Der 15. Januar 1990 war der Tag der Abrechnung mit der Stasi. Am 9. November 1989 fiel die Berliner Mauer, doch die DDR existierte offiziell noch knapp ein Jahr. Erst mit der Wiedervereinigung wurde der SED-Staat endgültig abgewickelt. Währenddessen war genug Zeit für die anfangs immer noch funktionierende Staatssicherheit, um etwa kompromittierendes Material zu vernichten. Umso wichtiger ist für das Verständnis der Wirren jener schicksalsträchtigen Wochen das folgende Datum: 15. Januar 1990. Der Tag, an dem die Stasi-Zentrale erstürmt wurde.
Die im Neuen Forum organisierten Bürgerrechtler riefen im Vorfeld auf, vor dem Gebäude des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) zu demonstrieren und die Zugänge des Gebäudes in einem symbolischen Akt zu vermauern. Man forderte unter anderem die sofortige Schließung aller Stasi-Einrichtungen und die Einleitung von Ermittlungsverfahren. Zum 33. Jahrestag erinnern wir mit einer Bildergalerie an den Sturm auf die Stasi-Zentrale.
Die Bürgerrechtler forderten das Ende der Stasi
Die Stasi galt als „Schild und Schwert“ der Partei. Das vom Ministerium für Staatssicherheit erschaffene System terrorisierte die DDR-Bürger und wurde bereits zur Zielscheibe der Proteste im Oktober und November 1989. Man hatte die Spitzel und die staatlichen Repressionen satt. Die Wut gipfelte am 15. Januar 1990 in Berlin, als aufgebrachte Demonstranten die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit in der Ruschestraße 1 in Lichtenberg erstürmten. Doch der 15. Januar und das symbolische Ende der Stasi hatten eine Vorgeschichte, die spätestens mit dem Mauerfall begann, dem Anfang vom Ende der Stasi.
Bereits vier Tage nach dem Mauerfall, am 13. November 1989, trat das gesamte Politbüro der SED zurück und Hans Modrow wurde anschließend zum neuen Regierungschef gewählt. Es war klar, dass es für die DDR einen neuen Weg geben müsste. Die Zeichen standen auf Aufbruch und Neuordnung. Dennoch arbeitete die Stasi offiziell weiter.
Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit und de facto Chef der Stasi, musste sich noch im November 1989 vor der Volkskammer der DDR verantworten. Er war sich selbst keiner Schuld bewusst und sprach den berühmten Satz: „Ich liebe – Ich liebe doch alle – alle Menschen – Na ich liebe doch – Ich setzte mich doch dafür ein!“
In der turbulenten Phase des Umsturzes, versuchte die DDR-Führung der Stasi die Schuld an der Staatskrise zuzuschieben. Ein absurder Versuch, da klar war, dass die Stasi stets im Auftrag der SED gehandelt hat.
Mitte November wurde das Ministerium für Staatssicherheit umbenannt und hieß fortan Amt für Nationale Sicherheit (AfNS). Der Umfang, der von der Stasi verübten Verbrechen, und die Größe des Spitzelapparats konnten zu jener Zeit nur erahnt werden.
Im November und Dezember setzen sich hochrangige Stasi-Funktionäre ab, die Mitarbeiter versuchten belastende Dokumente zu vernichten, es werden auch dubiose Finanztransaktionen unternommen. Als Folge legten in Erfurt wütende Bürger eine Stasi-Behörde lahm.
Weitere Städte folgen dem Beispiel Erfurts, und so besetzen Bürgerrechtler auch in Greifswald, Templin, Jena, Weißwasser, Wernigerode, Stendal und in anderen Orten Einrichtungen der Stasi. Man versiegelt die Türen und stellt Wachen auf, um eine weitere Vernichtung von Akten zu unterbinden.
Die anfänglich in der Bürgerrechtsbewegung noch als Vermutungen formulierten Anschuldigungen von der Totalüberwachung durch die Stasi erhärteten sich spätestens im Dezember 1989. Unter Hans Modrow wurden zwei neue Nachrichtendienste eingesetzt, der Auslandsnachrichtendienst sowie ein Verfassungsschutz. Die Stasi versuchte die neuen Behörden zu nutzen, um sich selbst zu retten.
Doch die Neugründung von DDR-Geheimdiensten war für viele Bürger im zerfallenden Arbeiter- und Bauernstaat ein Affront. Am 11. Januar 1990 demonstrieren etwa 20.000 Menschen vor der Volkskammer gegen „eine neue Staatssicherheit“.
Während die Stimmung im ganzen Land heiß lief, arbeiteten bis Mitte Januar 1990 die Stasi-Mitarbeiter in Berlin unbehelligt weiter. Der gewaltige Gebäudekomplex an der Normannenstraße im Stadtteil Lichtenberg glich einer Festung, an die sich die Bürgerbewegung in den ersten Wochen nach dem Mauerfall noch nicht richtig herangetraut hat.
Doch die Stimmung kippte und man zog schon bald in Richtung Normannenstraße. Das Neue Forum rief mit Flugblättern zum Sturm auf die Stasi-Zentrale auf und Tausende folgten den Forderungen, etwa nach der Offenlegung der Befehlsstrukturen zwischen SED und Stasi oder dem Verbot von Sonderzahlungen oder anderen Privilegien für ehemalige Stasi-Mitarbeiter. Am 15. Januar 1990 mauerten die Demonstranten symbolisch die Türen zu und verhandelten mit den Funktionären über die Übergabe des gesamten Areals.
Rückblickend ist der 15. Januar 1990 der Moment, an dem die letzte Bastion des SED-Staates fiel. Die Besetzung verlief friedlich und reiht sich in den gewaltfreien Verlauf der letzte Tage der DDR ein. Dabei ist die historische Dimension jenes Tages, kaum zu unterschätzen. An jenem Tag wurden endgültig die Weichen für die Zukunft gestellt und die Aufarbeitung des von der Stasi über Jahrzehnte verübten Unrechts konnte beginnen.
Aktionstag zum 15. Januar 1990
Ganztägiges Programm mit einem Tag der offenen Tür im Stasimuseum (Eintritt frei), Führungen durch das Stasi-Unterlagen-Archiv und das Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft sowie ein Audiowalk, Filmvorführungen, Ausstellungsrundgänge und ein Talk des Berliner Aufarbeitungsbeauftragten Tom Sello mit Dagmar Hovestädt vom Bundesarchiv – Stasi-Unterlagen-Archiv.
- Chronik einer Nacht: 33 Jahre Erstürmung der Stasi-Zentrale Stasi-Zentrale. Campus für Demokratie, Haus 1 und Haus 7, Ruschestraße 103, Lichtenberg, So 15.1., 11 bis 18 Uhr, mehr Informationen hier
Mehr Berlin verstehen
Auch vor dem 15. Januar 1990 blicken wir auf die Stasi-Zentrale und ihre Geschichte in Bildern. Aus und vorbei: Unvergessene DDR-Produkte, die es so nicht mehr gibt. Die Teilung hat Spuren hinterlassen: Trabi, Stasi und Soljanka: DDR in Berlin erleben. Spezielle Erfahrung? West-Berliner im DDR-Urlaub: So waren die Ferien beim Systemfeind. Noch viele weitere Geschichten über die Geschichte Berlins lest ihr hier.