Sexarbeit

Geschichte der Prostitution in Berlin: Nazi-Bordelle und Straßenstrich

Die Geschichte der Prostitution in Berlin bewegte sich in den vergangenen gut 200 Jahren zwischen Sittenlosigkeit und Moralismus: von der abstoßenden Doppelmoral im Dritten Reich bis hin zur weitgehend unkontrollierten Sexarbeit heute. Rund 8.000 Prostituierte arbeiteten 2021 in der Hauptstadt. Dabei nimmt Berlin in Sachen Prostitution bundesweit eine merkwürdige Sonderstellung ein: Sperrbezirke oder Sperrstunden? Fehlanzeige. Aber von vorn: Wir werfen einen Blick zurück und beobachten, wie sich das Sexgewerbe in Berlin seit Anfang des 19. Jahrhunderts in Berlin entwickelte.

Prostitution in Berlin Prostitution gibt es in Berlin schon ungefähr so lange wie den tip. Spaß – natürlich weitaus länger. Wir werfen einen Blick in die Geschichte und erforschen, wie sich das Sexgewerbe in unserer Stadt entwickelt hat.
Prostitution gibt es in Berlin schon ungefähr so lange wie den tip. Spaß – natürlich weitaus länger. Wir werfen einen Blick in die Geschichte und erforschen, wie sich das Sexgewerbe in unserer Stadt entwickelt hat. Foto: Imago/Kremming

Bis zum Ersten Weltkrieg: Berlin wird zum Zentrum der Prostitution

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde Prostitution in Deutschland weitestgehend geduldet. Staatlich überwachte Bordelle wurden zugelassen, diese waren jedoch streng kontrolliert, da man die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten wie Syphilis mit der Prostitution – und vor allem mit den Huren selbst – in Verbindung brachte. In Berlin, wo die Sexarbeit schon damals florierte, ließ die preußische Regierung bis 1850 alle Bordelle in eine berüchtigte Gasse an der Berliner Klosterstraße verlegen. 52 Freudenhäuser stehen hier dicht an dicht. In den Bordellen blieben die „Frolleins“ damals unter sich, Männer waren nach der damaligen Meinung für die Leitung von Bordellen „ungeeignet“. Die Freier mit offensichtlichen Gesten in die Bordelle zu locken war den Huren jedoch verboten. Die Dienste waren streng reglementiert. Die Anzahl der männlichen Gäste wurde dokumentiert, die Dienste zeitlich begrenzt.

Prostitution in Berlin Die älteste Berliner Brücke, die Jungfernbrücke in Mitte, war um 1850 herum ein Umschlagplatz für Dirnen und Freier.
Die älteste Berliner Brücke, die Jungfernbrücke in Mitte, war um 1850 herum ein Umschlagplatz für Dirnen und Freier. Foto: Imago/Kremming

Prostitution in Berlin: Preußen gelang es nicht, Sexarbeit in Berlin zu verbieten

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts versuchte die Regierung, die Prostitution dann ganz zu verbieten. Die Bordelle in der Gasse an der Klosterstraße wurden abgerissen. Das Verbot verfehlte jedoch seine Wirkung und die Sexarbeit wurde auf die Straßen der Stadt gedrängt. Um die Jahrhundertwende wurde die Jungfernbrücke an der Berliner Fischerinsel zu einem Hotspot des Sexgewerbes. Hier sollen die Dirnen schon im Morgengrauen obszöne Melodien vor sich hingeträllert haben, um Freier zu verführen. In der kaiserlichen Weltstadt wurde das erotische Treiben immer unübersichtlicher. In Berlin arbeiteten Anfang des 20. Jahrhunderts rund 50.000 „Kokotten“, leichte Mädchen. Das Geschäft von Huren und Zuhältern, die es mittlerweile gab, nahm immer mehr an Fahrt auf. Es gab günstigen Sex auf dem Dirnenmarkt am Schlesischen Bahnhof und teurere Damen für 20 Reichsmark an der Friedrichstraße. Die Polizei bekam das unsittliche Treiben nur schwer in den Griff.


Denunziation und Doppelmoral im Dritten Reich – Berliner Nazi-Spionage-Bordell Salon Kitty

Prostitution in Berlin Nazi-Spionage-Bordell Salon Kitty in der Giesebrechtstraße 11 in Berlin-Charlottenburg.
Das Nazi-Spionage-Bordell „Salon Kitty“ in der Giesebrechtstraße 11 in Berlin-Charlottenburg wurde zu einer berühmten Adresse. Trotzdem unterlag die Prostitution in Berlin unter den Nazis einer heuchlerischen Doppelmoral. Foto: Imago/United Archives International

Bis zur Machtübernahme der Nazis florierte das Sexgewerbe in Berlin relativ unkontrolliert. Im Dritten Reich dann hielt, wie auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, eine lächerliche Doppelmoral Einzug. Prostituierte waren unter den Nazis verpönt, „asoziale weibliche Elemente“, die man jederzeit internieren konnte. Im gleichen Atemzug jedoch betrieben die Nazis eigene Bordelle – sogar in Konzentrationslagern. Und nutzten diese, auch über das Naheliegende hinaus, für ihre Zwecke. Berühmt für die Berliner Prostitutions-Szene während des Dritten Reichs wurde beispielsweise das Charlottenburger Bordell Salon Kitty. Die Besitzerin, Kitty Schmidt, eigentlich eine Regimegegnerin, wurde ab 1939 von der Gestapo gezwungen, ihren „Amüsierbetrieb“ dem Sicherheitsdienst zur Verfügung zu stellen. Das ganze Bordell wurde mit versteckten Mikrofonen ausgestattet und „Frauen und Mädchen, die intelligent, mehrsprachig, nationalistisch gesinnt und ferner mannstoll“ waren, sollten Regime-Feinde mit gezielten Fragen und Körpereinsatz enttarnen – und sogar eigene SS-Funktionäre auf ihre Regimetreue testen. Auch nach dem Krieg blieb der Salon Kitty noch für Jahrzehnte in Betrieb. In den 1990er-Jahren wurde das Freudenhaus dann geschlossen.


„Essen anschlafen“ nach dem Krieg: Trümmerfrauen wurden zu Teilzeit-Huren

Prostitution in Berlin Trümmerfrauen an der zerstörten Friedrichstraße des Nachkriegsberlin im Jahr 1946.
Trümmerfrauen an der zerstörten Friedrichstraße des Nachkriegsberlin im Jahr 1946. Aus Gründen der Existenzsicherung gaben Frauen nach dem Ende des Kriegs für Essen ihren Körper her. Foto: Imago/United Archives

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Prostitution in Berlin nicht verboten, außerhalb von Bordellen wurde sie jedoch als sittenlos angesehen. Trotzdem boten auch Frauen gehobenerer Schichten Freiern ihren Körper an – primär aus Gründen der Existenzsicherung. Im zerstörten Berlin wurden Trümmerfrauen nach Sonnenuntergang nicht selten zu Teilzeit-Huren. In den Berliner Besatzungszonen, vor allem in Neukölln, Tempelhof, Schöneberg, Steglitz und Zehlendorf im amerikanischen Sektor, wurde es zur Gepflogenheit, sexuelle Handlungen im Gegenzug für Geschenke anzubieten. Mädchen und Frauen hatten Sex mit der Militär-Polizei für eine Schachtel Zigaretten oder einen Pfund Kaffee. Mit dem wachsenden Wohlstand wuchs jedoch auch wieder die Begierde nach Geld. Und Sex im Gegenzug für Geschenke verlor für viele Damen den Reiz. Ende der 1950er-Jahre wurde die damals wie heute von der Sexarbeit stark frequentierte Kurfürstenstraße erstmals zum Kinderstrich. 13-jährige Mädchen, die in der Nachkriegszeit fern von Idealvorstellungen aufgewachsen waren, gaben hier für Geld ihren Körper her.


Prostitution in der DDR: Sex-Arbeiter:innen als Spione der Stasi

Prostitution in Berlin Im heutigen Park Inn am Alexanderplatz gingen in der DDR Prostituierte ein und aus.
Die Prostitution in Berlin blieb auch während der DDR ein Thema: Im heutigen Park Inn am Alexanderplatz gingen damals Prostituierte ein und aus. Foto: Imago/Zensen

Mit der Teilung Berlins wurde die Reglementierung der Prostitution wieder strenger. Ab 1960 wurde das Sexgewerbe als unvereinbar mit dem sozialistischen Frauenbild angesehen. Bis 1968 blieb Prostitution in der DDR folglich verboten. In der Realität war die teilweise Duldung von Prostitution jedoch ein offenes Geheimnis: In sogenannten Devisenhotels, nicht nur in Berlin, gingen Prostituierte ein und aus und wurden von der Stasi sogar als Informationsbeschafferinnen eingesetzt. Der Anforderungskatalog der Staatssicherheit an die Sexarbeiter:innen lautete damals: „zwischen 20 und 30 Jahre alt, unverheiratet, keine Kinder, Fremdsprachenkenntnisse, gut aussehend, gebildet, analytische Fähigkeiten, vaterländische Gesinnung“. Orte in Ost-Berlin, die während der DDR regelmäßig von Prostituierten und Freiern besucht wurden, waren zum Beispiel das Palast-Hotel am Potsdamer Platz oder das Interhotel Stadt Berlin, das heutige Park Inn am Alexanderplatz. Prostituierte in der DDR reizte nicht zuletzt die Aussicht auf Westgeld. Als Folge stieg seit den 1970er-Jahren die Zahl der Prostituierten, die der Mittelklasse entstammten oder sogar einen Hochschulabschluss hatten, auf eine Rekordzahl.


Ende der 1970er-Jahre: Traurige Berühmtheit des Babystrichs am Bahnhof Zoo

Prostitution in Berlin Ausschnitt aus dem Film "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" von 1981. Das dem Film zugrunde liegende Buch sorgte seit 1978 für Diskussionen.
Ausschnitt aus dem Film „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ von 1981. Das dem Film zugrunde liegende Buch sorgte seit 1978 für Diskussionen. Foto: Imago/United Archives

In den 1970er-Jahren überschwemmten harte Drogen West-Berlin, und mit dem kriminellen Geschäft blühte auch die Prostitution auf. Das relativ neue Phänomen der Prostitution im Zusammenhang mit der Drogenszene nahm in West-Berlin relativ unkontrolliert seinen Lauf. Als zentraler Verkehrsknotenpunkt West-Berlins erlangte der Bahnhof Zoologischer Garten Ende der 70er-Jahre durch das Buch „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ traurige Berühmtheit. Teils sehr junge Mädchen und Jungen verkauften ihren Körper an der Jebensstraße, um sich den nächsten Schuss zu finanzieren.


Mit dem Fall der Mauer wird Prostitution auch im wiedervereinten Berlin legal

Prostitution in Berlin Mit dem Mauerfall wurde Prostitution im ganzen Berliner Stadtgebiet wieder legal.
Und dann kam die Wede: Mit dem Mauerfall wurde Prostitution in Berlin wieder legal. Foto: Imago/UIG

Mit der Wiedervereinigung der Stadt im Jahr 1990 wurde auch die Prostitution im ganzen Berliner Stadtgebiet wieder legal. Nach der Wende reisten zudem Frauen aus Osteuropa in Berlin ein, um die neue Freiheit zu genießen. Sie verkauften ihren Körper an der Kurfürstenstraße, die heute noch als wichtigster Umschlagplatz für das Sexgewerbe Berlins gilt. Die osteuropäischen Prostituierten und ihre Zuhälter begannen damit, den Markt mit Dumpingpreisen aufzumischen.


Prostitution in Berlin: Der Kurfürstenkiez ist der bekannteste Straßenstrich der Stadt

Prostitution in Berlin Prostituierte an der Berliner Kurfürstenstraße: Neben den Straßenstrichs gibt es in Berlin zudem hunderte Bordelle.
Prostituierte an der Berliner Kurfürstenstraße: Neben den Straßenstrichs gibt es in Berlin zudem hunderte Bordelle. Foto: Imago/Kremming

Seit dem Ende der 1950er-Jahre gehört die Prostitution zum Schöneberger Kurfürstenkiez dazu. Mittlerweile ist die Kurfürstenstraße wohl Berlins bekanntester Straßenstrich. Zudem gelten auch Teile der nahegelegenen Bülowstraße und der Genthiner Straße als Straßenstrich. Ein weiterer bekannter Umschlagplatz für öffentliche Prostitution in Berlin ist die Oranienburger Straße in Mitte. Sperrzeiten oder ein Sperrbezirk, damit Anwohner:innen während ihres Alltags weniger mit dem Sexgewerbe in Berührung kommen, waren seit 2013 immer wieder im Gespräch. Die Situation hat sich jedoch bis heute nicht geändert. An den stadtbekannten Straßenstrichen bleibt Berlin ein Freiluft-Puff. Zusätzlich zum öffentlichen Sexgewerbe gibt es berlinweit hunderte Bordelle, in denen Prostituierte ihre Dienste anbieten können. Seit der Jahrtausendwende wurde die Prostitution in Deutschland durch zwei verschiedene Gesetze stärker reglementiert – auch um Sexarbeiter:innen sozial und rechtlich besser abzusichern.


Berlin bleibt arm, aber sexy: Senat lässt Prostitution weitgehend unkontrolliert zu

Prostitution in Berlin Berühmtes Berliner Bordell: Der Sauna-Club Artemis unweit des Messe-Geländes.
Prostitution in Berlin: Das berühmte Berliner Bordell „Artemis“, das sich unweit des Messe-Geländes befindet, wurde 2017 im Rahmen einer Razzia durchsucht. Foto: Imago/Ritter

Seit 2001 gilt Prostitution nicht mehr als „sittenwidrig“, das heißt, dass Prostituierte mit ihren Freiern Dienste vertraglich regeln können. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz sollte der undurchsichtige Markt seit Mitte 2017 zusätzlich sicherer und übersichtlicher werden. Kernelemente dieses Gesetzes sind zum Beispiel eine Erlaubnispflicht und eine Anmeldebescheinigung, die Prostituierte im Falle einer Kontrolle vorweisen müssen. Wieviel Prozent des Gewerbes jedoch immer noch unter dem Radar stattfinden, ist weitgehend unbekannt. Ende 2017 fand eine große Razzia im Berliner Sauna-Club und Bordell Artemis statt. Solche großen Razzien sind bisher jedoch die Ausnahme. Daher bleibt fraglich, wie viel Schwarzgeld im Sexgewerbe noch im Umlauf ist und wie viel Steuergeld dem Staat durch die unzureichende Kontrolle entgeht.


Prostitution in Berlin: Im Kurfürstenkiez liegen die Nerven blank…

Prostitution in Berlin Gesperrter Spielplatz in Berlin: Mit der Sperrung reagierte das Bezirksamt auf die Verschmutzung durch die Drogen- und Sex-Szene.
Gesperrter Spielplatz in der Hauptstadt: Mit der Sperrung reagierte das Bezirksamt auf die Verschmutzung durch die Drogenszene und Prostitution in Berlin. Foto: Imago/Wagner

Insbesondere Berlin bekleckert sich mit dem ewigen Motto „Arm, aber sexy“ deutschlandweit nicht gerade mit Ruhm: Sperrstunden und Sperrbezirke sucht man in der deutschen Hauptstadt, im Vergleich zu anderen großen Städten, vergeblich. Bei Anwohner:innen, beispielsweise des Kurfürstenkiezes, für die das öffentliche Sexgewerbe zum Alltag gehört, liegen seit Jahren die Nerven blank. Osteuropäische Banden, die massenweise Frauen für sich anschaffen lassen, machen in Berlin immer noch einen großen Teil der Szene aus. Männliche, junge Stricher aus Rumänien und Bulgarien sind Teil des Stadtbilds an der Fugger- und Eisenacherstraße in Schöneberg. Teilweise werden die Geschäfte direkt auf Kinderspielplätzen abgewickelt. Und seit Beginn der Flüchtlingswelle 2015 treffen Spaziergänger:innen und Jogger:innen vermehrt auf Stricher im Tiergarten.


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