Ideengeschichte

Von Kant bis Rousseau: DHM-Schau beleuchtet Zeitalter der Aufklärung

Das Deutsche Historische Museum zeigt bis zum 6. April eine Ausstellung über eine wegweisende Epoche. „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“ befasst sich mit mit einer Zeit des Aufbruchs, die von Kant, Rousseau und anderen Philosophen geprägt wurde. Sie war wesentlich für die Entwicklung heutiger Standards in liberalen Gesellschaften – von Demokratie bis Wissenschaftsfreiheit. Der Parcours ist zu einer üppig bestückten Zeitreise geworden.

Kabinett der Denker: Viele Mentoren haben die Ideenwelt der Aufklärung maßgeblich geprägt. Ausstellung Foto: Imago/Funke Foto Services/Maurizio Gambarini

Diese Ausstellung ist wie ein Gang durch eine Wunderkammer, übervoll mit Fibeln und Schautafeln, Apparaturen, Büsten und Gemälden, kleinen und großen Wendungen. Bestaunt wird eine Zeit, während der das uralte Menschheitsprojekt der Mehrung von Wissen und geistiger Freiheit zu einem Breitenphänomen geworden ist. „Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“ heißt die Schau im Deutschen Historischen Museum, die bis zum 6. April 2025 geöffnet ist.

Es handelt sich um jene Epoche, deren Credo der französische Philosoph René Descartes schon früh in Stein gemeißelt hat: „Cogito ergo sum“. Das Individuum löst sich von den Fesseln, die ihm Autoritäten, ob weltlich oder klerikal, einst angelegt haben. Eine Unabhängigkeitsbewegung, die ihren Höhepunkt im 18. Jahrhundert erreichte – und das Fundament für die Moderne legte. Für Demokratie, für eine vielstimmige Wissenschaft, und ja, auch für eine Natureroberung, die nicht immer friedfertig gewesen ist.

„Was ist Aufklärung? Fragen an das 18. Jahrhundert“ liefert Einblicke in den Alltag

Plastisch wird dieses Zeitalter, wenn der funkensprühende Effekt auf die säkulare Gesellschaft anhand fast schon trivialer Exponate zum Vorschein kommt. Folianten und Lehrbücher bringen Erkenntnisse etwa über die Tier- und Pflanzenwelt in viele Wohnstuben einer mitteleuropäischen Bevölkerung, die nur teilweise alphabetisiert gewesen ist. Bildung ist ab sofort kein exklusives Hobby mehr des Adels und seines Hofstaats, der Kirche und anderer Institutionen der Macht.

Da kommt dem Besucher auch in den Sinn, dass die englische Bezeichnung für diese Epoche triftiger ist. „Enlightment“: eine Ära, die das mystische Dunkel des Mittelalters endgültig überwindet – und stattdessen die Bedingungen des irdischen Daseins erhellt. Diese Vokabel ist auch das Schlüsselwort in den Broschüren fürs internationale Publikum. Eine Ära, deren sonstige Vordenker etwa Jean-Jaques Rousseau oder Immanuel Kant waren.

Ausstellung im DHM: Facetten der Aufklärung

Ein großer Fetisch der damaligen Zeit: Forscher pressten die Erscheinungen der Natur immer wieder in Ordnungssysteme. Auf fatale Weise liefert diese Neigung weißem Überlegenheitsdenken und Rassismus eine pseudowissenschaftliche Basis. Die Physiognomien von Schädeln werden zum Scheinbeweis für Hierarchien unter Ethnien. Eine Weltkarte illustriert die grausige Folge: Eingetragen sind die Routen des Sklavenhandels von Afrika in die nördliche Hemisphäre.

Herrlich ist in diesem Zusammenhang die dokumentierte Replik eines frühen Kritikers dieser Tendenzen. Der Physiker Christoph Georg Lichtenberg machte sich in einer satirischen Schrift über das Herrenmenschentum lustig. Darin wird das männliche Genital zum Untersuchungsobjekt. „Fragment von Schwänzen. Ein Beytrag zu den Physiognomischen Fragmenten“, so nennt sich die Publikation mit frotzelndem Ton.

Die Facetten der Ausstellung sind vielfältig, sie reichen von der Renaissance antiker Schönheitsideale bis hin zur rationalistischen Neuordnung von Städten, deren Straßenverläufe nunmehr wie vom Lineal gezogen sind. Expertinnen und Experten kommentieren damalige Entwicklungen in eingespielten Interviews. In den Videoboxen äußern sich beispielsweise der ehemalige HU-Präsident Peter-André Alt, der Publizist Jens Bisky oder die Schwarze Harvard-Historikerin Annette Gordon-Reid.

Was fehlt: mehr Ansichten über die Auswirkungen der neuen Denkweisen auf politische Systeme. Die Französische Revolution im Jahr 1789 war ja in der historischen Rückblende gewissermaßen das Versuchslaboratorium. Spannend wäre eine nähere Analyse gewesen – darüber etwa wie große Ideen rasch wieder zerbrechen können. Der Niedergang des Jakobinertums im avantgardistischen Paris zu einer Schreckensherrschaft unter Maximilien de Robespierre taugt als warnendes Beispiel.

  • Deutsches Historisches Museum Unter den Linden 2, Mitte, Mo-So 10-18 Uhr, bis 6.4.25, zur Website

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