Veranstaltungsreihe

NS-Zwangsarbeit in Berlin – Verbrechen vor der eigenen Haustür

Die Zwangsarbeit im Dritten Reich wurde lange verschwiegen. Neben Kriegsverbrechen der Wehrmacht und dem Holocaust verschwand sie im Hintergrund. Dabei waren mehr als 20 Millionen Menschen den Maßnahmen unterworfen. Kein anderes Verbrechen der Nazis hatte derart weitreichende Auswirkungen. Deutschland brauchte Arbeitskräfte: für die Rüstungsindustrie, Baubranche und Landwirtschaft. Oft war der Tod durch Arbeit das Ziel. Auch in Berlin gehörte Zwangsarbeit spätestens ab 1942 zum Alltag. 80 Jahre später beleuchtet das Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit das Thema und zeigt, wie sich die menschenverachtende Politik in allen Berliner Bezirken auswirkte.

Zwangsarbeit in Berlin: Lächeln für die Nazis. Eine Zwangsarbeiterin in einem Berliner Barackenlager. Fotografiert etwa 1942. Foto: Imago/Sammlung Rolf Poss
Lächeln für die Nazis. Eine Zwangsarbeiterin in einem Berliner Barackenlager. Fotografiert etwa 1942. Foto: Imago/Sammlung Rolf Poss

80 Jahre NS-Zwangsarbeit in Berlin

Die Sklaven des Dritten Reichs waren anfangs „rassisch minderwertige“ Bürger des Deutschen Reichs, Juden, „Arbeitsscheue und Asoziale“, Sinti und Roma. Deutschland war bankrott und bereitete sich zugleich auf einen massiven Angriffskrieg vor. Es fehlte überall an Arbeitskräften und die Schwachen und Entrechteten zwang man zuerst zur unfreiwilliger Arbeit. Nach dem Angriff auf Polen begann die systematische Ausbeutung der sogenannten Ostarbeiter. Menschen, die im Einflussbereich des NS-Staates lebten, wurden von den Besatzern zu Arbeitseinsätzen ins Deutsche Reich verschickt, auch nach Berlin. Kontrolliert und organisiert von der Wehrmacht kamen so Hunderttausende Polen, Russen, Ukrainer und Litauer, aber auch Belgier, Franzosen, Niederländer und Griechen nach Deutschland. Viele nach Berlin.

Dieser Aspekt steht 2022 im Mittelpunkt eines ganzjährigen Projekts des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit. „Vor 80 Jahren wurde Zwangsarbeit in Berlin zum Massenphänomen. Mit zunehmender Dauer des Krieges wuchs der Arbeitskräftebedarf der deutschen Wirtschaft ins Unermessliche. Im März 1942 gründete das NS-Regime mit dem „Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz“ eine Behörde, um die Verschleppung von immer mehr Menschen zentral und effizienter zu organisieren. Im Rahmen der sogenannten Lagerbauaktion 1942 entstanden in Berlin hunderte von Unterkunftslagern für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, schreiben die Organisatoren.

Beispiele für Zwangsarbeit in Berlin finden sich in allen Bezirken, was nicht verwundert, viele Spuren der Nazis sind schließlich auch heute noch im Stadtbild sichtbar. Man kann die ehemaligen Zwangsarbeiter-Baracken in Schöneweide besichtigen. Allein in Friedrichshain-Kreuzberg fanden Historiker mehr als 800 Orte, an denen nachweislich Zwangsarbeit geleistet wurde. Im Berliner Norden, wo die Industrialisierung Berlins begann und unter anderem die Produktionsstätten von AEG standen, kamen Zwangsarbeiter zum Einsatz. Und an der Neuköllner Hermannstraße erinnert eine Gedenkstätte an kirchliche Zwangsarbeiter. Ein perfider Aspekt der Geschichte, denn auch die Kirchen bedienten sich im Dritten Reich der verschleppten Arbeitskräfte.

Die ehemaligen Zwangsarbeiter-Baracken im Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Schöneweide. Foto: Imago/Kitty Kleist-Heinrich/TSP

Die aktuelle Reihe, für die sich die Berliner Regionalmuseen in zwölf Veranstaltungen dem Thema widmen, beginnt mit einem Fokus auf Charlottenburg-Wilmersdorf. Bereits 2020 zeigte das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf eine Ausstellung zu Zwangsarbeit im Bezirk. Im August 2021 wurde, nach sechsjähriger Debatte, in der Wilhelmsaue 39/40 eine Gedenktafel eingeweiht. Die lange Debatte verdeutlicht, ähnlich den extrem spät erfolgten Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiter, die erst um das Jahr 2000 herum mit der Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ begannen, den schwierigen Umgang in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Erbe des Naziregimes.

Warum erfolgte die Aufarbeitung der Zwangsarbeit so spät?

In Charlottenburg entstanden weitere Gedenkstelen, zuletzt in Eichkamp und demnächst in der Wallenbergstraße. Zudem existiert seit Kurzem in Charlottenburg-Nord ein „Pfad der Erinnerung“, der unter anderem zwei Zwangsarbeitslager markiert. Bei dem Auftakt der Veranstaltungsreihe am 20. Januar sprechen Dr. Cord Pagenstecher von der FU Berlin und Cornelia Ganz vom Berliner Forum für Geschichte und Gegenwart e.V., über den Stand der Aufarbeitung von NS-Zwangsarbeit in dem Bezirk.

Die Reihe nimmt bis Dezember 2022 in zwölf Veranstaltungen, darunter Vorträgen, Lesungen, Filmvorführungen und Diskussionen, die einzelnen Berliner Bezirke in den Blick. Und sie stellt auch 80 Jahre nach dem begangenen Unrecht, immer noch aktuelle Fragen: Was die Verbrechen, die vor unserer Haustür stattfanden, mit unserer heutigen Gesellschaft zu tun haben und warum die Aufarbeitung erst so spät begann?

Mehr Informationen und alle Termine finden sich hier


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