Sportgeschichte

Skispringen in Berlin: Wie die Sportart aus der Stadt verschwand

Heute ist der Grunewald im Berliner Westen ein Ort für Fitness und Spaziergänge. Dass auf den aus Weltkriegsschutt entstandenden Hügeln im Grunewalder Forst einst alpiner und nordischer Wintersport betrieben wurde, davon wissen heute nur noch die wenigsten. Dabei zog das Skispringen in Berlin jahrzehntelang ein großes Publikum an. Wir erzählen, wie der Sport seinen Weg in den Berliner Westen fand – und warum er wieder verschwand und in Vergessenheit geriet.

Auch der Holmenkollbakken in Oslo – heute eine moderne olympische Sprunganlage – hat mal klein angefangen, als Hügel mit hölzernem Anlaufturm. Foto: Imago/United Archives

Die Anfänge des Skispringens

Wie andere Sportarten hat sich auch das Skispringen in den letzten Jahrzehnten gewandelt. In den 1990er-Jahren wurden erstmals Weiten von etwa 200 Metern erreicht, heute liegt der Weltrekord bei 253,5 Metern. Auf der richtigen Sprunganlage sind Weiten über 220 Meter die Regel. Auch auf kleineren Schanzen wird das Limit der Anlange regelmäßig erreicht, von mehreren Springer:innen. Gab es in vergangen Jahrzehnten immer wieder saisonale Überflieger wie Sven Hannawald oder Janne Ahonen, springen aktuell mindestens zehn Springer:innen auf dem gleichen Niveau.

Ein Wettbewerb im Weltcup – der Champions League des Skispringens – ist heute vollends professionalisiert. Moderne Skisprunganlagen kosten Millionenbeträge, ihre Geometrie ist genau geplant. Dutzende Helfer:innen kümmern sich um die Vorbereitung der Schanzen, äußere Einflüsse wie Wind oder stoppender Schnee in der Anlaufspur sollen möglichst keine Auswirkungen haben. Das Material (Sprunganzüge, Ski, Bindungen usw.) ist aerodynamisch wie ergonomisch optimiert. Die Springer:innen hinsichtlich ihrer Koordination, Schnellkraft und Beweglichkeit austrainiert. Und doch ist Skispringen auch heute noch ein Sport, bei dem es auf das richtige Gefühl ankommt – und auf präzise Bewegungen, die fast automatisch ablaufen.

Das Skispringen, heute ein professioneller Sport, war vor einigen Jahrzehnten eine Disziplin der Unerschrockenen. Auch Berliner:innen probierten sich im Springen auf Skiern aus. Foto: Ski-Club Pallas/Wolfgang Schley

Ein ganz anderer Gefühlzustand war in den Anfangstagen des Skispringens vorherrschend: Angst und Mut. Die Angst vor dem steilen Abhang und dem Freiflug konnte nur von der Kühnheit überwunden werden. Die Sportart war nicht etabliert, die Idee, einen Sprung auf Skiern zu wagen, entsprang der Neugierde und Waghalsigkeit einiger besonders enthusiastischer Menschen. Ausgefeiltes Material wie heute gab es noch nicht, die Schanzenanlagen waren aus Holzbalken zusammengezimmert, und von Aerodynamik wusste man damals noch wenig.

Skispringen in Berlin: Eine Erfolgsgeschichte auf Anhieb

Als der Berliner Ski-Club Pallas im Januar 1924 zu Gast beim Märkischen Wintersporttag in Freienwalde war, wagte der junge Helmut Tornow einen Sprung von der dortigen Schanze. Nach seinem Sprung auf etwa neun Meter war das Feuer für den Skisprung-Sport entfacht. Das Zentrum des Ski-Club Pallas wurde die eigene Schanzenanlage bei Onkel Toms Hütte in Zehlendorf. Bis 1931 finden hier regelmäßig Sprungwettbewerbe statt. Beim vierten Verbandsoffenen Springen des Norddeutschen Skiverbandes (N.S.V.) im Januar 1929 sammelt sich um die Schanzenanlage in Zehlendorf eine riesige Zuschauermenge: Die Polizei zählte damals unglaubliche 20.000 Menschen.

„Unzweifelhaft“, schrieb das Nachrichtenblatt des N.S.V., „ist der Werbeerfolg für den Skisport außerordentlich. Denn an einem solchen Tage sammelt sich um Onkel Tom das ganze skisportliche Leben Berlins.“ Die erreichten Weiten auf der recht kleinen Schanzenanlage erscheinen aus heutiger Sicht als nicht außerordentlich. Auch wenn die Zahl der Springer:innen und ihre Sprungleistungen laut N.S.V einen „deutlichen Fortschritt gegenüber den früheren Jahren zeigten“, war an die Weiten moderner Skispringer:innen nicht zu denken. Die Besten erreichten Weiten von etwa 18 Metern. Ein sportliches Großereignis, das damals eine ähnliche Wirkung hatte wie Bundesligapartien heute, waren die Wettbewerbe allerdings in jedem Fall.

Im Sommer 1931 war es mit dem Skispringen in Zehlendorf vorbei: Die Schanze war eines Tages verschwunden. Der Norddeutsche Skiverband schreibt 1932: „Der zwölf Meter hohe Holzturm bis auf die Fundamente abgebrochen, der Aufsprung meterhoch mit Sand zugefüllt. Weder die zuständige zentrale Verwaltungsstelle der Stadt Berlin, noch der NSV, dem die Verwaltung übertragen war, wurden vorher irgendwie verständigt. Die Adolf Sommerfeld AG opferte im Einvernehmen mit dem Gartenbauamt Zehlendorf die Sprungschanze einer neuen Rodelbahn, wahrscheinlich, weil es an solchen im Grunewald noch völlig fehlt.“ Von einen Tag auf den anderen verschwand die Schanze also, weswegen sich der NSV auf die Suche nach einem neuen geeigneten Standort machte.

Bei Onkel Toms Hütte in Dahlem entstand die erste Schanzenanlage im Grunewald. Hier erreichten kühne Springer:innen bis 1931 Weiten um die 20 Meter. Foto: Ski-Club Pallas/Wolfgang Schley

Skispringen im Grunewald: Größere und bessere Schanzen

Einen neuen Standort fand man ebenfalls im Grunewald, diesmal weiter westlich: ein Abhang am Torfgraben (heute: Postfenn) zwischen Schildhorn und Pichelsberg. Nachdem die Wettbewerbe nahe Onkel Toms Hütte ein voller Erfolg waren, baute der Ski-Club Pallas 1932 in Eigenregie dort eine neue Anlage. Eine neuere und bessere Skischanze sollte entstehen, die Verhandlungen mit dem Forstamt Grundwald waren erfolgreich. Allerdings war das Vorhaben so ambitioniert, dass der Norddeutsche Skiverband um Spenden für die neue Grunewaldschanze bitten musste. Mehrere Berliner Vereine unterstützen das Vorhaben.

Die Schanze wurde 1932 tatsächlich fertiggestellt. Das Ziel mit der Grunewaldschanze ein bleibendes „Denkmal für die sportliche Selbsthilfe“ zu setzten und der Welt zu zeigen „dass auch im Flachland der richtige Sportgeist wohnt“ war zunächst erreicht. Wieder war es Helmut Tornows, der sich um den Bau der Schanze bemühte. In der Vereinsgeschichte des SC Pallas gilt Tornow als wichtigster Förderer des Skispringens in Berlin. Im Jahr 1933 veranstaltete der Norddeutsche Skiverband den ersten großen Wettbewerb auf der Anlage, an dem 18 Springer teilnahmen. Auf der neuen Schanze am Postfenn waren nun Weiten von mehr als 30 Metern möglich. Ein bleibendes Denkmal für den Skisport in Berlin wurde die Grunewaldschanze allerdings nicht. Sie wurde in den 1950er-Jahren abgerissen. Heute ist fast nichts mehr von ihr zu erkennen.

Die Schanze am Postfenn wurde 1932 erbaut. Die Wettbewerbe hier wurden bis in die 1940er-Jahre durchgeführt. Dieses Bild zeigt einen Wettkampf im Jahr 1940. Foto: forst-grunewald/Uwe Gerber

Der Teufelsberg: Ein Mekka für den West-Berliner Wintersport

Für das Skispringen in Berlin sollte die Schanze am Postfenn allerdings nicht die letzte Station sein. Nochmals wurde eine neue und größere Anlage errichtet. Diesmal am Teufelsberg. Der etwa 120 Meter hohe Trümmerberg aus 28 Millionen Kubikmetern Weltkriegsschutt war für die Skisportler:innen ein Segen. In den 1960er-Jahren entstand hier nicht nur die Skischanze am Teufelsberg, sondern auch Abfahrthänge, Rodelberge und sogar ein Skilift, der 1964 errichtet wurde. Bereits 1955 wurde hier eine Skischanze erbaut, die Weiten um 25 Meter zuließ. Sieben Jahre später, 1962, wurde die neue Sprungschanze umgebaut und vor 5000 Zuschauer:innen eingeweiht. Berliner Skisprung-Enthusiast:innen verfügten nun über einen imposanten Bau, der mit den Anfängen bei Onkel Toms Hütte nur noch wenig tun hatte. Nach einem Umbau 1964 errichten die Springer Weiten bis zu 50 Metern, am Hang stand ein massiver Kampfrichterturm, und ein Mattenbelag ermöglichte das Springen ohne Schnee.

Sportliche Großereignisse waren sie Sprungwettkämpfe am Teufelsberg. Die Sprungschanze verfügte über eine ausgefeilte und professionelle Infrastruktur. Foto: Ski-Club Pallas/Wolfgang Schley

Im Kampfrichterturm richtete der Ski-Club Pallas ein Vereinsheim ein. Die Schanze wurde damit das Zentrum des Vereins. Bis 1969 fanden auf der Schanze am Teufelsberg regelmäßig Sprungwettkämpfe vor mehreren tausend Zuschauer:innen statt. Dass auch im Flachland Skisport stattfinden konnte, war damit bewiesen. Heute, mehr als 50 Jahre später, zeugt nur noch wenig vom Skispringen am Teufelsberg. Der Hang verwächst zunehmend, einzig der Schanzentisch und Mauerreste von Zuschauerplattformen sind noch übrig. 1999 wurde die bereits zerfallene Infrastruktur der Schanze vom Forstamt Grunewald abgerissen. „Ohne dass man uns unterrichtet hat, wurden am Teufelsberg alle Gebäude abgerissen. Im Turm befanden sich noch verschiedene für den Verein wertvolle Dinge, wie zum Beispiel Pokale und Ähnliches“, konstatiert Wolfgang Schley, der seit 1963 Mitglied des SC Pallas ist.

Skispringen im Grunewald: Das Verschwinden einer Sportkultur

Gerodelt wird am Teufelsberg noch heute. Von einer Skischanze ist allerdings nichts mehr zu sehen. Foto: Imago/Brigani-Art

Angesichts des großen Erfolgs, den das Skispringen im Berliner Grunewald erlebte, ist es seltsam, dass von den Anlagen heute nichts mehr zu sehen ist. Wie konnte es dazu kommen, dass die Schanze am Teufelsberg 1999 abgerissen wurde und der letzte Wettbewerb 1969 stattfand? Die Gründe für das Ende des Skispringens in Berlin sind vielfältig. In erster Linie gingen den Berlinern die Skispringer:innen aus, es fehlte an Nachwuchs. Ein Problem, mit dem kleinere Sportarten immer wieder zu kämpfen haben.

Aber das war nicht das einzige Problem. Aus Kostengründen wurde es immer schwieriger, die nationale und internationale Skisprung-Elite nach Berlin zu holen. Andere Wettkampforte, etwa im Erzgebirge oder im bergigen Süddeutschland, waren attraktiver. Erschwert wurde das Springen am Teufelsberg auch vom Berliner Forstamt: Die Auflagen wurden erhöht. Dem SC Pallas wurde die Fahrgenehmigung entzogen, wodurch die Pflege der Schanzenanlage deutlich mühsamer wurde. Ebenfalls eine Rolle spielte wahrscheinlich der Ost-West-Konflikt. Denn die USA nutzen den Teufelsberg als Standort für die heute unter Denkmalschutz stehende Abhöranlage. 1972 kassierten sie den Skilift am Teufelsberg, weil ihnen die Sportbegeisterung in West-Berlin suspekt war.

Doch allen Umständen zum Trotz war es den Berliner:innen, gelungen den Skisprungsport für vier Jahrzehnte in den Grunewald zu holen. Am Ende waren die Hindernisse doch zu groß. Mit dem Tod Helmut Tornows, dem Initiator des Skispringens in Berlin, im Jahr 1970, verlor der Sport einen seiner wichtigsten Förderer. Heute finden sich an den Hängen im Grunewald keine Schanzen mehr. Der Ski-Club Pallas konzentriert sich seit den 1970er-Jahren auf Skilanglauf und den Grasski-Sport, ganz ohne Schnee. Für Wolfgang Schley ist jedoch klar: „Würde die Schanzenanlage noch stehen, würde man heute sicher auch entsprechende junge Leute finden, die den Skisprungsport ausführen würden“. Vielleicht braucht es ja nur einen Ausflug zum Wintersportverein in Bad Freienwalde, dorthin, wo Helmut Tornow einst das Skisprungfieber gepackt hat. Dort gibt es tatsächlich bis heute eine Schanzenanlage.


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