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Suche nach der Hausbesetzerin mit Katze – Zeitreise ins Schöneberg der 1980er

In unserem Fotoarchiv lag knapp 40 Jahre lang unbeachtet ein Foto von der Räumung des besetzten Hauses in der Goltzstraße 30 in Schöneberg. Darauf zu sehen ist eine junge Frau mit kurzen Haaren, beladen mit Wäschesäcken und einer kleinen Katze unter dem Arm. Linksalternative Normalität in West-Berlin der frühen 1980er. Doch wer ist sie? Eine Spurensuche von Jacek Slaski.

Das geheimnisvolle Foto der Hausbesetzerin mit Katze. Die junge Frau verlässt am 27. Juli 1982 das geräumte Haus in der Goltzstraße 30 in Schöneberg. Foto: Peter Homann
Das geheimnisvolle Foto der Hausbesetzerin mit Katze. Die junge Frau verlässt am 27. Juli 1982 das geräumte Haus in der Goltzstraße 30 in Schöneberg. Foto: Peter Homann

Archive bergen oft wahre Schätze. Bei der Durchsicht alter Fotos aus der Frühzeit der Hausbesetzerbewegung stieß ich auf dieses Bild der kurzhaarigen jungen Frau, die mit einem Kätzchen unterm Arm das geräumte Haus in der Goltzstraße 30 verlässt. Sechs uniformierte Polizisten schauen ihr hinterher, doch sie selbst blickt ins Leere. Es ist seltsam friedlich an jenem 27. Juli 1982 in Schöneberg. In jenem kurzen Augenblick zumindest.

Das Foto ließ mich nicht los, immer wieder schaute ich es an, ein Geheimnis lag darin verborgen, das darauf wartete entdeckt zu werden. Die meisten Fotos vom West-Berliner Häuserkampf der frühen 1980er sind martialischer Natur. Straßenschlachten, prügelnde Polizisten, Proteste, Transparente, Feuer und Barrikaden. Die Presse wollte Schauwerte und die Fotografen hielten auf den Exzess drauf.

Ich wollte mehr über genau dieses Bild erfahren

Ich wollte mehr über genau dieses Bild erfahren. Auf der Rückseite des 22 mal 16 Zentimeter großen Schwarz-Weiß-Abzugs standen zumindest die Informationen zu dem Motiv, was und wo und wann, das war schnell geklärt. Räumung, Juli 1982, Goltzstraße 30. Der Fotograf hieß Peter Homann, Weserstraße, Neukölln. Alle Rechte Vorbehalten.

Homann war also die erste Spur, die Google-Suche war ergiebig. In Wikipedia fand sich ein Eintrag mit einem Porträt. Es zeigt einen sympathisch wirkenden vollbärtigen, langhaarigen Mann. Eine Art West-Berliner Pendant zu Harald Hauswald, dem großen Chronisten Ost-Berlins. „Homann ist bekannt für seine Kreuzberg-, Demonstrations- und Hausbesetzer-Fotos in den 1980er Jahren in West-Berlin“. Soweit so gut. Er veröffentlichte in der „Zitty“ und der „taz“, was wenig verwundert, aber auch im „Stern“ und „Spiegel“. Nach dem Ende der Hausbesetzerzeit fotografierte er Neonazi-Aufmärsche, Hartz-IV-Protesten und Occupy-Demonstrationen.

Der Fotograf Peter Homann, 2005 Foto: Gaby Homann/Wikipedia Commons/CC BY-SA 3.0
Der Fotograf Peter Homann, 2005 Foto: Gaby Homann/Wikipedia Commons/CC BY-SA 3.0

Auch eine Adresse von Homann gab es im Netz, Weserstraße, Neukölln. Erstaunlich, 40 Jahre sind vergangen, Mauerfall und Gentrifizierung zum Trotz, Homann ist geblieben. Ich schrieb ihm eine E-Mail. Ganz realistisch war es nicht, dass er sich an das Foto erinnerte, geschweige denn die Frau kannte. Aber wen sollte ich sonst fragen? Die Antwort kam recht bald und war wie erwartet ernüchternd: „Die Frau mit der Katze bei der Hausräumung 1982 kenne ich leider nicht. Über die Zeit damals gibt es ja genug Informationen“, schrieb er. Sackgasse.

Ja, die „Zeit damals“, Homann hatte recht. Wenn ich schon die Frau nicht direkt finden konnte, konnte ich wenigstens mehr über die Stimmung und die Ereignisse von damals In Erfahrung bringen. Die Recherche führte nach Schöneberg der frühen 1980er-Jahre, hinein in die Hausbesetzerbewegung und die linke Szene. Es war ja nicht alles in Kreuzberg, das vergisst man heute schnell. 2018 erschien das Buch „Berlin – Stadt der Revolte“ von Michael Sontheimer und Peter Wensierski, die Autoren widmen sich in ihrer „Geschichte einer aufsässigen Metropole“ gleich in mehreren Kapiteln Schöneberg.

„Es herrschte Endzeitstimmung“

Winterfeldtstraße 20. Bülowstraße 89. Potsdamer Straße 125 und 157-159. Nollendorfplatz. Räumung der Bülowstraße 89 und der Moment, als sich der damalige CDU-Innensenator Heinrich Lummer provokativ auf dem Balkon des Hauses zeigte und auf der Straße davor tausend Menschen protestierten. Dann der tragische Unfalltod von Klaus-Jürgen Rattay, der in dem Chaos unter einen BVG-Bus geriet. Es geht um die linke Kneipe K.O.B. und den Schriftsteller Klaus Schlesinger, der in der Potsdamer 157-159 wohnte. Im Sommer und Herbst 1982 wurde in Schöneberg massiv geräumt. „Es herrschte Endzeitstimmung“, heißt es an einer Stelle. Zur Goltzstraße 30 schreiben die Autoren aber nichts. Wieder Fehlanzeige.

Auf der Webseite des „Mao Projekts“ gab es dafür einige konkrete Hinweise, eine von der „Architekteninitiative Schöneberger Planung“ im Januar 1982 herausgegebene Broschüre wird dort zitiert: „Am 22. Juni 1981 durchsuchte die Polizei das besetzte Haus Goltzstraße 30 (am Winterfeldtplatz). Diese polizeilichen Besuche erfreuten sich zu der Zeit gerade besonderer Beliebtheit, befriedigten sie doch die Neugierde von Staatsanwälten und Beamten, was denn das für ‚Chaoten‘ seien … und wie sie wohl lebten“, schrieb die Initiative dort und führte weiter aus: „Statt sich um die aus Raffsucht von Eigentümern vernachlässigten, zerstörten oder leerstehenden Wohnungen zu kümmern, lag der Bauaufsicht an diesem Tag das Wohl der Besetzer der Goltzstraße 30 so sehr am Herzen, dass sie erklären ließ, möglicherweise lägen bauliche Mängel vor.“

Man wollte durch „Instandbesetzungen“ bezahlbaren Wohnraum schaffen

Baumängel sind ein guter Räumungsgrund. Es ist der alte Konflikt, der allen Besetzungen in West-Berlin zugrunde lag. Menschen besetzten marode, teilweise leerstehende Häuser und begriffen die Aktionen als Politikum, man wollte durch „Instandbesetzungen“ bezahlbaren Wohnraum schaffen und zugleich Orte, die sich von den etablierten bürgerlichen Vorstellungen radikal unterschieden. Alternative Lebensentwürfe, linke Utopien, Kommunardentum und Kollektivität vereinten sich in den Hausprojekten, es ging um nicht weniger, als eine Existenz jenseits des Kapitalismus. 

Ob die junge Hausbesetzerin schon im Juni 1981 im Haus in der Goltzstraße wohnte, zum Zeitpunkt des beschriebenen Polizeibesuchs, ist ungewiss. In den besetzten Häusern herrschte gerade in der Anfangsphase ein reges Kommen und Gehen. Ich suchte weiter. Wie sich rausstellte, befanden sich im Archiv des Museums Tempelhof-Schöneberg einige Aufnahmen von der Räumung der Goltzstraße 30. Der Fotograf Jürgen Henschel hielt das Ereignis fest, vermutlich stand er an jenem 27. Juli 1982 gar nicht so weit von Peter Homann entfernt, doch auf Henschels Bildern findet sich keine Spur der gesuchten Besetzerin noch ihrer Katze. Er selbst kann nichts mehr zu der Sache sagen, der 1923 geborene Berliner Fotograf verstarb bereits 2012.

Räumung des Hauses in der Goltzstraße 30. In den 1980er-Jahren tobte nicht nur in Kreuzberg der Häuserkampf, auch in Schöneberg gab es eine rege Besetzerszene. Foto: Peter Homann
Räumung des Hauses in der Goltzstraße 30. In den 1980er-Jahren tobte nicht nur in Kreuzberg der Häuserkampf, auch in Schöneberg gab es eine rege Besetzerszene. Foto: Peter Homann

Henschel Fotos dokumentierten den Zustand des Hauses. 1982 sah es ziemlich heruntergekommen aus. Der Putz blätterte von der Fassade, Risse gingen durchs Mauerwerk, aus den Fenstern hingen Transparente: „Wir lassen uns nicht zu Tode beschützen“ und „Endlösung Auschwitz, Stammheim, West-Beirut“. Harsche Parolen. Dar Geist der RAF wehte noch zwischen dem Gemäuer. Ich schrieb ans Museum, vielleicht würde man dort etwas wissen, immerhin ist es die zuständige Institution für die historische Aufarbeitung der Bezirksgeschichte. Da gehören die Hausbesetzer dazu.

Brigitte Garde vom Museum antwortete, nannte zwei Protagonisten aus der Hausbesetzerszene, die nicht wirklich weiterhelfen konnten. Niemand kannte die Frau, es fanden sich nicht einmal einstige Besetzer aus der Goltz 30. Einen entscheidenen Hinweis gab Frau Garde noch, ich solle doch mal bei der Begine nachfragen. Die Geschichte des selbstverwalteten Frauenprojekts in der Potsdamer Straße 139 geht schließlich auf die Schöneberger Hausbesetzerszene der frühen 1980er-Jahre zurück.

Manu Hoyer, eine der Begine-Gründerin, erzählte mir im langen Gespräch über die Anfänge in der Potsdamer Straße, abenteuerliche Sanierungsarbeiten und die Gründung des bis heute existierenden Frauencafés. Doch weder von der Goltzstraße noch von der kurzhaarigen Hausbesetzerin mit Katze wusste sie etwas. Auch die Nachfrage bei dem Leiter der polizeihistorischen Sammlung, Dr. Jens Dobler, lief ins Leere. Kurzzeitig hegte ich die Hoffnung, einen pensionierten Polizeibeamten zu finden, der das Haus in der Goltzstraße damals geräumt hat. Fehlanzeige.

Begine-Mitbegründerin Manu Hoyer bei einer Verschnaufpause während der Sanierungsarbeiten in der Potsdamer Straße 139. Foto: Archiv Begine

Alle Spuren liefen ins Leere. Ich habe mir eine Geschichte in den Kopf gesetzt, habe mit Fotografen, Historikern, Museumsmitarbeitern und Zeitzeugen gesprochen und nichts gefunden. Eine letzte Chance war Facebook. In einigen Gruppen versammeln sich dort Leute, die ein reges Interesse an West-Berlin haben. Ich scannte das Foto der Hausbesetzerin ein und verfasste einen kurzen Aufruf: Wer hat die Frau gesehen?

Dann ein Hoffnungsschimmer. Eine gewisse Jeanette S. meldet sich: „Ich überlege die ganze Zeit, ich war damals sogar dabei. Also davor. Wir waren unten in der Kneipe, nach der Räumung von Bobby Cents Pub in der Bülowstraße 89. Ich kenne das Gesicht, aber es ist fast 40 Jahre her. Ich war das nicht und damals um einiges jünger, Nina und Helga waren es auch nicht.“ Ich hakte nach, doch Jeanette S. wusste nicht mehr: „Wir waren noch Kinder, irgendwie sahen wir alle ähnlich aus. Doch so jung wie wir, war Sie nicht.“

„Sieh mal an, da war ich dabei“

Auch Eva M. erinnerte sich an die Goltzstraße. „Sieh mal an, da war ich dabei. Damals noch als Besucherin einer Frau aus meiner Heimatstadt, kurz vor meinem Umzug nach Berlin. War ein schönes Haus, mit Punk-Kneipe unten, Hühnern im Hof und Ortwin, der spätere Gründer vom YAAM und inzwischen trauriger Weise verstorben, wohnte dort und spielte manchmal Saxophon auf dem Balkon“, schrieb sie.

Die Räumung der Goltzstraße sorgte für Aufruhr in der Szene. „Nachts gab es ein paar Pöbeleien mit den Bullen vor dem geräumten Haus, und einige, darunter Ratten-Jenny und auch ich, wurden verhaftet. Wir hockten in `ner Wanne, Jenny sah ihren Stiefvater draußen stehen, grölte ‚Papi, Papi, haste mal Feuer…‘ und hielt `ne Zigarette zum Fenster raus. Später kamen paar Leute, die unsere Verhaftung mitbekommen hatten aus dem Slumberland und schaukelten die Wanne so lange, bis wir freigelassen wurden“, erinnert sich Eva M.

Der Legende nach wurden die Einnahmen der ebenfalls geräumten Hauskneipe „Stonz“ in der Nacht nach der Räumung in ein riesiges Besäufnis investiert. Es gab auch eine Spontandemo nach der Räumung. Hunderte Besetzer, Spontis und Freaks marschierten zum Ernst-Reuter-Platz und badeten aus Protest nackig im großen Springbrunnen auf der Mittelinsel. Es war ja Sommer. Später zogen viele der Leute aus der Goltz 30 nach Kreuzberg in ein anderes besetztes Haus. Die Goltzstraße 30 wurde kurze Zeit später abgerissen. Die Hausbesetzerin mit Katze habe ich nicht gefunden. Noch nicht.


Mehr Berlin

Das Geheimnis der Berliner Kneipen – Gespräch mit dem Kreuzberger Ur-Rock’n’Roller Bernd Feuerhelm. Wir waren noch einmal im Archiv und haben Werbeanzeigen von Kneipen aus den 1970er-Jahren gefunden. Lust auf mehr Mauerstadt-Erinnerungen? Überhaupt vermissen wir vieles an West-Berlin. Auch manche Wahrzeichen sind mittlerweile Geschichte: Legendäre Berliner Gebäude, die nicht mehr existieren. Sie erzählen viel über die Stadt: Die berühmten Straßen in Berlin.

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