Berlin verstehen

Menschen in Berlin: Straßenszenen aus 100 Jahren

Was macht Berlin aus? Menschen! Sie verbringen ihre Zeit in Büros, Schulen, Kneipen, Wohnungen. Aber es gibt Bereiche, wo sie alle irgendwann sind, wo sich alle Schichten und Szenen begegnen, die feine Dame und der abgehalfterte Punk, der Schuljunge und der Bankdirektor: die Straßen dieser Stadt. Im Alltag.

Wir sind ins Archiv hinabgestiegen und haben 12 Fotos von Straßenszenen herausgesucht, um zu sehen, wie sich über die Jahrzehnte der Alltag verändert hat. Oder blieb am Ende außer Mode und den Autos alles gleich? In gewisser Weise ist es egal, wann genau Menschenmassen durch die Geschäftsstraßen schlendern, Passanten am Verkehr vorbei huschen oder Jugendliche auf öffentlichen Plätzen herumlungern. Es sind alltägliche Momente, banale Normalität, die im Rückblick eine Geschichte Berlins erzählen, jenseits großer historischer Ereignisse. Dit is Berlin!


Moabit, 1910

Passanten in Moabit, vor dem städtischen Krankenhaus. Foto: Imago/Arkivi
Passanten in Moabit, vor dem städtischen Krankenhaus. Foto: Imago/Arkivi

Die Stadt ist ja auch so etwas wie die Entdeckung des öffentlichen Raums. Einer Sphäre, die nicht einem bestimmten Zweck zugeordnet wird, wie etwa der Marktplatz. Hier kann man anonym sein und gesellig, ganz wie man will. Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Berlin zu einer Metropole, die Industrialisierung schritt voran. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde Berlin endgültig modern. Es war die Zeit der Flaneure und der Spaziergänge. Der berühmte Expressionist Ernst Ludwig Kirchner verewigte die Stimmung 1913 in seinem Gemälde „Berliner Straßenszene“.


Leipziger Platz, 1920er-Jahre

Blick auf den Leipziger Platz, um 1920. Foto: Imago/Arkivi
Blick auf den Leipziger Platz, um 1920. Foto: Imago/Arkivi

Am Leipziger Platz schossen die mondänen Einkaufstempel aus dem Boden, die Warenhäuser von Hermann Tietz und den Wertheims zogen Menschenmassen an. Einkaufen wurde zum Ereignis und die Stadtmitte wurde von konsumfreudigen Kunden bevölkert.


Jerusalemerstraße, 1920er-Jahre

Die Jerusalemerstraße in Mitte. Foto: Imago/Arkivi
Die Jerusalemerstraße in Mitte. Foto: Imago/Arkivi

Die Jerusalemer Straße verbindet die Leipziger Straße mit der Krausenstraße, direkt entlang der Spittelkolonnaden. Heute ist sie eher unscheinbar, etwas vergessen und vom Zweiten Weltkrieg und der DDR-Ära gezeichnet. In den 1920er-Jahren steppte dort der Bär, wie diese Aufnahme zeigt. Auch wenn die Friedrichstraße, eine Weile Berlins erste Adresse und der Boulevard Unter den Linden natürlich die prächtigeren Straßen waren und bis heute noch sind.


Olympiastadion, 1936

Berlin in der Nazizeit – Passanten am Berliner Olympiastadion, 1936. Foto: Imago/Teutopress
Berlin in der Nazizeit – Passanten am Berliner Olympiastadion, 1936. Foto: Imago/Teutopress

Als 1936 die Olympischen Spiele in Berlin ausgetragen wurden, herrschte bereits eine bedrückende Stimmung in der Stadt. Die Nazis diskriminierten jüdische Mitbürger und andere Minderheiten und Hitler sorgte mit seiner Politik international für Besorgnis. Doch noch einmal traf sich die Welt in Deutschland, bevor sie von eben diesem Deutschland in einen zerstörerischen Krieg hineingezogen wurde. Die Aufnahme zeigt Passanten rund um das Olympiastadion im Olympiajahr 1936.


Strausberger Platz, 1955

Berlin Menschen: Passanten am Strausberger Platz/Stalinallee im winterlichen Berlin. Foto: Imago/Marco Bertram
Passanten am Strausberger Platz/Stalinallee im winterlichen Berlin. Foto: Imago/Marco Bertram

Nach Kriegsende und Teilung entstand in Ost-Berlin eine neue Stadtplanungspolitik. Ein zentrales Projekt war die Karl-Marx-Allee, die anfangs noch Stalinallee hieß. Vorbilder der Stalinallee waren die großen Magistralen in Moskau und Sankt Petersburg (damals Leningrad), der Klassizismus des 19. Jahrhunderts und die Bauweise von Karl Friedrich Schinkel, einem der wichtigsten Architekten des preußischen Berlin. Die Passanten wirkten auf diesen gewaltigen Verkehrsadern seltsam verloren.


Café Kranzler, 1950er-Jahre

Menschen vor dem Café Kanzler am Ku’Damm, 1956. Foto: Imago/Ralph Peters
Menschen vor dem Café Kanzler am Ku’Damm, späte 1950er-Jahre. Foto: Imago/Ralph Peters

Der Kurfürstendamm war das unangefochtene Zentrum von West-Berlin. Mit seinen Geschäften, Kinos, Theatern, dem Europa Center und natürlich dem Café Kranzler war er der natürliche Mittelpunkt. Von hellem Neonlicht erleuchtet, konnte man sich hier weltgewandt fühlen. Die Geschichte vom Café Kranzler reicht weit in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurück, doch vor allem in West-Berlin wurde die Kaffeehaus-Institution, die nach dem Krieg erst 1958 wieder öffnete, zum legendären Ort. Dort sah man und wurde gesehen.


Nollendorfplatz, 1982

Punks auf dem Nollendorfplatz, im Hintergrund brennt eine Barrikade. Foto: Imago/Michael Hughes
Punks auf dem Nollendorfplatz, im Hintergrund brennt eine Barrikade. Foto: Imago/Michael Hughes

In den 1970er-Jahren begann die Sub- und Jugendkulturen, das Berliner Straßenbild zu prägen. Nach Hippies, Freaks und Ökos kamen bald die Punks. Punk war Haltung, besonders in West-Berlin war die Szene stark politisiert. Anarchie, Rebellion und linksradikale Ansichten wirkten auf die Subkultur, die ihr natürliches Umfeld in der Hausbesetzerbewegung fand. In Kreuzberg, Schöneberg und anderen Bezirken waren zeitweilig bis zu 200 Häuser besetzt, die Kids mit Iro und dem Anarchie-A auf den Lederkutten wohnten dort illegal, lieferten sich Schlachten mit der Polizei und protestierten auf Demos.


Prenzlauer Berg, 1990

Berlin Menschen: Passanten unterhalten sich in der Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg, 1990. Foto: Imago/Dieter Matthes
Passanten unterhalten sich in der Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg, 1990. Foto: Imago/Dieter Matthes

In den 1990er-Jahren begannen in Prenzlauer Berg die Veränderungen. Die unsanierten Altbauten hatten eine magische Anziehungskraft auf Lebenskünstler, Aktivisten, Musiker, Schriftsteller und Studenten, naturgemäß aller Geschlechter, die sich unter die alteingesessenen Bewohner mischten. Einige Häuser wurden besetzt, Kneipen, Ateliers und Galerien gegründet und für einen kurzen Moment entstand inmitten der Stadt eine einzigartige soziale Mixtur aus altem DDR-Charme und alternativen Lebensentwürfen. Ost und West wuchsen auf spannende Weise zusammen. Aber auch der Alltag auf der Straße veränderte sich nach der Wende.


Wedding, 1999

Türkische Frauen unterwegs in Wedding, 1999. Foto: Imago/Lem
Türkische Frauen unterwegs in Wedding, 1999. Foto: Imago/Lem

In Berlin wird der Alltag auf der Straße von bestimmten „Typen“ bestimmt. Es sind natürlich Klischees, aber den Neukölln-Hipster, die Mitte-Touristen oder die Prenzlauer-Berger-Supermutti gibt es ja irgendwie schon. Auch die türkischen Mamis mit ihren Mänteln und den Einkaufstüten gehören in vielen Kiezen dazu. Ohne solche „Typen“ wären ja alle Kieze auch alle gleich und das wäre vermutlich langweilig. Die Vielfalt macht die Stadt aus!


Neukölln, 2005

Berlin Menschen: Belebte Einkaufsstraße im Rollbergkiez, 2005. Foto: Imago/Schöning
Belebte Einkaufsstraße im Rollbergkiez, 2005. Foto: Imago/Schöning

Berlin ist die Stadt der Paradiesvögel und Exzentriker. Hier kann man sein wie man will. Das ist gut und wichtig, in Wahrheit sind die meisten Berliner aber eher das, was man gemeinhin „normal“ nennt. Läuft man irgendwo rum, kommen einem Rentnerinnen in grauen Mänteln entgegen und Leute, die Kaufhausjeans und Funktionsjacken tragen. Das ist der „ganz normale Alltag“. Der Bummel durch die Einkaufsstraße ist in Berlin auch schon eine mehr als 100 Jahre alte Tradition.


Spandau, 2012

Passanten in der Spandauer Altstadt. Foto: Imago/Schöning
Passanten in der Spandauer Altstadt. Foto: Imago/Schöning

Spandau ist toll und unser heimlicher Lieblingsbezirk. Tolle Orte in Spandau? Klar doch! Wer nicht in Spandau wohnt, kommt selten hin. Zugezogene kennen den Bezirk am Ende der U7 meist gar nicht. Dabei war es schon immer etwas Besonderes, ein Spandauer zu sein. So richtig Hauptstädter wollte man dort nie werden, dafür hat man die Ruhe weg, Berliner Schnauze und Traditionsbewusstsein und schön viel Alltag.


Hauptbahnhof, 2021

Berlin Menschen: Menschen vor dem Berliner Hauptbahnhof, Sommer 2021. Foto: Imago/Rolf Kremming
Menschen vor dem Berliner Hauptbahnhof, Sommer 2021. Foto: Imago/Rolf Kremming

Corona hat den Berliner Alltag ziemlich durcheinander gebracht. Zu Beginn der Pandemie durfte man nicht raus, die Straßen waren leer, dann blieben die Kneipen und Kinos geschlossen und alles andere irgendwie auch. Mittlerweile geht wieder mehr, doch noch immer ist nicht alles so wie es mal war. Aber wann war es das schon? Jeder Tag ist irgendwie gleich, deshalb nennt man ihn Alltag und doch ist jeder Tag anders. Vor allem in einer Stadt wie Berlin!


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