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Punks, Nazis, West-Berlin: „Mein Freund Floh“ – Podcast von Philip Meinhold

Der Podcast „Mein Freund Floh“ erinnert an einen schillernden West-Berliner Jungen, der ein Star hätte werden können und doch keiner wurde. Floh kannte jeden in der Szene, lief von Demo zu Demo, war als Kind schon ein politischer Liedermacher, der im Fernsehen auftrat und Interviews gab. Ein bunter Hund in der Mauerstadt, Held der linken Schülerszene. Seine Band Red Steel Braukman stand kurz vor dem Durchbruch, sogar Sony zeigte sich interessiert, doch dann verschwand Floh und seine Geschichte verlor sich in den West-Berliner Mythen. Der Berliner Autor und Journalist Philip Meinhold lernte Floh Ende der 1980er-Jahre kennen, 30 Jahre später spürt er in seiner vierteiligen Podcastserie seinem Freund Floh nach.

"Mein Freund Floh" – eine vierteilige radioeins-Podcastserie von Philip Meinhold
„Mein Freund Floh“ – eine vierteilige radioeins-Podcastserie von Philip Meinhold

Wo Floh war, da war was los, er war cool und kannte jeden

West-Berlin in den 1980er-Jahren war überschaubar, Spandau fast eine andere Stadt, am Schlesischen Tor endete die Welt. Floh wuchs in Wilmersdorf auf, dem bürgerlichen Teil der Mauerstadt, doch seine Kindheit prägten die linken und antiautoritären Ideen der 1970er-Jahre. Man duzte die Eltern, statt in den Kindergarten ging man in den Kinderladen, der kleine Florian hörte den Erwachsenen zu, interessierte sich für Politik, schrieb Songs über Dinge, die ihm nicht passten. Instinktiv zog es ihn als Schüler nach Kreuzberg wo das autonome Leben in den besetzten Häusern und Punkclubs tobte.

Wo Floh war, da war was los, er war cool, sah gut aus, hatte stets den Gitarrenkoffer dabei, kannte jeden und alle, die Tasche voller Flyer, die nächste Party immer am Start. So erinnert sich Philip Meinhold an Floh. Die beiden sahen sich auf Demos, begegneten sich auf Partys. Die linke Schülerszene in West-Berlin der späten 1980er-Jahre war klein, man lief sich ständig über den Weg. Sie freundeten sich an, Meinhold besuchte die Konzerte von Flohs Band Red Steel Braukman, es war die musikalische Antwort der Mauerstadt auf The Police. Sie hätten die nächste große Band werden sollen, das nächste große Ding. Es gab Aufnahmen im renommierten Kreuzberger Tritonus Studio, wo auch Element of Crime , Die Ärzte und die Einstürzenden Neubauten gearbeitet haben. Die drei Jungs hatten einen Manager, große Labels wurden auf die umtriebige Band mit dem charismatischen Frontmann aufmerksam.

Doch es kam nicht so, wie es hätte kommen sollen. Floh wurde ängstlich, er fühlte sich bedroht und verfolgt, befürchtete auf der Bühne erschossen zu werden. Kindheitserinnerungen holten ihn ein. Damals, als das SEK in seinem Kinderzimmer stand, weil seine Mutter, die in der Freien Volksbühne als Requisiteurin arbeitete, ausgediente Maschinengewehre, die bei einem Stück verwendet wurden, nicht fristgerecht auf die Polizeiwache zurückbrachte. Oder als rechte Skinheads Fahndungsplakate mit einem Foto von ihm verteilten, da war er erst 14, ein aufmüpfiger linker Songwriter, der den Nazis ein Dorn im Auge war. Floh fürchtete die Faschos und den Staat, er löste die Band auf und verließ fluchtartig die Stadt. Dann verlieren sich seine Spuren.

Schon 2013 veröffentlichte Philip Meinhold ein Buch, in dem er in die Mauerstadt zurückkehrt. In „O Jugend, o West-Berlin“ versammelte er Reportagen, Essays und Kolumnen, die an Eberhard Diepgen, die Deutschlandhalle, an Besuche auf der Grünen Woche und im Grips Theater, an die Junge Union und das Big Sexyland erinnern. In dem vierteiligen Podcast „Mein Freund Floh“ dringt er erneut in die Mauerstadt vor.

„Mein Freund Floh“ ist ein wichtiges Dokument

Meinholds Podcast ist ein autobiografisch geprägtes Stück der West-Berliner Geschichte. Denn so sehr Floh in seinem Podcast wie der aufkommende Star seiner Generation erscheinen mag und zu seiner Zeit sicherlich auch eine eindrucksvolle Erscheinung war – das machen die Erinnerungen seiner Weggefährten, Freunde, Mitmusiker und Verwandten deutlich – so schnell verschwand er wieder aus der kollektiven Erinnerung der Stadt. Er verschwand nachhaltig, weil er so wenig hinterließ, weil er vor dem Durchbruch ausbrannte. Hätte sich Meinhold nicht erinnert, hätten Floh, seine strahlende Jugend und sein tragischer Niedergang, für Menschen jenseits seines direkten Umfelds von einst, nie existiert.

Gerade aber diese „was wäre wenn“-Situation macht den Podcast so einzigartig, als Zeitdokument mit den O-Tönen aus dem damaligen Umfeld und der stimmig ausgewählten Musik allemal. Aber auch jenseits der West-Berlin-Folklore, sind die sich über gut zwei Stunden erstreckenden vier Podcastfolgen eine universelle Erzählung über Freundschaft, Kreativität, politische Verantwortung und die Abgründe der menschlichen Psyche. „Mein Freund Floh“ ist ein wichtiges Dokument und es wäre nicht verwunderlich, wenn der Stoff schon bald als Serie oder Film eine noch breitere Öffentlichkeit erreichen würde. Denn tragische Helden üben eine ungeheure Faszination aus und das war Floh, ein tragischer Held aus der Mauerstadt.

Alle Episoden von Philip Meinholds Podcast „Mein Freund Floh“ sind in der ARD-Mediathek abrufbar.


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