agentenbrücke, auf der sich Sowjets und US-Amerikaner mehrfach zum Gefangenenaustausch trafen, befindet sich nur wenig weiter die „Große Neugierde“, eine Rotunde mit hervorragendem Ausblick auf die Brücke und Potsdam.

  • Im Schlossgarten Glienicke, 14109 Berlin

Kammermusiksaal Havelschlösschen Geigenbaumeister Tilman Muthesius veranstaltet Kammer­musikkonzerte u.a. mit Berliner und Potsdamer Musiker:innen hinter dem alten Konsum von Klein Glienicke.


Wartmanns Eiscafé Malerisch zwischen Griebnitzsee und Tiefem See stationiert und direkt am Fahrradweg, servieren die Wartmanns und ihr nettes Team Kuchen und Eis aus eigener Herstellung.


Schloss Babelsberg 1833 von Karl Friedrich Schinkel im neu­gotischen Stil entworfen, diente das Schloss lange als kaiserliche Sommerresidenz. Heute beherbergt es unter anderem Kunstausstellungen. Der weitläufige Park von Lenné führt zum Strandbad Babelsberg.

  • Im Park Babelsberg, Eingang: Alt-Nowa­wes oder Klein Glienicke, 14481 Potsdam, Wiedereröffnung nach Sanierung und Veranstaltungen: www.spsg.de; der Park ist geöffnet

Mehr Spaziergänge

Noch mehr Mauerweg-Wanderungen aus unserem Buch „Grenzgänge“ findet ihr hier. Unbedingt besuchen: die Gedenkstätte Berliner Mauer. Am Wasser entlang, durch Wälder und wunderbare Weiten: 12 schöne Spaziergänge im Osten Berlins. Sei kein Horst, geh in den Forst: Unsere Tipps für schöne Waldspaziergänge in Berlin findet ihr hier. Wenn die richtige Strecke nicht dabei ist, haben wir noch mehr schöne Spaziergänge in der Natur und in der Stadt für euch. Am schönsten, wenn die Sonne scheint: 12 tolle Spaziergänge durch Berlin im Sommer. Immer neue Ideen findet ihr in unserer Rubrik „Ausflüge“.

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