Subkultur

Punk in West-Berlin: Never Mind Spandau, Here’s The Fuckers

Punk in West-Berlin war nicht nur Kreuzberg und das SO36. In Spandau, der Mauerstadt-Provinz, gründeten sich in den frühen 1980er-Jahren The Fuckers. Sie verstörten mit ihrem Bandnamen, bekamen Auftrittsverbote, stürmten im gelben Passat den Reichstag und ließen es auf der MS Gisela krachen. Hier erzählen wir ihre Geschichte. Never Mind Spandau, here’s The Fuckers!

The Fuckers, Punk in West-Berlin in den frühen 1980er-Jahren. Foto: Privat
The Fuckers, West-Berlin in den frühen 1980er-Jahren. Foto: Privat

Mittendrin vier Jungs, die auch dabei sein wollten: The Fuckers

West-Berlin, frühe 1980er-Jahre. Die Stadt ist von der Mauer umgeben, David Bowie wieder weg, harte Drogen regieren in der Stadt und Christiane F. schockiert mit ihrem Buch eine ganze Generation. In Kreuzberg und Schöneberg werden Häuser besetzt, umkämpft und geräumt, die Polizei unter Innensenator Lummer greift konsequent durch. Die Stimmung in der Welt ist nicht besser. In den USA zieht mit Ronald Reagan ein konservativer Cowboy ins Weiße Haus, Margaret Thatcher bringt mit ihrer Sparpolitik ganz Großbritannien gegen sich auf und in der BRD beginnt die Ära Helmut Kohl. Ein neuer Unmut formiert sich aus dem linken Spektrum. In Frankfurt protestieren Tausende gegen die Startbahn West, die Anti-AKW-Bewegung radikalisiert sich.

Punk ist der Soundtrack dieser Zeit. Aus London und New York erreichen Ende der 1970er-Jahre auch Berlin die ersten aufrührerischen Signale. Lederjacken, Springerstiefel, Irokesenschnitt. Es ist der Aufstand der Außenseiter, das Hässliche schön machen, so lautet die Devise. Die Bands der Stunde heißen The Clash, The Ramones und Dead Kennedys. Im Dezember 1976 benutzen die Sex Pistols in einer englischen Fernsehshow das berüchtigte Wort „Fuck“. Eine nie dagewesene Sache! Das macht Eindruck. Gerrit Meijer gründet PVC, die erste Punkband West-Berlins, im Punkhouse, und vor allem im SO36 ertönen die musikalischen Wutausbrüche. Drei Akkorde, sonst nichts. Hart, schnell, dreckig. 

Die Kids brüllten ihren Ärger von der Bühne. No Future! Smash It Up! Fuck! Auch in Spandau hört man den neuen Sound. Der Bezirk im Westen der Stadt ist wenig angesagt, die Szene ist in Schöneberg und Kreuzberg. Spandau hat zwar viel Sehenswertes, bedeutet aber auch Provinz, Langeweile und Spießertum. Mittendrin vier Jungs, die auch dabei sein wollten: The Fuckers. Das ist ihre Geschichte. 

The-Fuckers-Sänger Steve Cook. Foto: Privat
The-Fuckers-Sänger Steve Cook. Foto: Privat

„Wir gründeten uns noch zu Abizeiten, 1983“, erzählt Steve Cook, der damals ins Mikrofon brüllte. Vier Freunde aus Spandau, Zehlendorf und Neukölln. „Inspiriert durch die Sex Pistols, gaben wir uns den Namen – The Fuckers“. Sie wollten provozieren, auch sich selbst tauften sie um. Neben Tom Cock gehörten Steve Cook, Mc Gob und Nob Fuck zur Urbesetzung, später schlossen sich Drummer Henni Hellsinn, der noch später als Trommler bei den Pop Tarts und dann als Grafiker beim Gestalten Verlag zur stadtweiten Berühmtheit avancierte, und zeitweilig andere Gastmusiker der Stammformation an. „Als noch junge Band waren wir nicht ganz frei von pubertären Zwängen. So schmetterten wir in den Anfängen hemmungslos unseren Pornopogo von der Bühne“, erinnert sich Cook. 

Punk hieß immer auch widerspenstig zu sein, und der Bandname war Programm. Ein nihilistischer Affront. An die Fans, die Veranstalter, die Welt. Es war die Zeit der fiesen Bandnamen. Auf Lanzelot Records, dem Label, auf dem 1986 die erste EP der Fuckers erschienen ist, standen auch Bands wie Anal Cunts und Satanic Malefunctions unter Vertrag. Auch die befreundete Spandauer Combo Soilent Grün, aus denen bald schon Die Ärzte werden sollten, bezog sich mit dem Bandnamen auf einen wenig appetitlichen Stoff. Einen Horrorfilm aus den 1970ern, der im Jahr 2022 (!) spielt, und in dem „Soylent Green“ ein aus menschlichen Leichenteilen hergestelltes Lebensmittel bezeichnet. 

„In der Freilichtbühne Zitadelle ließ man uns nach einigem Hin und Her unter dem Namen The Suckers auf die Bühne“

„Damals gab’s tatsächlich Probleme mit unserem Namen, einige Veranstalter wollten uns nicht auftreten lassen“, sagt Cook und zählt die Orte auf, in denen The Fuckers Auftrittsverbot hatten: Villa Kreuzberg, K.O.B., Haus der Mitte und im damals noch stillgelegten S-Bahnhof Spandau West. „In der Freilichtbühne Zitadelle ließ man uns nach einigem Hin und Her unter dem Namen The Suckers auf die Bühne.“

The Fuckers schrammeln. Gitarre, Gitarre, Gitarre, Bass, Bass, Bass, Schlagzeug, Schlagzeug, Schlagzeug. Hier und da schrillt ein Saxofon rein. Sie entwickeln ihren Stil von brachialer Wut zu einem melodiösen harten schnellen Punk. „Dying Roar“, „Happy Hooker“, „Deadlock“ heißen die Hits, „I am not tired, this is boredom“, sangen sie. Klang so die Tristesse der West-Berliner Provinz?

„Deadlock“ von The Fuckers

Stühle flogen in den Tegeler See

An ein Album war nicht zu denken, ab 1984 erscheinen einzelne Songs auf Kassetten-Samplern, die EP und mehrere Beiträge auf Compilations. Jahrzehnte später erfährt die Band eher zufällig, dass ein findiger Punkfan und Labelbetreiber einen ihrer Songs auf einer Platte in Kanada veröffentlicht hat. Noch 2003 kommt der Sampler „20 Jahre Lanzelot Records“ mit einigen Songs von The Fuckers heraus und auf dem Punk-Sampler „Wenn Kaputt Dann Wir Spass – Berlin Punk Rock 1977-1989“ findet sich „Deadlock“. Eine verstreute Diskographie.

Es ging aber nie um Plattendeals und Geld. Man trank Bier im Proberaum im Nachbarschaftsheim der Tabea-Gemeinde und spielte Konzerte im Prisma in Reinickendorf, dem Café Grans in Kreuzberg, der Hans-Carossa-Oberschule, damals noch in Hakenfelde, oder beim „Monsters of Fuck“-Festival in Spandau. Punk in West-Berlin waren nicht nur Kotti, Kreuzberg und das SO36, wo zumeist internationale Bands auftraten. Es waren die kleinen Auftrittsorte, Jugendclubs, Cafés und Gemeindesäle, in denen man vor 50 Leuten mal für einen Abend für Unruhe sorgen konnte. Anarchy am Stadtrand! 

Die „Verschwendung“ der Jugend mit ihren adoleszent-anarchistischen Punk-Abenteuern. Auch auf dem Wasser. „Großen Spaß machte uns ein gemeinsamer Dampfer-Gig mit Desaster Area auf der MS Gisela 1985. Die Bands heizten so gut ein, dass es unter Deck tropfte und oben etliche Stühle über Bord in den Tegeler See flogen“, erinnert sich Cook. Die Skate-Punks Desaster Area kamen aus dem Märkischen Viertel und erreichten in den 1980er- und 1990er-Jahren so etwas wie Kultstatus. Die Band um Norbert „Naughty“ Kuntz existiert heute noch. Das konnte man aber Mitte der 1980er-Jahre nicht wissen. No Future!

„Das war in der Nähe einer okkulten Opferstätte und dort hat sich unser Bassist ’nen rostigen Nagel eingetreten“

The Fuckers gingen im Sommer 1985 zusammen mit den befreundeten Crapscrapers, die 1984 mit der sehr schön betitelten Kassette „Alle haben gekotzt, nur ich nicht“ verstörten, auf Tour in „Wessiland“. Es gab Konzerte im AJZ Bielefeld, Kukoz Paderborn und ein Open-Air an den Weinhängen der Stadt Bingen. „Das war in der Nähe einer okkulten Opferstätte und dort hat sich unser Bassist ‘nen rostigen Nagel eingetreten. Wir waren froh, heil in West-Berlin zurück zu sein, nachdem uns im Transit durch die DDR auch noch der Reifen platzte“, erinnert sich Cook. 

Der Berliner Punk war lustiger, verspielter und zuweilen auch künstlerischer als anderswo. So ganz bierernst nahm man die Sache nicht in der Mauerstadt. In den einschlägigen Fanzines dominierte zwar die „punkige“ schwarz-weiß-Ästhetik billiger Xerox-Kopien, aber Selbstironie gehörte stets dazu. In Spandau erschien etwa der „Fitmacher“ unter der Selbstbezeichnung „Sauf- und Punk-Zentralorgan – deftig, informativ und witzig“.

Auch der Szenekenner Frank Lindner erinnert sich amüsiert an den fragwürdigen Umgang der Fuckers mit der englischen Sprache. „Kultige Zeilen wie ‚They’ve becoming superlicious wanna terminate my life but having not the courage‘ sind klassischer Pidgin-Straßen-Style, der zwar keiner Überprüfung durch Native Speaker standhalten würde, aber seinen Zweck damals allemal erfüllte“, schreibt er in dem Text zu dem Punk-Sampler „Wenn Kaputt Dann Wir Spass“.

The Fuckers stürmten 1985 den Reichstag. Foto: Privat
The Fuckers stürmten 1985 den Reichstag. Foto: Privat

1987 ging die Zeit von The Fuckers zu Ende

The Fuckers wollten Spaß, besonders „staatstragend“ gaben sie sich bei einem TV-Dreh mit dem Offenen Kanal Berlin. „Das müsste 1985 gewesen sein. Unsere Idee war, an einem berühmten Ort zu übertreiben. Mit unserem gelben Passat knatterten wir quer über den Platz der Republik und bremsten erst kurz vor dem Reichstag, wo wir die Treppe zum mächtigen Portal erstürmten und uns dort postierten. Wir spielten damals gerade ‚I’m not tired‘, als ein gelangweilter Pförtner heraustrat und uns fragte, ‚ob wir nich‘ mal langsam aufhören könnten‘. Keiner störte sich an der Szenerie, das Auto stand noch immer schräg vor der Treppe und zwei verlorene Touristinnen baten um Autogramme“, rekapituliert Cook diese subkulturelle Sternstunde der West-Berliner Punk-Ära der mittleren 1980er-Jahre. 

Doch da ging es schon langsam dem Ende der Fuckers entgegen. 1986 trat die Band noch in der legendären Musiksendung „Rock Shock“ im Berliner Kabelfernsehen Mischkanal (heute Spreekanal) auf. Sie spielten „Elevator“, „They don’t cry“ und „Deadlock“ und polterten dazu in Bettlaken gehüllt durch eine Altbauwohnung. „So schön einfach, lustig und improvisiert – wie die Zeit damals war!“, sagt Cook. 1987 war es vorbei, The Fuckers lösten sich sang und klanglos auf. „Für immer Punk“, das Motto der Goldenen Zitronen, galt hier nicht. Doch wer einmal Punk war, bleibt es irgendwie doch für immer, im Herzen.


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